Jahrgang 2007 Nummer 21

Schöner ist Gottes Leiden nicht darzustellen

Im Haus der Kunst ist der bayerisch-schwäbische Bildhauer Georg Petel zu entdecken

»Chrisutus Salvator« (Detail) aus der St. Moritz-Kirche Augsburg (1630/32)

»Chrisutus Salvator« (Detail) aus der St. Moritz-Kirche Augsburg (1630/32)
»Christkind« aus der Barfüßerkirche

»Christkind« aus der Barfüßerkirche
»Hl. Sebastian« (Detail) aus der St. Georgs-Kirche Aislingen (1630/31)

»Hl. Sebastian« (Detail) aus der St. Georgs-Kirche Aislingen (1630/31)
Das Tödlein spannt den Bogen. Wen trifft sein Pfeil? Den Betrachter. Vorausgesetzt, er steht in der Zielgeraden. Doch siehe da: ein Pfeil fehlt dem Tödlein. Ihn muss der Betrachter des, sagen wir, 20 Zentimeter hohen, braun gebeizten Lindenholzfigürchens sich dazudenken. »Pfeilg’rad« 380 Jahre ist das Tödlein alt. Aber haben Sensenmänner denn überhaupt ein Alter? Wie sie zeitlos sind, so sind sie auch dem Altern nicht unterworfen. Ausgemergelt ist dieser Tod, den sich Leon Krempel, Kurator der Ausstellung »Georg Petel, Bildhauer im 30-jährigen Krieg« (München, Haus der Kunst, bis 19. August, täglich 10 bis 20 Uhr) vom Schlossmuseum Neuburg an der Donau lieh, ausgemergelt und runtergekommen. In Fetzen hängen dem zwei Spannen hohen Skelett die Kleider von den Knochen. Sein Bauch: eine finstere Schlucht. Seine Brust: durchlöchert. Seine Augenhöhlen ... – sind sie wirklich leer? Fehlt ihnen tatsächlich das Sehorgan? Man meint, das Tödlein blicke einen an. Trifft einen mitten ins Herz.

Wer solches schuf, muss begnadet gewesen sein. Georg Bettel, der sich, um auch im Amsterdam des großen Peter Paul Rubens, mit dem er befreundet war, bekannt zu werden, bald Petel nannte, erhielt nicht umsonst den Ruf eines »deutschen Michelangelo«. Er arbeitete in Holz. Und wurde zu einem der virtuosesten Elfenbeinschnitzer des damaligen Kunst-Europa. Doch goss er auch in Bronze. Monumentales. Sogar eine Büste des Bayern verheerenden Schwedenkönigs Gustav Adolf, den die Augsburger damals, 1632, nicht einmal mehr fürchteten als die Pest, die fünf Jahre zuvor wütete und 40 000 Menschen dahingerafft hatte.

Die reine Hölle war die Belagerung der Stadt seinerzeit, dafür sorgte die Katholische Liga. Der bereits ob seiner unnachahmlichen Schnitzkunst ruhmreiche, obwohl erst knapp über 30 Jahre alte Künstler aus dem heute oberbayerischen Weilheim (hier 1601/02 geboren) überlebte, im Gegensatz zu seiner Gemahlin, die Seuche in Augsburg nicht, wo er sich seit 1625 niedergelassen hatte. Nachdem er, der geborene Pfaffenwinkler, einige Gesellen- und Meisterjahre in Holland, Italien, Frankreich und dann wieder in Italien (besonders in Rom, Florenz, Livorno, Genua) hatte wirken können.

Die katholische Kirche war Georg Petels Hauptauftraggeber. Aber auch der (vor allem Genueser) reiche Hochadel. Entstanden sind, soviel bis heute bekannt, rund ein halbes Hundert Werke: Kleinplastik, Bronzen, lebensgroße Holzskulpturen. So schön starb Jesus bei kaum einem Künstler des Frühbarock. Ästhetischer kann das Leiden des Gottessohns am Kreuzesholz nicht dargestellt werden. Weiß glänzen die Spitzenstücke in den mit viel Zwischenraum gestellten Vitrinen: Elfenbeinschnitzereien allererster Güte. Ein Schweizer, der die Ausstellung beim Aufbau sah, soll ausgerufen haben: »Penetrante Qualität!« Verständlich auch, dass die Äbtissin des Pariser Karmeliterinnenklosters ihren elfenbeinenen Leidensmann, rückseitig auf einem Zettel vermerkt: »Georgius Petle, 1621, das Prunkstück ihres Kapitelsaals«, nur schweren Herzens rausrückte. Für ihren Konvent ist der Kruzifixus in erster Linie Andachts-, nicht Kunstgegenstand.

Nicht viel anders ist das mit den Leihgaben aus Kirchen, zumal aus Berliner, Dresdener, Kopenhagener, Stuttgarter und vielen anderen Museen, die einen »Petel« besitzen, nicht zuletzt das benachbarte Bayerische Nationalmuseum. Etwas mehr als die Hälfte des gesamten Petel’schen Oeuvre ist im Haus der Kunst bravourös in drei gut bestückten und legendierten Sälen zu sehen. Der hervorragende, handliche Katalog hat allerdings den Ehrgeiz, Petels Gesamtwerk darzustellen und abzubilden (24,90 Euro im Museumshop).

Hans Gärtner



21/2007