Jahrgang 2013 Nummer 46

Tenglinger Müllerin dingt Auftragsmörderin

Ehemann entkommt 1864 Anschlag – Erpressung mit tödlichem Ausgang

Wurde 1864 zum Sündenpfuhl: Die Gratzmühle in Tengling, die heute nicht mehr steht. Foto um 1900 mit den damaligen Besitzern.
Vom Bahnhof in Teisendorf ging Maria Sternzeder zurück nach Tengling.
Therese Fellner kam nach der Begnadigung ins Würzburger Frauengefängnis.

Die Ortschaft Tengling bei Taching am See ist Mitte des 19. Jahrhunderts eine kleine Pfarrei mit nicht einmal 500 Seelen. Der Tourismus heutiger Tage ist noch in weiter Ferne und so fällt die Region um den Waginger See eigentlich nur durch ihre fruchtbare Landschaft auf. Die folgenden Ereignisse, die sich von 1864 bis 1866 in der Gegend abspielten, passen dann auch so gar nicht in ein kleines Bauerndorf, denn sie kennzeichnen eigentlich ein hochkriminelles Milieu: Von Auftragsmord über Erpressung, Beseitigung von Zeugen und dazu noch eine Portion Sex enthält der Fall um eine junge Müllerswitwe alles, was auch in einem Kriminalroman vorkommen könnte. Mit einer Einschränkung: Wären die Verwicklungen, die sich vor 150 Jahren tatsächlich so abgespielt haben, der Phantasie eines Schriftstellers entsprungen, hätte er wohl Kritik einstecken müssen, dass er es mit seinen Einfällen etwas übertreibe. Schon ganz am Anfang der Geschichte steht ein Todesfall, der zum Auslöser für alle anderen Ereignisse wird: Der Besitzer der Tenglinger Gratzmühle, Joseph Lohner, stirbt am Neujahrstag 1864 im Alter von nur 46 Jahren. Todesursache ist laut Kirchenmatrikel ein »Magengeschwür «. Lohner, Jahrgang 1817, hatte 1851 in Tengling die 17 Jahre jüngere Therese Stadler geheiratet, Wirtstochter aus der Gemeinde Kay. Laut zeitgenössischer Chronisten hatte es die Gratzmüllerin schon während dieser Ehe mit der Treue nicht allzu genau genommen; wobei ihr Mann über den lockeren Lebenswandel seiner Gattin aber Bescheid gewusst haben soll. Nach dem Hinscheiden ihres Mannes war die 31-jährige Witwe dann auch nicht besonders betrübt und noch in der Trauerzeit vergnügte sie sich ausgiebig in männlicher Gesellschaft: Ob sie mit den folgenden drei Herren gleichzeitig Verhältnisse unterhielt oder hintereinander, ist nicht bekannt, dafür aber konnte die Journaille ihre Namen vermelden: Josef Dambauer, Knecht beim Pallinger Pfarrer, Franz Hautmaier und Josef Schubeck. Doch keiner der drei Herren sollte sich ins gemachte Nest setzen: Im April 1864, nur drei Monate nach dem Tod ihres Mannes, heiratete Therese Lohner völlig überraschend den vier Jahre jüngeren Bauern Stephan Fellner aus Wimpasing. Vor Gericht wird Therese später als »ein Weib mit ziemlich sinnlichen Zügen« beschrieben, die selbst auf der Anklagebank »noch Spuren ehemaliger Schönheit trug, weshalb es ihr wohl leicht fiel, Männern den Kopf zu verdrehen. Ihrem frischgebackenen Ehemann hatte die Müllerin zwar geschworen, von nun an treu zu sein, doch eine anständige Behandlung schloss dieses Versprechen offenbar nicht mit ein.

Die Ehe war kaum geschlossen, da warf Therese ihrem Mann schon allerlei Schimpfnamen wie »Gscherter Lackel« und »Bauernhammel« an den Kopf. Einmal spie sie ihm sogar entgegen: »Wenn ich dich nur nicht mehr sehen müsste, wenn ich dich nur nicht geheiratet, wenn ich nur den Dambauer genommen hätte.« Bereitwillige Unterstützung fand die Fellnerin in ihrer Magd, der 28-jährigen Maria Sternzeder, »eine böse Person, die half den Müller zu verspotten«, wie das neue bayerische Volksblatt später berichtet. Auch die war kein unbeschriebenes Blatt: Mit 21 hatte sie schon einen unehelichen Buben geboren und erwartete nun das zweite Kind. Im November 1864 machte sich die Magd auf nach München, um dort in ein Gebärhaus zu gehen, wo sie am 1. Dezember niederkam. Genau eine Woche später verließ sie mit ihrem Baby das Krankenhaus und fuhr mit dem Zug nach Teisendorf. Von dort ging sie nach Tengling, um – wie mit der Müllerin vorher vereinbart – heimlich in der Mühle unterzuschlupfen. Ihr Kind hatte sie dem Bauern Andreas Maier in der Nähe von Waging vor die Tür gelegt. In den späteren Untersuchungen wird dieser als »Pflegevater« bezeichnet. In welcher Beziehung die Sternzeder zu Maier stand, ob er eventuell der leibliche Vater des Kindes war, ist nicht bekannt.

Am 15. Dezember bat die Müllerin ihren Ehemann, zum Arzt nach Stein an der Traun zu fahren, um dort Medizin für sie zu holen. Als Begründung gab sie Beschwerden einer vorgetäuschten Schwangerschaft an. Stephan Fellner machte sich brav mit seinem Fuhrwerk auf den 15 Kilometer langen Weg, um seiner Frau das Gewünschte zu besorgen. Hinter Palling überholte er, wie Fellner später vor Gericht aussagen sollte, an einem Anstieg eine Frauensperson, die am Straßenrand dahin ging. Die Person war mit einem Männerpelzrock bekleidet, um den Kopf einen dicken Schal gewickelt, in dem sie ihr Gesicht verbarg.

Stephan Fellner kam die Frau nicht ganz geheuer vor und so drehte er sich auf seinem Bock mehrmals nach ihr um, worauf sie aber erst recht den Kopf in den Kragen gesteckt habe. Als Fellner den Scheitelpunkt des Anstiegs erreicht hatte und gerade im Begriff war, die Zügel wieder anzuziehen, hörte er einen lauten Knall, während ihm im gleichen Moment etwas um die Ohren pfiff. Da seine Pferde durch den Lärm durchzugehen drohten, musste er erst sein Gefährt unter Kontrolle bringen, ehe er sich nach der Ursache für den Knall umschauen konnte. Als die Pferde wieder ruhig waren und sich der Müller nach der Frau umdrehte, war diese schon in einem angrenzenden Wald verschwunden.

Hätte er nicht genau gewusst, dass sich seine Magd im Gebärhaus in München befand, Fellner hätte darauf gewettet, dass die Person im Pelzmantel, die eben versucht hatte, ihm das Licht auszublasen, niemand anderer als die Sternzeder war. Als er kurz darauf erfuhr, dass sich die Magd zum Zeitpunkt des Attentats tatsächlich längst wieder in der Mühle aufgehalten hatte, zögerte Fellner nicht und zeigte den Mordversuch bei den Behörden an.

Offenbar hatte er nun genug von seiner Frau und ihrer Bagage und verließ die Mühle, um wieder auf seinem Hof in Wimpasing zu leben. In der Tenglinger Mühle begann nun ein flottes Leben, an dem auch die Sternzeder teilnahm. Wie so oft in zügellosen Gemeinschaften, schlug die vermeintliche Freundschaft aber bald ins Gegenteil um: Weil die Magd bei Befragungen durch den Untersuchungsrichter nicht die von der Müllerin eingebläuten Antworten gegeben hatte, entließ diese die Sternzeder – wohl in der Hoffnung, dass die Mitwisserin aus ihrem Leben verschwinden und die Angelegenheit damit erledigt sein würde. Dass die Sternzeder versucht hatte, den Müller zu erschießen, war aber inzwischen allseits bekannt, denn ihre neue Dienstherrin, die Witwe Poller in Otting, riet der Magd, alles zu gestehen, worauf die Sternzeder antwortete, lieber setze sie sich ein paar Jahre ins Zuchthaus, denn die Müllerin lasse sie nicht zu Grunde gehen. Selbst in der Verwandtschaft der Sternzeder sprach man über den Mordversuch. Als ein kleiner Bub in einem Kasten, den Maria bei dessen Vater in Toerring untergestellt hatte, Patronenkugeln fand, fragte er: »Sind das die Kugeln, mit denen das Madei geschossen hat?«

Während das »Madei« nun in Otting überlegte, wie sie aus ihrer Mitwisserschaft Profit schlagen könnte, begann die Müllerin, ihren Mann wieder zu umschmeicheln, um ihn zu überzeugen, dass die Sternzeder ganz allein hinter der Geschichte stecke und beabsichtige, sie beide umzubringen. Dem Untersuchungsrichter war es in der Zwischenzeit nicht gelungen, genügend Beweise für eine Anklage der beiden Frauen zu sammeln, weshalb das Verfahren im September 1865 schließlich eingestellt werden musste. Beinahe schien es, als würde nun endgültig Gras über die ganze Sache wachsen. Wenn nicht Maria Sternzeder Anfang Februar 1866 von einem Tag auf den anderen spurlos verschwunden wäre. Das wäre womöglich gar nicht so schnell aufgefallen, hätte nicht ausgerechnet das Landgericht Traunstein nach ihr gesucht. Das Gericht hatte sich auf die Spur der Sternzeder gemacht, weil die eine Haftstrafe von sechs Monaten antreten musste und nicht zum Vollzug erschienen war. Zusammen mit der Mordanklage hatte die Magd nämlich eine Anzeige wegen Kindsaussetzung erhalten, die wahrscheinlich auf den Bauern Maier zurückging, dem die Sternzeder ihr Neugeborenes vor die Tür gelegt hatte. In einem ersten Urteil war sie freigesprochen, in der Revision dann aber für schuldig erklärt worden.

Als zwei Monate später im Eschenforst bei Traunstein die verweste Leiche einer Frau entdeckt wurde, war schnell klar, dass es sich bei der Toten, die Stiche im Hals aufwies, um die Magd handelte. Ihr Mörder war nämlich nicht so schlau gewesen, Gegenstände, die zur Identifizierung führen könnten, vom Tatort zu entfernen. Kleidung, ein silberner Löffel sowie einen Siegelstock mit den Buchstaben M. St. belegten, dass es sich um Maria Sternzeder handelte. Der mögliche Täter stand für die Ermittlungsbeamten schnell fest: Da konnte nur Therese Fellner dahinterstecken. Aber wer hatte die Drecksarbeit für die Müllerin erledigt? Sie selbst, so glaubten die Beamten, kam dafür nicht in Frage. Zunächst wurde der Kreis der »Herrenbekanntschaften« ins Visier genommen. Bald ergab sich jedoch eine andere vielversprechende Spur: Ein Steinbrecher namens Joseph Baumgartner aus Untermarchenbach (Gerichtsbezirk Moosburg) hatte unlängst bei der Fellner gearbeitet. Wie sich herausstellte, war er zur gleichen Zeit wie Maria Sternzeder verschwunden, hatte aber weiter brieflich Kontakt mit der Müllerin gehalten -- um sich seine Tat und sein Wissen teuer bezahlen zu lassen. Ende März war Baumgartner mit einem gewissen Kollmann Pfeifer sogar nach Tengling gekommen, um erneut Bares von der Müllerin einzufordern. Einen Monat später wurde in der Mühle folgendes Telegramm abgegeben: »Th. Fellner soll bis morgen 4 Uhr in München erscheinen bei Engelbrecht im Thal. Telegraphenantwort Kollmann Pfeifer. Absender der Botschaft war in Wirklichkeit aber Stephan Baumgartner. Was der nicht wusste: Die Müllerin saß zu diesem Zeitpunkt längst in Untersuchungshaft und das Telegramm landete auf dem Tisch des Untersuchungsrichters. Der wies die Münchner Polizei telegraphisch an, den Kollmann Pfeifer sofort zu verhaften, was auch geschah. Als Baumgartner davon erfuhr, flüchtete er nach Tengling, um von der Fellner Hilfe zu erhalten. Statt der Müllerin empfing ihn aber eine Gruppe Gendarmen, die ihn sofort dingfest machte. Der 26-Jährige, in einer Suchanzeige als groß, gut aussehend, mit blondem Schnurrbart beschrieben, leugnete jedoch beharrlich, etwas mit dem Mord an Maria Sternzeder zu tun zu haben. Er kenne diese Person gar nicht, behauptete er. Auch in Traunstein, wo ein Zeuge ihn in Gesellschaft der Dienstmagd gesehen haben wollte, sei er nie gewesen. Die Anstellung in der Mühle habe er aufgeben müssen, weil keine Arbeit mehr dagewesen sei. Therese Fellner wiederum behauptete, sie habe Baumgartner entlassen, als er ein Verhältnis mit der Sternzeder angefangen habe.

Dass ihr Lügengebäude ziemlich schnell einstürzte, hatten die beiden Angeklagten sich ganz allein selbst zuzuschreiben. Aus Wollfäden, die sie aus ihren Decken rissen, pflegten die Häftlinge in der Untersuchungshaft, Schnüre zu knüpfen, an denen sie Briefe befestigten, die sie über das Fenster nach draußen schoben und an der Außenmauer auf und ab zogen. So gelang es ihnen, mit anderen Gefangenen Nachrichten auszutauschen. Baumgartner war bei dieser »Stillen Post« so dumm, einem Mitgefangenen zu schreiben, es könne ihm niemand etwas beweisen, denn niemand habe ihn gesehen. Für ihn sei zudem gesorgt, denn die Müllerin habe ihm 200 Gulden versprochen. Er habe es der Sternzeder so »aufgegleist«, dass es sie um und um gedreht habe. Wenn er wieder draußen sei, gehöre die Müllerin ihm. Er würde sie sogar heiraten, wenn der Müller zu Grunde ginge.

Beide Angeklagte weigerten sich trotz dieser Beweise bis zum Schluss, ihre Schuld zu gestehen. Die Geschworenen des Schwurgerichts für Oberbayern in München erklärten Therese Fellner dennoch des Mordversuchs und Joseph Baumgartner des Mordes für schuldig, worauf am 13. April 1866 gegen beide die Todesstrafe verhängt wurde. Auf Allerhöchste Anordnung König Ludwigs II. wurden die Urteile in lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt.


Susanne Mittermaier

 

46/2013