Schedels Weltchronik ist ein Buch der Rekorde
Nürnberger Arzt und Schriftsteller heuer vor 500 Jahren gestorben




Hätte es vor 500 Jahren schon so etwas wie das Guiness-Buch der Rekorde gegeben – Hartmann Schedel wäre mit seiner »Weltchronik« ein Eintrag sicher gewesen. An die 100 Setzer, Holzschnitzer und Drucker waren fast eineinhalb Jahre damit beschäftigt, das Mammutwerk, das alle Dimensionen der damaligen Zeit sprengte, zu produzieren. Doch das war nur der eine Teil der Arbeit: Zuvor hatte Schedel den umfangreichen Inhalt des »Liber chronicarum«, das stolze 600 Druckseiten umfasste, erst einmal zusammentragen und zu Papier bringen müssen. Dass die Kunst des Buchdrucks mit beweglichen Lettern erst wenige Jahrzehnte zuvor erfunden worden war, steigert den historischen Wert dieses außergewöhnlichen Werks noch zusätzlich.
Anlässlich des 500. Todestags von Hartmann Schedel zeigt die Bayerische Staatsbibliothek vom 19. November bis 1. März kommenden Jahres in einer Ausstellung mit dem Titel »Welten des Wissens« – die Bibliothek und Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel 1440 bis 1514, wie der Mediziner dazu kam, Aderlasse für eine historische Abhandlung aufzugeben. Im Mittelpunkt der Exponate steht dabei die von Schedel eigenhändig geschriebene Druckvorlage, die zusammen mit der Schedel’schen Familienbibliothek im 16. Jahrhundert nach München gelangt war.
Hartmann Schedel war 1440 als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns in Nürnberg zur Welt gekommen. Als der kleine Bub fünf Jahre alt ist, stirbt seine Mutter Anna und sechs Jahre später ist auch der Vater, der wie der Sohn Hartmann heißt, tot. Die verwaisten Kinder wachsen nun unter der Vormundschaft des Onkels Marcus Schedel auf. Mit 16 geht Hartmann nach Leipzig, um dort an einer der ersten Universitäten im deutschsprachigen Raum zu studieren. Dort widmet er sich vor allem dem Kirchenrecht – woraus sich nun aber nicht schließen lässt, dass er eine klerikale Laufbahn anstrebte. Wie alle Studenten der frühneuzeitlichen Universitäten musste auch Schedel erst eine Art Grundstudium durchlaufen, in dem die »Freien Künste« wie Grammatik, Rhetorik und Arithmetik gelehrt werden, ehe er sich dann dem Hauptstudium zuwenden konnte. Und das umfasste damals in der Regel nur drei Bereiche: Kirchenrecht, weltliches Recht und Medizin.
Als einer seiner Professoren Leipzig verlässt und nach Padua geht, um an der dortigen Universität zu lehren, folgt ihm Hartmann und schreibt sich in Medizin ein. Daneben studiert er auch Griechisch, Hebräisch und Italienisch. Anders als so viele junge Burschen, die, sobald sie der Fuchtel der Eltern entronnen sind, jede Gelegenheit nutzen, um die Nacht zum Tag zu machen und sich dem süßen Leben hinzugeben, konzentriert sich Hartmann ganz auf sein Studium und wird schon mit 26 Jahren zum Arzt und Chirurgen promoviert – nach nur drei anstatt der sonst üblichen fünf Jahre. Schedel folgt damit ganz dem Vorbild seines Vetters Hermann: Auch der hatte sich, einige Jahrzehnte vor seinem jüngeren Verwandten, zuerst an der Leipziger Hochschule eingeschrieben, um dann ebenfalls in Padua sein Studium als Dr. med. abzuschließen.
Dass es junge Herren aus dem weit entfernten Ausland in die oberitalienische Stadt zieht, hat vor allem mit den dortigen Studienbedingungen zu tun: Unter dem Schutz der Republik Venedig wurde den Professoren wie auch den Studenten in Padau ungewöhnlich viel Freiheit in Lehre und Forschung gewährt. Die aufstrebende Stadt, die nur einen Steinwurf von Venedig entfernt ist, entwickelte sich dadurch zu einem Hort für Intellektuelle und Künstler, die sich in diesem liberalen Klima bestmöglich entfalten können. Hartmann Schedel taucht mit Begeisterung in die wissenschaftliche Welt ein und beginnt, alles an Informationen zu sammeln – Bücher, Bilder, Schriftstücke – was sein Budget nur irgendwie erlaubt. Hermann Schedel, der selbst mit zahlreichen Gelehrten korrespondiert, bestärkt den Vetter in dessen Leidenschaft. 1461 schreibt er, als er erfährt, dass Hermann viel Geld für Literatur ausgegeben hat, dass Bücher treue Freunde und die aufrichtigsten und besten Ratgeber seien, die man finden könne.
Nachdem Hartmann 1466 die Prüfung zum Arzt erfolgreich abgelegt hat, klaubt er seine Bibliothek zusammen und macht sich mit dem kostbaren Gepäck auf den Weg zurück in seine Heimatstadt. In Nürnberg angekommen, tut der frischgebackene Dr. med. dann erst einmal das, was auch heute noch viele junge Leute nach ihrem Abschluss machen: Er nimmt sich eine Auszeit, ehe er ins Berufsleben einsteigt. Bei Schedel bedeutet das aber nicht, dass er sich irgendwo auf die faule Haut legt, um sich von den Strapazen des Studiums zu erholen, sondern er macht sich daran, seine in Italien begonnene Sammlung an geschriebenem und gedrucktem Wissen systematisch zu ordnen und zu ergänzen. In nur wenigen Jahren sollte es dem leidenschaftlichen Bücherliebhaber so gelingen, eine der bestsortierten wissenschaftlichen Privatbibliotheken der frühen Neuzeit aufzubauen. Schedel hat dabei aber nicht nur das Ziel, Regal um Regal zu füllen; er möchte auch möglichst viel Wissen aus seinen Werken schöpfen. Um schnell auf Informationen zurückgreifen zu können, legt er Register für seine Bücher an, verbessert und ergänzt, wo es ihm sinnvoll erscheint. In eine medizinische Abhandlung fügt er zum Beispiel eine Zeichnung des menschlichen Skeletts zur Veranschaulichung ein oder klebt ein A bis Z in ein bereits bestehendes Register, um die Stichwortsuche zu erleichtern.
Dass er seine Bibliothek um immer neue Werke ergänzen kann, verdankt er dem regelrecht explodierenden Büchermarkt: Dank der beweglichen Letter vervielfacht sich die Zahl der gedruckten Titel seit Mitte des 15. Jahrhunderts rasend schnell. Schedel nutzt diesen für ihn paradiesischen Zustand, indem er kauft und kauft, manchmal sogar mehrere Exemplare von ein und demselben Buch. Am Ende sollte seine Sammlung allein 667 Bände an Druckwerken umfassen, dazu noch einige hundert Handschriften. Zum Vergleich: Die über Jahrhunderte gewachsene Bibliothek des Klosters Emmeram in Regensburg bestand zur gleichen Zeit aus nur etwa 200 Büchern. Dass Schedels Sammlung nicht auseinandergerissen wurde, ist unter anderem seinem Enkel Melchior zu verdanken, der sie 1552 komplett an Jakob Fugger verkaufte. Der wiederum übergab die Bibliothek, zusammen mit seiner eigenen Sammlung, 1571 an Herzog Albrecht V. für dessen Hofbibliothek. In der Bayerischen Staatsbibliothek sind heute noch 670 Drucke sowie 370 Handschriften aus der Originalsammlung Hartmann Schedels erhalten, darunter auch das kostbare Exemplar der handgeschriebenen Weltchronik.
1470, vier Jahre nach der Rückkehr aus Italien beschließt Schedel, endlich auch als Mediziner zu praktizieren. Er nimmt eine Stelle als Stadtarzt in Nördlingen an, die er für die nächsten sieben Jahre behält. Danach wirkt er in Amberg, ehe er 1482 in seine Heimatstadt zurückkehrt. 1475 heiratet er die Nürnbergerin Anna Heugel, die nach zehn Jahren Ehe 1485 stirbt. Zwei Jahre später, 1487, geht er mit Magdalena Haller eine zweite Ehe ein. Sie stirbt 1505. Von den zwölf Kindern aus beiden Ehen erreichen nur sechs das Erwachsenenalter.
Hartmann Schedel gehörte in der Noris zu den wohlhabenden Bürgern. Er besaß mehrere Grundstücke und Lehnsgüter und erbte 1485 auch das Haus seines Vetters Hermann in der Burgstraße, in der übrigens auch ein gewisser Albrecht Dürer wohnte. Der ist zwar 30 Jahre jünger als Hartmann Schedel, doch heutige Wissenschaftler gehen aufgrund stilistischer Merkmale davon aus, dass er an der Herstellung der Holzschnitte für die »Weltchronik « beteiligt war. Dürer ging nämlich bis 1490 bei Michael Wolgemut in die Lehre – und der hatte 1487, zusammen mit seinem Stiefsohn Wilhelm Pleydenwurff, begonnen, die Illustrationen für Schedels Mammutwerk zu entwerfen. 1809 Holzschnittdrucke, die sich aber teilweise wiederholen, sollte das »Liber Chronicarum« am Ende enthalten und wurde damit zum am reichsten bebilderten Werk des 15. Jahrhundert. Die Chronik war ein Auftragswerk der Nürnberger Kaufleute Sebald Schreyer (1446 bis 1520) und Sebastian Kammermeister (1446 bis 1503). Schedels Konzept sah vor, die komplette Geschichte der Welt in einem einzigen Buch zusammenzufassen. Wie schon Schriftsteller vor ihm, teilt Schedel die Chronik in sechs verschiedene »Weltalter« ein, die sich an der biblischen Geschichte orientieren, er ergänzt jedoch die gängigen sechs Abschnitte um zwei weitere Kapital – den Weltuntergang und das Jüngste Gericht. Der umfangsreichste Teil im Buch ist das sechste Weltalter, das von Christi Geburt bis zum Jahr 1493 reicht.
Die Chronik ist aber weit mehr als nur eine religiöse Abhandlung. Durch seine Studienaufenthalte im Ausland hat Schedel schon in jungen Jahren seinen Horizont enorm erweitert, und das gilt nicht nur geographisch, sondern auch politisch und kulturell. Eine Geschichte der Welt beinhaltet für ihn deshalb auch die Beschreibung und Darstellung fremder Länder und deren Kulturen und selbst eine Portion Sensationsjournalismus fehlt nicht, denn Naturereignisse und mystische Begebenheiten fehlen genauso wenig wie Bilder der damaligen »Promis«, angefangen von Herrschern bis hin zur Litanei der Heiligen in der katholischen Kirche.
Schedel hat bei der Planung seines Layouts ganz scharfsinnig erkannt, dass der Leser schriftliche Informationen viel besser aufnimmt, wenn passende Bilder daneben stehen. Die Illustrationen bilden dabei ein buntes Sammelsurium an Personen, Gebäuden, Tieren und Natur. Besonders beeindruckend sind die teilweise zweiseitig angelegten Panoramen von Städten und Ländern, die heute vom Stil her zwar wie Zeichnungen eines begabten Grundschülers wirken, für die damalige Zeit dank ihrer plakativen Darstellung und der verwendeten kräftigen Farben zum Blickmagneten wurden, zumal Schedel auch etliche exotische Orte zeigt, die kaum ein Mensch der damaligen Zeit mit eigenen Augen je zu Gesicht bekam. Die Schedel’sche Chronik ist damit nicht nur ein umfassendes Geschichtskompendium sondern auch so etwas wie der erste Atlas der Welt.
Damit auch Nicht-Gelehrte das »Liber Chronicarum« lesen können, wurde zusätzlich zur lateinischen Ausgabe auch eine deutsche Version in Deutsch verlegt; allerdings dürfte die Auflage des lateinischen Drucks wesentlich höher gewesen sein, da diese für den europäischen Markt gedacht war. Gedruckt wurde das Werk vom Nürnberger Anton Koberger, einem der erfolgreichsten Verleger und Buchhändler der damaligen Zeit. Mit der »Weltchronik« war Koberger allerdings, trotz des heute herausragenden kulturellen Stellenwerts, kein großes Geschäft beschieden. Knapp zwei Jahrzehnte nach Erscheinen lagerten noch knapp 600 der Bücher bei ihm zu Hause. Heute erzielen gut erhaltene Exemplare des »Ladenhüters« dagegen Preise von bis zu einer halben Million Euro.
Für alle, deren Geldbeutel etwas kleiner ist: Das handgeschriebene Exemplar kann in der Ausstellung ab 19. November kostenlos bewundert werden, und wer den Besuch nicht schafft, kann das Werk demnächst auch, zusammen mit einer Vielzahl bereits online verfügbarer Bücher aus Schedels Besitz, über die digitale Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek anschauen unter www.digitale-sammlungen.de.
Susanne Mittermaier
Die Ausstellung ist geöffnet:
19.11.2014 bis 01.03.2015. Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag/Sonntag 13 bis 17 Uhr. An Feiertagen geschlossen. Bayerische Staatsbibliothek, Schatzkammer (1. Stock), Ludwigstraße 16, 80539 München, U3/6, Bus 154, Haltestelle Universität, Bus 100, Haltestelle Von-der-Tann-Straße.
45/2014