Jahrgang 2003 Nummer 10

Vom Einwanderungsversuch des Silberreihers

Kann er sich in Bayern voll etablieren?

Im Frühjahr 2002 brütete der Silberreiher auf einem See im bayerischen Voralpenland.

Im Frühjahr 2002 brütete der Silberreiher auf einem See im bayerischen Voralpenland.
Schon seit etwa 1850, verstärkt aber erst seit vier Jahrzehnten, ist in Deutschland eine allmähliche, jetzt deutliche Abnahme von Brutvögeln festzustellen. Bei manchen Arten ist sogar ein totales Verschwinden zu befürchten. In vielen Fällen handelt es sich dabei um Zugvögel, deren Winterquartiere jenseits der Sahara liegen. In Afrika sind durch Klimaveränderungen und diverse menschliche Eingriffe in den Haushalt der Natur die Überlebensbedingungen für viele Vogelarten erschwert. Zudem macht sich im Mittelmeerraum, in Westeuropa und im schwarzen Kontinent alljährlich mindestens eine halbe Million zusätzlicher Vogelfänger und Jäger ziemlich negativ bemerkbar. In Italien allein sind es jeweils 100 000 Schützen. Die Fangmethoden werden immer raffinierter und dadurch rationeller. Die Sahelzone dehnt sich unter anderem infolge verantwortungsloser Überweidung durch zahllose Viehherden fortschreitend in Richtung Süden aus. Die lebensfeindliche Sahara verbreitert sich ständig um viele Kilometer. Die Überquerung nahrungsloser und glutheißer Wüstengebiete wird für Zugvögel immer länger und viele sterben an Erschöpfung.

Ein attraktiver gefiederter Einwanderer

Umso erfreulicher ist es, dass gegenwärtig bei uns in Bayern eine neue attraktive Vogelart heimisch werden will, eine ornithologische Kostbarkeit, die ihr bisheriges Brutareal offenbar durch einen friedlichen Eroberungszug in Richtung Westen erweitert. Es handelt sich um keinen geringeren als um den stattlichen, blendend weißen Silberreiher, der zwar in vielen klimatisch begünstigten Gebieten aller fünf Erdteile, hauptsächlich in den Tropen und Subtropen, nistet, doch in Europa nur im Südosten, hauptsächlich in Ungarn stationiert ist. Seine westlichste Verbreitungsbarriere war bis heute der Neusiedler See im österreichischen Burgenland, dicht an der ungarischen Grenze. In den dortigen riesigen Schilfwäldern befinden sich die Brutkolonien mit einigen hundert Paaren. Nicht zuletzt durch dieses Vorkommen bekam dieser Steppensee eine große internationale Bedeutung für Ornithologen und Naturfreunde.

Reiherfedern standen hoch im Kurs

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Silberreiher stark bejagt, vor allem die Damenhutmode hatte sich weltweit auf seine überaus hoch bewerteten Schmuckfedern spezialisiert. Es gab einen ungeheuren Bedarf an diesen bis 50 Zentimeter langen Federn, mit denen nur die Altvögel während der Brutzeit faszinieren. Überall wurden diese rücksichtslos abgeschossen, in den Brutkolonien verfaulten die Eier, verhungerten die Jungen. Die Schmuckfedern von vier Reihern hatten das Gewicht von 30 Unzen (28 Gramm), für jedes marktübliche Paket von 30 Unzen Gewicht bekam der Schütze noch im Jahre 1902 nicht weniger als 32 Dollar. Damit wurde in London das Gewicht von Reiherfedern doppelt so hoch bewertet wie das gleiche Gewicht in Gold! Es ist erwiesen, dass allein pro Jahr nicht weniger als 200 000 Brutvögel ihr Leben für die Mode lassen mussten. Der Handel machte Millionengeschäfte. Diese massenhafte radikale Ausbeutung löste schließlich doch eine weltweite Empörung aus. Und es kam zur Gründung einflussreicher Schutzvereinigungen, die sich für ein Abschussverbot und die Regenerierung der nunmehr stark reduzierten Weltpopulation des Silberreihers nachhaltig einsetzten. Dem viel kleineren, ebenfalls weißen Seidenreiher, der auch nur zur Nistzeit mit seinen 25 Zentimeter langen Schmuckfedern brilliert, erging es wie seinem größeren Verwandten.

Als Sommer- und Wintergast im Rupertiwinkel

In Bayern galt bis etwa 1960 das Auftauchen eines Silberreihers als kleine Sensation, denn er zeigte sich nur ganz vereinzelt. Danach erschien er häufiger und seit rund 15 Jahren zeigt er sich in zunehmender Anzahl im Sommer wie Winter. Auch im Rupertiwinkel gelangen in allen Jahreszeiten Beobachtungen, die meisten im Salzachtal und am Waginger See. Man konnte diesen auffallenden Reiher weniger an seichten Gewässern als in offener Landschaft begegnen, wo er – mitunter in Gesellschaft von Graureihern – den Fang von Feldmäusen erfolgreich betrieb. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass der Silberreiher gegenwärtig seinen Nistbereich auch nach Norden ausdehnt. Er erreichte bereits die Ostsee, hat überraschenderweise am Engurasee in Lettland gebrütet, allerdings mit einem Graureiher verpaart. Die Mischbrut ist gelungen. Nachdem in Bayern während der letzten Jahre größere Ansammlungen von mitunter mehr als 50 Individuen kurzfristig an verschiedenen Teichen und Seen registriert werden konnten, wurde ein Nistversuch immer wahrscheinlicher. Und im vergangenen Jahr glückte endlich ein Brutnachweis von einigen Paaren, und zwar auf einem unserer oberbayerischen Voralpenseen!

Der europäische Silberreiher ist überwiegend echter Zugvogel, doch es gibt in neuster Zeit vermehrt Strichvögel, die im gegenwärtigen schneereichen Winter vor große Probleme gestellt werden. Aber auch für eine riesige Menge von Zugvögeln ist die afrikanische Winterherberge nicht immer optimal. So erfahren Reiher, Störche, verschiedene Kleinvögel wie Uferschwalben und Schilfrohrsänger bei strengen Dürreperioden der Sahelzone eine starke Reduzierung der Überlebensrate.

Reiher leben auch bei uns gefährlich

Gefiederte Fischfresser sind bei manchen Fischereiberechtigten unbeliebt und so kommt es immer wieder zu illegalen Übergriffen. Auch leidenschaftliche Trophäenjäger können sich beim Anblick eines stolzen Silberreihers nicht zügeln. Im Salzachtal zwischen Laufen und Tittmoning fanden in jüngster Zeit mehrere Silber- und Graureiher mittels Köderfischchen, die mit einem Angelhaken präpariert waren, einen qualvollen Erstickungstod. Derartige Grausamkeiten können sich überall ereignen. Und so ist es notwendig, dass diese wohl erste Ansiedlung des prächtigen Silberreihers in Südbayern möglichst geheimgehalten wird. Diese kleine Kolonie von vier Paaren soll sich vergrößern und der sympathische Einwanderer bei uns endlich Fuß fassen!

JS



10/2003