Von der Gestapo in den Tod getrieben
Vor 80 Jahren erschoss sich Hans Braxenthaler auf dem Hochberg



An diesem Samstag, den 7. August 1937, kurz nach fünf Uhr in der Frühe, war die Jagd auf Hans Braxenthaler, der am nächsten Tag 44 Jahre alt geworden wäre, zu Ende. Lebend hatten ihn die Gestapobeamten nicht mehr erwischt. Ein Hinweis aus Traunstein, wonach der lange gesuchte Braxenthaler nachts gesehen worden sei, hatte die Gestapozentrale in München gleich zum Handeln veranlasst. Mit einem Omnibus waren 20 Beamte aus München noch in der Nacht nach Traunstein gefahren. In der Dienststelle der Gendarmerie in der Salinenstraße trafen sie auf die bereits versammelten, örtlichen Polizisten, die ihnen auch drei verdächtige Höfe auf dem Hochberg nennen konnten. »Fündig« wurde die Gruppe, die den Löffler-Bauern in Mitterbichl ins Visier genommen hatte.
Kreszenz Jana, die Tochter des Bauern, die selbst nach München zur Gestapo verfrachtet und dort verhört wurde, erinnerte sich später an das Geschehen: »Mein Vater und der Braxenthaler haben sich gekannt, weil seine Mutter immer die Milch bei uns geholt hat. Aber bekannt war er ja überall, weil er sich ja für die Arbeiter eingesetzt hat. Und deshalb ist er zu uns gekommen, und wir haben ihn halt versteckt, weil er nicht mehr gewusst hat, wo er hin soll ... Er war halt so durcheinander und hat uns immer wieder gesagt, dass er sich eher umbringt, als dass er nochmal nach Dachau geht.«
Tatsächlich hätte eine erneute Festnahme und eine dritte Einlieferung nach Dachau für Braxenthaler wiederum besondere Qualen und möglicherweise unmittelbare Lebensgefahr bedeutet. Denn er gehörte für die Nazis schon Jahre vor der Machtübernahme zu jenen »Feinden« die es auszuschalten galt und an denen Rache geübt werden sollte.
Wer war dieser Hans Braxenthaler?
»Brax«, wie ihn seine Freunde nannten, wurde am 8. Juli 1893 in Thannsberg, Gemeinde Fridolfing, als Sohn der Bauerstochter Klara Braxenthaler geboren.
Als Infanterist nahm er ab Februar 1915 am l. Weltkrieg teil. Drei Jahre Kriegserfahrung machten aus dem Soldaten einen entschiedenen Kriegsgegner und brachten den Bauarbeiter an die Seite der Arbeiterbewegung. 1919 schloss er sich in Traunstein zunächst der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei, ein Jahr später der neugegründeten Ortsgruppe der Kommunistischen Partei an. Von Anfang an war er auch in der Gewerkschaft aktiv, bald auch als Vorsitzender des Bauarbeiter- Verbandes im Bezirk Traunstein, dann als Vorsitzender der Freien Gewerkschaften in Traunstein. Als Redner trat er in zahlreichen Versammlungen von Ruhpolding bis Altenmarkt für die Interessen der Arbeiter auf.
Seit Mitte der 20er Jahre war er vor allem für die KPD tätig. Ob als Organisator von Arbeitslosendemonstrationen, beim Verteilen der »Traunsteiner Roten Fahne«, bei Diskussionen vor dem Arbeitsamt oder als Gegenredner bei Naziversammlungen – Braxenthaler wurde recht populär in der Arbeiterschaft als einer, auf den Verlass war, der nicht nur redete, sondern auch anpackte. So wurde er 1929 auch in den Traunsteiner Stadtrat gewählt. Im Gefolge der großen sozialen Not in der Wirtschaftskrise erstarkte die KPD auch im (Unter-)Bezirk Traunstein, dessen Vorsitzender Braxenthaler war. Ende 1932 erzielte die Traunsteiner KPD mit über 100 Mitgliedern bei den Reichstagswahlen in der Stadt fast 17 Prozent der Stimmen.
Als die Nazis Ende Januar 1933 die Macht übernahmen, waren die Listen vorbereitet, mit denen Jagd auf die politischen Gegner gemacht wurde.
Braxenthaler war das erste Traunsteiner Opfer. Schon am 3. März 1933 wurde er verhaftet und ins Traunsteiner Gefängnis gebracht. Zynisch vermerkte das Nazi-Blatt »Chiemgau-Bote« am nächsten Tag: »Die Stadtratssitzung ... war nur von kurzer Dauer. An der Sitzung nahm der kommunistische Stadtrat Braxenthaler nicht teil. Er hatte sich entschuldigen lassen, was unsere Leser verstehen werden.«
Aber dieser Triumph der neuen Machthaber war nur das Vorspiel. Als dann der Stadtkommissar die erste Transportliste von 27 Häftlingen – fast alles Kommunisten – aus dem Kreis Traunstein ins neu errichtete KZ Dachau zusammenstellte, war Braxenthaler nicht nur an erster Stelle genannt, sondern durch zwei Kreuze besonders gekennzeichnet – genauso wie Rupert Berger, Vorsitzender der Bayerischen Volkspartei, und der Trostberger Kommunist Josef Mayer.
An die Bedeutung dieser besonderen Kennzeichnung erinnert sich ein Mithäftling, Hans Muggenhamer aus Traunstein: »Mit dem Bus sind wir in der Früh’ gleich nach Dachau gebracht worden ... Dann haben sie uns in eine Halle rein, saukalt war’s, wir mussten uns nackt ausziehen. Gleich wie wir gekommen sind, hat es geheißen: ‘Wo ist Braxenthaler?’ Ja, der Hans hat ‘hier’ gerufen. Dann sagt einer von der SS: ‘Was waren Sie?’ – ‘Ein Arbeiterführer’, hat der Hans geantwortet. ‘Was? Ein Arbeiterverräter waren Sie’, hat er ihn angebrüllt. Er hat nur auf die Liste geschaut, da hat er gewusst was los ist. Und dann kamen der Berger und dann der Mayer Sepp von Trostberg dran. Die drei haben sie gleich weg und haben sie so verdroschen, die haben dann am blanken Betonboden liegen müssen, kein Bett, kein Stroh, nichts. (...). Den Braxenthaler haben sie so traktiert; zum Beispiel haben sie ihm die Pistole in den Mund gehalten und gesagt: ‘Darf ich jetzt abdrücken?’ Der war jeden Tag erledigt, den haben sie total fertiggemacht.«
Der Terror gegen ihre alten Widersacher vor allem aus der Arbeiterbewegung war gerade in den ersten Monaten, nachdem die SS das Lager Dachau übernommen hatte, furchtbar; so wurde eine Reihe bekannter bayerischer Kommunisten dort ermordet. Systematisch hatten die Nazis vor Ort einen Großteil der KPD-Funktionäre gleich anfangs verhaften lassen. Auch Braxenthalers erste Frau Maria war unter den Verfolgten; trotz zweier Kinder wurde sie über ein Jahr ins Gefängnis Aichach gesperrt. Auf die Kommunisten folgten als Häftlinge bald darauf Funktionäre von Gewerkschaften und Mandatsträger der SPD. Aber auch einzelne prominente Personen der Bayerischen Volkspartei wurden zur Abschreckung festgenommen - als Einschüchterung für alle Gegner.
Braxenthaler überlebte die ersten Wochen im KZ und die Verhöre im Münchner Polizeipräsidium und bei der Gestapo. Im März 1934 wurde er entlassen, aber nur für kurze Zeit; drei Wochen später wurde er erneut festgenommen, ins Traunsteiner Gefängnis eingeliefert und vom 9. April an wieder für fast ein Jahr nach Dachau verschleppt. Als »Rückfälliger« war er besonderen Schikanen ausgesetzt. Heimlich sammelten Freunde in Traunstein Geld, um die Familie zu unterstützen. Anfang März 1935 kam Braxenthaler endlich wieder frei.
Aber die Rückkehr in ein normales Leben funktionierte nicht mehr richtig. Nur mühsam konnte er Gelegenheitsarbeiten finden, regelmäßig musste er sich bei der Polizei melden, immer wieder wurde er verwarnt. Zwar verheiratete er sich erneut, wurde sogar 1936 nochmals Vater einer Tochter, aber er fand keine Ruhe mehr. Unter dem Kopfkissen hatte Braxenthaler ständig ein Rasiermesser und einen Trommelrevolver, erinnerte sich seine Frau Ursula. Im Februar 1937 – wieder hatte es ringsum neue Verhaftungen gegeben – hielt er den Verfolgungsdruck nicht mehr aus und flüchtete über die Grenze in die Tschechoslowakei.
Wochenlang irrte er in Prag umher auf der Suche nach Schutz, auch dort bedroht von Gestapoagenten, denn nach ihm wurde bereits gefahndet. Völlig zermürbt schlich er sich wieder über die Grenze, kehrte im Juli heimlich nach Traunstein zurück und nahm Verbindung mit politischen Freunden auf. Alles war schließlich vorbereitet; ein Genosse aus München sollte ihn mit dem Motorrad und mit Papieren ausgestattet über die Grenze bringen.
Aber daraus wurde nichts mehr. Die Suche nach Braxenthaler war längst eingeleitet. Seine Zuflucht beim Löffler-Bauern war die letzte Station.
Braxenthalers Tod wollten die Nazis zunächst noch geheim halten, aber die Nachricht verbreitete sich schnell. Die Betroffenheit und Anteilnahme war nach Berichten erstaunlich groß. Und die Kirche war voll, als Stadtpfarrer Stelzle ein Totenamt abhielt, unentgeltlich, was er aber nicht öffentlich verlauten lassen durfte.
Gleich nach der Befreiung vom Nationalsozialismus 1945 forderten ehemalige Traunsteiner KZ-Häftlinge, den Karl-Theodor- Platz, an dem die Familie Braxenthaler gewohnt hatte, in Hans-Braxenthaler-Platz umzubenennen. Verwirklicht wurde das nicht.
Gewerkschafts- und Parteifreunde ehrten ihn 1947 mit einer Gedenktafel an seinem Wohnhaus im ehemaligen Brunnhaus in der Salinenstraße. Die Tafel hatte den Wortlaut:
Zum 10. Todestag / ein ehrendes
Gedenken
unserem von den Faschisten zu
Tode gehetzten / Freiheitskämpfer /
Hans Braxenthaler
geb. 8.7.1893, gest. 7.8.1937
gewidmet von seinen Freunden
Kommunistische Partei /
Kreis Traunstein /
Allgemeiner Gewerkschaftsbund /
Ortskartell Traunstein
Weil in den folgenden Jahren und Jahrzehnten die Erinnerung an die Nazizeit, an Widerstand, gar an den von Kommunisten, fast überall doch recht gründlich verdrängt wurde, verblasste auch in Traunstein diese Inschrift und das Andenken an Braxenthaler mehr und mehr.
Wenigstens am ehemaligen Wohnhaus wurde das Andenken wieder sichtbar im Jahre 1985, als die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes eine provisorische Tafel enthüllte und anschließend durch die Privatinitiative eines Angehörigen eine neue Gedenktafel angebracht wurde. Beantragt wurde bei der Stadt damals auch, das Straßenstück am Wohnhaus nach Hans Braxenthaler zu benennen. Auch das wurde verworfen. Eine Umbenennung fand dann erst später statt, freilich nach Franz von Kohlbrenner, einem aufklärerischen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts.
Es bleibt Aufgabe, an Widerständler und Verfolgte zu erinnern. Denn allzuviele Menschen, die Freiheit und Leben im Kampf gegen die Nazis riskierten, gab es ja leider nicht in Deutschland. Deshalb sollten die Namen der wenigen in Erinnerung gehalten werden – auch zur Ehrenrettung ihrer Heimatorte.
Friedbert Mühldorfer
Wichtige Quellen und Literatur:
Bayerisches Hauptstaatsarchiv:
Monatsberichte der Bayerischen Politischen Polizei MA 106670, MA 106689, MA 106690; Landesentschädigungsamt 7671 / KZ-Gedenkstätte Dachau Archiv: Häftlingsdatenbank / Privatarchiv d. Verf.: Gespräche mit Kreszenz Jana und Hans Muggenhammer; Fotos / Staatsarchiv München: Polizeidirektion München 11754/ Stadt-Archiv TS: 063/1-1 Schutzhaftakten / Hartmut Mehringer: Die KPD in Bayern 1919-1945, in: Bayern in der NS-Zeit, Bd V, München 1983.
31/2017