Jahrgang 2003 Nummer 21

Vom zauberhaften Gesang der Vögel

Nicht alle Singvögel sind auch gute Sänger

Aus hohen Baumkronen ertönt das elegante Flöten des in tropischen Farben schillernden Pirols.

Aus hohen Baumkronen ertönt das elegante Flöten des in tropischen Farben schillernden Pirols.
Nicht nur der Mensch allein, auch die Natur bringt durch den Gesang mancher Vögel musikalische Meisterleistungen hervor, die durch Rhythmik, Melodien, Tonverbindungen erstaunliche Vielfalt verraten. Der Zauber des Vogelgesangs ist Bestandteil des Frühlings, ist eine akustische Belebung der Landschaft. Einzelne gefiederte Solisten sind sogar einsame Spitze.

Die meisten Vögel haben einen Kehlkopf oder Stimmkopf, der das wesentlichste Stimmorgan bildet, eine Ausnahme ist zum Beispiel der Storch. Die eigentlichen Singvögel sind mit einem komplizierten Singmuskelapparat ausgestattet, der wie unsere menschlichen Stimmbänder funktioniert. Damit ist aber nicht gesagt, dass alle Singvögel besser singen als die so genannten »Nichtsingvögel«. Die Krähen sind richtige Singvögel, der Große Brachvogel nicht, aber letzterer singt nach unseren Maßstäben zweifellos bedeutend melodischer. Von den Stimmlauten sind die Instrumentallaute zu unterscheiden, die nicht vom Atmungssystem produziert werden. So klappert der Storch mit dem Schnabel, klatschen Waldohreule und Nachtschwalbe mit den Flügeln, meckern Bekassinen oder Himmelsziegen beim Sturzflug mit den abgespreizten äußeren Schwanzfedern, trommeln die Spechte auf dürren Ästen und vieles andere mehr.

Jetzt im Frühjahr fallen uns die teils anmutigen, teils temperamentvollen Gesänge unserer heimischen Singvögel besonders auf, es ist für sie die Saison der Partnerwahl, der Revierkämpfe, Nistplatzsuche, Paarung, und die Männchen sind bestrebt, den Weibchen und Konkurrenten nach Kräften zu imponieren.

Eine Kuh für einen Buchfinken

Der feurige Finkenschlag ist jetzt überall in Stadt und Land zu vernehmen, ein Musikexperte würde den schneidigen Vortrag vielleicht als Variante des Sprechgesangs bezeichnen. In der guten alten Zeit gab es zahlreiche organisierte Liebhaber des Buchfinken, die mit ihren Käfigvögeln große Wettbewerbe veranstalteten und für einen besonders brillant singenden Buchfinken ausnahmsweise sogar ihre beste Kuh (!) als Tauschobjekt opferten. Diese fanatischen Finkenhalter unterschieden etwa 20 verschieden klingende Finkenschläge, die unter anderem mit »tolles Gutjahr« oder »scharfer Weingesang«, »ordinäres Würzgebür«, »Reiterzug«, »Muskatblüh« und »Schmalkalder Doppelschlag« bezeichnet wurden. Den jeweiligen Unterschied konnte man nur mit großen Schwierigkeiten nach einem langen Spezialstudium ermitteln, was seinerzeit eine Selbstverständlichkeit war.

Das Lied der Nachtigall mit einem Vokabular von über 200 Mustern oder Strophen hat seit Jahrhunderten die Poeten inspiriert, sie war der Lieblingsvogel des romantischen Dichters Joseph von Eichendorff. Diese Sängerin gilt als Königin unserer Singvögel. Man kann sie zu allen Tages- und Nachtzeiten hören. Die Tonfülle ihrer Strophen, das Trillern, Locken und Schluchzen, das manchmal stürmische, dann wieder zurückhaltende Tempo bei der Leidenschaftlichkeit des Gesangs kann einen erotischen Stimmungszauber bewirken. Richard Wagner hat Nachtigallenstrophen für das Opernorchester verwendet um damit die Worte »sing ich von Liebe« dem Waldvogel aus dem Siegfried in den Schnabel zu legen. Und im zweiten Akt dieser Oper lässt dieser große Komponist den unverwechselbaren Rhythmus der Goldammer in das Waldleben einfließen. Darin bringt auch der Flötist einen gedehnten Priolruf zu Gehör und die Klarinette wiederum ahmt die Nachtigallenstimme nach. Ludwig van Bethoven schmückte seine Pastorale mit der Terz des Kuckuckrufs und einer Nachtigallenstrophe aus. Anton Bruckner hat in seiner IV. Sinfonie den Kohlmeisengesang verwendet. Es gibt zahlreiche Komponisten, die ihre eigenen Einfälle mit selbst erlauschten Vogelmelodien bereicherten und ein Experte kann unschwer die einzelnen Motive aus dem jeweiligen Opus heraushören.

Es sind nicht nur die großartigen Gesangsvirtuosen unter der Vogelwelt, von denen unsere Komponisten profitiert haben, auch weniger anspruchsvolle Stimmen sind schon vielfach in musikalischen Schöpfungen verwertet worden. Zu unseren gefiederten Spitzensängern gehören Nachtigall, Heidelerche, Singdrossel, Amsel, Gelbspötter, Garten- und Mönchsgrasmücke, gefolgt von Feldlerche, Sumpfrohrsänger, Misteldrossel, Rot- und Blaukehlchen, Buchfink, Zaunkönig, Heckenbraunelle und anderen recht angenehm singenden Spezies. Das Zwitschern der Rauchschwalbe und des Gimpels empfinden wir als behagliches Plaudern. Der Kohlmeisengesang besteht aus höchstens vier Strophen und klingt trotzdem hübsch und gefällig.

Die Amsel kann auch komponieren

Unsere allbekannte Amsel oder Schwarzdrossel genießt als Sängerin einen besonderen und einmaligen Status: Sie kann vom musikalischen Standpunkt aus auch komponieren. Alle übrigen Vogelarten tragen, wenn auch individuell jeweils mehr oder weniger differenziert, Gesangspartien vor, die ihnen angeboren sind, mögen sie bisweilen auch andere parodierte Strophen in ihr Repertoire einfügen.

Die Höhenlage der Amselmelodik entspricht ziemlich genau dem hohen Register der Flöte, der Klangcharakter ist jedoch wärmer und auch schlanker als der Klarinettenton. Es sind dies markige, reine, harmonisch miteinander verschmolzene Flötentöne, die entfernt an den Klang einer Orgel erinnern. Allein die Amsel hat eine Tonsprache, die in ihrer komplizierten Vielfältigkeit eine große Spannweite hat, sie pflegt den einfacheren Stil bis zu jener modernen Ausdrucksweise, die unsere abendländische Tonkunst erst im 20. Jahrhundert kreiert hat. Kompetente Fachleute vergleichen daher die aussagekräftigeren Amsellieder mit der gegenwärtigen Musik, so speziell mit der Klangwelt der Oper Salome von Richard Strauß. Man kann bei manchen Motiven auch einen Mozart heraushören oder eine Tonfolge mit Tanzcharakter aus der Ungarischen Rhapsodie von Liszt.

Wie bei jedem Singvogel gibt es auch bei der Amsel geringere bis ganz große Begabungen, aber jede ist »freischaffende« Komponistin, jede einzelne erfindet sozusagen von sich aus schlichte Gesangsmotive oder anspurchsvolle Tonfolgen in geradezu verwirrender und verschwenderischer Fülle, einen unbegrenzten Reichtum an Rhythmen, worüber ein musikalisch versierter Mensch nur staunen kann. Kein heimischer Vogel kann sich mit dem Einfallsreichtum einer Amsel auch nur annähernd messen.

JS



21/2003