Neunzig Jahre Haus der Natur in Salzburg
Eine Ausstellung über die Geschichte des populären Naturkundemuseums





Das Haus der Natur in Salzburg hält seit vielen Jahren den Besucherrekord von allen Museen in Stadt und Land Salzburg. Daran sind auch viele Besucher aus Deutschland beteiligt, speziell aus dem Rupertiwinkel und aus dem Chiemgau. Besonders in den letzten Wochen vor den Ferien wird das Haus von Schülern aller Schularten geradezu gestürmt. Andere Besucher haben dann oft Mühe, näher an einzelne Exponate heranzukommen, ganz abgesehen von der Lärmkulisse, die entsteht, wenn Gruppen von Jugendlichen sich vor den Highlights zusammenrotten und ihrer Bewunderung lautstarken Ausdruck verleihen.
In diesem Jahr feiert das Haus der Natur sein 90-jähriges Bestehen. Eine Ausstellung, die aus diesem Anlass bis Ende Oktober zu sehen ist, dokumentiert die Geschichte des Museums von der Gründung durch den Biologen und Museumspädagogen Eduard Paul Tratz bis zum Ende seiner Direktion im Jahre 1976. Tratz verdankt das Haus der Natur, das sich ursprünglich in der Hofstallgasse (am Platz des heutigen Festspielhauses) befand seine Konzeption und seinen erfolgreichen Aufbau. Die Ausstellung verschweigt aber auch nicht seine problematische Rolle während der Zeit des Nationalsozialismus, als das Museum in die SS-Organisation »Das Ahnenerbe« integriert und an Kulturraub-Aktionen aus östlichen Nachbarländern und der Enteignung von kirchlichem und jüdischem Besitz beteiligt gewesen ist. Damit wird ein lange verdrängtes Kapitel der Salzburger Kulturgeschichte rekonstruiert und ans Tageslicht gehoben.
Das Haus der Natur ist nicht streng systematisch aufgebaut, sondern teils nach Lebensräumen, teils nach anatomischen Ähnlichkeiten der Pflanzen und Tiere gegliedert. Es geht nicht um Vollständigkeit, sondern um exemplarisches Lernen. Ziel ist zu veranschaulichen, wie es Pflanzen und Tieren gelingt, sich in ihren jeweiligen Lebensräumen optimal und mit möglichst geringem Energieeinsatz zu behaupten. Ganz zwanglos kommen bei dieser Betrachtungsweise auch allgemeine biologische Themen zur Darstellung, seien es Fragen der Evolution, der Abstammungslehre und der Vererbung. Tratz wollte sein Museum zu einem Lernort gestalten, die Natur in ihrer Beziehung zur menschlichen Kultur, zur Technik, zu Wirtschaft und zur Kunst zeigen. Das alles sollte nicht abstrakt und nicht mit erhobenem Zeigefinger geschehen, sondern interessant, lebendig und anschaulich dargeboten werden.
Das beginnt gleich in der ersten Station des Rundgangs, wo in der Eingangshalle die Tierriesen von einst und heute präsentiert werden. Da steht ein fünf Meter langer Raubdinosaurier mit erhobenen, zwergenhaften Vorderbeinen und dem furchterregenden Reißgebiss, daneben das Skelett eines Riesenhirsches mit einer Geweihausladung von vier Metern, an der Decke baumelt die naturgetreue Nachbildung eines elf Meter großen Riesenkalmars, in dessen Magen man halb-verdaute Saugnäpfe in Fußballgröße eines Beutetieres gefunden hat. Ein Kuriosum ist der versteinerte Ichthyosaurus (Fischechse) mit zwei Embryonen im Leib – ein Beweis dafür, dass diese Tiere – anders als sonst die Echsen – lebende Junge zur Welt gebracht haben.
Das Haus der Natur hat sich aus kleinen Anfängen heraus entwickelt – aus einem Vogelmuseum, das Tratz im Jahre 1920 im Monatsschlösschen in Hellbrunn einrichtete. Zwei Jahre später mobilisierte er die Salzburger Öffentlichkeit für die Gründung eines Naturkundemuseums. Es konnte 1924 an den Start gehen und wurde ständig ausgeweitet. Im Jahre 1937 betrug die Ausstellungsfläche 3000 qm und hatte 23 Abteilungen.
Tratz war ein Mann mit hohen Managerqualitäten und mit einem Gespür dafür, wo er für sein Haus Unterstützung bekommen konnte. So erreichte er nach dem »Anschluss« Österreichs an das Dritte Reich, sein Haus an die SS-Wissenschaftsorganisation »Das Ahnenerbe« anzugliedern. Die Folge waren großzügige staatliche Förderungen und ein dickes Lob von Heinrich Himmler für die »ausgezeichnete Arbeit« des Museums.
Die Unterordnung unter die Doktrin der Nazis hatte natürlich ihren Preis. Das Haus der Natur wurde im Sinne der NS-Ideologie umgestaltet. Zum Ausdruck kam das vor allem im »Rassenbiologischen Saal«, in dem Vertreter »höherwertiger und minderwertiger Rassen« vorgestellt wurden, darunter Abformungen von zwei Juden aus dem KZ Dachau. Ihnen gegenüber gestellt wurden Angehörige indogermanischer Rassetypen. Zu ihnen gehörte das Foto einer blonden und blauäugigen jungen Frau aus Traunstein, wie sich die Traunsteiner Rentnerin Maria L. heute noch erinnert. Ebenfalls aus dem Chiemgau stammte ein fachmännisch präparierter etwa 20-jähriger Kretin mit Buckel und Glotzaugen zur Demonstration menschlicher Fehlbildungen. Dazu erklärte Tratz in einem Statement, »daß bei vielen ursprünglichen Völkern Mißgeburten und Krüppel rücksichtslos ausgemerzt werden«, deshalb plädierte er ganz im Sinne des Sozialdarwinismus dafür, auch der Staat sollte sich an dieses Naturgesetz halten »und sich wenigstens in bedingtem Maße über Gefühlsregungen hinwegsetzen, um an Körper und Seele gesund und kräftig zu bleiben«.
Die Forschungsinstitution »Das Ahnenerbe« war auf Betreiben Himmlers gegründet worden, »um Raum, Geist und Tat des nordischen Indogermanentums zu erforschen«. Einen wichtigen Platz nahm dabei die Suche nach dem Ursprung der arischen Rasse ein, der im asiatischen Hochland vermutet wurde. Die »Deutsche Tibetexpedition« unter Ernst Schäfer brachte aus Tibet zahlreiche völkerkundliche Gegenstände nach Deutschland, aus denen im Haus der Natur ein großes Tibet-Diorama mit einem Fürstenzelt sowie mit wertvollen Gebrauchs- und Kultgegenständen gestaltet wurde. Zwei kleinere Dioramen zeigen das Ritual der Leichenzerschneidung und den Sitz des Dalai-Lama in Lhasa.
Während des 2. Weltkrieges profitierte das Haus der Natur von beschlagnahmtem Museumsbesitz aus Polen, der Ukraine und aus Russland, aber auch von Objekten kirchlicher Organisationen und aus jüdischem Privatbesitz. Diese Gegenstände wurden nach 1945 den Besitzern zurückgegeben. Tratz wurde bis 1947 im Lager Glasenbach bei Salzburg interniert und konnte 1949 wieder seine frühere Tätigkeit als Museumsdirektor weiterführen, nachdem ein Ansuchen von Polen um seine Auslieferung wegen Beteiligung an der Plünderung des Warschauer Naturkundemuseums von der Österreichischen Regierung abgelehnt worden war.
Eduard Paul Tratz starb im Jahre 1977 im Alter von 88 Jahren. Sein Nachfolger als Direktor im Haus der Natur wurde Eberhard Stüber, dem Dr. Norbert Winding nachfolgte. Heute beherbergt das Haus der Natur naturwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaften für Entomologie, Herpetologie, Ornithologie, Mineralogie und Paläontologie, Botanik und Astronomie. Seine Aquariumabteilung besteht aus vierzig Schaubecken, angeschlossen an das Museum ist die Hochalpine Forschungsstation am Großglockner und die Salzburger Volkssternwarte am Voggenberg bei Bergheim.
Julius Bittmann
24/2014