Jahrgang 2017 Nummer 39

»Plakate als Spiegel der Traunsteiner Stadtgeschichte«

Franz Haselbeck beleuchtet in seinem Buch »Öffentlicher Anschlag« antisemitische Hetze – Teil II

Franz Haselbeck mit einem Wahlplakat der NSDAP von 1933, auf dem Reichspräsident Paul Hindenburg und Adolf Hitler abgebildet sind. (Foto: Mittermaier)
Selbst der päpstliche Nuntius Torregrossa, der hier Adolf Hitler die Hand schüttelt, muss als Zugpferd für die Reichstagswahl 1933 herhalten. In der Mitte der NSDAP-Politiker Hermann Esser. (Repro: Stadtarchiv)

Mit Häkelnadeln für einen Pfennig, Strohhüten ab 45 und Schultaschen ab 38 Pfennig, dazu Kurzwaren und Schnürkorsetts warb der Nachfolger des Geschäfts »Joseph Rieder Bazar« in der Traunsteiner Bahnhofstraße 1894 per Plakat um Kundschaft und versprach dabei, dass »sämtliche Artikel in nur erprobten Qualitäten aus den renommiertesten Fabriken« stammten. Den Namen des neuen Ladenbesitzers, Georg Barasch, sucht man auf dem Aushang vergeblich, und das hatte auch einen guten Grund: Der 26-jährige Niederschlesier war Jude, und das passte in Traunstein des ausgehenden 19. Jahrhunderts nicht jedem in den Kram. Stadtarchivar Franz Haselbeck rollt in seinem Buch »Öffentlicher Anschlag – Plakate als Spiegel der Traunsteiner Stadtgeschichte«, das Mitte September erschienen ist, das Schicksal Georg Baraschs und anderer jüdischer Mitbürger der damaligen Zeit auf und zeichnet dabei ein Bild, das auf erschreckende Weise erahnen lässt, wie Deutschland nur wenige Jahrzehnte später in die dunkelste Epoche seiner Geschichte geraten konnte. Wie stark die antisemitische Gesinnung noch vor der Jahrhundertwende in der Öffentlichkeit präsent war, zeigt die Popularität rechtsgerichteter Zeitungen wie das »Deutsche Volksblatt«, in dem 1894 ein Artikel erschien, den das »Traunsteiner Wochenblatt« mit der Überschrift »Woher stammt der große, stetig zunehmende Reichtum der jüdischen Geschäftsleute?« aufgreift und dabei folgende Passage zitiert: »Möchten doch endlich unsere deutschen Frauen bei ihren Einkäufen nicht immer nur gedankenlos auf die (scheinbare) Billigkeit der Judenware sehen, sondern der sittlichen Erwägung Raum geben, wie sehr die deutsche Mitschwester oder der deutsche Mitbruder, welche als Näherin oder Arbeiterin … unter dieser Billigkeit leiden müssen, und woher denn die Töchter Israels den Staat nehmen, in welchem sie in Samt und Seide, schwerem Goldgehänge und Bänderpracht umherstolzieren.« Bei einem Teil der Traunsteiner Bevölkerung fielen derartige Parolen auf fruchtbaren Boden, denn im November 1894 wurde ein »Verein zum Schutz gegen unlauteren Wettbewerb « aus der Taufe gehoben, dessen Mitglieder sich unter anderem verpflichteten, »keinen Juden in Miete zu nehmen und keinem Juden einen Grund oder Haus zu verkaufen.« Hinter der Initiative steckten alteingesessene Kaufmänner der Stadt, die vor allem ein Ziel hatten, so Franz Haselbeck: »Man wollte sich und seine Pfründe schützen und jüdische Händler wurden zum vermeintlichen Sündenbock erklärt für eine Entwicklung, die tatsächlich aber auf die Einführung der Gewerbefreiheit im Jahre 1868 zurückzuführen ist, mit der es jedem frei stand, ob und wo er ein Geschäft eröffnen wollte.« Mit ein Grund, warum in Traunstein speziell in den 1890er Jahren die Hetze gegen jüdische Mitbürger zunahm, war die »Antisemitische Volkspartei für den Chiemgau in Traunstein«, die 1893 gegründet worden war. Die Mitglieder und Sympathisanten der Volkspartei dürften sicher ihr Scherflein dazu beigetragen haben, dass einer der bekanntesten Unternehmer seiner Zeit für ein modernes Warenhaus in der Salinenstadt nach nur wenigen Monaten wieder aufgab:

Hermann Tietz, später Gründer der Kaufhauskette »Hertie«, hatte im Frühjahr 1894 den Bazar von Josef Rieder in der Traunsteiner Bahnhofstraße übernommen. Der gebürtige Posener hatte zuvor zwei Jahrzehnte in den USA Erfahrungen gesammelt und war nun dabei, im deutschen Reich Warenhäuser nach amerikanischem Vorbild aufzubauen. »Es gibt zwar keine Informationen, warum Tietz sein Geschäft in Traunstein nach so kurzer Zeit wieder aufgegeben hat, aber es waren sicher keine wirtschaftlichen Gründe. Tietz war wie Barasch ebenfalls Jude, und wahrscheinlich wehte im ein ähnlich böser Wind entgegen, wie seinem Nachfolger«, schlussfolgert Haselbeck.

Dass Barasch, der den Bazar mit Sack und Pack von Tietz übernommen hatte, zunächst noch versucht hatte, seine Person im Hintergrund zu halten – daher auch die Bezeichnung »Nachfolger von Josef Rieder« auf dem Plakat, half dann auch nichts. »Das erste Judengeschäft in Traunstein verursachte unter den Geschäftsleuten gewaltige Aufregung«, hat eine unbekannte Hand mit Bleistift auf dem Plakat vermerkt. Was diese Feststellung verschweigt: Die »Aufregung« war damals schon von verbalen Attacken in rohe Gewalt übergegangen. Innerhalb weniger Monate wurden auf den Laden Georg Baraschs wie auch auf seine Privatwohnung drei Bombenattentate verübt, die zum Glück nur materiellen Schaden verursachten. Doch auch das war den »antisemitischen Helden«, wie die jüdische Wochenzeitung »Der Israelit« die Traunsteiner Bombenleger zynisch bezeichnet, noch nicht genug. Eine Nachbarin Baraschs, die ihr Ladengeschäft ebenfalls an einen Juden vermietet hatte und etliche Kunden des »Bazars« erhielten eine Zeit lang böse Drohbriefe. Der Stadtmagistrat versprach zwar, alles in die Wege zu leiten, um die hinter den Anschlägen steckenden Personen zur Verantwortung zu ziehen und lobte sogar 5000 Mark aus für Hinweise zu den Attentätern, doch die Suche scheint im Sand verlaufen zu sein. Georg Barasch musste in diesen für ihn und seine Familie so schrecklichen Monaten neben der Angst um seine Zukunft auch noch einen privaten Schicksalsschlag verkraften: Töchterchen Henriette starb im Oktober 1894 nur zwei Tage nach der Geburt. Doch der Kaufmann bot seinen Widersachern trotz all der erlittenen Unbill mutig die Stirn: Im Frühjahr 1895 erweiterte er das Geschäft und nannte es in »Kaufhaus Barasch« um, das bis 1909 bestand. Georg Barasch selbst zog allerdings noch 1895 mit seiner Familie nach Breslau, wobei sich leider keine Unterlagen erhalten haben, wer in der Zeit bis zum Verkauf 1909 die Geschäftsführung übernommen hat. Vier Jahrzehnte nach der Hetze und den Anschlägen gegen Georg Barasch sollte dann die zum Teil schon vor 1900 gesäte, verderbende Saat endgültig aufgehen und nicht nur das Deutsche Reich, sondern ganz Europa mit ihrem Gift überziehen. Ein, wenn nicht vielleicht der entscheidende Faktor, dass die Nationalsozialistische Partei (NSDAP) 1933 die Macht an sich reißen konnte, war eine bis ins Detail ausgeklügelte Propaganda, in der auch das Medium Plakat eine wichtige Rolle spielte. »Ein feierlicher Augenblick von der Grundsteinlegung zum Haus der deutschen Kunst« konnten die Traunsteiner auf einem bayernweit von der NSDAP veröffentlichten Aushang zur Reichstagswahl im November 1933 lesen. Darüber ist ein Foto platziert, auf dem der Gesandte des Heiligen Stuhls, Alberto Vasallo di Torregrossa dem links neben ihm stehenden Adolf Hitler die Hand schüttelt. Beide Männer lächeln sich freundlich an, wobei der Italiener zu Hitler aufblickt. Dass hier ein geschickter Fotograf – oder auch Retusche – am Werk war, zeigen andere Aufnahmen jener Szene, auf denen umgekehrt Hitler aufschaut zu Torregrossa. »Ich habe Sie lange nicht verstanden. Ich habe mich aber lange darum bemüht. Heute versteh ich Sie«, prangt in fetter Frakturschrift unter dem Bild. Die abschließende Botschaft auf dem Wahlplakat: Wenn ein so hochrangiger Kirchenmann wie der päpstliche Gesandte mit der Politik des Führers einverstanden sei, gebe es nur einen Schluss: »auch jeder deutsche Katholik versteht heute Adolf Hitler und stimmt am 12. November mit »Ja«! Mit welch wirkmächtiger Symbolik die NS-Propaganda zu Werke ging, zeigt ein weiteres Plakat, auf dem in einer gemalten Szene Hitler dem Reichspräsidenten Paul Hindenburg die Hand schüttelt, darunter folgender Text: »In größter Not wählte Hindenburg Hitler zum Reichskanzler. Wählt auch Ihr Liste 1.« Der Führer als »Retter« dem der verdiente Generalfeldmarschall des Ersten Weltkriegs die Zügel überlässt, war ein geschickt inszeniertes Bild, mit dem vor allem konservative Wähler dazu verleitet werden sollten, ihr Kreuz neben die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei zu setzen. Die Strategie ging auf, und was dann geschah, ist wohl bekannt. Doch erst anhand so unmittelbarer Zeugnisse wie den original Plakaten im Traunsteiner Stadtarchiv wird man sich bewusst, wie sehr all das, was eigentlich »Geschichte« ist, noch die Gegenwart berührt.

Das Buch von Franz Haselbeck mit dem Titel »Öffentlicher Anschlag – Plakate als Spiegel der Traunsteiner Stadtgeschichte« ist seit 15. September im Traunsteiner Stadtarchiv sowie im Verlagshaus Miller erhältlich.

 

Susanne Mittermaier

 

Teil 1 in den Chiemgau-Blättern Nr. 38 vom 23. 9. 2017

 

Zwei Dienstmänner kleben sich eine

Mit zwei verfeindeten Plakatklebern musste sich der Traunsteiner Magistrat zu Beginn des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen. »Der Dienstmann Andreas Haitzinger hat mir an bereits sämtlichen Stellen am letzten Montag meine eben angeschlagenen Plakate überklebt, sodass ich von dem Gastgeber Maier Vorwürfe erhielt«, beschwerte sich der Dienstmann Martin Graf im Juni 1902 bei der Traunsteiner Stadtverwaltung. Graf hatte einige Tage zuvor Ankündigungen für eine Veranstaltung der Rosenheimer Singvögel an den örtlichen Plakattafeln angebracht, die sein Rivale Haitzinger dann postwendend mit eigenen Anschlägen übertüncht hatte. Die beiden Plakatkleber – ein eigener Beruf übrigens, der noch heute unter der Bezeichnung »Plakatierer « existiert – waren damals nicht zum ersten Mal aneinander geraten, weil der eine im Revier des anderen »gewildert« hatte. Der aktuelle Vorfall war jedoch für den Traunsteiner Magistrat unter Bürgermeister Seuffert Anlass, für klare Verhältnisse zu sorgen, indem »mittelst einer schmalen Leiste die Fläche jeder Tafel in zwei gleiche Teile geschieden wird, sodass dem Dienstmann Haitzinger die rechte, dem Dienstmann Graf die linke Hälfte jeder Tafel zur Beklebung überlassen werden kann.« Außerdem durften in Zukunft nur von der Stadtverwaltung zuvor abgestempelte Aushänge angebracht werden, wobei die Absegnung entsprechend zu entlohnen war in Form einer »Plakatrekognitions- Gebühr«, die sich nach der Größe des jeweiligen Anschlags bemaß: Ein Viertel Quadratmeter kostete 50 Pfennig, ein Quadratmeter und darüber zwei Mark. Vier Jahre später trudelte dann eine erneute Beschwerde von Martin Graf ein. Grund seines Ärgers waren jetzt tingelnde Akrobaten, »die haben sich ihre Plakate selbst angeklebt, der Betreffende hatte keinen Gleister, sondern einen starken Mehlpapp, wo er damit die Tafeln folständig verhunzte. « Diesen Vorfall nutzte Graf dann auch geschickt, um seinen Dauerrivalen Haitzinger loszuwerden: Es sei doch zweckmäßiger, wenn die Plakatkleberei in einer, sprich seiner Hand läge, weil er für entsprechende Sauberkeit der Tafeln sorgen würde und außerdem auch seine Zuverlässigkeit jetzt Jahre lang bewiesen habe. Der Magistrat sollte seiner Bitte auch tatsächlich folgen – allerdings erst drei Jahre später. Der in Mehring bei Altötting geborene Graf übte seine Tätigkeit als Plakatkleber dann bis 1925 aus und starb 1931 im Alter von 73 Jahren. Sein Lebensweg ist Beispiel für die im 19. Jahrhundert große Gruppe an Besitzlosen, die, aus sozial schwachen Familien und oft nur mit rudimentärer Bildung, hart zu kämpfen hatten, um sich ihren Lebensunterhalt zu sichern und dabei auch in mehreren Jobs gleichzeitig tätig sein mussten, weil ein Broterwerb alleine nicht ausreichte. Martin Graf war 1886 nach Traunstein gekommen und hatte sich in den folgenden Jahren in den verschiedensten Gewerben versucht, zunächst als Lohnkutscher, wobei er sich seine Kutschen und Pferde gemietet hatte, danach war er zwei Jahre Wirt, anschließend handelte er mit Lebensmitteln, Spirituosen und Tabakwaren, um sich dann auch noch als Auktionator und Heirats- und Stellenvermittler zu betätigen, bis er schließlich als Dienstmann und Kofferträger zusammen mit der Plakatiererei einigermaßen für seine zweite Frau und die aus erster Ehe stammenden vier Kinder sorgen konnte.

Susanne Mittermaier

 

39/2017