Viele Fragen um ein altes Grab
Altötting war ein herzoglicher Amtshof zur Zeit der Agilolfinger




Zu einer Neubewertung der Frühgeschichte von Altötting haben Funde geführt, die in einem Gräberfeld im Stadtgebiet zwischen Bahnhof und Dultplatz geborgen wurden und die das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege in München wissenschaftlich ausgewertet hat. Mit diesen Funden habe sich die Tür zu der Zeit der Agilolfinger in der Region um einen Spalt weiter geöffnet, sagte Dr. Jochen Haberstroh, der stellvertretende Leiter der Abteilung für Bodenfunde für den Bereich Oberbayern. Bisher sei zwar hinlänglich bekannt gewesen, dass Altötting im 9. Jahrhundert als karolingische Königspfalz nach Regensburg der wichtigste Ort im damaligen Bayern gewesen sei, doch nun stelle sich heraus, dass der Ort offenbar schon wesentlich früher zur Zeit der ersten Agilolfinger eine herausragende strategische Bedeutung hatte. Dafür spreche, dass in einem der Gräber ein wichtiger Funktionsträger der damaligen Zeit bestattet worden ist, sagte Dr. Haberstroh. Dieser Fund sei deshalb für die Frühgeschichte von Altötting von außerordentlicher Bedeutung. Auch die Stadtarchivarin Dr. Ulrike Scholz betonte, die Funde seien für die Geschichte der Stadt höchst wichtig und gewährten wertvolle Einblicke in die Zeit vor der Pfalzerhebung Altöttings.
Von den insgesamt 54 entdeckten Gräbern auf dem rund 700 Quadratmeter großen Areal wurden 42 untersucht, von diesen waren wiederum noch fünf intakt und enthielten neben Skeletten verschiedene Grabbeigaben. Die übrigen Gräber waren das Opfer von Grabräubern geworden. Zwölf nicht ausgegrabene wurden überdeckt, es sind also noch Befunde im Boden, die man zu gegebener Zeit bergen kann.
Das interessanteste Grab ist das Grab eines von Dr. Jochen Haberstroh als wichtiger Funktionsträger der Agilolfinger apostrophierten Mannes. Datiert werden könne der Fund überraschender Weise bereits kurz vor das Jahr 600. Das ist insofern erstaunlich, als die erste urkundliche Erwähnung (Alt-) Öttings (»Autingas«), aus wesentlich späterer Zeit stammt, nämlich aus dem Jahre 748, als der letzte Agilolfinger, HerzogTassilo III.,mitdem Kloster Mondsee einen Schenkungsvertrag abgeschlossen hat. In der Urkunde wird Ötting als Autingas bezeichnet, wobei die Endung »as« die Latinisierung von Auting ist. Aus »Auting«, der altgermanischen Form von Otto, wurde im Laufe der Zeit »Oetting« oder »Eding«, wie man in der Mundart heute noch sagt. Ein Musterbeispiel für die allmähliche Lautverschiebung in unserer Sprache!
Der Mann war in ausgestreckter Rückenlage beigesetzt und dürfte zum Zeitpunkt seines Todes um die 30 Jahre alt gewesen sein. Für seine letzte Reise war er gut ausgerüstet – mit einem Sax, dem einseitigen und mit einer Blutrinne versehenen kurzen Hiebmesser, das in einer Lederscheide am Gürtel getragen wurde, sowie mit einer Spatha, einem langen, zweischneidigen Eisenschwert. Diese Hieb- und Stichwaffe war mit Einlegearbeiten aus Silber- und Messingdrähten verziert und aufgrund der aufwändigen Herstellung entsprechend kostbar, so dass sie nur von Reichen getragen werden konnte. Ihr Wert entsprach zur damaligen Zeit demjenigen eines Reitpferdes. Welche Funktion der Tote zu seinen Lebzeiten ausübte, ob er zum Wachoder Militärpersonal oder zur herzoglichen Verwaltung gehörte, muss – leider – Gegenstand der Spekulation bleiben.
Er gehörte auf jeden Fall zur Führungsschicht der Agilolfinger, die seit der Mitte des 6. Jahrhunderts in Bayern nachweisbar sind. Sie waren vermutlich eine fränkische Adelsfamilie und wohl von den Merowingern als Amtsherzöge in Bayern eingesetzt worden. Ihre Residenz war in Regensburg, in Ötting (Autingas) bestand eine sogenannte Villa publica, eine Siedlung mit vorübergehender Hofhaltung, wo der Monarch Station machte, wenn er sein Herrschaftsgebiet bereiste. Vom hölzernen Schild, der ebenfalls als Beigabe im Grab des 30-jährigen lag, haben sich nur Reste des sogenannten Schildbuckels erhalten, der die Hand am Griff schützte. Auch korrodierte Pfeilspitzen wurden gefunden, ebenso ein einreihiger Beinkamm. Der Kamm war mit Zirkelschlagdekors versehen und sehr aufwändig gefertigt, was darauf schließen lässt, dass er von einem Profi in einer speziellen Werkstatt hergestellt worden ist.
Angesichts der Bedeutung des Fundes wäre es schade, wenn er ins Depot eingelagert und damit der öffentlichen Besichtigung entzogen würde, sagte Dr. Jochen Haberstroh bei einem Gespräch mit Gästen aus der Stadtverwaltung und der kulturellen Vereine. »Ideal wäre eine fundortnahe Ausstellung.« Dafür fehlt jedoch in Altötting ein Heimatmuseum. Der Vorschlag, die Funde ins Stadtmuseum der Nachbarstadt Neuötting auszulagern, stieß auf wenig Resonanz. Andreas Esterer, der Vorsitzende des Altöttinger Heimatbundes, erklärte die Bereitschaft seines Vereins, nach einer geeigneten Möglichkeit in Altötting Ausschau zu halten.
Julius Bittmann
44/2022