Jahrgang 2003 Nummer 34

Wir sitzen so fröhlich beisammen...

Ausstellung »Tischgesellschaften« in der Festspielstadt Salzburg

Theodor Josef Ethofer (1849-1915): »Der Stieglkeller in Salzburg«, Tempera auf Karton.

Theodor Josef Ethofer (1849-1915): »Der Stieglkeller in Salzburg«, Tempera auf Karton.
Joseph Danhauser (1805-1845): »Wein, Weib und Gesang«, Öl/Leinwand.

Joseph Danhauser (1805-1845): »Wein, Weib und Gesang«, Öl/Leinwand.
Josef Engelhart (1864-1941): »Im Sophiensaal«, um 1903, Öl/Leinwand.

Josef Engelhart (1864-1941): »Im Sophiensaal«, um 1903, Öl/Leinwand.
Franz Anton Maulbertsch war noch lange nicht Kaiserin Maria Theresias Hofkammermaler und konnte sich noch längst nicht »Kunstrath« der Wiener Akademie nennen, da gelangen dem damals noch keine dreißig Jahre alten Künstler vom Bodensee schon Altarbilder und Deckengemälde für Klöster, Kirchen und Schlösser. Vor 250 Jahren schuf er »Das letzte Abendmahl«, ein Ölgemälde auf Leinwand, das die Residenzgalerie Salzburg beherbergt. Ihre leitende Kuratorin, Erika Mayr-Oehring, empfing, wie sie gestand, ausgerechnet durch dieses hochdramatische religiöse Barock-Bild die Anregung für die jetzt (noch bis 7. September 2003) gezeigte Sonderausstellung »Tischgesellschaften«. »Wahrlich, ich sage euch: Einer von euch wird mich überliefern, der, welcher mit mir isst«, kündigt Jesus, am Tisch sitzend, den Lieblingsjünger Johannes mit geneigtem Kopf umarmend, den Verrat durch Judas an. Dieser, von Maulbertsch in die linke dunkle Ecke des über zwei Meter breiten Bildes gesetzt, hält den Beutel mit den dreißig Silberlingen hinter dem Rücken versteckt und sieht den Betrachter viel sagend an. Die Gruppe der durchwegs als Greise mit Kahlkopf und Bart gekennzeichneten – Apostel befindet sich in theatralischer Bewegung, Jesu Worte je individuell gestisch-mimisch kommentierend.

Der Tisch als Ort des Miteinander, der Freundesbegegnung, des Mahls und der Entscheidung – nicht nur Maulbertsch setzt dieses »Bild« der gedeckten Tafel metaphorisch ein, und auch nicht nur all diejenigen Maler vor und nach Maulbertsch, die das neutestamentliche Abendmahl des Herrn gedeutet haben – von Leonardo über Rembrandt bis hin zu Andy Warhol oder dem Expressionisten Georg Jung (sein »Abendmahl« reißt den Betrachter unwillkürlich mit, es ist vom Museum Carolino Augusteum für die Ausstellung ausgeliehen). Auch die Maler des Biedermeier (wie etwa ein Josef Danhauser: »Wein, Weib und Gesang«), die Wiener Secession ( zum Beispiel ein Josef Engelhart: »Im Sophiensaal« oder ein Albin Egger-Lienz: »Das Mittagessen«) und des sozialkritischen Realismus (Wolfgang Herzig: »Kaffeekonditorei«) stellen den Tisch in den Mittelpunkt ihrer durchaus nicht nur abbildhaften, sondern gedeuteten Malkunst.

Die Ausstellung zeigt Beispiele der Malerei des 16. bis 20. Jahrhundert, bietet also einen Gang durch fünf Jahrhunderte, deren Geschichte sich in den Gemälden und einer Reihe von Tisch-Accessoires (Geschirr, Glas, Besteck, Textilien, Silber, Einladungs- und Tischkarten, Menü- und Speisepläne) widerspiegelt. Was mit den Thema »Die Sprache der Dinge« – meist anonyme Utensilien als »So genannte stille Zeugen des Alltags« – beginnt, endet mit Ausschnitten aus Filmen, die Tischgesellschaften zeigen (»Königliche Hoheit«, »Alexis Sorbas« – die Besucher stauen sich vor dem Video-Gerät und lassen sich in die Zeiten ihrer Kino-Genüsse zurückversetzen).

In diesen thematischen Spannungsbogen werden politische Tischgesellschaften mit der ausgeklügeltsten und auch artifiziellsten Form im Hofzeremoniell gestellt, wird das ausgelassene Treiben bei Bürgern und Bauern der niederländischen Maler des 17. Jahrhunderts präsentiert, kommen all die Tafelrunden zu Familienfesten zur Geltung, die des Menschen Genuss- und Gesellschaftsstreben belegen, werden das Kaffee- und das Ballhaus, das Restaurant und der Salon als »veröffentlichte« Plätze der Tisch-Geselligkeit ins Bild gerückt. Sechs Beispiele stehen dem Thema »Familientisch« zu Gebote: Bonnards »Kind mit der Lampe« in seiner Zartheit, Egger-Lienz »Mittagessen« in seiner herben Monumentalität, Mansfelds »Puppenjause« in ihrer Idyllik, Felix Ignaz Pollingers bekanntes Rieder Volkskundehaus-Bild mit dem »ersten Christbaum« bei den Rappolters, Johann Baptist Reiters »Apfelschälerin« als Doppelbildnis-Porträt und Anton Romakos »Familie des Künstlers« – entrückt in eine Welt paradiesischen Abgehobenseins, wüsste man nicht, dass die schöne Römerin Sophie Köbel kurz nach Fertigstellung des Gemäldes 1873 ihre Familie verließ.

Gut, den Katalog mit seinen hervorragenden Essays zu den einzelnen Themen – zu ihnen zählen noch »Künstlerrunden« und die schon erwähnten »Biblischen Tischgesellschaften« – lesen zu können und die abgebildeten Exponate, zusammen mit den Künstler-Viten, noch einmal studieren zu können. Das Buch kostet 17 Euro an der Museumskasse. Denn einige Aspekte, die der flüchtige Gang durch die Ausstellung verbirgt, offenbaren sich erst in der näheren Beschäftigung mit Details. So fällt die strenge Ordnung der höfischen Tafeln, die vor allem in Renaissance-Gemälden und Barock-Stichen zum Ausdruck kommen, erst dann auf, wenn man sich in die geradezu liederlich wirkenden Tisch-Szenen in Jannecks »Fest im Schloss«, Quillards »Ländlichem Fest« oder Moritz von Schwinds Kreidelithograpie »Mittagsmahl auf dem Leopoldsberg« vertieft. Die Fröhlichkeit und Ausgelassenheit des Tafelns und der sie begleitenden Sinnenfreuden – sie mögen der dargestellten Szene folgen oder ihr bereits vorausgegangen zu sein – lassen Wiener Maler wie Theodor Josef Ethofer (»Der Stieglkeller in Salzburg«, 1910) nicht weniger unmittelbar erleben wie etwa der Antwerpener Frans Xaver Verbeeck mit »Karnevalsgesellschaft« und »Austernträgerin«.

»Wir sitzen so fröhlich beisammen/ und haben einander so lieb...« – das Lied mag einem beim Betrachten so manchen Gemäldes durch den Kopf gehen. Oder es bleibt einem geradezu im Hals stecken. Dann nämlich, wenn man – abgesehen von den düsteren Szenen etwa eines Frederik van Valckenborch zum »Gastmahl des Königs Belsazar« (um 1600) – vor den beiden Bildern des Adriaen van Ostade »Dorfschenke mit vier Figuren« (1635) und »Raucher und Trinker in einer Schenke« Halt macht. Die Waggerl´sche »fröhliche Armut« hat hier Einkehr gehalten, und die Bescheidenheit der sich im Suff von ihren Schulden lösenden Bauern, deren Gesichter ohne Konturen bleiben, rührt an. Immer wieder stößt man auf das vom Thema »Tischgesellschaften« diktierte Sozialgefälle der um den Tisch Gruppierten: der gut situierte, wohlgenährte Spießer, der nach den halb verdeckten Brüsten einer sich zu ihm herunterbeugenden Schönen giert – und die klobigen, derben Landarbeiter, die einvernehmlich und in aller Ruhe ihre wässerige Suppe löffeln. Armut und Reichtum, Nonchalence und Prüderie, Volksseligkeit und strenges »Arbeitsessen«, Vergnügungssucht und Bettlertum sind in den Bildern dieser sinnenhaften und sinnvoll bestückten Ausstellung so eng beieinander wie Licht und Schatten, Sonne und Regen. Der Mensch in seinen zahlreichen Facetten – in allen 45 Bildern dieser Ausstellung springt er dich an.

HG



34/2003