Jahrgang 2013 Nummer 28

Und der König ließ das Land vermessen ...

Ein »Streifzug« durch die bayerische Vermessungsgeschichte

Josef Naus, Geometer und Erstbesteiger der Zugspitze
Ausgangsstrecke der Triangulation: München/Oberföhring-Aufkirchen
Maximilian Joseph von Montgelas
Auszug aus Philipp Apians »Landtafeln«

Als im 18. Jahrhundert der deutsche Physikprofessor und Meister des Aphorismus Georg C. Lichtenberg in eines seiner berühmten »Sudelbücher« den Spruch »Ordnung ist die Tochter der Überlegung« notierte, formulierte er eine Aussage, die sich wunderbar auf den Umgang des Menschen mit dem ihn umgebenden, zunächst unbekannten Kosmos übertragen lässt: schon seit jeher räsoniert er über die Welt, in der er sich befindet und versucht dieser ein auf Ordnungsprinzipien beruhendes »Gesicht« zu verleihen und somit einen rational-fassbaren Raum zu schaffen. Dies gilt vor allem für die Landschaften, in denen er sein Leben verbringt. Landkarten aus allen Epochen sind bildhafter Ausdruck für diesen Wunsch nach Ordnung und Struktur – die natürlichen sowie die vom Menschen herbeigeführten Gegebenheiten werden funktional abstrahiert und für jedermann verständlich abgebildet. Werfen wir nun also einen Blick auf die Kartierungs- und Vermessungsgeschichte des uns umgebenden Landes, des »Bayernlandes«.

Die römische Straßenkarte »Tabula Peutingeriana« aus dem 4. Jahrhundert ist die allererste Darstellung bayerischen Territoriums. Während des gesamten Mittelalters wurden keine detaillierten Kartenwerke von Bayern angefertigt. Dies änderte sich aber, als im 16. Jahrhundert die Landesfürsten für die räumlichen Strukturen ihres Herrschaftsgebietes zunehmend Interesse zeigten.

Johann Turmaier aus Abensberg war der erste Gelehrte, der eine (natürlich recht einfache) topographische Karte des damaligen Bayern anfertigte. Im Jahre 1554 befahl Herzog Albrecht V. eine genaue »Mappirung« seiner Ländereien; mit der Durchführung der »Expedition« wurde der Mathematiker und Naturwissenschaftler Philipp Apian beauftragt. Apian reiste sieben Jahre lang quer durchs Land und sammelte eine Unmenge an Daten: Messungen entlang der Flüsse sowie astronomische Berechnungen an verschiedenen Orten stellten das Fundament seiner Arbeit dar. Nachdem er sein Werk vollendet hatte, war Apians Name in aller Munde, denn eine solche Karte existierte von keinem anderen europäischen Land. Die verkleinerte Fassung dieses Planes, die sogenannten »Landtafeln« von 1568, bildeten in den folgenden Jahrhunderten die Grundlage für alle weiteren, kleineren kartographischen Unternehmungen diverser Landgeometer und waren bis ins 19. Jahrhundert hinein das offizielle Kartenkonvolut des altbayerischen Gebietes.

Aber trotz dieser Versuche und Leistungen hatte man bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts weder in Bayern noch in einem anderen Land eine wirklich bis ins Kleinste durchdachte, parzellenscharfe Vermessung des gesamten Staatsgebietes vorgenommen – es existierte kein Vorschlag für die Realisierung einer solchen gewaltigen Aufgabe in einer überschaubaren Zeitspanne.

Der entscheidende Anstoß für eine im heutigen Sinn wissenschaftlich präzise Landvermessung Bayerns erfolgte im »Napoleonischen Zeitalter«. Um 1800 breiteten sich die Ideen der Französischen Revolution rasend schnell in ganz Europa aus. Diese kamen schließlich auch in die bayerischen Landstriche, als im Zuge der Koalitionskriege die österreichische Armee in der Schlacht bei Hohenlinden von den Franzosen besiegt wurde und Bayern unter die Herrschaft Napoleons geriet. Schon bald erfolgten ganz im Geiste der Aufklärung tiefgreifende staatsrechtliche und territoriale Reformen, die von den französischen Besatzern initiiert und von profranzösischen, liberalen Landespolitikern durchgeführt wurden. Zunächst begann eine französische »Commission des routes« damit, das Kurfürstentum topographisch aufzunehmen, um ein für die Kriegszwecke der Rheinarmee geeignetes, astronomisch und geographisch korrektes Kartenwerk zu erstellen. Als das französische Heer aber 1801 wieder abrückte, war die begonnene Karte noch nicht vollendet; die Idee eines exakten Flächenplanes des bayerischen Territoriums verschwand dennoch nicht mehr aus den Köpfen der Gelehrten und Staatsmänner: besonders der aufgeklärte Staatsminister Maximilian Joseph von Montgelas strebte danach, in einer »Revolution von oben« ein völlig neues Staatswesen zu schaffen. Sein Reformwerk beinhaltete unter anderem die Integration der einzelnen Herrschaftsgebiete und Kleinfürstentümer in ein einheitlich regiertes und verwaltetes gesamtbayerisches Staatsgebilde – eine exakte Vermessung des Landes spielte hierbei nicht nur für militärische Zwecke eine zentrale Rolle: Die Grund- und Gebäudesteuer war zu diesem Zeitpunkt die wichtigste staatliche Einnahmequelle und zur Erhebung derselben wurden äußerst detaillierte Karten benötigt.

Am 19. Juni 1801 wurde daher schließlich durch Kurfürst Max IV. Joseph, dem späteren König Max I., das »Topographische Bureau« gegründet – der Grundstein der bayerischen Vermessungsverwaltung war damit gelegt worden.

Die Geometer des »Topographischen Bureaus« machten sich unverzüglich an die Fortsetzung der von den Franzosen begonnenen Arbeiten – das ganze Land sollte auf der Grundlage eines Dreiecksnetzes vermessen und kartographiert werden: Zunächst mussten überall im Land auffallende Punkte festgelegt und ins Gradnetz der Erde eingeordnet werden. Die einzelnen Punkte befanden sich in Sichtweite der umliegenden Markierungen. Die Verbindungslinien ergaben Dreiecke und diese stellten die Basis der angestrebten topographischen Karte dar. Als Ausgangsstrecke dieser sogenannten »Triangulation« wurde eine Grundlinie zwischen München-Oberföhring und Aufkirchen ausgemessen, die eine Länge von 21 653,8 Metern aufwies. Überprüft man diese Angabe mit modernen Instrumenten, so ergibt sich eine Abweichung von nur drei Zentimetern auf einen Kilometer – ein Musterbeispiel für die bereits hoch entwickelte Ingenieurskunst des frühen 19. Jahrhunderts.

Während die Erstellung des Hauptdreiecksnetzes ohne nennenswerte Schwierigkeiten voranging, wurde 1808 eine »Steuer-Katasterkommission« (später: Katasterbureau) eingerichtet, der man die Aufgabe übertrug, alle Grundstücke zu vermessen – die Gewährleistung einer gerechten und einheitlichen Besteuerung durch detaillierte Katasterkarten war das Ziel dieser Kommission.

1812 veröffentlichte das »Topographische Bureau« mit den Karten von Wolfratshausen und München die ersten beiden Blätter des »Topographischen Atlas«.

In den Folgejahren erwies es sich jedoch als zunehmend problematisch, dass aufgrund von Meinungsdifferenzen der Amtsleiter praktisch keine Kommunikation zwischen den beiden neu gegründeten Behörden stattfand und daher viele Messungen doppelt durchgeführt wurden.

Daher war es eine große Erleichterung und Arbeitsersparnis, als im Jahre 1820 die Katasterkommission neben der Erstellung der Katasterkarten auch die Messungen des Hauptdreiecksnetzes übernahm, wohingegen die Ingenieure des »Topographischen Bureaus« die geographischen und geodätischen Details der Landkarten ausarbeiteten.

1868, nach 60 Jahren unermüdlicher Arbeit und großen Pionierleistungen – im Zusammenhang mit der Kartierung des Wettersteingebirges erfolgte zum Beispiel die Erstbesteigung von Deutschlands höchstem Berg, der Zugspitze, durch Leutnant Josef Naus – hatten die Geometer das Werk vollbracht: Die Vermessung Bayerns war abgeschlossen. 21 Millionen Grundstücke waren erfasst und auf Katasterplänen dokumentiert worden. In dieselbe Zeit fällt auch die Etablierung der »Feldgeschworenen«, die die Korrektheit der eingemessenen Punkte und Grenzen garantierten. Bereits ein Jahr zuvor, also 1867, hatte das »Topographische Bureau« die letzte Karte des »Topographischen Atlas« publiziert: Auf 112 Einzelblättern im Maßstab 1:50 000 waren nun sämtliche geographische Gegebenheiten des Königreichs Bayern bis ins Detail dokumentiert. Der Atlas konnte sich allemal sehen lassen und diente in vielen europäischen Ländern den vor Ort stattfindenden Landaufnahmen als Vorbild.

Im Zuge der Gründung des Deutschen Reiches begannen die Verwaltungen damit, die differenten Maßsysteme der Länder zu vereinheitlichen: Als Längennorm einigte man sich auf das Meter, das von da an auch bei der bayerischen Vermessungsbehörde Verwendung fand.

1878 erhielt das »Topographische Bureau« nochmals einen Großauftrag: Die neue Reichsregierung hatte beschlossen, eine Karte des Staatsgebietes zu erstellen. Das Werk umfasste insgesamt 674 Blätter; 80 davon bildeten das bayerische Territorium ab. Im Jahr 1901, also 100 Jahre nach dem Beginn der systematischen Vermessung Bayerns, war aber auch diese Aufgabe abgeschlossen.

Bis Anfang der 1930er Jahre erfolgte als Folge des Ersten Weltkriegs und der Nachkriegszeit eine radikale Umstrukturierung der bayerischen Vermessungsbehörden, die in ihren Grundzügen bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren hat. 1915 hatte die Landesregierung das Katasterbureau in das noch heute bestehende Landesvermessungsamt umbenannt. Das »Topographische Bureau« wurde 1922 eine Unterabteilung des Finanzministeriums und 1930 eine Zweigstelle des Landesvermessungsamtes.

Es ist das Schicksal einer jeden Land- und Katasterkarte, dass sie sehr schnell veraltet und nicht mehr den aktuellen Stand der Dinge repräsentiert. Der Mensch verändert ständig seine Umgebung und das Landschaftsbild; dieser Tatsache müssen die Kartenwerke gerecht werden.

Ohne ein exaktes und stets aktuelles Abbild des Staatsgebietes auf Karten und Plänen ist eine korrekte, effiziente und gerechte Verwaltung desselben nicht möglich. Die bayerische Vermessungsbehörde erfüllt somit eine zentrale Aufgabe und leistet einen wichtigen Beitrag im Hinblick auf die Aufrechterhaltung und das reibungslose Funktionieren unserer staatlichen Ordnung.


Wolfgang Babl

 


Literatur:
M. Seeberger, Wie Bayern vermessen wurde, Augsburg 2001.
A. Habermayer, Die topographische Landesaufnahme von Bayern im Wandel der Zeit, Stuttgart 1993.
M. Junkelmann, Napoleon und Bayern, Regensburg 1985.
T. Ziegler, Vom Grenzstein zur Landkarte, Stuttgart 1989.
J. Amann, Die bayerische Landvermessung in ihrer geschichtlichen Entwicklung, München 1908.

 

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