Sessellift zu den Grassauer Almen
Planungen vor 50 Jahren zur Belebung der Wintersaison in Grassau







Vor mehr als 100 Jahren zogen die ersten Skifahrer ihre Spuren auf den Tiefschneehängen der Grassauer Almen. Nachdem die ersten Wintersportfreunde erst vereinzelt genüsslich ihrem Freizeitvergnügen nachgingen, änderte sich dies mit der Gründung des Ski-Clubs am 29. April 1927 im Nebenraum des Gasthofs Weißbräu unter dem Vorsitzenden, dem Apotheker Dr. Franz Schaaf. So wurden in dem ausgedehnten Almgebiet im Winter Skiwettkämpfe durchgeführt und auch 9 Almkaser angemietet. Teils geschah dies auch in Zusammenarbeit mit dem Skiclub ‚Wilde Bande in München’. Die enge freundschaftliche Verbindung half zudem bei der Durchführung des ersten Skirennens auf den Grassauer Almen am 20. Februar 1927.
Durch intensive Werbung auch in München und auch durch mehrere Meisterschaftsrennen der Münchner Burschenschaftler gewann das Gebiet an der Hochplatte und Friedenrath zunehmend an Bedeutung.
Auch unter Berücksichtigung der abnehmenden Übernachtungszahlen und der sehr ruhigen Wintersaison entwickelte der damalige Gemeindesekretär und spätere Bürgermeister von Grassau, Jakob Häringer, 1932 die Idee das Gebiet von der Kampenwand bis zu den Grassauer Almen durch Anschluss an die Queralpenstraße zu erschließen. So schrieb er: »Nicht nur im Sommer würden herrliche Gebiete erschlossen werden, noch mehr erschlossen würden sie dem Wintersportler werden. Das Kampenwandgebiet, das Geigelsteingebiet und das Gebiet der Grassauer Almen, würde damit noch weit günstiger dem Sportsmann zu präsentieren sein. In zwei Stunden kann der Münchener unter Benützung der Autobahn auf den Grassaueralmen bereits den Ski an den Fuss schnallen.«
Diese Vorschläge aus dem Chiemgau fanden bei der späteren Planung der Queralpenstraße aber keine Berücksichtigung.
Nach dem zweiten Weltkrieg entwickelte sich langsam wieder der Fremdenverkehr im Achental und so auch in Grassau, Rottau und Marquartstein. Im Jahre 1963 zählte 57 883 Übernachtungen und im Jahre 1964 5773 Gäste mit 61 694 Übernachtungen. 1965 stieg die Gästezahl auf 8058 mit 68 167 Übernachtungen. 1966 gab es eine Gästezahl von 8120 Personenmit 76 191 Übernachtungen. Die Gästezahlen im Sommer blieben recht konstant, während sie in der Vor- und Nachsaison sehr bescheiden blieben. Von Wintersaison konnte man trotz einiger Werbeversuche kaum sprechen. Die Grassauer Almen wurden lediglich von den einheimischen Skifahrern und einigen wenigen Skisportbegeisterten aus München im Winter besucht. 1967 erschien das farbige Ortsprospekt, mit dem Werbung in ganz Deutschland für den aufstrebenden Fremdenverkehrsort Grassau gemacht wurde.
Zur Förderung des örtlichen Fremdenverkehrs mit seinen vielen Kleinvermietern und insbesondere auch der Förderung der Wintersaison machten sich sowohl die Vermieter als auch die Verwaltung im Grassauer Rathaus intensive Gedanken.
So nahmen, angestoßen durch den Grassauer Oberinspektor Claus-Dieter Hotz, Geschäftsleiter der Verwaltung im Rathaus in Grassau, 1968 Pläne fürdenBaueines Sessellifts von Einöd amwestlichen Ortsrand zu den Grassauer Almen konkrete Formen an. Hierzu schrieb im Oktober das Traunsteiner Wochenblatt:
»Skigelände Einöderberg soll erschlossen werden«
Sessellift zu den Grassauer Almen Aktiengesellschaft wird gegründet – Viele tun schon mit
Grassau. Auch in Grassau machte man sich Gedanken über die Errichtung eines Sesselliftes. Von Oberinspektor Hotz kam der Plan, die Grassauer Almen durch eine Liftanlage besser zugänglich zu machen. Dieses Almgebiet, besonders geeignet für aussichtsreiche Bergwanderungen im Sommer und für den Skisport im Winter bis ins Tal nach Rottau, Grassau und Marquartstein liegt auf einer Höhe von 850 Metern und bietet im Winter Schneesicherheit. Das Gelände erhebt sich westlich von Grassau direkt aus der vorgelagerten Ebene der Rottauer Filze und der Kendlmühlfilze, westlich hinter dem Ortsteil Einöd, der an der Straße von Grassau nach Rottau liegt. Die höchste Erhebung mit prachtvollem Blick in die Berge und hinaus auf den Chiemsee bildet der 920 Meter hohe Einöderberg. Südlich von diesem Aussichtspunkt erstreckt sich das Gelände der Grassauer Almen.
Hotz sprach imletzten Halbjahr bei 360 Haushaltungen im Grassauer Raumvor, erläuterte das Projekt und suchte Mitarbeiter. Er besitze heute schon 270 Unterschriften von Bürgern aus Grassau und Marquartstein, die aktiv mitmachen und auch ihr Scherflein dazu beitragen wollen. Zuerst wollte man mit einer zu gründenden Genossenschaft die Anlage errichten, nun aber entschloß man sich, eine Aktiengesellschaft aus der Taufe zu heben.
Man will von Einöd aus zuerst einen Doppelsessellift auf den Einöderberg bauen und oben das Skigelände mit einem Schlepplift erschließen. Vorbesprechungen mit den zuständigen Forststellen und mit dem Naturschutz verliefen günstig, diese Stellen zeigen Verständnis. Auch die betreffenden Grundeigentümer boten nicht die »kalte Schulter«, obwohl sie auch nicht sofort zu einem freudigen Ja zu bewegen waren.
In einer Aufklärungsversammlung im Gasthaus Sperrer stellte Oberinspektor Hotz den über 100 Anwesenden den Wirtschaftsprüfer Hans Wagner aus München vor, der eingehend über den Status der Aktiengesellschaft und über Pflichten und Rechte von Vorstand, Aufsichtsrat und der Mitglieder sprach. Er unterstrich, daß die Mitglieder einer Aktiengesellschaft nur mit dem Nennwert ihrer Aktien haften, sie haben aber das Recht, den Vorstand zu überwachen und zu entlasten, den Aufsichtsrat zu wählen und in der Mitgliederversammlung über die Verteilung der Gewinne zu entscheiden. Mit Mehrheit stimmten die Anwesenden der Bildung der »Aktiengesellschaft Grassauer Alm-Bergbahn« zu und wählten fünf sogenannte Gründungsmitglieder, die nun offiziell die Gründung einer Gesellschaft voranzutreiben haben.
Das Stammkapital wurde auf 100 000 Mark festgesetzt; der kleinste Nennbetrag jeder Aktie beläuft sich auf 50 Mark. Davon sind 20 % plus sechs DM Aufgeld, aufgerundet zusammen 20 Mark sofort einzuzahlen, was zum großen Teil schon erfolgt ist. Allein dieses Aufgeld darf zur Deckung der derzeit anfallenden Unkosten Verwendung finden. Die Restsumme ist bis zum Frühjahr 1970 zu begleichen. Oberinspektor Hotz regte an, weitere Mitglieder, Käufer von Aktien, zu werben und bat die ausgegebenen grünen Übernahme-Erklärungen zum Erwerb von Namensaktien bei den Banken (Volksbank Prien, Filiale Grassau, Kreissparkasse Traunstein, Zweigstelle Grassau- Marquartstein, Raiffeisenbank Grassau mit Filiale Rottau) abzugeben. Dort wird auch die Quittung für die Einzahlung der 20-prozentigen Aktiensumme vorgelegt.
Das Gesamtprojekt wird, so vermutet man, 1,5 bis 2 Millionen Mark kosten. Wirtschaftsprüfer Wagner betonte auf Anfrage, das Stammkapital dürfe nicht für Bauten verwendet werden. Die Finanzierung dieser Maßnahmen müsse über Geldgeber erfolgen, die an solchen Unternehmen Interesse haben.
Oberinspektor Hotz unterstrich anschließend, dieses Projekt sollte aus der Bürgerinitiative heraus entstehen. Es werde damit einem Gebiet mit rund 7200 Einwohnern (Grassau, Marquartstein und Rottau) mit jährlich ca. 200 000 Übernachtungen wesentlich geholfen.«
Schon im Vorfeld zu dieser Veranstaltung und zum Start der Werbeaktion hatte Claus-Dieter Hotz in einem sogenannten Gründungsbrief die Bürger über die Absichten der zu gründenden Alm-Bergbahn-Gesellschaft eindringlich die derzeitige Situation aufgezeigt.
»Schleching, Unterwössen, Bergen, alles gleichfalls Fremdenverkehrsorte in der Nähe Grassaus, machen energische Anstrengungen, Berggelände mit dem Bau von Liften und Bahnen zu erschließen. Grassau sollte nicht zurückstehen, denn es dürfe den Anschluß an den Fremdenverkehr nicht verlieren. Daher, so fuhr der Redner fort, soll aus der Bürgerschaft heraus in eigener Initiative der Anstoß kommen, eine Lift- oder Seilbahnanlage auf das Gebiet des Einöderberges zu bauen, womit man das Gelände der sogenannten Grassauer Almen mit der Rachel-, Hefter-, Hufnagel- und Wimmer-Alm erschließen könnte. Damit sei eine günstige Gelegenheit geboten, im Winter ab einer Höhe von 800 Metern sicher und lange skifahren zu können; außerdem bietet sich dieses Gelände mit prächtiger Aussicht ins Flachland und zum Chiemsee im Sommer zu Wanderungen an.
Der Einöderberg liegt westlich von Grassau, sozusagen oberhalb des bekannten Gasthauses Strehtrumpf, und erhebt sich direkt aus der Ebene des Rottauer Moores zu einer Höhe von 920 Metern. Nach Norden und Osten ist ihm kein Berg vorgelagert. Südlich davon liegen die erwähnten Grassauer Almen, die von Grassau, Marquartstein und von Rottau aus zugänglich sind und ein sehr schönes Skigebiet mit verschiedenen Abfahrtmöglichkeiten ins Tal aufweisen. Vom Ortsteil Einöde, direkt am Fuß des Einöderberges, verkehrsmäßig recht günstig an der stark frequentierten Straße von Reit im Winkl nach Bernau und Prien gelegen, soll ein Doppellift zu den Almen hinaufführen. Man plant, dort zunächst noch einen Schlepplift zu errichten.«
Dazu war geplant die Bergstation der geplanten Bahn im östlichen Teil des Großstaffen zu errichten und von dort für Bergwanderer und Skifahrer das Almgebiet der Grassauer Almen zu erschließen.
Der Verkauf der ersten Aktien lief vielversprechend an. Mehr als 250 Interessierte meldeten sich bei den Banken an und kauften sich die Berechtigungscheine für die Grassauer Alm-Bergbahn-Aktiengesellschaft. Obwohl Claus-Dieter Hotz anfänglich bei den Gesprächen mit den Grundstückseigentümern auf offene Ohren stieß, ergaben sich bei fortlaufenden Verhandlungen immer mehr Schwierigkeiten. Nachdem sich die Eigentümer der erforderlichen Grundstücke nicht mit der langfristigen Nutzung einverstanden erklärten, gaben die Initiatoren den Bau der Seilbahn enttäuscht auf. Sie waren aber von der Idee der Erschließung des Gebiets der Grassauer Almen für den Wintersport so überzeugt, dass sie im Hintergrund weitere Kontakte aufbauten und Gespräche über andere Möglichkeiten führten, zum Beispiel auch eine Erschließung aus der Nachbargemeinde Marquartstein.
In seinen Erinnerungen schrieb Claus-Dieter Hotz 2020 dazu: »Eingefallen ist mir in diesem Zusammenhang, wie es zum Bau der Hochplattenbahn in Marquartstein gekommen ist. Kurz nach der Aufgabe des Projekts Almbergbahn hatte ich die Gelegenheit, mit dem ehemaligen Regierungspräsidenten von Oberbayern, Dr. Johann Mang, das Gelände nach einem Aufstieg von Niedernfels aus zu besichtigen. Ziel war es, ihm das Gebiet auf der Südost-Seite des Großstaffen zu zeigen, das durch Almwirtschaftswege und eine Forststraße gut erschlossen war. Dr. Mang, seit 1963 dem Naturschutz eng verbunden, hielt eine Bahn vom Tal aus hinauf ins Almgebiet und einen Schlepplift im Bereich der Mojer-Alm für vertretbar.
Vermutlich um 1970 hatte ich davon Xaver Gnadl, meinem Kollegen in Marquartstein unterrichtet. Das führte dazu, daß sich die Gemeinde Marquartstein mit dem Projekt befasste und es auch verwirklichte.
Die Hochplattenbahn ging schließlich im Juni 1973 in Betrieb.
Es wurde also umweltverträglich ein wunderbares Alm- und Waldgebiet erschlossen. Im kommenden Jahr werden es dann 50 Jahre, daß die Nachbargemeinde damit begann, das Projekt zu verwirklichen.«
Die Beliebtheit dieser Seilbahn von Niederfels hinauf zu dem Almgebiet, das sich Grassau und Marquartstein teilen, zeigt sich heute vorrangig im Sommer durch die vielen Bergwanderer. Ihnen bietet sich ein ausgedehntes Wandergebiet mit schönen Almen und gut ausgebauten Wanderwegen über das Almgebiet um den Staffen herum oder hinauf zur Hochplatte und zum Friedenrath sowie hinüber zur Kampenwand.
Mein Dank gilt Claus-Dieter Hotz, der mir seine Unterlagen zur Geschichte der Seilbahn-Gesellschaft zur Verfügung stellte.
Olaf Gruß
47/2022