Jahrgang 2003 Nummer 46

Wo Volkskunst vom Küchentisch entsteht

Die Kunsthandwerkerin Marion Eisenreich malt Schützenscheiben

Als Marion Eisenreich kürzlich zu einem Kunsthandwerkermarkt eingeladen war, bekam sie Probleme. Sie sollte ihre Schützenscheiben ausstellen, hatte aber kein einziges Exponat auf Lager. »Ich male nicht auf Vorrat, sondern nur, wenn ich einen Auftrag bekomme.« Die 26 Jahre alte Kunsthandwerkerin wusste sich zu helfen. Sie fragte bei etlichen Auftraggebern an, ob sie ihr von ihr bemalte Schützenscheiben leihweise zur Verfügung stellen würden. »Schließlich ist doch ein gut bestückter Stand zustandegekommen.«

Vor drei Jahren bemalte Marion Eisenreich ihre erste Scheibe. Eine Freundin hatte sie darum gebeten. Zur bevorstehenden Trauung sollte es ein Hochzeitsmotiv sein. Noch nie zuvor hatte sich die 26-Jährige mit dieser Volkskunst beschäftigt. »Der Gedanke war mir völlig fremd, etwas für andere Menschen zu machen und auch noch zu verkaufen.« Mittlerweile kommen jedoch immer mehr Interessenten zu ihr nach Fischbachau (Landkreis Miesbach) und geben Schützenscheiben in Auftrag.

In vielen Wirtsstuben und in den meisten Schützenheimen hängen bunt bemalte Holztafeln, auf die bei Vereinsschießen gezielt wurde. Zu den unterschiedlichsten Anlässen wurden sie gestiftet, meist von Schützenkönigen oder zu Jubiläen. Lange Zeit hatte niemand großes Interesse an den naiven Bildern. Doch viele alte, von Einschüssen beschädigte Scheiben, überdauerten die Jahrzehnte. Erst langsam erkennen Kunsthistoriker den Wert der abgebildeten Szenen. Denn alte Schützenscheiben erzählen Geschichten von oftmals längst vergessenen Bräuchen. Sie zeigen die Kleidung der Menschen von damals und wie sie seinerzeit lebten.

Die Schöpfer der Scheiben waren keine akademisch ausgebildeten Kunstmaler. Vielmehr verdienten sich Bauern und Handwerker auf diese Weise etwas zum Lebensunterhalt hinzu. In dieser Tradition steht Marion Eisenreich. Nach Realschule und Fachoberschule für Gestaltung wurde die Fischbachauerin Zahntechnikerin. In ihrer Freizeit malte und zeichnete sie weiterhin gelegentlich, »aber immer nur für mich im stillen Kämmerlein«. Nach der Geburt ihres Sohnes Leonhard blieb die junge Mutter zu Hause, kümmert sich seitdem um die Familie. Da kam die Idee ihrer Freundin, eine Hochzeitsscheibe zu malen, gerade recht.

Die Mitglieder etlicher Schützenvereine in Oberbayern wissen, dass sie bei Marion Eisenreich an der richtigen Adresse sind. »Ich male, was die Leute wollen - Heiligenfiguren, Tiere, Kapellen und Kirchen. Viele bringen die Fotos ihrer Häuser und Bauernhöfe mit.« Jedes Motiv wird freihändig auf die von ihrem Mann Sebastian gedrechselte Holzscheibe übertragen. Eine Werkstätte oder gar ein Atelier besitzt Marion Eisenreich nicht. »Ich male am Küchentisch.«

GB



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