Jahrgang 2017 Nummer 47

Von den Anfängen des Motorsportclubs Ruhpolding

Josef Kriegenhofer hatte 1929 zur Gründungsversammlung geladen

Blumenkorso nach Maiergschwendt: Erster Vorsitzender Josef Kriegenhofer mit den Söhnen Max (links) und Seppi im Beiwagen.
Motorrad-Fußball: von links: Georg Pichler (Schwabenbauer), Zenz Seehuber, Toni Plenk, Sepp Plenk, Karl Forstmaier, Toni Müller, Franz Stuck (?).
Schnauferlpioniere unter sich, v. links: Karl Kaidisch, Wagner ?, Wagner Gustl im Beiwagen, Toni Müller, Ignaz Schneider, Sepp Bichler, Toni Plenk, Heinrich Heindl, Franz Stuck, Max Gastager.
Freihändig: Anton Plenk in perfekter Haltung beim Geschicklichkeitsturnier.
Skijöring 1932 auf der Posthalter-Wiese: Theo Merkel mit Toni Plenk am Schlepptau.
Zwei Aktive mit Tatendrang: Franz Stuck (links) und Sepp Plenk.
Immer wieder hört oder liest man von Vereinen und Clubs, die händeringend auf der Suche nach Personen sind, die ehrenamtlich Führungspositionen übernehmen. Wenn es gut geht, erklärt sich jemand aus der bisherigen Vorstandschaft nach langem Zureden bereit, nochmal eine Wahlperiode dranzuhängen oder kommissarisch für ein oder zwei Jahre tätig zu sein. Schlimmstenfalls aber steht eine Interessengemeinschaft vor der satzungsgemäßen Auflösung und verschwindet auf Nimmerwiedersehen von der Vereinslandkarte und damit auch aus dem Vereinsregister.

Spätestens dann stellt sich die Frage: Wo ist die anfängliche Euphorie, der Enthusiasmus der Anfangstage hingekommen, die zur Gründung führten? Haben sich die über viele Jahre hinweg verfolgten Ideale verflüchtigt oder gar ins Gegenteil verkehrt? Oder stehen der Ausübung von Vereinszielen und Vorhaben Einzel- oder gesellschaftliche Interessen entgegen, wie sie beispielsweise Behörden, Naturschutzverbände und dergleichen für sich in Anspruch nehmen?

Wenn es sich dann noch um einen Tourismusort dreht, wo der ruhesuchende Urlauber auf lärmenden Motorsport trifft, sind Interessenskonflikte so gut wie vorprogrammiert.

Vor diesem Hintergrund erscheint es besonders interessant, einmal in der Chronik des Motorsportclubs Ruhpolding e. V. von 1929 zu blättern, um den Gründergeist aus den Anfangsjahren besser verstehen zu können. Eines ADAC-Ortsclubs, der über Jahrzehnte hinweg zu den führenden Vereinen in ganz Süddeutschland zählte, mit draufgängerischen Fahrern fast in allen motorsportlichen Disziplinen erfolgreich vertreten und Mitbegründer der Speedway-Bundesliga war. Internationale Spitzencracks drehten auf dem mit viel Eigenleistung entstandenen 400-Meter-Oval an der Eckl- Brücke zu Spitzenzeiten vor 8000 Zuschauern ihre Runden. Durch die hochkarätigen Rennen erreichte Ruhpolding nicht nur in Speedwaykreisen internationale Bekanntheit. Doch das ist Methanol-Dunst von gestern … Denn längst ist es um den einstmals 600 Mitglieder starken Club ruhig geworden, das lange betätigte Vollgas mittlerweile der angezogenen Handbremse gewichen.

Gründung trotz Weltwirtschaftskrise Ungeachtet der Weltwirtschaftskrise zum Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre, die mit ihren Auswirkungen auch vor Deutschland nicht Halt machte, gründeten 25 motorsportbegeisterte Männer im März 1929 im Müller’schen Anwesen, dem Gasthof »Neue Post« den Motorsportclub Ruhpolding. Schlossermeister Josef Kriegenhofer, der »Pfeifferschmied« in der Ortsmitte, hatte alle Auto- und Motorradinteressenten zu dieser denkwürdigen Versammlung eingeladen. Als Paten fungierten einige Vorstandsmitglieder des Automobilclubs Traunstein im ADAC, (mittlerweile aufgelöst, der Verf.) die fachmännisch die ersten Startversuche verfolgten; angeführt vom Ersten Vorsitzenden Witthahn, von Sportleiter Geisenfelder sowie Rechtsanwalt Dr. Seibert.

Nach langen Beratungen »…wurde der neue Ausschuss wie folgt bestimmt: 1. Vorsitzender Herr Schlossermeister Josef Kriegenhofer, hier; 2. Vorsitzender Herr Valentin Plenk, Holzhandlung; Kassier und Schriftführer Anton Plenk jun., Zimmermeister; Sportleiter Paul Riedl, Quetschwerk; Beisitzer für Auto Josef Zeller jun., Sägewerk, Beisitzer für Motorräder Vinzenz Seehuber.«

Soweit der Originaltext im Protokollbuch. Als Vereinsgruß wählte man ein dreifaches »Deff-Deff- Hurra«, das später (vielleicht durch preußische Einflüsse?) in »Töff- Töff-Hurra« abgeändert wurde. Akustisch sollte es wohl den schrillen Ton der damaligen Gummiballenhupen nachahmen.

Fein säuberlich wurden im ledergebundenen Protokollbuch die Ur-Mitglieder (wohlgemerkt: nur Männer) für die Nachwelt festgehalten, wobei eine strikte Trennung zwischen ADAC-Mitgliedern und »Außerordentlichen Mitgliedern« erfolgte. Dies dürfte jedoch kein Hinweis auf eine Zweiklassen-Gesellschaft sein, denn die Schnauferlfreunde stammten fast ausnahmslos aus betuchteren Familien, bekannten Gewerbebetrieben oder größeren landwirtschaftlichen Anwesen. Man war quasi eh unter sich.

Die Liste liest sich dementsprechend: Riedl Paul, Quetschwerk, Plenk Anton jun., Zimmermeister, Müller Anton, Gastwirtsohn, Neue Post, Stuck Franz, Mechaniker, Merkel Theobald, Förster, Reischl Rupert (Broi), Landwirt, Gastager Max, Sägewerk, Huber Mathias (Bäck), Sägewerk, Eisenberger Georg (Hutzenau), Landwirt, Seehuber Vinzenz, Sägewerk, Kiendl Anton, Handlung, Gstatter Johann, Säger, Stocking, Daburger Josef, Steinbruchmeister.

Die Außerordentlichen Mitglieder: Zeller Josef jun., Maierschwendt, Plenk Valentin, Holzhandlung, Högl Ignaz, Landwirt, Neustadln, Wolferstetter Josef, Zeller Johann, Chauffeur, Plenk Josef, Bautechniker, Wagner Florian, Wagnermeister, Proff Max, Mietautogeschäft, Meier Josef, Landwirt, Menkenbauer, Forstmaier Karl, Buchdruckerei.

Handfeste Beschwerden von Sommergästen

Es dauerte allerdings nicht allzu lange, da bekamen die Pioniere schon mal Sand ins Getriebe gestreut. Und zwar in Form von handfesten Beschwerden im Jahr 1929. Sommergäste fühlten sich nämlich nicht nur von den viel zu schnell durch den Ort brausenden Vehikeln gestört, sondern auch von den aufgewirbelten Staubwolken. Dazu muss erläutert werden, dass zu dieser Zeit nur Sandund Schotterstraßen durch Ruhpolding führten. Es braucht nicht viel Vorstellungsgabe, um zu ermessen, wieviel Staub mit der vermeintlich sauberen Alpenluft da geschluckt wurde. Asphaltstraßen gab es erst Jahrzehnte später.

Vorsitzender Josef Kriegenhofer musste daraufhin die Vermittlerrolle zwischen Bürgermeister Bartholomäus Schmucker und dem Gendarmerie-Kommandanten spielen, indem sich alle motorisierten Clubmitglieder bereit erklärten, »…das Fahrtempo so zu halten, dass sich kein Mensch mehr daran stoßen kann!«

Aber auch in ihren Reihen machte sich Ärger breit, zumal verschiedene Wegsperrungen, beispielsweise nach Inzell oder vom Anwesen Gillitzer (Hotel Wittelsbach) bis zur Brandstätter Brücke den Aktionsradius der motorisierten Minderheit erheblich einschränkte.

Blumenkorso Maiergschwendt und solidarische Sternfahrt nach Seehaus

Die erste Veranstaltung ließ jedoch allen Unmut darüber verschwinden, denn die Blumenkorsofahrt nach Maiergschwendt, die Jungfernfahrt des neuen Clubs, rief das ganze Dorf auf die Beine. In mühevoller Arbeit hatten die Ruhpoldinger ihre Fahrzeuge prächtig aufgeputzt. Eine Solomaschine mit den blumengebundenen Buchstaben A – D – A – C und ein nur mit Bergblumen geschmücktes Motorrad mit ausgestopftem Marder und einem hoch in der Luft schwebenden Nusshäher zogen dabei besonders die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich. Bei der anschließenden Geschicklichkeitsprüfung mit Langsamfahren (!) konnten die Teilnehmer zugleich beweisen, dass sie ihr Gefährt fest in der Hand haben.

Großes Echo fand die im Juli 1930 stattfindende Zielfahrt zur Ortschaft Seehaus, die ein Jahr vorher bei einem Brand vollends zerstört wurde und sich nun wieder in neuem Stil präsentierte. Der MSC Ruhpolding nahm die Gelegenheit wahr, durch eine großangelegte Zielfahrt dem Mitbürger Bichler etwas unter die Arme zu greifen und so einen Beitrag zur Starthilfe des neuen Gasthauses zu leisten. Über 2000 Menschen fanden sich zur Einweihungsfeier ein, die in großem Rahmen mit Feldmesse, gehalten von H. H. Domprediger Dr. Adam Birner aus Augsburg, und brillantem Feuerwerk begangen wurde.

Den Weitpreis, einen von der Gemeinde Ruhpolding gestifteten Ehrenpokal erhielt ein Herr Kurzeder aus Bonn, der mit 716 Kilometern den entferntesten Ausgangspunkt aufzuweisen hatte. Ebenso gab es eine Clubwertung für ADAC-Gruppen und für die Preisträger wertvolle Zielfahrtplaketten. 618 Punkten holte sich die Mannschaft aus Nürnberg den Meistpreis.

Nicht nur die Lokalpresse berichtete über dieses motorsportliche Spektakel, auch die Münchner Zeitungen waren voll des Lobes über die solidarische Idee der Ruhpoldinger Motorsportler. In einer Sonderausgabe vom 28. Juli 1930 schrieben die »Münchner Neuesten Nachrichten«: »Mehr als in der Großstadt, wo einer kaum den Nachbarn kennt, hilft einer dem andern auf dem Lande. So wurde die Hausweihe des neuen Gasthofes Seehaus bei Ruhpolding inmitten weiter Wälder zu einem Gemeindefest, dem der MSC Ruhpolding durch eine Zielfahrt des ADAC zahlreiche Gäste brachte.«

Erste Rennerfahrungen

Doch die meist jungen Draufgänger drehten nicht nur in solidarischer Hinsicht am Gasgriff. Mittlerweile war der Mitgliederstand auf 46 Motorradfahrer und acht Autofahrer angewachsen, die erfolgreich an Stern-, Ziel- und Nachtorientierungsfahrten, Geschicklichkeitsprüfungen und natürlich an den damals publikumsträchtigen Bergrennen nach Maria Eck oder auf den Hochberg mit seinen herausfordernden Serpentinen teilnahmen.

Sie wurden auch dem als populär bezeichneten Fahrer Max Gastager aus Zell zum Verhängnis, der in Klasse über 500 ccm »…durch einen Sturz gleich in der ersten Kurve das Rennen abbrechen musste«, wie es in der Chronik heißt. Der Gute hatte wohl die ungestüme Kraft der plötzlich freigesetzten Pferdestärken seiner bissigen »Standard-Maschine« unterschätzt.

Mit welch hohem Ehrgeiz die Renner von gestern an den Start gingen, zeigte das erste »Rasenbahnrennen«, das Ruhpolding 1930 erlebte. Von den 17 gestarteten Fahrern kamen nur elf ins Ziel. Tagesschnellster und Sieger war wiederum Max Gastager, der mit »…mörderischem Tempo von 48 km/h in die Kurven brauste.«

Beliebte Motorradmarken waren damals Triumph, Viktoria, DKW, Zündapp, BMW, D-Rad, Rudge, AJS, BSA und Horex, an denen viel geschraubt und gebastelt wurde.

Wer ahnte damals schon etwas von dem hektischen Fahrerlagertreiben inklusive Materialschlachten, die die heutige Motorsportszene prägt? »Viel Hubraum – wenig PS« hieß früher die Devise, denn die Motoren der Schnauferlveteranen waren alles andere als hochgezüchtet. Vielmehr beherrschte ein bayerisches Privileg, das heute oftmals vermisst wird, die Rennszenerie vergangener Tage, nämlich die Gemütlichkeit.

Dies unterstreicht auch eine nette Anekdote aus der MSC-Schnauferlzeitung von 1979: Wie verduzt mag wohl der Gendarm aus der Wäsche geschaut haben, als vier junge Burschen – auf ein Motorrad gepfercht – seelenruhig an ihm vorbeituckerten. Alle gestikulierenden Bemühungen jedoch, das komische Soziusquartett aufzuhalten und zur Ordnung zu pfeifen, schlugen fehl. Doch der Hüter des Gesetzes erkannte die Burschen und folgte ihnen aufgebracht ins Seehuber’sche Anwesen, wo die Brüder Zenz, Hans, Hias und der Kraska Egon rund um den Stubentisch saßen. Auf die Frage, warum sie nicht angehalten hätten, antworteten sie unisono: »Du hättst ja eh koan Platz mehr ghabt…!«

 

Ludwig Schick

 

Quellennachweis: Chronik MSC Ruhpolding, MSC Schnauferlzeitung (L. Schick, Max Birkenmeier)

 

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