Ohne Glücksklee kein »Gutes Neues Jahr!«
Auf alten Wunschpostkarten sollte den Liebsten die Hoffnung grünen







Zum Neuen Jahr wünsche ich dir
alles Gute, besonders
was Du Dir selber wünschst
und ein nettes Männlein
und ein Dutzend Kinder,
dass Du Unterhaltung hast.
Es grüßt Dich
Deine Freundin Theres Hofer
So schrieb eine Dame namens Theres Hofer an ihre Freundin »Frl. Zenzi Baumgartner in Blindenthal« auf die Rückseite einer farbigen Querformat-Karte mit dem Aufdruck »Glückliches Neujahr« im linken oberen Eck. Kein Datum, keine Absender-, keine Straßenangabe der Adressatin. Da auch ein Postwertzeichen fehlt und kein noch so winziger Rest einer aufgeklebten und abgestempelten Marke auf eine solche schließen lässt, muss angenommen werden, dass jene Theres die Neujahrspostkarte ihrer Freundin Zenzi entweder selbst in den Hausbriefkasten geworfen hat oder dies durch eine Botenperson hat erledigen lassen.
Die Postleitzahl 84367 hätte Frau Hofer, lebte sie nicht vor – geschätzt – 100 Jahren, heute vor den (ziemlich seltsamen, aber realen) Ortsnamen »Blindenthal« schreiben müssen, das – ebenfalls geschätzt – Teil der niederbayerischen Gemeinde Reut war. Woher Theres Hofer die schöne, schon durch ihr Querformat auffällige Wunschpostkarte bezog – darüber lässt sich nur mutmaßen. Auch der bayerische kleinstädtische Schreibwarenhandel hatte sich zu Zeiten der befreundeten Damen Theres und Zenzi auf Glückwunschkarten eingestellt. Sie wurden damals gern gekauft und verschickt – zum Namens- und Geburtstag, zur grünen oder goldenen Hochzeit, zum Jubiläum, zur Beförderung eines beamteten Staatsdieners, selbstverständlich zu hohen Festtagen wie Weihnachten, Ostern, Pfingsten, sehr gern auch zur Jahreswende.
Man sandte einen »Herzinnigen Neujahrswunsch« mit nachgesetztem Ausrufezeichen, einen »Herzlichen Glückwunsch zum neuen Jahre« oder, umgedreht, »Zum Neuen Jahre die herzlichsten Glückwünsche« oder ganz einfach »Herzliche Neujahrsgrüße!« Ergänzt oder variiert wurden die auf der Schauseite der Karte gedruckten Texte gelegentlich handschriftlich rückseitig, wo meist wenig Platz dafür war:
Die besten Glück- und Segenswünsche zum neuen Jahr …
oder
Wie geht es immer? Hoffentlich gut.
Gruß an deine Eltern und Geschwister.
Auf Wiedersehn.
Man nutzte, wie eines unserer abgebildeten Beispiele zeigt, den Freiraum auf einer rein weißen Karte im Querformat, um nicht weniger als neun Zeilen per Hand darauf zu setzen, wie das »Josefa« als »alte Ziehschwester« der (so die Adresse rückseitig) »Wohlgeboren Frau Fanny Förner, Privat, Salzburg, Nonthaler Hptstrasse Nr. 25. 2. Stk.« tat. Der Stempel auf der 5-Heller-Marke verrät den Absende-Ort Linz, lässt die Jahreszahl 1903 der Verschmutzung wegen aber nur erahnen.
»Hoffen« – dieses Wörtchen durfte, wie in so vielen handschriftlichen Neujahrspostkartenwünschen, auch bei Josefa nicht fehlen:
… Wir sind doch so ziemlich gesund u. hoffe, wünsche auch, von Euch dasselbe zu hören …
Das Unbekannte wird zunächst gefürchtet. Zumindest zaudert man und hält ein wenig inne, fragt in seiner Unsicherheit: Was wird? Wie wird's? Was ist zu erwarten? Wird es Enttäuschungen geben, Krankheit, Leiden, Rückschläge, Verluste, Beeinträchtigungen … die ein gutes Leben im Nu zum Schlechten wenden können? Vor unerwarteten Schäden, Niederlagen, unliebsamen Veränderungen ist niemand gefeit. Ein ganzes Jahr mit seinem täglichen Auf und Ab, seinen Überraschungen zum Guten, aber auch zum Schlimmen hin – das ist eine Lebens-Kulisse, die nicht nur Willkommenes und Farbiges, Liebes und Lustiges vor Augen hält, sondern auch Graues, Hässliches und Trauriges. Da bleibt nur die Hoffnung.
Kein anderes Glückssymbol weist auf die Hoffnung so augenfällig hin wie der grüne Klee. Das frische grüne Kleeblatt fehlt fast auf keiner Neujahrspostkarte. Einzeln oder in einer – bedeutsamen – Dreiergruppe. In einem Blumentopf eng beisammen, mit einer Rotkleeblüte. In einem Tragekorb, in dem auch ein versiegelter Brief steckt. Eingebunden in ein Sträußchen oder in eine Girlande. Zum grünen Strauß gefügt ohne jegliche farbige Zugabe. Auf verstreute Vergissmeinnichtblüten gelegt. Einem Rosenstrauß beigegeben. Oder in Verbindung mit anderen Glückssymbolen gebracht: mit Hufeisen, Geldsack (worauf horrende, ersehnte Gewinn-Beträge wie »1000« oder gar »50000« gedruckt wurden), Marienkäfern, Schweinchen, Fliegenpilz und Kaminkehrer. Die Hoffnungs-Thematik wird verstärkt durch die Abbildung von Kindern – unsere Hoffnung schlechthin. Weniger die Buben als die Mädchen sind die Glücksbringer-Models, feiertäglich gekleidet, adrett herausgeputzt. Engel und Liebespaare weisen in die gleiche Richtung und – wenn schon kein wahrhaft religiöses Zeichen »gesetzt« wird – stellen doch die Verbindung zum Himmel her.
Man sah allerdings immer schon im vierblättrigen Kleeblatt ein verstecktes religiöses Symbol: das Kreuz mit seinen vier Enden. Dem vierblättrigen Kleeblatt am ähnlichsten ist das Ulrichskreuz. Galt ein vierblättriges Kleeblatt als Glücksbringer, brachte nach altem Volksglauben ein siebenzähliges, das es auch gibt, dem Finder Unglück. Das vierblättrige Kleeblatt musste, am besten zufällig, gefunden werden. Dem Finder selbst, so wurde abergläubisch behauptet, brächte es kein Glück, sondern stets nur dem, der mit dem Fund »beglückt« wurde. Der Finder musste, wie manche behaupteten, sein gefundenes »Glück« unbedingt weiterreichen. Gärtnereien bieten heute vierblättrigen Zieh-Klee in Töpfchen an. Er gilt strenggenommen nicht als Glücksbringer. Nur der im Freien gefundene Klee mit vier Blättern bringt Glück. Er muss außerdem hell und heil, darf nicht dunkel, fleckig oder löchrig sein.
Die Klee-Art war schon immer ebenso egal wie der Fundort: ob Wiesenklee (Rotklee, Kopfklee, Fleischklee, Saatklee) oder Weißklee (Schafklee, Holländischer Klee), Schwedenklee (Bastard-Klee, Alsike) oder Inkarnat-Klee (Blutklee, Hasenklee oder Ackerklee, der bis 40 cm hoch wird, auf Sandfeldern und Dünen wächst und dessen rosa oder weiße Blütenköpfe walzenförmig sind). Das Konversationslexikon gibt detailliert Auskunft. Es nennt auch den lateinischen Namen für Klee: »Trifolium«, also »Dreiblatt«. Demnach ist ein »Vierblatt« eigentlich kein echter Klee, sondern eine Ausnahme, eine Besonderheit.
Die Vier ist die Zahl der Erde, die erste Zahl, die Teiler besitzt. Auf dreifache Weise lässt sich die Vier auf andere Zahlen zurückführen, erklärt der Zahlen-Experte Wolfgang Held in seinem Büchlein »Alles ist Zahl«: »2 + 2 = 4 und 2 x 2 = 4, und außerdem ist die Quadratsumme von 2 auch 4 …« – Und: »Wenn die Zwei die Zahl der Gegensätze ist, dann ist die Vier die Zahl der Dynamik dieser Gegensätze …« Wir kennen vier Elemente, vier Himmelsrichtungen, ebenso viele Jahreszeiten, außerdem vier Zustände der Materie (fest, flüssig, gasförmig, plasmaartig). »Auf allen Vieren läuft das Tier, rollt das Auto … Es sind vier Evangelien in der Bibel, und auch der Islam kennt vier heilige Bücher …«
Neujahrswünsche auf Karten oder Briefe zu schreiben und zu verschicken ist seit der Mitte des 15. Jahrhunderts keine Seltenheit, zumindest in gehobenen Kreisen. Frühe Holzschnitte bildeten das Jesuskind inmitten von fröhlichem Getier, allen voran fortpflanzungsfreudigen Hasen auf grüner Aue ab. Mit der bahnbrechenden Erfindung der Lithografie im 19. Jahrhundert erübrigten sich die bis dahin (nicht nur) für Glückwünsche verwendeten, oft handkolorierten Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen auf Kärtchen. Glückwunschkarten waren bald nicht mehr der gebildeten und wohlhabenden Schicht in der Bevölkerung vorbehalten, sondern erfreuten sich – durch die massenhafte Herstellung – allgemeiner Beliebtheit. Die handwerklich-künstlerische Fertigung von Glückwunschkarten wurde weitgehend von der maschinellen Produktion abgelöst. Das aufwändige Kolorieren per Hand übernahm jetzt die Farblithografie. Prägemaschinen kamen zum schmückenden Einsatz.
Gratulationskarten wurden im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts von 150 Luxuspapierfabriken (die Firma Hagelberg war mit 1800 Beschäftigten die weltgrößte) phantasievoll hergestellt und von Wunschkartenverlagen kreiert, die wiederum mehr oder weniger qualitätsvoll arbeitenden Designern das Feld überließen, um so neckische, fragile Gebilde wie dreidimensionale Aufstellkarten und Zugkarten ins immer anspruchsvoller werdende Programm aufzunehmen. Das Dekorative nahm bald überhand. Bei den mit großem technischem Raffinement gedruckten und geprägten, farbenprächtigen Glückwunschkarten traf man mit Süßlichem, Überbordendem und Schwulstigem den Geschmack der Massen. Das Individuelle eines Neujahrsglückwunsches ging den Bach hinunter. Mit zahlreichen, optisch gekonnt präsentierten Beispielen gibt das von Renate Veigel im Ost-Berliner Eulenspiegel Verlag 1987 herausgegebene Buch »Wenn Dich des Glückes Wonne trifft« einen guten Einblick in die Entwicklung der (so der Untertitel) »Glückwunschkarten des 18. und 19. Jahrhunderts«.
Ganz am Ende des geschichtlichen Werdegangs der noch reizvollen Neujahrsglückwunschpostkarte stehen die hier vorgestellten Neujahrspostkarten, ergänzt um zwei Wunschbillets und einer Postkarten-Schatulle mit Glücksklee-Motiv auf dem Deckel aus der Sammlung des Autors. Sie stammen aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Der Prägedruck mit dem großen, vierblättrigen Kleeblatt und der goldenen Jahreszahl 1900 ist ein aufklappbares Heftchen (Maße: 7 mal 11,5 cm). Auf der ersten und einzigen bedruckten Seite steht ein Vers von Silvia Brand:
Wenn zu festlich froher Stunde
Duft'ger Blumen Gruß bereit,
Wenn so recht aus Herzensgrunde
Glückwunsch sich an
Glückwunsch reiht;
Zieh' die selt'ne, schöne Blume,
Glück genannt, auch herrlich ein,
Dass sie, dir zum Eigenthume,
Glück und Segen woll' verleih'n!
Dr. Hans Gärtner
52/2017