Jahrgang 2017 Nummer 23

Vom Revolutionär zum Ministerpräsidenten

Eine Ausstellung über Kurt Eisner im Stadtmuseum in München

Kurt Eisner, Fotografie von Germaine Krull, vor Februar 1918. (© Münchner Stadtmuseum)
»Wählt die Vertreter der Unabhängigen Sozialdemokratie!« Plakat der USPD zur Reichstagswahl im Januar 1919, Farblithografie. (© Münchner Stadtmuseum)
Ministerpräsident Kurt Eisner in Begleitung seiner Frau und dem Minister für Soziale Angelegenheiten, Hans Unterleitner, auf dem Weg zur Rücktrittserklärung im Landtag, Fotografie, 21. Februar 1919. (© Münchner Stadtmuseum)
Der Revolutionär Kurt Eisner. Aus persönlichen Erlebnissen von Felix Fechenbach, Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Berlin 1929. (© Münchner Stadtmuseum)
Am 26. Februar 1919 wälzte sich in München ein riesiger Trauerzug von der Theresienwiese in Richtung Ostfriedhof, wie ihn die bayerische Landeshauptstadt bisher noch nie gesehen hatte. Er galt Kurt Eisner, nach dem Sturz der Monarchie der erste Ministerpräsident des Freistaats Bayern. Er war am Weg zur Landtagssitzung vom rechtsradikalen Studenten Anton Graf Arco auf Valley kaltblütig niedergeschossen worden.

Kurt Eisner war nur 105 Tage im Amt gewesen. Er hatte in München die Revolution entfesselt und ohne großen Widerstand das Königtum der Wittelsbacher gestürzt, war Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrates und vom Volksrat zum Ministerpräsidenten und zum Minister des Äußeren gewählt worden. Die von ihm formulierten Ziele waren die innere Befriedung und Erneuerung des Landes über alle Parteigrenzen hinweg mit starker Betonung des föderalistischen Gedankengutes. Er wollte die Bildungspolitik verstärken, »um die soziale und politische Emanzipation des Proletariats voranzubringen und die kapitalistische Gesellschaftsordnung zu überwinden«. Der Staat sollte sich nach seinen Vorstellungen aus dem Einflussbereich der Kirche lösen, weshalb die geistliche Schulaufsicht abzuschaffen sei.

Als erster Ministerpräsident des »Volksstaates Bayern« regierte Eisner mit seinem Kabinett in Kooperation mit dem in Selbstverwaltung tagenden Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat und war auf die Mitarbeit mit den Sozialdemokraten angewiesen, die seine politischen Ziele nur sehr bedingt akzeptierten und auf baldige Neuwahlen zum Landtag drängten. Gleichzeitig brachte er mit seinen außenpolitischen Vorstellungen die bürgerlich-konservativen sowie die stark rechts stehenden Gruppen gegen sich auf. Der Münchner Erzbischof Kardinal Faulhaber verstieg sich in einer Predigt sogar dazu, in Anspielung auf Eisners jüdische Herkunft seine Regierung »ein Werk von Jehovas Zorn« zu nennen.

Eisner war im Jahre 1867 in Berlin als Sohn eines Kaufmanns geboren. Nach Philosophie- und Germanistikstudien arbeitete er in Frankfurt als Journalist. Von 1898 - 1905 war er Redakteur des »Vorwärts«, wurde aber als »Revisionist« entlassen und ging für einige Jahre nach Nürnberg zur »Fränkischen Tagespost«, bis er sich als Publizist und freier Schriftsteller in München niederließ. Während des I. Weltkriegs plädierte er zunächst für die Bewilligung der Kriegskredite und schloss sich aus Unzufriedenheit mit dem Kurs der Sozialdemokraten den radikalen Unabhängigen innerhalb der SPD an. Weil er sich als Initiator des Streiks der Münchner Rüstungsarbeiter politisch unbeliebt machte, war er verhaftet, aber bald wieder freigelassen worden.

Die Revolutionsregierung unter dem Ministerpräsidenten Eisner wurde von niemandem in der Ausübung der Staatsmacht behindert. Sie konnte sich auf einen gut funktionierenden Beamtenapparat, auf Polizei und Militär stützen. Was umgehend der Klärung bedurfte, war das Verhältnis des neuen Staates zur Monarchie der Wittelsbacher mit König Ludwig III. an der Spitze. Alle Einsichtigen erkannten, dass ein Thronverzicht des Königs angesichts der veränderten Lage nicht zu vermeiden war.

In Verhandlungen mit Ludwig III., die vom letzten Ministerpräsidenten Otto von Dandl geführt wurden, erklärte sich der König dazu bereit, seinen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Ordnung in Bayern zu leisten, auch wenn er ihn in seinen Rechten schmälerte. Aber auf einen förmlichen Thronverzicht wollte er sich nicht einlassen. Die schließlich zustande gekommene Kompromissformel beschränkte sich auf das Minimum dessen, was durch die Situation gefordert war und verband den nötigen Schritt mit einer selbstbewussten Interpretation seiner bisher für den Staat geleisteten Arbeit.

Der Text lautete: »Zeit meines Lebens habe ich mit dem Volk und für das Volk gearbeitet. Die Sorge für das Wohl meines geliebten Bayern war stets mein höchstes Streben. Nachdem ich infolge der Ereignisse der letzten Zeit nicht mehr in der Lage bin, die Regierung weiterzuführen, stelle ich allen Beamten, Offizieren und Soldaten die Weiterarbeit unter den gegebenen Verhältnissen frei und entbinde sie des mir geleisteten Treueides.« Von der Eisner-Regierung kam darauf die folgende Antwort: »Der Ministerrat des Volksstaates Bayern nimmt den Thronverzicht Ludwigs zur Kenntnis. Es steht dem ehemaligen König und seiner Familie nichts im Wege, sich wie jeder andere Staatsbürger frei und unangetastet in Bayern zu bewegen, sofern er und seine Angehörigen sich verbürgen, nichts gegen den Bestand des Volksstaates Bayern zu unternehmen.«

Der Attentäter Graf Arco wurde vom Volksgericht beim Landgericht München wegen eines Verbrechens des Mordes zum Tode verurteilt. Der Ministerrat wandelte die Todesstrafe in lebenslange Festungshaft um, doch schon im Jahre 1924 wurde Graf Arco vorzeitig aus der Haft entlassen.

Über das Motiv des Attentäters gibt eine Aufzeichnung Aufschluss, die am Schreibtisch seines Hotelzimmers gefunden wurde. Dort ist zu lesen: »Eisner strebt nach der Anarchie, er ist ein Bolschewist, er ist Jude, er ist kein Deutscher, er fühlt nicht deutsch, er untergräbt jedes deutsche Gefühl, er ist ein Landesverräter ... Ich hasse den Bolschewismus, ich liebe mein Bayernvolk, ich bin ein treuer Monarchist und guter Katholik. Über alles achte ich die Ehre Bayerns. Darum hoch die Monarchie!«

Nach seiner Haftentlassung war Graf Arco in verschiedenen Berufen tätig, zuletzt als Grundstücksmakler. Im Juni 1945 verunglückte er tödlich im Alter von 48 Jahren bei einem Verkehrsunfall auf dem Weg zwischen Salzburg und Linz und wurde in der Gruft seiner Familie in der Nähe von Ried im Innkreis beigesetzt.

Das Münchner Stadtmuseum würdigt in einer Ausstellung bis 8. Oktober Leben und Leistung Kurt Eisners anhand vieler Text- und Bilddokumente und stellt ihn in den Zusammenhang mit den turbulenten Jahren in Bayern nach dem 1. Weltkrieg. (Infos: münchner-stadtmuseum.de)

 

Julius Bittmann

 

23/2017