Trepanation – ein riskanter Eingriff
Zur Ausstellung »Loch im Kopf« im Medizinhistorischen Museum Ingolstadt

Demonstration einer Schädeltrepanation, England, 18. Jahrhundert.

Ärztliche Trepanationsinstrumente, Frankreich, 1763.

Trepanationsbesteck in Etui, Paris, 18. Jahrhundert.
Welches war in der Geschichte der Menscheit der früheste operative Eingriff am menschlichen Körper? Nicht etwa die Entfernung von Steinen oder von Geschwüren – sondern die Schädeltrepanation. Unter dem vom griechischen Wort für Bohrer (»trypanon«) abgeleiteten Wort versteht man die Eröffnung der Schädeldecke mit Hilfe eines Schabers oder Bohrers, wie sie bei vielen Völkern seit prähistorischen Zeiten nachweisbar ist. Weit verbreitet war die Schädeltrepanation auf Haiti, im Andengebiet, auf mehreren Inseln des Bismarckarchipels, den Kanarischen Inseln und bei Berbern und Serben.
Der »Chirurg der Steinzeit« wusste sein Steinwerkzeug offenbar recht geschickt zu handhaben und sorgte für eine möglichst sterile Wundheilung. Die prähistorischen Schädel mit exakt kreisrunden Löchern haben die Wissenschaftler schon vor über hundert Jahren beschäftigt. Aufgrund der beim Heilungsvorgang entstandenen Kallusbildung an den trepanierten Knochenstellen geht man von einer erstaunlich hohen Überlebensrate der Patienten aus. Die Heilungschancen lagen damals mit rund 90 Prozent wesentlich höher als bei Schädeloperationen in geschichtlicher Zeit.
Aus welchen Gründen die zweifellos sehr schmerzhafte schädeltrepanation ursprünglich durchgeführt wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Anthropologen stellen sie in Zusammenhang mit männlichen Initiationsriten, bei denen die jungen Männer oft harten, ja grausamen Martern unterzogen wurden, um sie nach bestandener Prüfung in die Welt der erwachsenen Männer aufzunehmen. Sehr bald gab es auch andere Gründe für die Schädeltrepanation, teils magischer, teils medizinischer Art. Durch die Schädelöffnung sollten Geisteskrankheiten geheilt werden (böse Geister sollten durch die Öffnung entweichen), man wollte Fremdkörper entfernen oder bei Kopfschmerzen eine Druckentlastung erzielen.
Schriftliche Nachweise über die Schädeltrepanation sind uns erst aus der griechischen und römischen Antike überliefert. In der Schrift »Über die Kopfwunden« im Corpus Hippocraticum« aus dem 4. Jahrhundert vor Christus findet sich eine genaue Beschreibung der Operation und die Anweisung an den Arzt, den Bohrer während des Bohrvorganges mehrmals zu kühlen, um den Knochen vor shcädlicher Erhitzung zu schützen. Ein römischer Krontrepan (Kronbohrer) aus Bronze, der mittels eines Fidelbogens angetrieben wird, fand sich in einem Arztgrab bei Bingen am Rhein. Zum Operationsbesteck gehörten außerdem das »Linsenmesser« zum Schutz der harten Hirnhaut, Handsäge, Meißel und Sonde.
Die mittelalterlichen Schriften enthalten genaue Vorschriften zur schonenden Behandlung von Schädelbrüchen. Man heilte sie durch vorsichtige Hebung der eingedrückten Knochenfragmente und durch Trepanation eines Kranzes von Löchern, die man durch Abtragung der Brücken mittels eines Meißels verband. Das Hauptproblem bei der Bohrung, die Gefahr einer Verletzung der Hirnhaut, versuchte der in Cordoba wirkende arabische Arzt Abul Kasim (936-1013) durch die Anbringung einer Tiefenarretierung am Bohrer zu lösen. Während der Operation wurde der Patient mit schmerzstillenden und betäubenden Schlafschwämmen, die Auszüge aus Opium, Alraune oder Schierling enthielten, ruhig gestellt. Der mittelalterliche Chirug griff jedenfalls nur im äußersten Notfall zum Bohrgerät, da er mit Recht das hohe Risiko scheute.
Wegen der vielen Kriegsverletzungen durch Hieb- und Stichwaffen, durch Pfeilspitzen und Bleikugeln erlebten Kopfoperationen am Ausgang des Mittelalters eine Hochkonjunktur. Auf einem Holzschnitt von 1520 ist ein auf den Kopf eines Verletzten aufgesetzter Dreifuß zu erkennen, in dem ein spitzer Bohrer zur Hebung der Knochenfragmente läuft. Dieses als »Triploid« bezeichnete Instrument war bis in das 18. Jahrhundert in Gebrauch.
Der französiche Mediziner Amroise Paré (1517-1590), Leibarzt mehrerer Könige, verbesserte die Trepanations-Insturmente; er soll einen traumatischen Hirnprolaps und einen Hirnabszess mit Erfolg durch Trepanation operiert haben. Um die gleiche Zeit eröffnete der britische Tierarzt John Fitzherbert als erster die Schädeldecke eines Rindes. Seitdem wandte man die Trepanation der Stirn-, Nasenbein und Schädeldecke in der Veterinärmedizin vielfach zur Entfernung von Bandwurmlarven (»Finnen«) und zur Behandlung von Entzündungen an.
Höchst merkwürdig erscheint es uns heute, dass die Schädeltrepanation im 18. Jahrhundert vor allem in Frankreich zu einer Mode-Therapie avancierte. Eine Reihe Menschen ließ sich ohne spezielle Beschwerden trepanieren, um Erkrankungen des Gehirns vorzubeugen. Auch in England griff die undifferenzierte Trepanationspraxis um sich. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts mahnten führende Ärzte zu mehr Zurückhaltung und einer genauen Abgrenzung der Indikationen für eine Trepanation. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich schließlich auf der Grundlage der Beherrschung technischer Schwierigkeiten, der Anästhesie und der Asepsis die moderne Hirnchirurgie, bei welcher der »Eingriff durch das Loch im Kopf« das Tor zur neurochirurgischen Operation von heute öffnete.
Unter dem Titel »Loch im Kopf – Zur Geschichte der Schädeltrepanation« zeigt das Medizinhistorische Museum in Ingolstadt bis zum 9. Februar eine Ausstellung mit Instrumenten und Apparaten im Zusammenhang mit der Entwicklung des Operationsverfahrens von der Antike bis zur Gegenwart. Der interessante Streifzug durch 2000 Jahre Medizingeschichte flößt dem Besucher einerseits Respekt ein über die Perfektionierung der ärztlichen Kunst, andrerseits erweckt er unser Mitgefühl mit den geplagten Patienten, die sich früher der qualvollen Schädeltrepanation unter sehr primitiven Bedingungen unterziehen mussten.
JB
1/2003
Der »Chirurg der Steinzeit« wusste sein Steinwerkzeug offenbar recht geschickt zu handhaben und sorgte für eine möglichst sterile Wundheilung. Die prähistorischen Schädel mit exakt kreisrunden Löchern haben die Wissenschaftler schon vor über hundert Jahren beschäftigt. Aufgrund der beim Heilungsvorgang entstandenen Kallusbildung an den trepanierten Knochenstellen geht man von einer erstaunlich hohen Überlebensrate der Patienten aus. Die Heilungschancen lagen damals mit rund 90 Prozent wesentlich höher als bei Schädeloperationen in geschichtlicher Zeit.
Aus welchen Gründen die zweifellos sehr schmerzhafte schädeltrepanation ursprünglich durchgeführt wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Anthropologen stellen sie in Zusammenhang mit männlichen Initiationsriten, bei denen die jungen Männer oft harten, ja grausamen Martern unterzogen wurden, um sie nach bestandener Prüfung in die Welt der erwachsenen Männer aufzunehmen. Sehr bald gab es auch andere Gründe für die Schädeltrepanation, teils magischer, teils medizinischer Art. Durch die Schädelöffnung sollten Geisteskrankheiten geheilt werden (böse Geister sollten durch die Öffnung entweichen), man wollte Fremdkörper entfernen oder bei Kopfschmerzen eine Druckentlastung erzielen.
Schriftliche Nachweise über die Schädeltrepanation sind uns erst aus der griechischen und römischen Antike überliefert. In der Schrift »Über die Kopfwunden« im Corpus Hippocraticum« aus dem 4. Jahrhundert vor Christus findet sich eine genaue Beschreibung der Operation und die Anweisung an den Arzt, den Bohrer während des Bohrvorganges mehrmals zu kühlen, um den Knochen vor shcädlicher Erhitzung zu schützen. Ein römischer Krontrepan (Kronbohrer) aus Bronze, der mittels eines Fidelbogens angetrieben wird, fand sich in einem Arztgrab bei Bingen am Rhein. Zum Operationsbesteck gehörten außerdem das »Linsenmesser« zum Schutz der harten Hirnhaut, Handsäge, Meißel und Sonde.
Die mittelalterlichen Schriften enthalten genaue Vorschriften zur schonenden Behandlung von Schädelbrüchen. Man heilte sie durch vorsichtige Hebung der eingedrückten Knochenfragmente und durch Trepanation eines Kranzes von Löchern, die man durch Abtragung der Brücken mittels eines Meißels verband. Das Hauptproblem bei der Bohrung, die Gefahr einer Verletzung der Hirnhaut, versuchte der in Cordoba wirkende arabische Arzt Abul Kasim (936-1013) durch die Anbringung einer Tiefenarretierung am Bohrer zu lösen. Während der Operation wurde der Patient mit schmerzstillenden und betäubenden Schlafschwämmen, die Auszüge aus Opium, Alraune oder Schierling enthielten, ruhig gestellt. Der mittelalterliche Chirug griff jedenfalls nur im äußersten Notfall zum Bohrgerät, da er mit Recht das hohe Risiko scheute.
Wegen der vielen Kriegsverletzungen durch Hieb- und Stichwaffen, durch Pfeilspitzen und Bleikugeln erlebten Kopfoperationen am Ausgang des Mittelalters eine Hochkonjunktur. Auf einem Holzschnitt von 1520 ist ein auf den Kopf eines Verletzten aufgesetzter Dreifuß zu erkennen, in dem ein spitzer Bohrer zur Hebung der Knochenfragmente läuft. Dieses als »Triploid« bezeichnete Instrument war bis in das 18. Jahrhundert in Gebrauch.
Der französiche Mediziner Amroise Paré (1517-1590), Leibarzt mehrerer Könige, verbesserte die Trepanations-Insturmente; er soll einen traumatischen Hirnprolaps und einen Hirnabszess mit Erfolg durch Trepanation operiert haben. Um die gleiche Zeit eröffnete der britische Tierarzt John Fitzherbert als erster die Schädeldecke eines Rindes. Seitdem wandte man die Trepanation der Stirn-, Nasenbein und Schädeldecke in der Veterinärmedizin vielfach zur Entfernung von Bandwurmlarven (»Finnen«) und zur Behandlung von Entzündungen an.
Höchst merkwürdig erscheint es uns heute, dass die Schädeltrepanation im 18. Jahrhundert vor allem in Frankreich zu einer Mode-Therapie avancierte. Eine Reihe Menschen ließ sich ohne spezielle Beschwerden trepanieren, um Erkrankungen des Gehirns vorzubeugen. Auch in England griff die undifferenzierte Trepanationspraxis um sich. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts mahnten führende Ärzte zu mehr Zurückhaltung und einer genauen Abgrenzung der Indikationen für eine Trepanation. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich schließlich auf der Grundlage der Beherrschung technischer Schwierigkeiten, der Anästhesie und der Asepsis die moderne Hirnchirurgie, bei welcher der »Eingriff durch das Loch im Kopf« das Tor zur neurochirurgischen Operation von heute öffnete.
Unter dem Titel »Loch im Kopf – Zur Geschichte der Schädeltrepanation« zeigt das Medizinhistorische Museum in Ingolstadt bis zum 9. Februar eine Ausstellung mit Instrumenten und Apparaten im Zusammenhang mit der Entwicklung des Operationsverfahrens von der Antike bis zur Gegenwart. Der interessante Streifzug durch 2000 Jahre Medizingeschichte flößt dem Besucher einerseits Respekt ein über die Perfektionierung der ärztlichen Kunst, andrerseits erweckt er unser Mitgefühl mit den geplagten Patienten, die sich früher der qualvollen Schädeltrepanation unter sehr primitiven Bedingungen unterziehen mussten.
JB
1/2003