Pulverisierte Maulwürfe, Muscheln und Menschenknochen
Naturmedizin anno dazumal oft wirkungslos, extrem eklig und potentiell tödlich


Egal, ob gegen Stress, Falten, Wechseljahrebeschwerden, Speckringe oder Hühneraugen: In keiner modernen Zeitschrift kommt man heute an Tipps gegen die Wehwehchen dieser Welt vorbei. Ein seit Jahren ungebrochener Trend bei der Behandlung von Krankheiten oder bei kosmetischen Problemen ist dabei die Verwendung von natürlichen Zutaten, am besten selbstgebraut in der hauseigenen Hexenküche mit Mischungen, auf die schon unsere Urgroßeltern schworen.
Bei der Verwendung traditioneller Rezepturen ist allerdings durchaus Vorsicht geboten, denn nicht alles, was den Stempel »althergebracht« trägt, ist auch tatsächlich empfehlenswert, wie Beispiele aus historischen Medizinratgebern zeigen. Heute käme zwar kaum jemand auf die Idee, die folgenden Mixturen tatsächlich nachzumischen, weil sie nach heutigem Empfinden nicht nur extrem eklig, sondern auch zum Großteil völlig wirkungslos und mitunter sogar gefährlich für die Gesundheit sind, und man kann nur hoffen, dass so mancher Kranke, der mit den Mischungen malträtiert wurde, am Ende nicht noch schlimmer dran war, als ohne die Behandlung.
Die zum Teil wirklich hanebüchenen Rezepturen verschaffen jedoch einen interessanten – und zugleich auch erschreckenden – Einblick in eine Welt, die tatsächlich noch gar nicht so lange passé ist. Das Werk »Der schwarze Rabe oder mehr als 99 enthüllte Sympathiemittel« stammt beispielsweise von 1868 – und damit einer Zeit, die unsere Urgroßeltern noch erlebt – und hoffentlich nicht als Ratgeber verwendet haben. Die angeblich aus dem Repertoire eines alten Schäfers stammende Sammlung an Rezepturen war sowohl zur Behandlung von Vier- wie auch Zweibeinern gedacht, für Letztere unter anderem mit einem Wässerchen, das ein »außerordentliches gutes Gedächtnis« verschaffte.
Dafür sollte eine Mischung aus Melissen-, Eber-, Isop-, Salbei- und Rautenkraut, Lorbeerblättern, Rosmarin, Pomeranzenblättern, Lavendelblüten, Kalmus- und Baldrianwurzeln, Ingwer, Zimt und Nelken in einem Krug mit weißem Wein vermischt werden. Das Gefäß, mit einer durchstochenen Schweinsblase verschlossen, musste anschließend zehn Tage auf einem warmen Ofen stehen, und die Flüssigkeit anschließend durch ein Leintuch gefiltert werden. Der Kräuteressenz wurden dann noch je 30 Tropfen Ambra-, Agstein- und Bibergeiltinktur zugesetzt. Ambra, eine Substanz aus dem Verdauungstrakt von Pottwalen, Agstein (= Bernstein) und Bibergeil, ein moschusähnliches Sekret, das aus den Beuteln des Bibers gewonnen wird, fand Verwendung für eine ganze Reihe von Beschwerden wie Gicht und Krämpfe und galt dazu als Aphrodisiakum. Mit der als »wunderbar« angepriesenen GedächtnisEssenz sollte man sich drei- bis viermal im Monat an den Schläfen einreiben und – dadurch »alles, was man hört und liest, behalten«, so die vollmundige Versprechung. Falls irgendeiner der Verwender tatsächlich eine verbesserte Leistung seines bzw. ihres Oberstübchens verspürt haben sollte, dürfte es sich dabei allenfalls um den sogenannten Placebo-Effekt gehandelt haben – aber Glaube versetzt ja bekanntlich Berge.
Möglicherweise kann Einbildungskraft ja auch unerwünschte Körpermale zum Verschwinden bringen; was die folgende, ebenfalls aus dem »Schwarzen Raben« stammende Medizin zur Beseitigung von Leberflecken eher nicht geschafft hat: Um Muttermale los zu werden, so die Empfehlung, schneide man Meerrettich in Würfel, gebe diese in ein Glas und übergieße sie mit Weinessig. Das verschlossene Gefäß musste anschließend zwei Wochen in der Erde vergraben werden. Den verschärften Essig sollte man anschließend »mehrere Male« vor dem Schlafengehen auf die Flecke auftragen, die dann in »kürzester Zeit« verschwänden.
Wer schon mal versucht hat, lästige Altersflecken oder Sommersprossen los zu werden, wird jetzt sicher geschmunzelt haben, denn wenn überhaupt, muss man schon wochenlang mit entsprechenden Mitteln cremen und schmieren, um überhaupt einen erkennbaren Erfolg zu erzielen.
Dass die Volksmedizin vergangener Tage – neben einigen durchaus wirkungsvollen Mitteln – eine so große Zahl an quacksalberischen Behandlungen hervorgebracht hat, liegt vor allem an zwei Faktoren: Bis ins 20. Jahrhundert steckte die Diagnostik und Behandlung vieler Krankheiten noch in den Kinderschuhen und dazu waren abergläubische Bräuche und Riten vor allem bei der ländlichen Bevölkerung hoch im Kurs, wobei die Empfänglichkeit für abstruse Praktiken offenbar kaum Grenzen kannte, wie das folgende Beispiel zur Behandlung von Magengeschwüren belegt: »Lege einen lebendigen Regenwurm in der Nabelgegend auf den Unterleib. Das Haupt muss nach dem Magen zu gehen, binde ihn fest, lasse ihn Tag und Nacht darauf liegen, er wird durch die Wärme sterben. Man vergrabe den Wurm dann auf einem Kirchhof; wenn er verwest ist, wird die Geschwulst vergehen«, so die tatsächlich ernst gemeinte Empfehlung.
Nach heutigem Empfinden noch widerlicher – und nicht minder wirkungsfrei – liest sich ein Hausmittel, das gegen »Rote Ruhr« helfen sollte, eine bakterielle Infektionskrankheit mit schwersten, oft blutigen Durchfällen, die bis zur Erfindung von Antibiotika häufig tödlich endete. Der approbierte Arzt Heinrich von Gerstenbergk listet die Rezeptur in einem in den 1830er Jahren erschienenen Werk auf – und empfiehlt dabei, den Erkrankten nicht über die Einzelheiten der Prozedur zu informieren – ein Tipp, der sicher angebracht war, denn hätte der Patient gewusst, was er da schluckte, hätte sich zum Durchfall ganz sicher auch noch Erbrechen gesellt: »Man nehme pulverisierte Menschenknochen in roten Wein ein, oder man tunke ein Stückchen Holz in den Stuhlgang des Kranken und stecke es dann mit dem nämlichen Ende in ein Stückchen Speck. Diesen Speck zerlasse hernach und gib dem Patienten, ohne dass er von der Vorrichtung dieser Speise weiß, ein oder zwei Esslöffel davon zu essen«, so die Anweisung.
Knochen oder andere Teile von Leichnamen als Heilmittel zu verwenden war eine Methode, die früher nicht nur von Scharlatanen, sondern auch arrivierten Medizinern angewandt wurde wie beispielsweise dem im 16. Jahrhundert praktizierende Salzburger Arzt und Forscher Paracelsus. Grundlage der ursprünglich aus dem arabischen Kulturkreis kommenden Praxis war die Annahme, dass in toten Körpern Heilkräfte steckten, die gegen bestimmte Leiden wie beispielsweise Epilepsie, damals als Fallsucht bekannt, helfen.
Besonders viel Wirkung versprach man sich übrigens von der Verwendung der sterblichen Überreste von Hingerichteten, da deren natürliche Lebensspanne gewaltsam verkürzt worden war. Die Lebenskraft, die sie bis zu ihrem späteren, natürlichen Ende noch zur Verfügung gehabt hätten, so die Vorstellung, war nach ihrem Tod noch vorhanden und konnte durch Verwendung von Leichenteilen als Medizin, auf Kranke übertragen werden.
Der Aberglaube schlug in diesem Zusammenhang aber noch weitere Blüten: Heilende Wirkung wurde beispielsweise auch der Kleidung nachgesagt, die Hingerichtete bei der Exekution am Leib trugen oder dem Strick, an dem sie aufgehängt wurden, falls es sich um eine Hinrichtung per Strang handelte. Fetzen der Kleidung wurden beispielsweise in Branntwein eingelegt, den Kranke zur Stärkung trinken mussten.
Neben den sterblichen Überresten gerade Verstorbener wurde übrigens auch Jahrtausende alten Mumien heilende Wirkung nachgesagt, was im Mittelalter zu einem regen Geschäft zwischen dem Orient und Europa führte. Die Heilkraft, so die Vorstellung, beruhte auf dem zur Konservierung von Toten verwendeten paraffinhaltigen Erdöl, dessen kräftefördernde Eigenschaften durch den Kontakt mit Leichenteilen noch verstärkt wurde. Die konservierten Körper, die seit dem Mittelalter nach Europa gelangten, wurden dabei zu Pulver vermahlen, das in jeder gut sortierten Apotheke teilweise noch im 20. Jahrhundert erhältlich war und bei allen möglichen Krankheiten zur Stärkung verabreicht wurde.
Doch auch die heimischen Wiesen und Wälder waren Quellen für Mittelchen, die der Volksmedizin zufolge gegen Kraftlosigkeit helfen sollten. Bei Lendenschwäche beispielsweise sollte Knabenkraut den betreffenden Herren auf die Sprünge helfen. Als heilender Bestandteil der Pflanze galten dabei die Knollen, denn sie besaßen eine große Ähnlichkeit mit männlichen Hoden. Der dabei zu Grunde liegenden Lehre zufolge war das Aussehen bestimmter Pflanzen ein Hinweis, dass sie gegen Erkrankungen genau jener Körperteile wirksam waren, denen sie glichen.
Die Knollen des Knabenkrauts wurden entweder getrocknet und zu Pulver vermahlen oder frisch geerntet in Scheiben geschnitten und in Rotwein eingelegt. Das verwendete Gefäß musste dann zwei bis drei Monate in Pferdemist gelegt werden, ehe es, »nach Belieben jeden Morgen und Abend« eingenommen werden konnte. Die aphrodisierende Wirkung gilt heute allerdings als widerlegt, allerdings soll Knabenkraut bei gereizter Schleimhaut der Bronchien helfen.
Falls der eine oder andere lendenschwache Patient anno dazumal womöglich etwas zu viel von dem vermeintlichen Potenzmittel in sich hineingekippt hat, wusste der »Schwarze Rabe« ebenfalls Rat: »Unter mehreren Mitteln, welche einen Betrunkenen bald wieder nüchtern machen, verschafft besonders Erleichterung, wenn man Essig trinkt oder eine Zitrone samt Schale und Mark isst.« Wenn das nicht helfe, könne man sich in der Apotheke ein Tränklein mischen lassen aus gepulverten Austernschalen, Rosenwasser und Veilchensirup. Die erhoffte Wirkung dürfte allerdings keines dieser Mittelchen erzielt haben, doch – von den Austernschalen einmal abgesehen – verursachen die übrigen Zutaten in den gepriesenen Anti-RauschMischungen zumindest keinen Schaden, was man bei den folgenden Mitteln kaum annehmen kann.
Verbrannte Tierkörper tauchen in einer ganzen Reihe von Rezepturen auf, angefangen von Igeln über Maulwürfe, Schlangen, Frösche oder Hasen, deren Überreste in Pulverform unter anderem gegen offene Beine, Inkontinenz sowie Schmerzen in den Eingeweiden sollten.
Die meisten dieser haarsträubenden Mischungen finden sich heute zum Glück nurmehr in Form der Rezepturen in historischen Bibliotheken, wobei es aber auch Ausnahmen gibt. Der im Mittelalter als »Universalheilmittel« beschworene Theriak wird heute noch vertrieben, unter anderem in einer Mischung mit der Bezeichnung »Schwedenkräuter«. Die Ursprünge des Theriaks, der teilweise aus mehreren Dutzend Ingredienzien gemixt wurde, reicht bis in die Antike zurück. Im alten Griechenland behandelten Ärzte dabei Bisse giftiger Schlangen mit einer Mischung aus Anis, Fenchel und Kümmel – ein Unternehmen, das wohl nur von geringem Erfolg begleitet war. Trotzdem etablierte sich die als »Theriak«, übersetzt: »wildes Tier«, bezeichnete Medizin und wurde, mit den unterschiedlichsten Inhaltsstoffen, zu denen auch Entenblut oder Schlangenfleisch gehörte, im Lauf der Zeit zum »himmlischen Elixier« hochstilisiert, das selbst gegen tödliche Krankheiten wie Pest und Syphilis helfen sollte. Dass so mancher Patient bei der Anwendung tatsächlich in »himmlische Zustände« verfiel, war Opium zu verdanken, das dem Theriak seit dem Mittelalter zugemischt wurde. Das aus dem Saft des Schlafmohns gewonnene Rauschmittel wirkt schmerzlindernd und kann veränderte Bewusstseinszustände auslösen.
Heute vertriebene Theriak-Mischungen müssen allerdings ohne die Droge auskommen, da Opium unter das Betäubungsmittelgesetz fällt.
Susanne Mittermaier
37/2022