Süddeutschlands letzte gotische Hallenkirche
»St. Philippus und Jakobus« zu Altötting begeht 500-jähriges Jubiläum

Altöttinger Kapellplatz mit Gnadenkapelle und Stiftskirche: Beio der Eröffnung der neuen Schatzkammer im Mai 2009 war auch Monsignore Georg Ratzinger (vorne Mitte), der Bruder von Papst Benedikt XVI., dabei.

Gotisches Nordportal: Flügeltüren von Matthäus Krinis, um 1515, mit Darstellungen der hl. Ursula und der Kirchenpatrone St. Philippus und Jakobus.

Attraktion der Stiftskirche: Der »Tod von Eding« als beweglicher Sensenmann, Aufsatz einer ungewöhnlich hohen Schrankuhr.
1511 – ein bemerkenswertes Datum für den Wallfahrtsort Altötting: die ehemalige Chorherrnstifts- und heutige Stiftspfarrkirche St. Philippus und Jakobus erhielt ihre Neuweihe. Der Stiftspropst Johannes Mayr sah ein, dass der seit 1489 immer stärker anwachsende Pilgerstrom zur Schwarzen Madonna in der nahen Heiligen Kapelle einen ihn einigermaßen fassenden Bau notwendig machte. Es dauerte noch ein Jahrzehnt, bis dieser in Angriff genommen wurde. Die romanische Vorgängerkirche – dreischiffig ohne Querschiff mit einem mehrgeschossigen »Westwerk« und einem Kreuzgang, geweiht 1244 unter Hinzunahme des Patrons Jakob d. J. – war, bis auf Südmauer und »Westwerk«, abzureißen gewesen. Baumeister: der Burghauser Jörg Perger, vermutlich ein Schüler von Stephan Krumenauer. Nachweislich legte auch Ulrich Händtler, gleichfalls aus Burghausen, Meisterhand an.
Neuweihe des Erweiterungsbaus
Die Nordmauer wurde um etwa anderthalb Meter in Richtung Gnadenkapelle versetzt, um eine Vergrößerung der romanischen Basilika zu erreichen. Der bereits gotisierte Kreuzgang im Süden sollte erhalten bleiben. Um fast zwölf Meter wurde der Chor nach Osten erweitert – das »Westwerk« mit den Türmen und der Propstei verbot es, nach Westen hin weiteren Raum zu gewinnen.
Als der Stiftspropst, der die Neuweihe seines »Erweiterungsbaus« nicht mehr erlebte, nach 20-jährigem Wirken 1508 starb, war viel geschehen: die Schließung der Gewölbe und ihre Bemalung durch den Eggenfeldener Meister Michel, der Anbau der Sakristei im Norden (der später zur Schatzkammer und von 2006 an zur Anbetungskapelle wurde), die Fertigung der Chor-Altartafeln und die Vorarbeiten für das Chorgestühl, das 1510 vollendet wurde – unter maßgeblicher Beteiligung des seit 1511 als Bürger des 13 km entfernten Mühldorf nachweisbaren Bildhauers Matthäus Krinis.
Aus dem Dunkel der Geschichte
Dieser Krinis tauchte erst kürzlich aus dem Dunkel der Kunstgeschichte Südbayerns auf. Er schnitzte ab 1513 mehrere Jahre an den eichenen Flügeln am Nord- und Südportal. Lange Zeit wurde vom »Meister der Altöttinger Stiftstüren« oder vom »Meister von Braunau« gesprochen, dem das großartige Werk zugeschrieben wurde. Vorsichtig war von der »stilistischen Verwandtschaft zum Salzburger Andreas Lackner« (Dehio, 2002) die Rede. Matthäus Krinis, von dem das Mühldorfer Museum im Lodronhaus Anfang 2011 die hochgotische Figur einer Madonna mit Kind erwarb, zeigt an den Altöttinger Stiftskirchen-Portalen ein meisterhaft komponiertes Flachrelief-Bildprogramm, das (am Nordportal) in die Heiligengestalten des »Apokalyptischen Weibes« Maria, von St. Ursula, St. Philipp und St. Jakob sowie in die Gestalten der vier großen Propheten des AT und der Kirchenlehrer kunstvoll und zeichenhaft Dämonen-Darstellungen und Tiersymbole einbaut.
Das Innere von Süddeutschlands letzter dreischiffiger spätgotischer Hallenkirche – Papst Benedikt, der schon als Bub die Kirche oft besuchte, nannte sie »die erste große Pilgerkirche Altöttings« – lohnt einen Rundgang, allein aus kunsthistorischen Gründen. Man stößt dabei auf Werke, die von der Gotik (ein romanisches Portal im Westen mit schönen Ecksäulen, einst Haupteingang zur Basilika des 13. Jahrhunderts, bleibt meist unbeachtet, ist aber lange wieder zugänglich) bis ins späte 19. Jahrhundert reichen. Der Hochaltar (um 1804) ist klassizistisch wie das von dem Trostberger Meister Joseph Benedikt Kapfer 1792 geschnitzte Chorgestühl, reines Rokoko sind die beiden vorderen Seitenaltäre, der schwere marmorne »Volksaltar« stammt von 1968. Auffällig: die linke, weiß gefasste Hauptaltar-Figur des hl. Bischofs Rupertus von Salzburg. Der Legende nach soll er das ganz in der Nähe verehrte Gnadenbild, von dem er eine Kopie in Händen hält, hierher gebracht haben.
Der weiße »Tod von Eding«
Wer vor dem Verlassen der Stiftskirche in Richtung Kapellplatz seinen Blick steil nach links oben richtet – und die meisten Besucher tun es unaufgefordert, irgendwie intuitiv oder imitativ –, sieht als Oberteil einer hohen Schrankuhr mit weißem Blatt und schwarzen Ziffern den kleinen weißen »Tod von Eding« seine Sense in gleichmäßigem Rhythmus schlagen, der, wie es naheliegt, den Tod eines Menschen versinnbildlicht. Das seltsame hölzerne, etwa einen halben Meter hohe Bildwerk eines menschlichen Skeletts könnte im 16. Jahrhundert entstanden sein, in Zeiten häufiger Pestepidemien. Kein Zweifel für Stadtpfarrer Günther Mandl: »Der `Tod von Eding` sagt uns wortlos durch seine Gestik die Aufforderung des Aschermittwochs: Memento homo quia pulvis es et in pulverem reverteris: Gedenke, o Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst. Die christliche Wachsamkeit wird durch ihn symbolisiert… : Lebe jeden Tag und jede Stunde so, dass du vor dem Tod und dem göttlichen Gericht keine Angst zu haben brauchst; bemühe dich immer, in der Freundschaft mit Christus und im Frieden mit allen Menschen zu leben…«
Tillysarg mit Schaufenster
Der Kreuzgang ist als klösterlich anmutendes, zur Meditation einladendes Bauwerk reich ausstaffiert mit beachtenswerten Epitaphen, Votivtafeln und Heiligenbildern, darunter einem Gemälde mit den 14 Nothelfern. Hierher gelangt man, wenn man die Stiftskirche durch das Südportal verlassen will – was einen Blick in ein verschwiegenes Gärtchen gewährt. In diesem Kreuzgang sind an die zwanzig Säulenkapitelle aus der Romanik erhalten, die als Kragsteine des Gewölbes herhalten. Zwei der freigelegten Joche zeigen die lustig betitelten Heiligen Drei Könige (der Schwarze heißt nicht Balthasar, sondern Walthaser) sowie die graphisch wirkende Muttergottes mit dem Jesuskind, datiert auf das Jahr 1497. Massiv, volksnah und theatralisch muten die realistischen Passionsszenen von I. Huber, datiert: 1899 – 1901, an, die ins Oberammergau der vorletzten Jahrhundertwende verweisen.
Bemerkenswert sind die Kreuzgang-Kapellen: Rastkapelle, Tillykapelle mit Gruft, Sebastianikapelle, Siebenschmerzen-Kapelle. Neben der Rastkapelle (sie gedenkt schlicht und kalt fünf patriotisch gesonnenen Altöttinger Bürgern, die hier am 28. April 1945 von der SS erschossen wurden) mit einem kräftigen »Christus in der Rast« ist eine Osterrieder-Krippe von 1905 zu bewundern. Christoforo Domenico Zuccali ist der Baumeister der einst gotischen Sebastianikapelle von 1681/82 mit Andreas Faistenbergers hochbarocker, bewegter Altargruppe »Pflege des heiligen Sebastian« von 1690. Die heutige Tillykapelle geht auf das gotische Peter- und Paul-Kirchlein von 1420 zurück. Das Porträt des Feldherrn der katholischen Liga aus dem Dreißigjährigen Krieg, Johann Tserclaes Graf Tilly, eines glühenden Verehrers der Altöttinger Gnadenmutter (zu seinem Kupfersarg mit »Schaufenster« führt eine gewagt steile Steintreppe hinab) malte 1932 kein Geringerer als Gebhard Fugel, der das weltberühmte Altöttinger »Panorama« schuf.
Zweites Altöttinger Gnadenbild?
Die zweistöckige Doppelkapelle zu den »Sieben Schmerzen Mariens« zu besuchen, kostet ein wenig Mühe. Stiftspfarrer Prälat Günther Mandl freut sich, dass von einigen diese Mühe nicht gescheut wird, um in diesem abseitig-intimen Ambiente gelegentlich eine Trauung oder eine Taufe zu begehen. Der profunde Kenner der Geschichte Altöttings und Autor des detailreichen, auf neuestem Erkenntnisstand befindlichen Kirchenführers (2007) Peter Becker macht auf »das kunstgeschichtlich bedeutendste« Werk aufmerksam, das hohe Beachtung verdiene: »das Epitaph des Georg Frey von 1509«, das in den Umkreis des »Meisters von Altmühldorf« gehöre. Leider, so ist aus eigener Erfahrung festzustellen, ist es nur einem Besucher zugänglich, den das Eisengitter den Zugang nicht verwehrt, das diesen hoch gelegenen Andachtsraum als doppelt kostbar ausweist.
Gerade der Frey-Epitaph mit der farbenfrohen Darstellung einer Art Rosenkranzmadonna und einem eigenartig positionierten nackten Jesuskind im Arm, mit den Heiligen Andreas und Sebastian sowie dem in einen Pelzumhang gekleideten Stifter führt nahe an die Zeit heran, auf die das Jubiläumsjahr 2011 verweist, fünf volle Jahrhunderte in die geschichtliche Vergangenheit. Acht Jahre nach der Neuweihe der Altöttinger Stiftskirche durch Bischof Berthold von Chiemsee am 28./29. September 1511 entstand das grandiose Bildwerk mit der Rosenkranzmadonna. Es könnte Altöttings zweites Mariengnadenbild sein. Vielleicht ist es Absicht, es vor den Augen der tagtäglichen hohen Besucherschar verborgen zu halten.
Zum Nach- und Weiterlesen:
Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Bayern IV: München und Oberbayern (S. 24 – 28), Deutscher Kunstverlag München/Berlin 2002
Peter Becker: Stiftspfarrkirche St. Philippus und Jakobus Altötting, Altöttinger Kunstverlag 2007
Kath. Kirchenstiftung (Hg.): Die Altöttinger Stiftspfarrkirche St. Philippus und Jakobus, Altötting 2010
Jubiläums-Veranstaltungen:
Die Ausstellung »500 Jahre Stiftspfarrkirche Altötting« wird am 3. April um 12.15 Uhr eröffnet. Sie findet in der Vorhalle und im Kreuzgang statt – beides wurde im Februar/März großenteils erneuert. – Der Passauer Bischof Wilhelm Schraml kommt am 7. und 8. Mai nach Altötting, um die »Weihe der Diözese Passau an die Gottesmutter« (7. 5., 17 Uhr) und einen Pontifikalgottesdienst zum Patrozinium (8. 5., 10 Uhr) zu zelebrieren.
Außerdem finden – bis zum Abschluss des Jubiläumsjahres am Silvestertag 2011 – Konzerte, Theateraufführungen, Gottesdienste, Begegnungen und Abendmusiken statt. www.stiftspfarrkirche-altoetting.de
Dr. Hans Gärtner
10/2011
Neuweihe des Erweiterungsbaus
Die Nordmauer wurde um etwa anderthalb Meter in Richtung Gnadenkapelle versetzt, um eine Vergrößerung der romanischen Basilika zu erreichen. Der bereits gotisierte Kreuzgang im Süden sollte erhalten bleiben. Um fast zwölf Meter wurde der Chor nach Osten erweitert – das »Westwerk« mit den Türmen und der Propstei verbot es, nach Westen hin weiteren Raum zu gewinnen.
Als der Stiftspropst, der die Neuweihe seines »Erweiterungsbaus« nicht mehr erlebte, nach 20-jährigem Wirken 1508 starb, war viel geschehen: die Schließung der Gewölbe und ihre Bemalung durch den Eggenfeldener Meister Michel, der Anbau der Sakristei im Norden (der später zur Schatzkammer und von 2006 an zur Anbetungskapelle wurde), die Fertigung der Chor-Altartafeln und die Vorarbeiten für das Chorgestühl, das 1510 vollendet wurde – unter maßgeblicher Beteiligung des seit 1511 als Bürger des 13 km entfernten Mühldorf nachweisbaren Bildhauers Matthäus Krinis.
Aus dem Dunkel der Geschichte
Dieser Krinis tauchte erst kürzlich aus dem Dunkel der Kunstgeschichte Südbayerns auf. Er schnitzte ab 1513 mehrere Jahre an den eichenen Flügeln am Nord- und Südportal. Lange Zeit wurde vom »Meister der Altöttinger Stiftstüren« oder vom »Meister von Braunau« gesprochen, dem das großartige Werk zugeschrieben wurde. Vorsichtig war von der »stilistischen Verwandtschaft zum Salzburger Andreas Lackner« (Dehio, 2002) die Rede. Matthäus Krinis, von dem das Mühldorfer Museum im Lodronhaus Anfang 2011 die hochgotische Figur einer Madonna mit Kind erwarb, zeigt an den Altöttinger Stiftskirchen-Portalen ein meisterhaft komponiertes Flachrelief-Bildprogramm, das (am Nordportal) in die Heiligengestalten des »Apokalyptischen Weibes« Maria, von St. Ursula, St. Philipp und St. Jakob sowie in die Gestalten der vier großen Propheten des AT und der Kirchenlehrer kunstvoll und zeichenhaft Dämonen-Darstellungen und Tiersymbole einbaut.
Das Innere von Süddeutschlands letzter dreischiffiger spätgotischer Hallenkirche – Papst Benedikt, der schon als Bub die Kirche oft besuchte, nannte sie »die erste große Pilgerkirche Altöttings« – lohnt einen Rundgang, allein aus kunsthistorischen Gründen. Man stößt dabei auf Werke, die von der Gotik (ein romanisches Portal im Westen mit schönen Ecksäulen, einst Haupteingang zur Basilika des 13. Jahrhunderts, bleibt meist unbeachtet, ist aber lange wieder zugänglich) bis ins späte 19. Jahrhundert reichen. Der Hochaltar (um 1804) ist klassizistisch wie das von dem Trostberger Meister Joseph Benedikt Kapfer 1792 geschnitzte Chorgestühl, reines Rokoko sind die beiden vorderen Seitenaltäre, der schwere marmorne »Volksaltar« stammt von 1968. Auffällig: die linke, weiß gefasste Hauptaltar-Figur des hl. Bischofs Rupertus von Salzburg. Der Legende nach soll er das ganz in der Nähe verehrte Gnadenbild, von dem er eine Kopie in Händen hält, hierher gebracht haben.
Der weiße »Tod von Eding«
Wer vor dem Verlassen der Stiftskirche in Richtung Kapellplatz seinen Blick steil nach links oben richtet – und die meisten Besucher tun es unaufgefordert, irgendwie intuitiv oder imitativ –, sieht als Oberteil einer hohen Schrankuhr mit weißem Blatt und schwarzen Ziffern den kleinen weißen »Tod von Eding« seine Sense in gleichmäßigem Rhythmus schlagen, der, wie es naheliegt, den Tod eines Menschen versinnbildlicht. Das seltsame hölzerne, etwa einen halben Meter hohe Bildwerk eines menschlichen Skeletts könnte im 16. Jahrhundert entstanden sein, in Zeiten häufiger Pestepidemien. Kein Zweifel für Stadtpfarrer Günther Mandl: »Der `Tod von Eding` sagt uns wortlos durch seine Gestik die Aufforderung des Aschermittwochs: Memento homo quia pulvis es et in pulverem reverteris: Gedenke, o Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst. Die christliche Wachsamkeit wird durch ihn symbolisiert… : Lebe jeden Tag und jede Stunde so, dass du vor dem Tod und dem göttlichen Gericht keine Angst zu haben brauchst; bemühe dich immer, in der Freundschaft mit Christus und im Frieden mit allen Menschen zu leben…«
Tillysarg mit Schaufenster
Der Kreuzgang ist als klösterlich anmutendes, zur Meditation einladendes Bauwerk reich ausstaffiert mit beachtenswerten Epitaphen, Votivtafeln und Heiligenbildern, darunter einem Gemälde mit den 14 Nothelfern. Hierher gelangt man, wenn man die Stiftskirche durch das Südportal verlassen will – was einen Blick in ein verschwiegenes Gärtchen gewährt. In diesem Kreuzgang sind an die zwanzig Säulenkapitelle aus der Romanik erhalten, die als Kragsteine des Gewölbes herhalten. Zwei der freigelegten Joche zeigen die lustig betitelten Heiligen Drei Könige (der Schwarze heißt nicht Balthasar, sondern Walthaser) sowie die graphisch wirkende Muttergottes mit dem Jesuskind, datiert auf das Jahr 1497. Massiv, volksnah und theatralisch muten die realistischen Passionsszenen von I. Huber, datiert: 1899 – 1901, an, die ins Oberammergau der vorletzten Jahrhundertwende verweisen.
Bemerkenswert sind die Kreuzgang-Kapellen: Rastkapelle, Tillykapelle mit Gruft, Sebastianikapelle, Siebenschmerzen-Kapelle. Neben der Rastkapelle (sie gedenkt schlicht und kalt fünf patriotisch gesonnenen Altöttinger Bürgern, die hier am 28. April 1945 von der SS erschossen wurden) mit einem kräftigen »Christus in der Rast« ist eine Osterrieder-Krippe von 1905 zu bewundern. Christoforo Domenico Zuccali ist der Baumeister der einst gotischen Sebastianikapelle von 1681/82 mit Andreas Faistenbergers hochbarocker, bewegter Altargruppe »Pflege des heiligen Sebastian« von 1690. Die heutige Tillykapelle geht auf das gotische Peter- und Paul-Kirchlein von 1420 zurück. Das Porträt des Feldherrn der katholischen Liga aus dem Dreißigjährigen Krieg, Johann Tserclaes Graf Tilly, eines glühenden Verehrers der Altöttinger Gnadenmutter (zu seinem Kupfersarg mit »Schaufenster« führt eine gewagt steile Steintreppe hinab) malte 1932 kein Geringerer als Gebhard Fugel, der das weltberühmte Altöttinger »Panorama« schuf.
Zweites Altöttinger Gnadenbild?
Die zweistöckige Doppelkapelle zu den »Sieben Schmerzen Mariens« zu besuchen, kostet ein wenig Mühe. Stiftspfarrer Prälat Günther Mandl freut sich, dass von einigen diese Mühe nicht gescheut wird, um in diesem abseitig-intimen Ambiente gelegentlich eine Trauung oder eine Taufe zu begehen. Der profunde Kenner der Geschichte Altöttings und Autor des detailreichen, auf neuestem Erkenntnisstand befindlichen Kirchenführers (2007) Peter Becker macht auf »das kunstgeschichtlich bedeutendste« Werk aufmerksam, das hohe Beachtung verdiene: »das Epitaph des Georg Frey von 1509«, das in den Umkreis des »Meisters von Altmühldorf« gehöre. Leider, so ist aus eigener Erfahrung festzustellen, ist es nur einem Besucher zugänglich, den das Eisengitter den Zugang nicht verwehrt, das diesen hoch gelegenen Andachtsraum als doppelt kostbar ausweist.
Gerade der Frey-Epitaph mit der farbenfrohen Darstellung einer Art Rosenkranzmadonna und einem eigenartig positionierten nackten Jesuskind im Arm, mit den Heiligen Andreas und Sebastian sowie dem in einen Pelzumhang gekleideten Stifter führt nahe an die Zeit heran, auf die das Jubiläumsjahr 2011 verweist, fünf volle Jahrhunderte in die geschichtliche Vergangenheit. Acht Jahre nach der Neuweihe der Altöttinger Stiftskirche durch Bischof Berthold von Chiemsee am 28./29. September 1511 entstand das grandiose Bildwerk mit der Rosenkranzmadonna. Es könnte Altöttings zweites Mariengnadenbild sein. Vielleicht ist es Absicht, es vor den Augen der tagtäglichen hohen Besucherschar verborgen zu halten.
Zum Nach- und Weiterlesen:
Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Bayern IV: München und Oberbayern (S. 24 – 28), Deutscher Kunstverlag München/Berlin 2002
Peter Becker: Stiftspfarrkirche St. Philippus und Jakobus Altötting, Altöttinger Kunstverlag 2007
Kath. Kirchenstiftung (Hg.): Die Altöttinger Stiftspfarrkirche St. Philippus und Jakobus, Altötting 2010
Jubiläums-Veranstaltungen:
Die Ausstellung »500 Jahre Stiftspfarrkirche Altötting« wird am 3. April um 12.15 Uhr eröffnet. Sie findet in der Vorhalle und im Kreuzgang statt – beides wurde im Februar/März großenteils erneuert. – Der Passauer Bischof Wilhelm Schraml kommt am 7. und 8. Mai nach Altötting, um die »Weihe der Diözese Passau an die Gottesmutter« (7. 5., 17 Uhr) und einen Pontifikalgottesdienst zum Patrozinium (8. 5., 10 Uhr) zu zelebrieren.
Außerdem finden – bis zum Abschluss des Jubiläumsjahres am Silvestertag 2011 – Konzerte, Theateraufführungen, Gottesdienste, Begegnungen und Abendmusiken statt. www.stiftspfarrkirche-altoetting.de
Dr. Hans Gärtner
10/2011