Spannender Streifzug durch die Traunsteiner Geschichte
Franz Haselbeck veröffentlicht Bildband zur historischen Plakatsammlung des Stadtarchivs – Teil I


Das älteste gedruckte Plakat der Traunsteiner Sammlung stammt dann aus dem Jahr 1846 und ist wieder eine Anordnung von ganz oben mit dem ungelenken Titel: »im Namen seiner Majestät, des Königs von Bayern, die Handhabung der Policei auf öffentlichen Straßen betreffend«. Eigentlich handelt es sich dabei, wie Franz Haselbeck erklärt, um eine Wandzeitung, aus heutiger Sicht inhaltlich auch noch mehr als überfrachtet und ohne graphische Elemente, die den Inhalt etwas auflockern. Die 19 Paragraphen umfassende Bleiwüste ist allerdings alles andere als staubtrockene Lektüre, sondern entpuppt sich beim genaueren Lesen als ungeahntes Zeugnis vergangener Lebenswelten – ein Bereich, der von der historischen Forschung auch wegen der mangelnden Quellen oft vernachlässigt wird und dabei aber gerade über den Alltag unserer Ur-Ur-Großeltern so viel interessantes verraten kann, zum Beispiel, dass Mautgebühren für Straßen und Brücken keine Erfindung heutiger Verkehrsminister sind – und auch die Zweckentfremdung von Steuergeldern sorgte schon anno dazumal für Unmut: König Ludwig I. ermahnte seine Beamten in der Verordnung von 1846, das mit den Straßenzöllen eingenommene Geld »vorzüglich und, wo es nöthig ist, ausschließlich« für die Instandhaltung der entsprechenden Infrastruktur zu nutzen. Zumindest sind aber die den Verkehrsteilnehmern von anno dazumal drohenden Strafen weit humaner geworden: Wie das historische Plakat verrät, drohte Personen, die Straßenschilder oder andere öffentlich ausgestellte Gegenstände beschädigten und das nicht anzeigten, eine Gefängnisstrafe von acht Tagen bis zu sechs Monaten und wahlweise dazu körperliche Züchtigung. Missetäter, die beim Tabakrauchen auf hölzernen Brücken oder beim zu schnellen Reiten oder Fahren über dieselben erwischt wurden, kamen da mit einer Strafe von drei Talern vergleichsweise glimpflich davon.
Doch das Leben unserer Vorvorderen bestand nicht nur aus obrigkeitlichen Vorschriften und Ermahnungen; wie Franz Haselbeck bei der Aufarbeitung der archivierten Plakate feststellte, war dem Traunsteiner Publikum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in Sachen Unterhaltung schon etliches geboten. In den 1880er Jahren – Film und Fernsehen waren damals noch Jahrzehnte entfernt – hatte sich eine rührige Theatergesellschaft namens »Räuber« gegründet, die sich kurz darauf jedoch in den offensichtlich passenderen Namen »Frohsinn« umbenannte. Das mit heimischen Laiendarstellern besetzte Ensemble trat im Saal des Gasthauses »Zum Löwen« sowie im »Höllbräukeller« mit jährlich mehrmals wechselnden Stücken auf. 1886 standen, neben dem »Glöckner von Notre Dame« von Victor Hugo die Volksstücke »Der Geigenmacher von Mittenwald« sowie »Lorle oder die Frau Professorin« auf dem Programm und sogar an Goethes »Faust und Gretchen« hatten sich die Mimen herangewagt, womit sie dem Publikum aber keine allzu große Freude bereiteten, wie ein Zeitungsartikel andeutet: »Aus der Dichtung war fast nichts gestrichen, und so dauerte die Aufführung volle vier Stunden, was auch nicht Jedermanns Geschmack ist. Herr Wagner als Faust war unübertrefflich, meisterhaft in allen seinen Handlungen, nur sprach er etwas schnell, man konnte seinen Worten kaum folgen«, urteilt der damalige Kritiker. Das Kino, damals noch »Kinemathograph« genannt, was wörtlich aus dem Griechischen übersetzt »beschreibende Bewegung« bedeutet und für Apparate benutzt wurde, die fotografisch festgehaltene, bewegte Bilder lieferten, hielt dann erst um 1910 in Traunstein Einzug. Was die Besucher in den noch tonlosen Filmen zu sehen bekamen, verrät ein Plakat vom Mai 1912 mit dem verheißungsvollen Titel »Vollständigen neuen Prachtprogramm«: das bestand aus wahrscheinlich jeweils nur einige Minuten dauernden Filmchen, unter anderem von einem Stierrennen auf der Insel Camargue, dem »prunkvollen Indien« sowie der »hochkomischen« Geschichte »Fritzchen lauscht im Küchenschrank«, gespielt »von dem kleinen Adelhart«.
Zwei Jahre später ist es mit der leichten Unterhaltung dann erst einmal vorbei: Im August 1914 hatte jener Krieg begonnen, den viele zunächst spätestens bis Weihnachten beendet sahen, der tatsächlich aber vier lange, schreckliche Jahre andauern und von der Bevölkerung in zunehmendem Maße ihren Tribut fordern sollte. 1916 rief ein Plakat, im damals gerade hochmodernen Jugendstil gestaltet, die Bevölkerung zum Verkauf von Goldschmuck oder Münzen auf. In kontrastreichen, bunten Farben ist darauf eine Frauenfigur mit wallendem blonden Haar und einer Eisenfessel am Fuß abgebildet, auf deren ausgestreckter Hand eine weiße Taube mit Olivenzweig im Schnabel thront. »Bringt euer Gold zur Goldankaufstelle«, »Gold zerschlägt Eisen«, prangt auf dem Druckwerk, mit dem die Deutsche Reichsbank den zunehmenden Schwund ihrer Goldreserven zu stoppen versuchte. Die örtliche Ankaufsstelle befand sich im Gebäude der Realschule in der Marienstraße, wie ein Akt aus der damaligen Zeit zeigt, in dem auch vermerkt ist, dass aufgrund dieses Aufrufs Gold und Silber im Gesamtwert von knapp 10500 Reichsmark eingingen. Zwei Jahre später ist das unsägliche Sterben auf den Schlachtfeldern noch immer nicht vorbei und von der Not und dem Elend, unter denen auch die zivile Bevölkerung in Bayern zunehmend leidet, zeugen zwei Plakate aus dem Stadtarchiv, auf den die dazu aufgerufen wurden, Brennnesseln zu sammeln. Seit dem Kriegseintritt der USA war Deutschland von der Zufuhr von amerikanischer Baumwolle abgeschnitten, weshalb nun heimische Fasern zur Produktion von Textilien verwendet werden mussten. Die Idee war damals nicht neu: Schon vor Jahrtausenden wurde aus den durch ihre Länge und Reißfestigkeit geeigneten Bastfasern im Stängel von Brennnesseln Nesselfäden bzw. Stoff gefertigt. Dass der öffentliche Aufruf auf größere Resonanz stieß, ist eher zu bezweifeln, denn die Ehefrauen und Mütter an der Heimatfront mussten schon genügend Zeit aufwenden, um an immer knapper werdende Lebensmittel zu gelangen und darüber hinaus auch noch die liegengebliebene Arbeit ihrer Männer, die im Feld oder schon gefallen waren, miterledigen. Dass sie dabei gesellschaftlich wie auch rechtlich immer noch als Wesen zweiter Klasse behandelt wurden, wollten sich die deutschen Frauen nach vier Jahren Krieg dann endgültig nicht mehr gefallen lassen. Bewegungen, die für das Wahlrecht des weiblichen Teils der Bevölkerung auf die Barrikaden gingen, hatte es zwar schon etliche Jahrzehnte zuvor gegeben, doch erst 1918 wurde ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Damit die Frauen und Mädchen von diesem so mühsam erkämpften Recht auch Gebrauch machten, hatten sieben Traunsteinerinnen für die Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919 Veranstaltungen organisiert und Plakate drucken lassen, auf denen sie ihren Geschlechtsgenossinnen erklärten, dass sie zukünftig nicht nur dazu berufen seien, »im Haus Ordnung zu halten, sondern durch das Wahlrecht der Frauen im Staate mitzuhelfen, geordnete Zustände herbeizuführen«, damit nicht noch weiter »grenzenloses Elend und Hungersnot« über die bayerische Bevölkerung hereinkomme. Die Aufrufe von damals scheinen dann auch gezogen zu haben, und das gilt nicht nur für Traunstein, denn insgesamt 82 Prozent der weiblichen Wählerinnen im gesamten Deutschen Reich nutzten im Januar 1919 die Chance und gingen an die Urnen. Nicht einmal zwei Jahrzehnte später erwies sich das Plakat dann auch als ideales Medium zur Verbreitung perfidester NS-Propaganda.
Susanne Mittermaier
Teil 2 in den Chiemgau-Blättern Nr. 39 vom 30. 9. 2017
38/2017