Neidblecker und Sonnenwirbel
Im Freilichtmuseum Amerang alten Heils- und Segenszeichen auf der Spur

Mit dem Christus-Zeichen gestempelte Ziegelplatte – rares Beweisstück festen Glaubens.

Wieder in Mode: bunte »Haussegen« für die Diele nach altem Vorbild

Sonnenwirbel, in eine alte Holztüre geschnitzt, sollten Heil und Schutz garantieren
Treffpunkt: Infotafel am Museums-teich. Ein Grüppchen nicht unorigineller Zweibeiner mit einem besonderen Faible für altes, längst vergessenes bäuerliches Brauchtum hat sich versammelt und steht um einen hoch gewachsenen älteren Herrn mit Umhängtasche. Er stellt sich vor: dreifacher – »örtlicher Heimatpfleger« und Heimathaus-Leiter von Wasserburg am Inn. Und gibt sich, noch bis vor kurzem Religions- und Lateinlehrer des dortigen Gymnasiums, als – »Unruheständler« aus. In sein Thema »Religiöse Segenszeichen an Haus und Hof« steigt der freundliche Mann mit unverkennbar böhmischem Zungenschlag, aber im Altbairischen längst und liebend gerne zu Hause, direkt ein.
Magischer Zaun
»Alles Gute kommt von oben«, ironisiert er und meint damit auch das Böse und Bedrohliche, das »vom Himmel« kommen kann: Regen und Hagel, Blitz und Donner, auch schon mal eine herabfallende Dachschindel. Oder die noch kräftig strahlende Spätsommer-Sonne. »Eigentlich hätte ich mich schützen müssen vor zu starker Einstrahlung«, scherzt Ferdinand Steffan wieder, der hinter seinen Namen ein »M.A.« (Magister Artium) schreiben darf und sich damit als Fachakademiker ausweist. »Die Bauern haben sich geschützt – wohlweislich«, doziert Steffan. Und fängt gleich an mit dem Anschauungsunterricht über Heils- und Segenszeichen im bäuerlichen Raum im Voralpenland, demonstriert an Beispielen des Bauernhausmuseums Amerang.
Da lernt man, dass im hölzernen Gitterbundwerk, das sich ein Bauer als »magischen Zaun« um seinen Stadel herum ziehen ließ, extra eng geflochten, sich die bösen Geister verfangen, jedenfalls irritiert werden und nicht eindringen sollten. Wohlweislich sind viele Höfe von einem Gipfelkreuz bekrönt, auch oft von zwei sich kreuzenden Pferdeköpfen und einer Figur des »heiligen Feuerwehrmanns« Florian. Wie Wasserspeier an den gotischen Kathedralen wirken wie Fratzen am Fachwerk: »Neidblecker« hießen sie früher. Manche geschnitzte Fratze streckt uns, wenn auch schon verwittert, noch heute frech die Zunge raus ...
Das Böse bannen
Was viele als bloße Haustür-Verzierung ansehen, war ein Schutzzeichen: die zahlreichen Sonnen, stilisiert durch kreisförmige Strahlen und Wirbeln. Allein der Eingangsbereich in ein bäuerliches Gebäude: eine Häufung von Schutzzeichen und -gebärden. Nie mit dem linken, immer mit dem rechten Fuß sollte ein Haus betreten werden, um nur das Glück einzulassen. An Türschwellen fand man da und dort Reste so genannter Bauopfer: Katzenknöcherl, Gefäßscherben, Glasfläschchen, fast 500 Jahre alt, Holzkohlenstücke – ein nicht festgelegtes Sammelsurium an Dingen, vergraben zur Versöhnung der Erdgeister.
Die »magische Bannung« lässt der sachkundige Führer deutlich werden an einer Stelle vor der Schlafkammer des letztbesuchten Anwesens: ein Meter über dem Boden hinter Plexiglas ein Stoff-Fetzen im Mauerwerk. Wurde was eingeschlossen, konnt’s nimmermehr schaden, war’s Böse gebannt. Glaube und Aberglaube gehen da ineinander über. Der Hollerbusch an der Stadel-Wetterseite sollte den »Blitz fressen«. Der Wettersegen in der Stube, ein Konglomerat von allerhand Abwehr-Krimskrams, konnte nie »schief hängen«, weil er rund gefasst war. Am Schlafzimmer-Mobiliar wurden die Zeichen für Christus (IHS) und die Gottesmutter Maria mit Jahreszahl, Monogramm und einem rot glühenden Herzen aufgemalt. Ein Bäuerlein nagelte das auf dem Feld gefundene Steinbeil unter den Hausfirst; Donar selbst, so glaubten die gar nicht gottlosen Ahnen, soll das Trumm Stein von oben herab geworfen haben.
Stimmt ja: Alles Gute kommt von oben. Hatten wir gleich zu Anfang des Rundgangs. Immer wieder ließ Ferdinand Steffan seine Zuhörerschaft verweilen. Einmal lange in der Stube des Bartl-Hofes. Wo er auf manches hinwies, was hier an sonst üblichen Segenszeichen fehlt: die Buchstaben C+M+B über dem Türstock (Dreikönigszeichen), der Weihbrunn mit dem Allerseelentaferl drüber, der Kräuterbuschen, die Palmzweigerl, die man getrocknet ins Feuer warf als Signal für die Bannung des Bösen oder, geweiht natürlich, der tanzlustigen Tochter in den Schuh schob, damit »ja nix passiert« und der Braut am Hochzeitstag, damit bittschön »bald was passiert«. Den »Suppenbrunzer« über dem Esstisch nicht zu vergessen, eine Glaskugel mit der Heiliggeisttaube drin, an der sich die dampfende Suppe niederschlug, um in Tropfen wieder herab zu fallen. Umsonst suchte man eine Wiege, die man, der damals hohen Kindersterblichkeit wegen, »zeichnete«: Drud und Frais sollen’s Kind nicht »drucken«.
Diverse »G’weichtln« ...
Was der Experte aus Wasserburg vor Ort nicht zeigen kann, einst aber zum Grundbestand des christlichen Bauernhaushalts gehörte: die vielen Heilbringer und Krankheitsverscheucher, die der Bauer im Hosensack, die Bäuerin im Kasten aufbewahrte: Breverl und Segenszettel, Medaillen und Amulette, Rosenkränze, handgeschriebene Gebete, Heiligenbildchen, ein Skapulier, Wetterkerzen, Wallfahrtsandenken, diverse »G’weichtln« halt. Der Mensch war früher den Mächten und Gewalten der Natur oder der Unnatur, Bedrohungen durch Unwetter oder Heimsuchungen durch Pest und Siechtum hilflos ausgesetzt. Gegen alle Unbill erfand er »Mittelchen«, und wenn die nicht halfen, wandte er sich »mittels« heute gar fragwürdiger Dinge und Praktiken an die Götter oder »seinen Herrgott« und dessen Heilige. Sie allein waren es, die ihm Schutz und Segen gewährten, auch wenn sie es ihnen nicht garantierten.
Ö und IHS auf dem Hausziegel
Ganze Ziegelplatten ließ man mit IHS-Zeichen stempeln und baute sie in die Hauswand ein. Ferdinand Steffan fand so einen IHS-Ziegelstein beim Abbruch eines Hofes nahe Soyen. Woran sich früher der hilfsbedürftige Mensch klammerte, wird heute als achtlos – weil wirkungslos? – abgetan. Wer hängt heute seinem Pferd noch einen »Hexenstein« um den Hals oder einen Lochstein ans Fensterkreuz des Zuhäusls? Nur noch in Res-ten hat sich uraltes Schutz- und Segensbrauchtum erhalten. Schau an: Der Ameranger Museums-Shop bietet, für eine erkleckliche Summe Geldes allerdings, neue Haussegen-Taferl nach überkommenem Vorbild an, mit Sprüchen drauf und dem Gnadenstuhl, den 14 Nothelfern oder dem Gekreuzigten.
Ein damals wie heute noch wichtiger »Segensplatz« des Bauernhauses: der Herrgottswinkel. Flankiert von (früher) Hinterglasbildern mit Herz Jesu und Herz Mariä oder (später) bunten Öldrucken, etwa mit Maria und Joseph oder Tierpatronen wie St. Leonhard und St. Wendelin: das Kreuz, christliches Hauptsymbol der Passion des Herrn, der für uns gelitten hat und gestorben ist. Kreuze – etwa das für Fruchtbarkeit angebrachte Andreaskreuz – und Räder, Sterne und lustige Ornamente wie der den Sonnenauf- und -untergang symbolisierende »Laufende Hund« trifft man als Heils- und Segenszeichen im Außenbereich an. Man muss nur die Augen auftun und darüber nachdenken: Nichts, was der Mensch »an Haus und Hof« heften ließ, ist ohne Bedeutung. Alles hat seinen Sinn. Ferdinand Steffan hat manchem seiner Zuhörer, unter denen einige blutjunge waren, Ohren und Augen für Dinge geöffnet, an denen man nun nicht mehr achtlos vorbei geht.
Hans Gärtner
01/2007
Magischer Zaun
»Alles Gute kommt von oben«, ironisiert er und meint damit auch das Böse und Bedrohliche, das »vom Himmel« kommen kann: Regen und Hagel, Blitz und Donner, auch schon mal eine herabfallende Dachschindel. Oder die noch kräftig strahlende Spätsommer-Sonne. »Eigentlich hätte ich mich schützen müssen vor zu starker Einstrahlung«, scherzt Ferdinand Steffan wieder, der hinter seinen Namen ein »M.A.« (Magister Artium) schreiben darf und sich damit als Fachakademiker ausweist. »Die Bauern haben sich geschützt – wohlweislich«, doziert Steffan. Und fängt gleich an mit dem Anschauungsunterricht über Heils- und Segenszeichen im bäuerlichen Raum im Voralpenland, demonstriert an Beispielen des Bauernhausmuseums Amerang.
Da lernt man, dass im hölzernen Gitterbundwerk, das sich ein Bauer als »magischen Zaun« um seinen Stadel herum ziehen ließ, extra eng geflochten, sich die bösen Geister verfangen, jedenfalls irritiert werden und nicht eindringen sollten. Wohlweislich sind viele Höfe von einem Gipfelkreuz bekrönt, auch oft von zwei sich kreuzenden Pferdeköpfen und einer Figur des »heiligen Feuerwehrmanns« Florian. Wie Wasserspeier an den gotischen Kathedralen wirken wie Fratzen am Fachwerk: »Neidblecker« hießen sie früher. Manche geschnitzte Fratze streckt uns, wenn auch schon verwittert, noch heute frech die Zunge raus ...
Das Böse bannen
Was viele als bloße Haustür-Verzierung ansehen, war ein Schutzzeichen: die zahlreichen Sonnen, stilisiert durch kreisförmige Strahlen und Wirbeln. Allein der Eingangsbereich in ein bäuerliches Gebäude: eine Häufung von Schutzzeichen und -gebärden. Nie mit dem linken, immer mit dem rechten Fuß sollte ein Haus betreten werden, um nur das Glück einzulassen. An Türschwellen fand man da und dort Reste so genannter Bauopfer: Katzenknöcherl, Gefäßscherben, Glasfläschchen, fast 500 Jahre alt, Holzkohlenstücke – ein nicht festgelegtes Sammelsurium an Dingen, vergraben zur Versöhnung der Erdgeister.
Die »magische Bannung« lässt der sachkundige Führer deutlich werden an einer Stelle vor der Schlafkammer des letztbesuchten Anwesens: ein Meter über dem Boden hinter Plexiglas ein Stoff-Fetzen im Mauerwerk. Wurde was eingeschlossen, konnt’s nimmermehr schaden, war’s Böse gebannt. Glaube und Aberglaube gehen da ineinander über. Der Hollerbusch an der Stadel-Wetterseite sollte den »Blitz fressen«. Der Wettersegen in der Stube, ein Konglomerat von allerhand Abwehr-Krimskrams, konnte nie »schief hängen«, weil er rund gefasst war. Am Schlafzimmer-Mobiliar wurden die Zeichen für Christus (IHS) und die Gottesmutter Maria mit Jahreszahl, Monogramm und einem rot glühenden Herzen aufgemalt. Ein Bäuerlein nagelte das auf dem Feld gefundene Steinbeil unter den Hausfirst; Donar selbst, so glaubten die gar nicht gottlosen Ahnen, soll das Trumm Stein von oben herab geworfen haben.
Stimmt ja: Alles Gute kommt von oben. Hatten wir gleich zu Anfang des Rundgangs. Immer wieder ließ Ferdinand Steffan seine Zuhörerschaft verweilen. Einmal lange in der Stube des Bartl-Hofes. Wo er auf manches hinwies, was hier an sonst üblichen Segenszeichen fehlt: die Buchstaben C+M+B über dem Türstock (Dreikönigszeichen), der Weihbrunn mit dem Allerseelentaferl drüber, der Kräuterbuschen, die Palmzweigerl, die man getrocknet ins Feuer warf als Signal für die Bannung des Bösen oder, geweiht natürlich, der tanzlustigen Tochter in den Schuh schob, damit »ja nix passiert« und der Braut am Hochzeitstag, damit bittschön »bald was passiert«. Den »Suppenbrunzer« über dem Esstisch nicht zu vergessen, eine Glaskugel mit der Heiliggeisttaube drin, an der sich die dampfende Suppe niederschlug, um in Tropfen wieder herab zu fallen. Umsonst suchte man eine Wiege, die man, der damals hohen Kindersterblichkeit wegen, »zeichnete«: Drud und Frais sollen’s Kind nicht »drucken«.
Diverse »G’weichtln« ...
Was der Experte aus Wasserburg vor Ort nicht zeigen kann, einst aber zum Grundbestand des christlichen Bauernhaushalts gehörte: die vielen Heilbringer und Krankheitsverscheucher, die der Bauer im Hosensack, die Bäuerin im Kasten aufbewahrte: Breverl und Segenszettel, Medaillen und Amulette, Rosenkränze, handgeschriebene Gebete, Heiligenbildchen, ein Skapulier, Wetterkerzen, Wallfahrtsandenken, diverse »G’weichtln« halt. Der Mensch war früher den Mächten und Gewalten der Natur oder der Unnatur, Bedrohungen durch Unwetter oder Heimsuchungen durch Pest und Siechtum hilflos ausgesetzt. Gegen alle Unbill erfand er »Mittelchen«, und wenn die nicht halfen, wandte er sich »mittels« heute gar fragwürdiger Dinge und Praktiken an die Götter oder »seinen Herrgott« und dessen Heilige. Sie allein waren es, die ihm Schutz und Segen gewährten, auch wenn sie es ihnen nicht garantierten.
Ö und IHS auf dem Hausziegel
Ganze Ziegelplatten ließ man mit IHS-Zeichen stempeln und baute sie in die Hauswand ein. Ferdinand Steffan fand so einen IHS-Ziegelstein beim Abbruch eines Hofes nahe Soyen. Woran sich früher der hilfsbedürftige Mensch klammerte, wird heute als achtlos – weil wirkungslos? – abgetan. Wer hängt heute seinem Pferd noch einen »Hexenstein« um den Hals oder einen Lochstein ans Fensterkreuz des Zuhäusls? Nur noch in Res-ten hat sich uraltes Schutz- und Segensbrauchtum erhalten. Schau an: Der Ameranger Museums-Shop bietet, für eine erkleckliche Summe Geldes allerdings, neue Haussegen-Taferl nach überkommenem Vorbild an, mit Sprüchen drauf und dem Gnadenstuhl, den 14 Nothelfern oder dem Gekreuzigten.
Ein damals wie heute noch wichtiger »Segensplatz« des Bauernhauses: der Herrgottswinkel. Flankiert von (früher) Hinterglasbildern mit Herz Jesu und Herz Mariä oder (später) bunten Öldrucken, etwa mit Maria und Joseph oder Tierpatronen wie St. Leonhard und St. Wendelin: das Kreuz, christliches Hauptsymbol der Passion des Herrn, der für uns gelitten hat und gestorben ist. Kreuze – etwa das für Fruchtbarkeit angebrachte Andreaskreuz – und Räder, Sterne und lustige Ornamente wie der den Sonnenauf- und -untergang symbolisierende »Laufende Hund« trifft man als Heils- und Segenszeichen im Außenbereich an. Man muss nur die Augen auftun und darüber nachdenken: Nichts, was der Mensch »an Haus und Hof« heften ließ, ist ohne Bedeutung. Alles hat seinen Sinn. Ferdinand Steffan hat manchem seiner Zuhörer, unter denen einige blutjunge waren, Ohren und Augen für Dinge geöffnet, an denen man nun nicht mehr achtlos vorbei geht.
Hans Gärtner
01/2007