Suche nach dem verlorenen Schatz
Die Volksliedsammlung von Otto Liebhaber




Den lustigen bayerischen Anti-Helden Fensterstock-Hias kennen heute immerhin noch einige, aber wer ist Otto Liebhaber? Der Mann mit dem klingenden Namen pflegte vor allem eine Leidenschaft: Das Sammeln alter Volkslieder und Liedertexte. In den 20er und Anfang der 30er Jahre klapperte er im Rupertiwinkel und rund um den Chiemsee alle Ortschaften ab und hielt schriftlich fest, was er zu diesem Thema hörte und in Erfahrung bringen konnte. 1934 begegnete er Wastl Fanderl (1915 bis 1991). Wie der aus Bergen gebürtige Musiker und Liedersammler Fanderl später berichtete, hielt Liebhaber seine Lieder und Textfunde auf kleinen Notizzetteln fest. Vier große Schachteln mit Zetteln sollen auf diese Weise zusammengekommen sein – wertvolles bayerisches Kulturgut und ein wahrer Schatz. Doch dieser Schatz ist verschollen. Und mit der Wertschätzung ist es so eine Sache. Im Bayerischen Rundfunk dominieren englischsprachige Songs und in bayerischen Schulen wird den Kindern das bayerische Liedgut auch nicht vermittelt – so kommt es, dass dieser Schatz kaum vermisst wird.
Der Lehrer Otto Liebhaber aber erkannte den Wert der alten Überlieferungen. Liebhaber entstammte einer Bauernfamilie aus Regen im Bayerischen Wald. Er wurde am 28. Oktober 1874 in Grünbach (heute Gemeinde Kirchdorf im Wald) geboren. Als Volksschullehrer war er nach verschiedenen Stationen 17 Jahre lang in Ingolstadt tätig. Von dort kam er im Mai 1917 nach Traunstein. Hier wohnte er mit seiner Frau Rosa (geborene Höllerer) im Haus Stadtplatz 27 im ersten Stock. Das Ehepaar hatte zwei Söhne (Waldemar, geboren 1906 und Otto, geboren 1908). Liebhaber beherbergte in seiner Wohnung einige Monate lang einen nachmals berühmten Gast, den Schriftsteller Erich Mühsam. Diesem war im April bis Ende Oktober 1918 Traunstein als Zwangswohnort zugewiesen worden. Nach seiner Rückkehr von Traunstein nach München spielte Mühsam eine tragende Rolle bei der Revolution und der Ausrufung der Republik Bayern.
Liebhaber engagierte sich in Traunstein auch als Heimatforscher. Von ihm stammt die Erfassung der »Flurnamen der Gemarkung Stadt Traunstein« – das Manuskript befindet sich heute hier im Stadtarchiv. Außerdem soll er als Schriftleiter des Traunsteiner Wochenblatts tätig gewesen sein. Diese Angabe geht wohl auf Sohn Otto zurück, lässt sich allerdings nicht belegen. Nach zwei Umzügen innerhalb Traunsteins zogen die Liebhabers 1935 schließlich nach München, wo sie eine Wohnung in der Berg-am-Laim-Straße 1 nahmen. 1939 starb Otto Liebhaber. Sein Grab auf dem Ostfriedhof existiert nicht mehr; doch auf dem Westfriedhof, wo der 1995 verstorbene Sohn Otto bestattet wurde, erinnert dessen Grabstein auch heute noch an den Vater.
Ernst Schusser, amtierender Volksmusikpfleger des Bezirks Oberbayern, ging den Hinweisen von Wastl Fanderl auf die verschollene Liedersammlung von Otto Liebhaber nach und machte sich vor 20 Jahren auf die Suche. Die Familie hat die Zettelsammlung nach dem Krieg an die Bayerische Akademie der Wissenschaften in München übergeben, erfuhr Schusser von Otto junior. Schriftliche Belege der Übergabe sind jedoch anscheinend nicht erhalten – und bei der Akademie in München weiß man heute nichts mehr davon: Weder beim Institut für Volkskunde der Kommission für bayerische Landesgeschichte noch beim Projekt Bayerisches Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften findet sich eine Spur der Liebhaber-Sammlung. Trotz intensiver Suche ist und bleibt sie spurlos verschwunden. »Nur noch Abdrucke einzelner Lieder im ‘Leibhaftigen Liederbuch’ (Erfurt 1938), Abschriften Wastl Fanderls und einzelne Rekonstruktionen künden vom Reichtum der Liedersammlung Otto Liebhabers«, bedauert Ernst Schusser.
Seit 1984 sammelt der Bezirk Oberbayern Dokumente regionaler Musikkultur. Das Volksmusikarchiv umfasst inzwischen – unter anderem – mehr als 140000 Lieder und 300000 Melodien. Zusammen mit Otto Liebhaber junior und Enkel Horst trug Ernst Schusser vor 20 Jahren noch vorhandene Schriften Liebhabers zusammen und bemühte sich, einzelne Teile seiner Sammlung für das Archiv zu rekonstruieren. »Wenn Sie, liebe Leser, von Otto Liebhaber etwas wissen, teilen Sie es uns bitte mit!«, appellierte Ernst Schusser 1995 in einem Zeitungsbericht. Der Bericht erschien jedoch nur im Landkreis Rosenheim, wo der Appell damals ohne Resonanz blieb. Deshalb sei er hier noch einmal wiederholt. Denn wer weiß, vielleicht finden sich ja in einer Familie oder bei einem Verein im Rupertiwinkel oder in der Region Traunstein doch noch Erinnerungen oder Informationen zu Otto Liebhaber. Das in Bruckmühl ansässige Volksmusikarchiv wäre sehr daran interessiert. Es ist telefonisch zu erreichen unter 08062/5164 oder per Mail: volksmusikarchiv(at)bezirkoberbayern.de.
Der Roßkäfer
Ein Maiser Bub mußte seinem Vater, der auf dem Schlehberg Stöcke reutete, die Brotzeit bringen. Der Vater zeigte ihm die Brombeeren, die dort wuchsen. Der Bub, der noch keine Brombeeren kannte, sagte fürsichtig: »Voda, die wechan hand die Zeitigen?« – »Die schwarzen.« – »Deaf ma die routn aa essn?« – »Na, die routn hand no grean.« Weil sich der Bub über diese Antwort nicht ganz klar war, kostete er selbst und fand, daß nur die großen schwarzen, die so schön glänzten, süß waren; aber die reiffsten fielen bei leisester Berührung unter die Staude. Als der eine Strauch geleert war, bückte sich der junge Maiser und fischte die Heruntergefallenen aus dem Gestrüpp. Eines der schwarzen, kugeligen Dinger am Boden war besonders groß und glänzend und obwohl es ein wenig merkwürdig aussah, schob es der Schlecker wie die andern in den Mund. Er machte aber bald ein hantiges Gesicht, denn das Ding war nicht süß und sträubte sich kratzend im Halse. Nachdenklich stand der Bub vor der Brombeerstaude, dann wandte er sich zum Vater. »Voda«, fragte er, »ham die Browa Füaß aa?« – »Dalketer Bua, wie kimst af a sechane Frag!« – »A so halt!« Und er machte sich schweigend an eine neue Brombeerstaude.
Otto Liebhaber
(Aus: Niederbayerische Sagen und Geschichten. Hg. Von Martin Buchner. Passau 1922)
Heike Mayer
31/2017