Wechselspiel
Eine Geschichte zum Fest Peter und Paul

Nischenfiguren der Apostelfürsten Petrus (links) und Paulus (Ende 17. Jh.) in der Bauernkapelle zu Thal bei Aschau a. Inn. Petrus trägt nur einen Schlüssel, dem Paulus fehlt das Schwert. Ob es »Opfer« eines ähnlichen »Wechselspiels« wie in der Geschichte oder gar entwendet wurde?
An Peter und Paul, also am vorletzten Junitag, erzählte der Großvater dem Enkel immer die folgende Geschichte, und die war damals schon uralt.
Der Heigl Stefan wäre so gern Ministrant gewesen. Aber mit seinen sechs Jahren war er dem Pfarrer noch zu jung, um für den Altardienst zu taugen.
Das ärgerte den Stefan, und er bettelte die Mutter oft, mit ihm nachmittags in die Kirche zu gehen. Da lief er dann manchmal der Mutter davon, um als erster am Kommuniongitter anzukommen und den Hochaltar aus nächster Nähe anschauen zu können. War die Mutter nachgekommen, knieten sie auf dem breiten Betschemel des Pfarrers nebeneinander nieder, um still zu beten.
Einmal fiel der Mutter auf, dass ihr Stefan immer wieder zu den farbig gefassten hölzernen Figuren der Apostelfürsten Petrus und Paulus hinaufschaute. Erst guckte er zum heiligen Petrus nach links, dann zum heiligen Paulus nach rechts. Vom Paulus wieder zum Petrus, und vom Petrus wieder zum Paulus. So wechselte er von einem Apostelfürsten zum anderen.
Das sah aus, als ob der Stefan langsam den Kopf schüttelte. Die Mutter fragte flüsternd, was er da mache. Er legte jedoch nur den Zeigefinger auf den geschlossenen Mund und verließ vor der Mutter auf leisen Sohlen die Kirche.
Nun muss man wissen, dass der heilige Petrus als Erkennungszeichen ein paar gekreuzte Schlüssel (oder manchmal auch nur einen Schlüssel) und der heilige Paulus ein blankes langes Schwert in der Hand halten, dazu meistens auch noch ein Buch. Der Stefan hatte in der Schule gut aufgepasst und sich gemerkt, was die Beigaben der Apostelfürsten bedeuten. Petrus erhielt von Jesus die Schlüssel des Himmelreiches und damit die Gewalt über die Kirche Gottes, und Paulus kam durch das Schwert ums Leben. Das war für den Stefan Erklärung genug, dass der heilige Paulus auf seinem Sockel ein so griesgrämiges Gesicht machte, wogegen der heilige Petrus eher lustig aussah.
Jedenfalls - der Stefan brütete etwas aus seit jenem Kirchenbesuch mit der Mutter.
Der Vortag des Festes Peter und Paul war gekommen, ein heißer Sommertag, an dem sich kein Lüftchen regte. Die Mutter ahnte nicht, was ihr Sohn im Schilde führte, als er noch am späten Nachmittag wegging. Einfach so, ohne was zu sagen. Und in Eile.
Der Kirchenraum, in den der Stefan hastig eintrat, war kühl. Der Läufer schwitzte auf der Stirn, aber das kam bestimmt nicht nur von der Hitze, sondern auch davon, was hinter der Stirn des Läufers sich als Plan geformt hatte.
Der Stefan rückte den Betschemel, auf dem er immer mit der Mutter kniete, unter die Petrusfigur, stieg auf, streckte sich in den Stand und nahm, es war gefährlich genug, dem linken Heiligen die Schlüssel aus der Hand. Die gekrümmten Petrusfinger sahen nun aus, als fehlte ihnen etwas Wichtiges.
Das war dem Stefan egal. Er schob den Schemel unter die Figur des heiligen Paulus, kraxelte hinauf und ruckte an Pauli langem Schwert. Das ließ sich, Malefiz noch einmal, nur mit Geduld und Spucke loseisen. Doch die Paulushand sollte nicht ohne etwas Vorzeigbares bleiben. Also legte ihr der Stefan die Petrusschlüssel ein. Das Schwert aber verpasste er dem Schlüsselträger.
Als der Stefan mit seinem Wechselspiel fertig war und den Betschemel wieder an seinen Ort gerückt hatte, betrachtete er die Apostelfürsten, die am folgenden Tag ihr großes Fest begehen sollten, aus einigen Metern Entfernung. Alles Volk in den Kirchenbänken würde morgen länger zu ihnen aufblicken als der Stefan sich dafür jetzt Zeit nahm. Petrus mit dem Schwert in der Hand schien für das, was er damit anrichten könnte, nur ein müdes Lächeln zu haben. Paulus aber konnte anscheinend mit den Schlüsseln seines Kollegen nichts anfangen; denn er sah, wie vorher schon, düster drein, mürrisch, noch griesgrämiger, wolle es dem Stefan scheinen, als er vorher mit dem Schwert in der Hand dreingeschaut hatte.
Was der Großvater dem Enkel nicht erzählte:
Bis heute sind Schwert und Schlüssel noch nicht wieder an ihre angestammte Stelle zurückgekehrt. Die Kirche, in der der Heigl Stefan später noch lange Jahre als Ministrant diente, gefirmt und getraut wurde, ist wohl die einzige in der Welt, in der ein heiliger Petrus das Schwert und ein heiliger Paulus zwei Schlüssel in der Hand halten.
Hans Gärtner
25/2011
Der Heigl Stefan wäre so gern Ministrant gewesen. Aber mit seinen sechs Jahren war er dem Pfarrer noch zu jung, um für den Altardienst zu taugen.
Das ärgerte den Stefan, und er bettelte die Mutter oft, mit ihm nachmittags in die Kirche zu gehen. Da lief er dann manchmal der Mutter davon, um als erster am Kommuniongitter anzukommen und den Hochaltar aus nächster Nähe anschauen zu können. War die Mutter nachgekommen, knieten sie auf dem breiten Betschemel des Pfarrers nebeneinander nieder, um still zu beten.
Einmal fiel der Mutter auf, dass ihr Stefan immer wieder zu den farbig gefassten hölzernen Figuren der Apostelfürsten Petrus und Paulus hinaufschaute. Erst guckte er zum heiligen Petrus nach links, dann zum heiligen Paulus nach rechts. Vom Paulus wieder zum Petrus, und vom Petrus wieder zum Paulus. So wechselte er von einem Apostelfürsten zum anderen.
Das sah aus, als ob der Stefan langsam den Kopf schüttelte. Die Mutter fragte flüsternd, was er da mache. Er legte jedoch nur den Zeigefinger auf den geschlossenen Mund und verließ vor der Mutter auf leisen Sohlen die Kirche.
Nun muss man wissen, dass der heilige Petrus als Erkennungszeichen ein paar gekreuzte Schlüssel (oder manchmal auch nur einen Schlüssel) und der heilige Paulus ein blankes langes Schwert in der Hand halten, dazu meistens auch noch ein Buch. Der Stefan hatte in der Schule gut aufgepasst und sich gemerkt, was die Beigaben der Apostelfürsten bedeuten. Petrus erhielt von Jesus die Schlüssel des Himmelreiches und damit die Gewalt über die Kirche Gottes, und Paulus kam durch das Schwert ums Leben. Das war für den Stefan Erklärung genug, dass der heilige Paulus auf seinem Sockel ein so griesgrämiges Gesicht machte, wogegen der heilige Petrus eher lustig aussah.
Jedenfalls - der Stefan brütete etwas aus seit jenem Kirchenbesuch mit der Mutter.
Der Vortag des Festes Peter und Paul war gekommen, ein heißer Sommertag, an dem sich kein Lüftchen regte. Die Mutter ahnte nicht, was ihr Sohn im Schilde führte, als er noch am späten Nachmittag wegging. Einfach so, ohne was zu sagen. Und in Eile.
Der Kirchenraum, in den der Stefan hastig eintrat, war kühl. Der Läufer schwitzte auf der Stirn, aber das kam bestimmt nicht nur von der Hitze, sondern auch davon, was hinter der Stirn des Läufers sich als Plan geformt hatte.
Der Stefan rückte den Betschemel, auf dem er immer mit der Mutter kniete, unter die Petrusfigur, stieg auf, streckte sich in den Stand und nahm, es war gefährlich genug, dem linken Heiligen die Schlüssel aus der Hand. Die gekrümmten Petrusfinger sahen nun aus, als fehlte ihnen etwas Wichtiges.
Das war dem Stefan egal. Er schob den Schemel unter die Figur des heiligen Paulus, kraxelte hinauf und ruckte an Pauli langem Schwert. Das ließ sich, Malefiz noch einmal, nur mit Geduld und Spucke loseisen. Doch die Paulushand sollte nicht ohne etwas Vorzeigbares bleiben. Also legte ihr der Stefan die Petrusschlüssel ein. Das Schwert aber verpasste er dem Schlüsselträger.
Als der Stefan mit seinem Wechselspiel fertig war und den Betschemel wieder an seinen Ort gerückt hatte, betrachtete er die Apostelfürsten, die am folgenden Tag ihr großes Fest begehen sollten, aus einigen Metern Entfernung. Alles Volk in den Kirchenbänken würde morgen länger zu ihnen aufblicken als der Stefan sich dafür jetzt Zeit nahm. Petrus mit dem Schwert in der Hand schien für das, was er damit anrichten könnte, nur ein müdes Lächeln zu haben. Paulus aber konnte anscheinend mit den Schlüsseln seines Kollegen nichts anfangen; denn er sah, wie vorher schon, düster drein, mürrisch, noch griesgrämiger, wolle es dem Stefan scheinen, als er vorher mit dem Schwert in der Hand dreingeschaut hatte.
Was der Großvater dem Enkel nicht erzählte:
Bis heute sind Schwert und Schlüssel noch nicht wieder an ihre angestammte Stelle zurückgekehrt. Die Kirche, in der der Heigl Stefan später noch lange Jahre als Ministrant diente, gefirmt und getraut wurde, ist wohl die einzige in der Welt, in der ein heiliger Petrus das Schwert und ein heiliger Paulus zwei Schlüssel in der Hand halten.
Hans Gärtner
25/2011