Jahrgang 2011 Nummer 46

Nannette Schönleben, Bayerns erste weibliche Serienmörderin

Der Rechtsgelehrte Paul Johann Anselm von Feuerbach hielt den Fall für die Nachwelt fest

Hätte Anna Margaretha Zwanziger ihre Verbrechen 200 Jahre später begangen, wären ihr die Titelblätter der Sensationspresse sicher gewesen: Waisenkind aus gutem Haus, zwangsheiratet an einen trunksüchtigen Ehe-mann, nach dessen Tod mittellos, Abgleiten in die Prostitution, später Arbeit als Hausangestellte mit dem Ansinnen, sich einen Versorger zu angeln. Am Ende heißt es zwar: bis dass der Tod euch scheidet, allerdings auf eine andere Art als geplant: Als Giftmörderin überführt, wird Anna Margaretha auf dem Nürnberger Richtplatz geköpft.

Die Zwanziger, alias Nannette Schönleben, geborene Steinacker, ist die erste (bekannte) weibliche Serienmörderin der bayerischen Kriminalgeschichte. Dass der Nachwelt die Umstände ihres Lebens und Sterbens beinahe minutiös überliefert sind, ist einer weiteren schillernden Figur der bayerischen Rechtsgeschichte zu verdanken: Paul Johann Anselm von Feuerbach, der als Vater des modernen deutschen Strafrechts gilt und nebenbei noch als Vormund des Findelkinds Kasper Hauser in die Geschichte einging. Feuerbach schildert den Fall Zwanziger in seinem Buch »Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen«, das 1828 veröffentlicht wird. Feuerbach betont, dass es ihm aber nicht nur um eine reine Schilderung von Gerichtsprozessen geht:

»Was [meine] Neugier immer am meisten anzog, war oft gerade dasjenige, was gemeiniglich entweder ganz außerhalb der Grenzen richterlicher Beurtheilung liegt, oder nur höchstens nebenbei und in einzelnen Punkten ihren Gesichtskreis berührt.« Feuerbach vertritt die Haltung, dass die »Triebfeder zu verbrecherischen Beschlüssen« zwar im Inneren eines jeden Menschen vorhanden seien, jedoch erst besondere Lebensumstände eintreten müssten, dass die bösen Elemente eines Menschen »in Bewegung« gesetzt werden und die Oberhand über die guten, moralischen Elemente gewinnen.

Im Mittelpunkt von Feuerbachs Analysen stehen also nicht nur die Verbrechen an sich; er versucht die Gründe zu erläutern, warum ein Mensch vom rechten Weg abkommt.

Der Schlüssel zu verbrecherischen Taten fin-det sich laut Feuerbach »in der Verfolgung und Darstellung geistigen Entwicklungsprozesses strafwürdiger Handlungen«. Er nimmt damit einen Denkansatz vorweg, der heute in beinahe jedem größeren Strafprozess zum Tragen kommt: die Verwendung psychologischer Gutachten, mit Hilfe derer sich das Gericht fundierte Aussagen über das Innenleben von Tätern und damit eine schlüssige Erklärung für ihre Taten erhofft. Anders als heute konnten zu Zeiten Feuerbachs für die Angeklagten aber keine mildernden Umstände geltend gemacht werden: Schwere Verbrechen wie Raub, Mord und Totschlag, ja sogar Wilderei wurden mit dem Tod bestraft, egal, wie schwer die Lebensumstände der Delinquenten gewesen sein mochten. Drastische Strafen sowie die öffentliche Hinrichtung der Verurteilten sollten zur Abschreckung dienen – eine These, die heute noch in der Diskussion um die Todesstrafe von Befürwortern geltend gemacht wird.

Feuerbach wandte sich mit der Beschreibung und Analyse spektakulärer Verbrechen in erster Linie an einen Personenkreis, der sich von Berufs wegen mit Verbrechen beschäftige: »Rechtsgelehrten, Seelenforschern, Gerichtsärzten, Moralisten wie auch Pädagogen«, so hofft er, werden seine Darstellungen »nicht unwillkommen seyn«. Ehrlich fügt er aber hinzu, dass derartige Fälle so anregend seien, »dass sie nicht nur in dem Studierzimmer der Gelehrten, sondern hier und da sogar in den Boudoirs der eleganten Lesewelt willkommene Aufnahme« finden. Feuerbach betont, dass es vollkommen legitim sei, seine »merkwürdigen Verbrechen«- merkwürdig ist hier nicht im heutigen Sinn von komisch, sondern als Synonym für erwähnenswert zu verstehen - rein zur Unterhaltung zu lesen und beweist, dass er in heutigen Tagen durchaus als Bestsellerautor bestehen könnte: Als Anfangskapitel seines Buches wählt er, um den Leser bei der Stange zu halten, den Fall Zwanziger, der wahrlich nichts an Zutaten für Liebhaber deftiger Krimikost fehlen lässt. Als Quellen dienten ihm die Gerichtsakten sowie eine von Zwanziger in der Haft verfasste Autobiographie.

»Klein von Wuchs, hager, schief und verwachsen. Ihr bleiches, mageres Gesicht, in das Alter und Leidenschaft bereits tiefe Furchen gegraben hatten, verriet auch nicht einen Zug ehemaliger Schönheit. Aus ihren widrigen Augen blickte Gehässigkeit und Neid«, beschreibt Feuerbach Anna Margaretha Zwanziger zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung in Nürnberg im Oktober 1809.

Obwohl sie zu dem Zeitpunkt bereits drei Morde und unzählige weitere Vergiftungen in mehreren Haushalten begangen hat, denkt Zwanziger zu keinem Zeitpunkt daran, ihren Aufenthaltsort zu verschleiern, so dass sie nach dem Auffliegen ihrer Verbrechen schnell dingfest gemacht werden kann. Danach erweist sich die 50-Jährige aber als harter Brocken, denn es dauerte ein halbes Jahr, bis der Untersuchungsrichter schließlich ein Geständnis aus ihr herauslocken kann. Dass ihre Lippen so lange verschlossen blieben, ist womöglich ausgerechnet Paul Johann Anselm von Feuerbach zu verdanken: Er hatte 1806 im Zug der Neuorganisation von Politik und Verwaltung im Königreich Bayern einen Entwurf zur Abschaffung der Folter erarbeitet, der bis 1808 in Kraft trat. Bis dahin war es – zumindest formal – noch erlaubt, Hand an wider-spenstige Gefangene zu legen. Anders als heute waren die bayerischen Gerichte vor 200 auf ein Geständnis der Angeklagten angewiesen, da es damals noch keine reinen Indizienprozesse gab.

Anna Margaretha Zwanziger kommt 1760 als Tochter eines Wirts im Gasthaus »Zum schwarzen Kreuz« zur Welt. Ihr Geburtsname Schönleben habe sich aber bald ins Gegenteil verkehrt, so Feuerbach, denn mit fünf Jahren ist die kleine Anna bereits Vollwaise. Danach wird sie von einer Pflegestelle in die nächste abgeschoben, bis sie schließlich im Alter von zehn Jahren im Haus ihres Vormunds landet. Dort erhält sie zwar eine für damalige Verhältnisse vornehme Erziehung, soll aber mit 15 Jahren einen doppelt so alten Notar ehelichen. Vier Jahre lang sträubt sich das junge Mädchen, dann gibt sie dem Drängen ihres Vormunds nach und heiratet einen Mann, den sie »fürchtete wie das Kind die Ruthe«, wie sie in eigenen Worten schildert.

Mit der Volljährigkeit seiner Frau wird dem Ehemann deren elterliches Erbe ausgezahlt, das in der Folgezeit in allerlei Vergnügungen investiert wird. Nach einigen Jahren sieht sich die junge Ehefrau, die inzwischen zwei Kinder geboren hat, mit dem Umstand konfrontiert, dass das Vermögen verprasst und ihr Mann zu einem exzessiven Trinker geworden ist, der am Tag bis zu zehn Flaschen Wein braucht und äußerst ungemütlich wird, wenn ihm die Gattin keinen Nachschub liefert. Anna Margaretha beginnt deshalb, ihren Körper zu verkaufen. »Doch besaß ich … immer so viel Delikatesse, mich nur zu Standespersonen zu halten, die still schwiegen,« versucht sie im Nachhinein ihr Handeln abzuschwächen. Insgeheim spekuliert sie darauf, dass ihr einer ihrer Gönner zu einem anderen Leben verhilft. Mit einem unerwarteten Geldsegen aus einem Lottogewinn im Rücken, lässt sich Zwanziger von einem Liebhaber zur Scheidung überreden; kaum ist diese jedoch rechtskräftig, heiratet sie ihren Mann erneut und lebt bis zu dessen Tod offenbar friedlich an seiner Seite. Anna Margaretha ist 36 Jahre alt und ohne finanziellen Rückhalt, als sie Witwe wird.

Die nächsten zehn Jahre sind geprägt von kurzfristigen Anstellungen, ständigen Ortswechseln und weiteren diversen Männerbekanntschaften, die jedoch nicht zum gewünschten Ziel, das heißt einer Heirat und damit dauerhaften Versorgung führen. In Wien bekommt sie ein Kind von einem ungarischen Schreiber, der sie aber auch nicht heiratet; das Baby wird ins Findelhaus gesteckt, wo es schon nach wenigen Monaten stirbt. Die rastlos Umherziehende kehrt nach Nürnberg zurück und landet nach mehreren Zwischenstationen in Thüringen.

Der Diebstahl von Schmuck bei einem Dienstherren in Weimar geht für Zwanziger gerade noch einmal glimpflich aus: Nach abrupter Flucht und kurzzeitigem Unterschlupf bei ihrem Schwiegersohn nimmt sie, bereits steckbrieflich gesucht, wieder ihren Mädchennamen an und nennt sich von nun an Nanette Schönleben. Zwanziger kann damit ihre Spur verwischen, die polizeilichen Ermittlungen verlaufen im Sande.

Inzwischen fast 50 Jahre alt und damit weit über ihre Blüte hinaus, liebäugelt die Witwe immer noch mit einem Ehemann. Weil sie mit äußeren Reizen nicht mehr punkten kann, verlegt sie sich auf das Umsorgen, das Schmeicheln, das unentbehrlich Machen. Da ihr Ruf nach außen trotz andauerndem Stellungswechsel, Prostitution und unehelichen Geburten unerklärlicherweise immer noch makellos ist und sie im entscheidenden Moment ihre vornehme Erziehung ausspielen kann, fällt es ihr nicht schwer, eine Anstellung nach der anderen zu finden.

Wann der Plan in ihr gereift ist, ihr Glück von nun an nicht mehr dem Zufall zu überlassen, sondern selbst mit Hilfe drastischer Mittel ans gewünschte Ziel zu kommen, bleibt im Dunkeln.

Erstes Opfer von Zwanzigers Machenschaften ist die Ehefrau des Justizamtmanns Glaser, die seit einigen Jahren getrennt von ihrem Mann lebt. Nachdem Anna Margaretha Zwanziger im März 1808 als Haushälterin in die Dienste des Strohwitwers getreten ist, gelingt es ihr, innerhalb kurzer Zeit, dessen Vertrauen zu gewinnen und eine Aussöhnung mit seiner Frau zu erwirken. Wie viel kriminelle Energie in ihr steckt, zeigt sich bereits zu diesem Zeitpunkt. Geschickt beginnt sie nicht nur einen geheimen Briefwechsel mit der Ehefrau, in dem sie diese glauben macht, ihr Mann wolle sie zurück haben, sie mobilisiert auch Freunde und Verwandte des Paares zur Unterstützung und wendet sich zuletzt sogar noch an einen Pfarrer, der die Ehefrau zur Rückkehr überreden soll. Als der Plan klappt und Frau Glaser zu ihrem Gatten zurückkehrt, hat sie nur noch wenige Wochen zu leben: Nachdem der erste Versuch der Zwanziger, ihre Herrin durch vergifteten Tee zu töten, wegen einer zu geringen Dosis misslingt, versetzt Zwanziger wenige Tage später eine Tasse Kaffee mit einem ganzen Esslöffel arsenhaltigen Mückensteins, einem gebräuchlichen Mittel gegen Insekten, durch dessen Wirkung die Amtmännin so schwer erkrankt, dass sie zehn Tage danach stirbt. Wie sich später herausstellt, hat die Zwanziger vor der tödlichen Vergiftung der Hausherrin eine Art »Probelauf« durchgeführt: Bei einem Abendessen, an dem ein Kollege Glasers mit seiner Familie teilnimmt, mischt sie Mückenstein ins Essen. Alle Beteiligten leiden daraufhin an Übelkeit und Erbrechen. Die Reste der Mahlzeit gibt die Zwanzigerin einem Nachbarsbuben, der ebenfalls heftig erbrechen muss. Verdacht schöpft niemand, auch nicht beim Tod der Ehefrau.

Warum sie anschließend nicht im Glaser’schen Haushalt bleibt, um sich den Witwer zu angeln, sondern in den Dienst des Justizamtmanns Strohmann wechselt, ist unklar. Unablässig auf der Suche nach einem Versorger, schreitet sie auch hier alsbald zur Tat: Obwohl von kränklicher Konstitution, beabsichtigt der 38-Jährige Junggeselle demnächst seine Verlobte zu heiraten. Alles Schmeicheln und Zureden der Zwanziger, ihn davon abzuhalten, hilft nichts; auch ein weiterer Krankheitsschub – von der Zwanzigerin mit Hilfe vergifteten Biers herbeigeführt – führt ins Leere, das Aufgebot wird bestellt. Als die Haushälterin erfährt, dass die Braut innerhalb einer Woche eintreffen soll, schreitet sie zur Tat: Zutiefst gekränkt, dass sie dem Bräutigam die Hochzeit nicht ausreden kann, verabreicht sie ihm nun eine tödliche Dosis. Strohmann stirbt nach elftägigen Qualen, die Haushälterin zeigt sich nach außen hin untröstlich. Obwohl auch im Strohmann’schen Haus wie schon zuvor im Glaser’schen Haus noch weitere Personen vergiftete Lebensmittel zu sich nehmen und danach erkranken, schöpft erneut niemand Verdacht, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.

Und weiter geht’s für die Zwanzigerin zum nächsten Tatort: Da sie ja inzwischen hinreichend »Erfahrung« in der Pflege Kranker vorweisen kann, wird sie sogleich vom Kammeramtmann Gebhard engagiert, um seiner Frau im Wochenbett beizustehen und den Haushalt zu führen. Die Geburt geht ohne Komplikationen von statten, Mutter und Kind sind danach wohlauf. Drei Tage später aber verspürt die Wöchnerin starke Unruhe, muss sich ein ums andere Mal erbrechen und klagt über qualvolle innere Hitze. Eine Woche nach der Geburt stirbt die arme Frau, nachdem sie in der Nacht zuvor noch ausgerufen hatte »Um Himmels Willen, ihr habt mir Gift gegeben!«. Da die junge Mutter von jeher schwächlich war, erscheint auch ihr Tod nicht ungewöhnlich. Selbst als der frischgebackene Witwer von wohlmeinenden Freunden davor gewarnt wird, die Zwanziger weiter zu beschäftigen, da drei Personen in ihrer Umgebung innerhalb kurzer Zeit gestorben seien, sie also offenbar den Tod mit sich bringe, behält er sie vorerst in Stellung. Feuerbach schreibt, dass ihr scheinbar gefälliges und demütiges Betragen so überzeugend gewesen sei, dass keinerlei Verdacht aufkommt.

Wie bei ihren früheren Taten, beschränkt sie sich auch diesmal nicht darauf, die ihr unliebsame Person aus dem Weg zu räumen, sondern sie mischt beinahe wahllos weiter Gift in allerlei Speisen und Getränke, was zur Erkrankung etlicher Personen führt. Doch erst als sie einer ganzen Kegelgruppe Krämpfe und Erbrechen verschafft, hat der Hausherr genug: er kündigt der Zwanziger und fordert sie auf, seinen Haushalt am nächsten Tag zu verlassen. Der geübten Giftmischerin bleibt damit noch genügend Zeit und Gelegenheit, sich auf bewährte Weise zu rächen: Sie ver-setzt den Salzvorrat Gebhards mit einer Unmenge an Mückenstein und schiebt dem Baby bei ihrem Abschied einen vergifteten Keks und vergiftete Milch unter. Dieses letzte Ereignis bringt dann endlich das Fass im wahrsten Sinn des Wortes zum Überlaufen: Nachdem das kleine Mädchen heftig erbricht und die Mägde ihrem Herrn berichten, dass die Zwanziger so merkwürdig am Salzvorrat hantiert habe, lässt Gebhard einen Apotheker holen, der feststellt, dass das Salz Arsen erhält. In der gerichtlichen Untersuchung ergibt sich später, dass in den drei Pfund Salz 30 Gramm Arsen enthalten sind. Als tödlich gilt bereits eine Dosis von etwa 100 Milligramm.

Für die heutige Zeit unvorstellbar langsam geht das weitere Geschehen über die Bühne: Obwohl die Gerüchte um merkwürdige Todes-fälle immer lauter werden und er mit eigenen Augen gesehen hat, wozu die Zwanziger fähig ist, geht der zuletzt geschädigte Gebhard erst drei Wochen nach Entlassung seiner Haushälterin zur Polizei. Wiederum erst drei Wochen später werden dann die Leichen der drei getöteten Personen exhumiert. Bereits der erste Anschein weist auf eine Vergiftung mit Arsen hin, denn die Körper sind auffällig gut erhalten und haben ein typisch mumienartiges, braungefärbtes Aussehen. Die weiteren Untersuchungen bestätigen den Verdacht: In den Verdauungsorganen der beiden weiblichen Opfer findet sich Arsen; bei der Leiche von Strohmann ist Vergiftung als Todesursache wahrscheinlich, aber nicht eindeutig nachweisbar.

Die Übeltäterin wähnt sich in der Zwischenzeit weiter in Sicherheit, denn sie logiert sich frech bei der Schwiegermutter Gebhards ein, deren Tochter sie kurz zuvor getötet hat, und versucht mit Hilfe schmeichlerischer Briefe an Gebhard, ihre Anstellung zurück zu bekommen. Der Polizei gelingt es so schnell, die Zwanziger aufzuspüren und zu verhaften. Bei der Durchsuchung ihrer Taschen finden die Beamten dann auch gleich noch die notwendigen Beweismittel: Zwei Päckchen Mückenstein und ein Päckchen Arsenik.

Nach den Motiven für ihre schrecklichen Taten befragt, gibt die Zwanziger an, dass bei ihrem ersten Mord an der Ehefrau des Amtmanns Glaser ihr Wunsch nach Versorgung den Ausschlag gegeben habe: »Als ich … der Glaser den Mückenstein in den Tee gab, dachte ich: du willst dir doch ein ruhiges Alter machen; und wenn ihr das Gift diesmal nicht hilft, so gibst du es ihr öfter.« Den Tod des Amtmanns Strohmann bewusst herbeigeführt zu haben, leugnet die Angeklagte bis zum Schluss. Sie habe nur deshalb die Bierkrüge mit Arsen versetzt, um die anderen Angestellten im Haus krank zu machen, da sie von diesen schikaniert worden sei. Ihr Arbeitgeber habe dann wohl »aus Versehen“ einen vergifteten Krug erwischt und sei daran gestorben.

Im Fall der getöteten Ehefrau und Mutter will Zwanziger ihre Tat auf ähnliche Weise rechtfertigen: Die Gebhard habe sich ihr gegenüber sehr ärgerlich bezeigt, sie sehr schnöde behandelt, ihr Vorwürfe wegen des angeblich verwahrlosten Haushalts gemacht. Da habe sie den Entschluss gefasst, ihr Gift beizubringen. »Nicht zum Sterben, .. sondern um sie durch das dadurch verursachte Erbrechen zu plagen, weil sie mich auch so geplagt hat.«

Feuerbach charakterisiert die Angeklagte als »eine von Neid und Missgunst zerfressene Person, die mit List und Tücke die Stelle der Hausherrin einnehmen wollte. Obwohl im Anschmeicheln und Andienen so geschickt, ist es ihr ein ums andere Mal nicht gelungen, ihr geheimes Ziel zu erreichen, sie blieb, was sie war: eine dienernde alte Mamsell, die sich von allen verlacht und verachtet wähnte«. Aus dem Labyrinth ihres verworrenen Lebens sei ein gewöhnlicher Weg in die Freiheit irgendwann unmöglich gewesen, glaubt Feuerbach. Da habe die Zwanziger eine still verborgene Macht entdeckt, die sie sich nur dienstbar zu machen brauchte: »Was sie mit dem Gift befreundete, war überhaupt nur das frohe Gefühl unwiderstehlicher Macht, ... indem sie damit über das Wohl und Dasein anderer Menschen gebot. Gift war ihr der magische Szepter, womit sie unsichtbar diejenigen beherrschte, welchen sie sichtbar dienen musste. Gift vertrat ihr die Stelle eines Zauberstabs.«

Dem Untersuchungsrichter versichert Anna Margaretha Zwanziger vor ihrer Hinrichtung, dass ihr Tod ein Glück für die Menschheit sei, denn es wäre ihr nicht möglich gewesen, die Giftmischerei zu unterlassen.
Am 17. September 1811 wird die zum Tode durch das Schwert verurteilte Anna Margaretha Zwanziger in Nürnberg hingerichtet. Auf Anweisung von König Max II Joseph wird auf das anschließende Rädern des Leichnams verzichtet.


Susanne Mittermaier



Quelle: Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Ver-brechen, Gießen 1828, Online-Ausgabe Google eBook.


46/2011