Wo altes Handwerk eine Heimat hat
In Salzburgs Altstadt sind noch die guten Dinge aus alter Zeit zu finden





Maximilian Weiss muss lächeln, wenn er von diesen Begegnungen berichtet: »Manche Kunden hören es bei uns rumpeln und fragen dann: Wird bei Ihnen umgebaut?« Die rumpeligen Geräusche schallen vom Obergeschoß bis in den kleinen Laden der Teppichweberei hinunter. Oben sitzt die Handweberin Veronika Redhammer und fertigt am Webstuhl traditionelle Fleckerlteppiche. Früher kamen die Kunden auch mit dem eigenen Material – Stoffreste und Altkleider etwa – in die Weberei. Machen Sie was Schönes draus, habe es dann häufig geheißen. »Heute werden Farben und Formen von den Kunden mit der häuslichen Einrichtung genau abgestimmt«, so Juniorchef Weiss. Seit mehr als 65 Jahren sind Laden und Werkstätte der 1843 gegründeten Teppichmanufaktur im Niederleghaus in der Salzburger Getreidegasse zu Hause.
Die Teppichweberei Weiss zählt zu den mehr als drei Dutzend kleinen Manufakturen und Läden, die im Zentrum der 150 000-Einwohner-Stadt angesiedelt sind: ob Weber oder Kürschner, Konditoren, Schlosser, Schneider, Schuster, Gürtler und Likörerzeuger. Handwerkskunst wird in der Mozartmetropole nicht nur gelebt, sondern von den Einheimischen und Gästen auch hoch geschätzt.
Besucher entdecken die Manufakturen bei dem Themenrundgang »Traditionen in Salzburg«. Mit der Kunstgeschichtlerin und Stadtführerin Cornelia Thöni geht es kreuz und quer durch die Altstadt, die sich auf nur 1500 Meter am Ufer der Salzach entlang zieht. Geschichten und Geschichte werden während des Rundgangs erlebbar – Salzburg ist viel mehr als Festspielmetropole und Heimat von Wolfgang Amadeus Mozart.
»Das Niederleghaus mit der Weberei Weiss zeugt von der Geschichte unserer Stadt«, sagt Thöni. Salzburg lag im Mittelalter am Schnittpunkt von zwei wichtigen Handelswegen – von Venedig in Richtung Norden nach Böhmen und Mähren, und von Wien und Linz im Osten hinüber nach München. Durch die Linzergasse von Osten und die Steingasse von Süden rollten die schwer beladenen Kutschen über die Brücke des Salzach-Flusses in die Stadt zur Getreidegasse. »Dort mussten die Händler im Niederleghaus drei Tage ihre Waren – Eisen, Salz, Wein und kostbares Glas aus Venedig – niederlegen und zum Verkauf anbieten. Erst danach durften sie weiter reisen«, so die Historikerin.
35 bedeutende Handelsfamilien wurden im 16. Jahrhundert in der Stadt gezählt. In jenen Jahren blühten die Geschäfte. Die Handelshäuser zwischen Salzach und Mönchsberg platzten aus allen Nähten und wurden durch Hinterhäuser erweitert. Die Vorderhäuser bekamen breite Durchgänge, sodass Kutschen einfahren und in den Innenhöfen entladen werden konnten. Die sogenannten Durchhäuser sind eine Besonderheit von Salzburg.
Sie prägen auch heute noch das Bild der Altstadt. Besonders fein herausgeputzt sind sie in der Getreidegasse, wo im Haus Nummer 9 Wolfgang Amadeus Mozart am 27. Januar 1756 geboren wurde. Nur wenige Schritte weiter, hinter einem unscheinbaren Holztor, verbirgt sich die traditionsreiche Schlosserei Wieber. In der Getreidegasse Nummer 28 führt Meister Christian Wieber die Schlosserei, deren Geschichte bereits im Jahr 1415 beginnt. Im mittelalterlichen Werkstattgewölbe entstehen nach wie vor barocke wie moderne Balkongitter, die für Salzburg so typischen Zunftzeichen, Treppenläufe, Torgitter und schmiedeeiserne Lampen. »Unsere Generation hat die Verpflichtung, solche Betriebe zu erhalten«, sagt Wieber.
Nebenan kommen Arme und Reiche, die Jungen und die Alten auf genau 38 Quadratmeter Ladenfläche zusammen. »Beim Sporer« einen Orangenpunsch zu trinken und dabei an der schmalen Theke über Gott und die Welt zu plaudern – für Salzburger eine liebgewonnene Gewohnheit besonders zur Adventszeit. Michael Sporer leitet die Likör- und Punschmanufaktur in der vierten Generation und verrät: »Für so manch einen Stammkunden führt vom Flughafen der erste Weg zu uns, und dann erst ins Hotel oder nach Hause.« 40 hausgemachte Liköre, Kräuterbitter und Schnäpse offeriert der 1903 gegründete Familienbetrieb.
Duftende Tannengirlanden schmücken Türen und Tore der barocken Häuser. Festlich verziert ist auch die Konditorei Fürst in der Brodgasse. Im Schaufenster steht das Porträt von Paul Fürst, dem Erfinder der Original Mozartkugel. Der Konditormeister präsentierte seine süße Schleckerei aus Nougat, Marzipan und Pistazien 1905 auf der Pariser Weltausstellung und wurde damals mit einer Goldmedaille geehrt. Heute kommen die meisten Mozartkugeln aus Fabriken, doch im Hause Fürst werden die süßen Verführungen auch heutzutage mit dem gleichen aufwendigem Herstellungsverfahren und gleicher Rezeptur wie vor über 100 Jahren handwerklich erzeugt.
Schuhmachermeister Herbert Haderer in der Pfeifergasse hat sich in seinem winzigen Laden und den Werkstätten in Großgmain und Kitzbühel auf die Anfertigung feiner Maßschuhe spezialisiert. Mehr als 100 Jahre existiert der Familienbetrieb, weithin bekannt wurden die Haderers in den 1950er Jahren: Damals entstand bei ihnen ein neues Skischuh-Modell, mit dem der Skirennläufer Toni Sailer bei der Winterolympiade 1956 im Slalom, Riesenslalom und in der Abfahrt jeweils die Goldmedaille holte.
Beim Knopferlmayer am Rathausplatz dreht sich alles um kleine und auch größere Knöpfe. Wie viele verschiedene Modelle im Angebot sind? »Oh je«, antwortet Veronika Stockinger, geborene Mayer. Diese Frage hat sie schon so oft gehört. Und kann doch nur mit einer ungefähren Anzahl antworten. 3500 verschiedene Modelle mögen es wohl sein, schätzt die heutige Inhaberin des seit 1758 bestehenden Spezialgeschäftes. Ein Griff, und die kundigen Verkäuferinnen holen, angefangen vom Hirschhorn- über den Goldknopf bis hin zum Perlmuttknöpflein, das jeweils Gewünschte.
Riesig groß ist auch das Angebot an Gürteln und Gürtelschnallen bei Wolfgang Schliesselberger, der die 1820 entstandene Lederwarenmanufaktur in der Dreifaltigkeitsgasse führt. Unter weit über 1000 Varianten haben die Kunden die Qual der Wahl. In der Werkstatt werden Gürtel und Schließen von Taschner Battal Ordu wunschweise ganz individuell miteinander verbunden und in die Jahre gekommene Gürtel mit viel Geschick wieder hergerichtet.
Zeitgenössisches Kunsthandwerk und Dirndlstoffe kaufen die Kenner beim »Heimatwerk« am Residenzplatz. Diese Salzburger Institution hat sich der Erhaltung überlieferter Traditionen und heimischer Volkskunst verschrieben. Wer nach Stoffen für ein Dirndlkleid sucht, wird hier gut beraten und garantiert fündig. Aber auch Stick- und Strickmustermappen, Keramik, Bänder und Borden, sowie Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände aus dem Salzburger Land werden angeboten. Und ein Dirndl, von der hauseigenen Schneiderin des Heimatwerkes angemessen, ist ein stilvolles Unikat und bereitet der modebewussten Dame lange Freude.
Das Heimatwerk ist darüber hinaus seit 1946 Veranstalter des traditionellen Adventsingens im Festspielhaus. »Der Sterngucker« mit Gedanken des Friedens, der Toleranz und des Glaubens wird in diesem Jahr bei 16 Aufführungen die Besucher anziehen. 200 Mitwirkende – überwiegend Laien – der Salzburger Volksliedchor und die musikalischen Hirtenkinder wirken bei dem vorweihnachtlichen Spiel mit.
Mit Adventsingen, Christkindlmarkt am Dom und dem Schloss Hellbrunner Adventzauber verwandelt sich Salzburg im Dezember zu einer stimmungsvollen Kulisse. Wen wundert es da noch, dass auch das berühmteste Weihnachtslied der Welt im Salzburger Land entstand: »Stille Nacht, heilige Nacht«. Pfarrer Joseph Mohr schrieb diese Zeilen, die der Dorfschullehrer Franz Xaver Gruber vertonte.
Am Heiligen Abend des Jahres 1818 wurde das Lied erstmals in Oberndorf gesungen. Von dort aus trat es seinen Weg um die Welt an und steht seit 2011 auf der nationalen Unesco-Liste des Immateriellen Kulturerbes in Österreich.
Bernd F. Meier
48/2014