Jahrgang 2014 Nummer 26

Von Sarajewo zum Schloß Artstetten

Das Begräbnis des ermordeten österreichischen Thronfolgers und seiner Gattin

Schloss Artstetten heute.
Ansichtskarte von Artstetten, in der Bildmitte der Thronfolger mit seiner Gemahlin.
Die Familie von Erzherzog Karl Ferdinand (um 1906).
Der Mord von Sarajewo – Pressezeichnung zwei Tage nach dem Mord in einer Wiener Zeitung erschienen.

Wenige Kilometer entfernt von dem niederösterreichischen Benediktinerstift Melk und gegenüber der Nibelungenstadt Pöchlarn liegt auf der linken Seite der Donau das Schloss Artstetten. Der architektonisch reizvolle Bau wird urkundlich erstmals im 13. Jahrhundert erwähnt. Sein charakteristisches Merkmal sind die sieben Zwiebeltürme. An der Ostseite des Schlosses steht die ursprünglich gotische, dem heiligen Jakobus geweihte Kirche. Sie ist durch eine Treppe mit dem tiefer liegenden Markt Artstetten-Pöbring verbunden.

In der Gruft der Kirche hat der vor hundert Jahren in Sarajewo ermordete österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie Chotek, Herzogin von Hohenberg, die letzte Ruhe gefunden. Die traditionelle Habsburger Kapuzinergruft blieb ihnen verschlossen, da ihre Ehe als nicht standesgemäß galt. Franz Ferdinand musste mit einer sogenannten morgonatischen Ehe einverstanden sein und für seine Frau und die Kinder auf sämtliche einem Angehörigen des Kaiserhauses zustehenden Rechte verzichten. Herzogin Sophie wurde in der Hofrangordnung an die letzte Stelle gereiht, so durfte sie beispielsweise nicht mit ihrem Mann im Theater in der Hofloge sitzen und durfte im Hofwagen nur in Begleitung ihres Mannes mitfahren, musste aber aussteigen, wenn er ausstieg.

Schloss Artstetten blickt auf eine lange Vergangenheit zurück. Ursprünglich gehörte es dem Geschlecht derer von Ortstetten. Auf Grund seiner exponierten Lage an der Donau wurde es mehrfach belagert und geplündert, die Napoleonischen Kriege brachten seine fast vollständige Zerstörung. Als es in den Besitz des Österreichischen Kaiserhauses kam, wurde es wieder aufgebaut und als Jagdschloss genutzt.

Der Tod von Kronprinz Rudolf schuf für das Kaiserhaus eine völlig neue Lage. An Rudolfs Stelle rückte Franz Ferdinand, ein Neffe von Kaiser Franz Joseph, zum Thronfolger auf und gelangte in den Besitz von Artstetten. Unter ihm wurde das Schloss modernisiert und umgebaut. Unter der Kirche ließ er eine Gruft errichten und traf die Verfügung, dass er hier einmal mit seiner Frau beerdigt werden wolle. Er selbst hätte zwar nach seiner Ehe mit einer Hofdame in der Kapuzinergruft beigesetzt werden können – nicht aber seine Frau. Das kam für den Erzherzog nicht in Frage. Er wollte auch im Tode nicht von ihr getrennt sein – sie war die große Liebe seines Lebens.

Gerichtsakten und Erinnerungen von Zeitzeugen machen es heute möglich, dass das am 28. Juni 1914 in Sarajewo von dem serbischen Freischärler Gabrilo Prinzip verübte Attentat exakt rekonstruiert werden kann. Die Tat ereignete sich nach einem Truppenbesuch in Bosnien, als die hohen Gäste der Hauptstadt Sarajewo einen Besuch abstatteten. Sie fuhren in einer Kolonne von sechs Autos dem Appel-Kai entlang. Im ersten Fahrzeug saßen der Bürgermeister und der Polizeichef der Stadt, im zweiten Franz Ferdinand und seine Frau mit dem bosnischen Landeschef. In den weiteren Autos befanden sich hohe Offiziere und Beamte.

Der erste Attentatsversuch schlug fehl, die von einem Freund Prinzips geworfene Bombe prallte von Franz Ferdinands Arm ab, fiel über das Verdeck des Wagens nach hinten und explodierte vor dem dritten Automobil, wobei ein Offizier und mehrere Schaulustige verletzt wurden. Da die Verletzungen nur leicht waren, befahl der Thronfolger, die Fahrt fortzusetzen. Der Rathausbesuch wurde jedoch abgekürzt, um den Verletzten im Krankenhaus zu besuchen. Auf dem Weg dorthin kam es zum zweiten und dieses Mal tödlichen Anschlag. Der 18-jährige Gymnasiast Prinzip gab aus wenigen Metern Entfernung zwei gezielte Pistolenschüsse auf das Thronfolgerpaar ab.

Das erste Projektil traf Herzogin Sophie in den Unterleib. Sie brach zusammen. Ihr Mann rief »Sopherl, Sopherl! Stirb nicht, bleib´ am Leben für unsere Kinder!« Gleich danach fiel der zweite Schuss. Er traf Franz Ferdinand am Hals und verletzte Luftröhre und Halsvene. Ein Offizier packte den Thronfolger an der Schulter: »Majestät, was ist euch?« Franz Ferdinand entgegnete: »Es ist nichts…« Dann verlor er das Bewusstsein.

Aus heutiger Sicht hätte die Katastrophe verhindert werden können, wenn die Sicherheitsvorkehrungen nicht so total unzureichend gewesen wären. Der Kolonne fuhren weder Polizisten voraus, noch war die Fahrtstrecke durch einen Polizeikordon gesichert. Außerdem war der Thronfolger ohne Leibwächter. Es war allerdings bekannt, dass er kein Freund strenger Bewachung war. Unter einen Glassturz lasse er sich nicht stellen, hatte er einmal geäußert. »In Lebensgefahr sind wir immer. Man muss nur auf Gott vertrauen«.

Auch auf warnende Vorzeichen gab er nichts und bezeichnete sie als Aberglauben. Dabei waren immerhin zwei Zwischenfälle recht auffällig. Gleich nach Antritt der Reise musste der kaiserliche Salonwagen aus der Zuggarnitur entfernt werden, weil eine seiner Achsen heiß gelaufen war. Das Thronfolgerpaar wurde in aller Eile ein Kupee erster Klasse umquartiert. Franz Ferdinand quittierte das mit den Worten »Na, die Reise fängt ja vielversprechend an…«

Später wurde für das Thronfolgerpaar ein zweiter Salonwagen zur Verfügung gestellt. Doch wie sich zur allgemeinen Überraschung herausstellte, funktionierte dessen elektrische Beleuchtungsanlage nicht und konnte in der Kürze der Zeit nicht mehr in Gang gesetzt werden. Es blieb nichts anderes übrig, als den Wagen nur mit Kerzen zu beleuchten. Kommentar des Thronfolgers: »Das ist ja wie in einem Grab.«

Wer weiß, ob nicht ein anderer angesichts dieser Pannen von der geplanten Reise Abstand genommen hätte – und die Weltgeschichte hätte einen anderen Lauf genommen.

Verhängnisvoller Weise war von den Wiener Behörden das Risiko des Bosnienbesuchs überhaupt eklatant unterschätzt worden. Dabei war Bosnien für die Habsburger ein gefährliches Pflaster. Viele Bosnier – vor allem die serbische Minderheit – sehnten das Ende der Habsburger Monarchie herbei und träumten von einem eigenen Staat, der alle Südslawen vereinen sollte. Die Drahtzieher der Verschwörung gegen den Thronfolger saßen in Bosniens Nachbarstaat, dem selbstständigen Serbien und wurden vom Chef des serbischen Geheimdienstes angeführt. Das volle Maß der Mitschuld serbischer Regierungskreise sowie des russischen Militärattachés haben erst spätere Aktenfunde erwiesen. Die jugendlichen Selbstmordattentäter waren in Serbien ausgebildet und hier mit Waffen und Munition versorgt worden – und mit einem Fläschchen Zyankali, um sich nach vollbrachter Tat zu töten.

Die Särge mit den Toten wurden mit der Bahn nach Wien gebracht und in der Hofburg aufgebahrt. Die Kaiserliche Hausordnung bestimmte, dass Angehörige des Kaiserhauses erst nach Einbruch der Dunkelheit bestattet werden durften. Eine große Volksmenge geleitete den Trauerkondukt bis zum Westbahnhof. Von hier ging es mit dem Zug weiter nach Pöchlarn. Das letzte Stück bis Artstetten musste auf einer Fähre zurückgelegt werden, da es keine Brücke gab.

Wie Augenzeugen berichten, tobte beim Eintreffen des Zuges in Pöchlarn nachts um zwei Uhr ein schreckliches Unwetter. Ein Wolkenbruch hatte den Bahnhofsvorplatz, auf dem eine Trauerfeier stattfinden sollte, unter Wasser gesetzt. Trotz der ungewöhnlichen Zeit hatten sich viele Trauergäste eingefunden, Vereine waren mit ihren Fahnen erschienen. Nun drängten sich alle im Stationsgebäude zusammen, wo man die Einsegnung der Marmorsarkophage vor den durchnässten und fröstelnden Menschen vornahm. Anschließend zogen zwei Achtspänner die beiden Kutschen durch die mit schwarzen Fahnen geschmückten Straßen von Pöchlarn. Strömender Regen, Blitz und Donner führten dazu, dass die Pferde immer nervöser wurden und nur mit Mühe auf die Fähre zu bringen waren.

Mitten im Strom wäre es fast zu einem Unglück gekommen. Aufgeschreckt durch einen Donnerschlag drängten die Pferde zurück, sodass schon das Rad einer Kutsche über dem Wasser schwebte. Es fehlte nicht viel, und sie wäre in die Donau gestürzt. Erst im Morgengrauen kam der Trauerkonvoi mit den Särgen des ermordeten Thronfolgerpaares im Schloss Artstetten an, wo in der Gruft die Beisetzung stattfand.

Heute kann das Schloss von April bis Oktober besichtigt werden, ebenso der großzügig angelegte Schlosspark. Auch die Gruft ist zugänglich. Nachdenklich steht der Besucher vor den Sarkophagen von Erzherzog Karl Ferdinand und seiner Gemahlin und liest am Sockel die Worte: »Verbunden durch das Band der Ehe - vereint durch das gleiche Schicksal.«


Julius Bittmann


Literatur: Christine Scholler »Willkommen im Schloss«, Artstetten 2013.


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