Mutter der Gnaden
Was vor 300 Jahren auf Sloweniens Heiligem Berg passierte





Gorizia, das ehemalige Görz
Nicht nur »zum Bummeln«, auch zum Sehen und Staunen lädt den an christlichen historischen Stätten interessierten Touristen die gut erhaltene »Altstadt um Dom und Burgberg« ein. Im Dom ist das Grabmal des letzten Görzer Grafen zu finden. Im Franziskanerkloster Kostanjevica, drüben in Slowenien, liegt der Franzosenkönig Karl X. von Bourbon begraben, der hier 1836 starb. Auf dem Piazza della Vittoria breitet sich die barocke Kirche Sant‘Ignazio aus, die nicht nur mit ihren beiden Zwiebeltürmen, sondern auch mit ihrer prachtvollen Fassade auffällt.
Wohin Eberhard Fohrer, ein fundierter Reiseführer, noch alles einlädt: außer nach »Klein Jerusalem« am Isonzo, wo erst 1969 die dortige Synagoge aufgelöst wurde, 213 Jahre nach ihrer Errichtung nahe der Piazza de Amicis in der via Ascoli (heute Museum der jüdischen Kultur) zum Beispiel auch in die drei Museen der Oberstadt Gorizia, auf den »Borgo Castello«, die von den Habsburgern erweiterte mittelalterliche Grafenburg, dann aber will Fohrer auch, dass sein Reisebuchleser sich »an den Hängen nördlich von Gorizia, wo die Grenze zu Slowenien verläuft«, erfreut – der vorzüglichen Weine wegen, die »im Collio« gedeihen, an erster Stelle Ribolla, Bianco Breg, Rosso Breg, Rosso Gravner. So lenkt Fohrer das Interesse des Reisenden wenigstens mit zwei Zeilen auf den Monte Sabotino, mit 609 Metern die höchste Erhebung der Provinz Gorizia. Dass hier ganz in der Nähe der »Monte Santo«, der Heilige Berg von Gorizia liegt, verschweigt der sonst so verlässliche und präzise Reiseleiter ganz.
Das Marienheiligtum auf dem Monte Santo
Auf dem Heiligen Berg von Gorizia trifft der Wanderer, der den Weg vom Örtchen Salcano aus nimmt, auf ein Kirchlein mit einem »vera imagine«, einem wohl heute nicht mehr so stark wie noch vor vielleicht einem Jahrhundert beachteten »wahren Abbild« der »Beatissima Vergine«, der »Seligsten Jungfrau« Maria, »denominata delle Grazie«.
Das als »Mutter der Gnaden« verehrte Bild »sopra il monte Salcano vicino a Gorizia« existiert bereits seit dem 2. Jahrhundert. Berühmt ist es seiner Wunder wegen. Aus den umliegenden Provinzen strömten fromme Pilger zur »Mutter der Gnaden«, um bei ihr andächtig zu verweilen und sich Trost und Hilfe zu holen. Das Bildnis dieser wundersamen Königin und ihres göttlichen Sohnes wurde nach dem Ritus des 'Instituto Vaticano' feierlich mit Kronen von Gold und Edelsteinen reich geschmückt. Man weiß genau, wann das war: »… sei Giugno dell anno 1717«.
Dieses Datum des Events mit einem »incredibile concorso di populo« (einer unglaublich hohen Beteiligung der Bevölkerung), der 6. Juli 1717, ist dem italienischen Text auf einem außergewöhnlich gut erhaltenen, papierenen, in Kupfer gestochenen und handkolorierten Wunder-Berichts-Blatt aus der Grafik-Sammlung des Autors zu entnehmen. Es ist im Verlag von »W. Hoffmann«, Prag, erschienen und dürfte aus dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts stammen.
Dank der freundlichen Übersetzungshilfe von Ursula Schönstetter, Tüßling, die von der historischen Tatsache einer Marienerscheinung auf dem Monte Santo bei Salcano im Jahre 1539 weiß, kann der Besitzer des Blattes seiner eigenen deutschen Version des italienischen Textes trauen. Dieser steht in einer barock gestalteten Kartusche mit Blattwerk, Eicheln und Rocaillen und wird von einem Jünglingskopf, der den Betrachter ansieht, dominiert. Die Kartusche teilt eine Landschaft mit Himmels- und Erdengewölk: links oben der buchstäblich eingetragene »Monte santo«, darunter Kirche und Häuser von Salcano, rechts »Gorizia«. Aus den paar Gebäuden ragen die Türme des Doms und, wie anzunehmen ist, der Klosterkirche. Darüber die Oberstadt mit dem Borgo Castello. Bei Eberhard Fohrer heißt es, aus heutiger »Sicht«, dazu: »Die trutzige Burg gehört zu den eindrucksvollsten im Friaul und ist eine Konstruktion wie aus dem Schulbuch – im Erdgeschoß der Innenhof, ein Rittersaal mit einer Sammlung von Hieb- und Stichwaffen, dazu ein Verlies mit Holzpritschen und Eisenringen an der Wand, in den oberen zwei Stockwerken verschiedene Säle, das Königsobservatorium und ein Wehrgang mit Blick auf Gorizia, Nova Gorizia und die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs …«
Die Geschichte der Orsola Ferligionisce
Das Zentrum des farblich fein abgestuften, etwa 300 Jahre alten Stiches bildet das Gnadenbild des »Monte Santo«. Die beiden gekrönten Hauptfiguren, die Gottesmutter Maria und das von ihr auf den Armen getragene, nackte Jesuskind mit dem Segensgestus sind flankiert von einem bärtigen, alten Mann mit Buch und tuchartiger Kopfbedeckung (links) und Johannes dem Täufer (rechts), gut erkennbar am Kreuzstab mit dem Spruchband (Text: »Ecce Agnus Dei«, unsichtbar, wohl übermalt). Das Mittelbild mit der Unterschrift »Vera Imagine…« ist von acht gleichgroßen fast quadratischen und einem nicht ganz doppelt so großen Bild umgeben. Hierzu heißt es im dreizeiligen Text darunter, dass die selige Jungfrau Maria auf dem Berg ob Salcano der Orsola Ferligoinisce erschienen sei, in einem Wolkenkranz mit dem Jesuskind auf dem Arm. Maria habe zu OrIsola gesprochen: Sag den Leuten, dass uns hier ein Haus gebaut werde und bitte um Gnade. Datum: 1539. Weiter wird jeweils unter einem der übrigen Bilder folgendes mitgeteilt:
Orsola verbreitete die Nachricht vom Göttlichen Wunder, und viele kamen zusammen, um den Ort des Geschehens zu sehen. Sie wurde zweimal oder öfters eingekerkert, dann von der sel. Jungfrau befreit und an diesem Ort betend gefunden. Der Senat erlaubte zusammen mit dem Rat der Weisen die freie Verbreitung der Nachricht von der Gnade Gottes. Die Kirche wurde geweiht und das Bild, genannt »Madre delle Grazie«, im Jahr 1544 darin angebracht. Aufgrund der überaus großen Gnaden, die hier geflossen sind, und wegen der vielen, die hier ihr Gelübde abgelegt haben, wird die Erhebung »der Heilige Berg« genannt. Erzherzog Karl von Österreich schenkte den Franziskanern die Kirche mit ihren Rechten im Jahr 1564. Bei der Ausgrabung der Fundamente wurde ein Stein entdeckt, in den der 'Englische Gruß' eingemeißelt war. Viele, viele Votivgaben wurden von den Gläubigen in der Kirche aufgehängt.
Ein großzügiger und rigoroser Erzherzog
Bei dem im Text (»Carlo Arciduca d' Austria«) genannten Erzherzog Karl handelt es sich um keinen anderen Habsburger als Karl II. Franz von Innerösterreich. Der dritte Sohn des römisch-deutschen Königs und späteren Kaisers Ferdinand I. wurde 1540 in Wien geboren und starb nach nur 50 Lebensjahren in Graz – dessen erzenes Porträt grüßt noch heute vom Portal des Domherrenhofs. Während Karls ältester Bruder Maximilian neben dem Erzherzogtum Niederösterreich »nur« mit Böhmen und Ungarn und Bruder Ferdinand mit Tirol und den »Vorlanden« betraut wurde, erhielt Karl außer Steier( mark), Kärnten und Grain die Grafschaft Görz.
1564, als die Sache mit der Schenkung der Kirche auf dem »Monte Santo« an die Franziskaner passierte, war Karl ein Jüngling von 24 Jahren. Er schien eitel zu sein; ließ er sich doch von den ihm zugefallenen Ländern – der Vater sollte kurz darauf sterben – huldigen. Erzkatholisch war Karl. In Bayern, Salzburg und Tirol strengte er rigoros die »Rekatholisierung« an. Alles Protestantische wurde auf vielen Gebieten zum Erlöschen gebracht; keine einzige protestantische Kirche durfte nach Karls Willen mehr gebaut werden. Erst mit 31 Jahren heiratete er – weder die englische Königin Elisabeth I., noch Maria Stuart (worum sich jedes Mal der Vater vergeblich bemüht hatte), sondern Maria Anna, die Tochter des Bayernherzogs Albrecht V. Dem Paar wurden 15 Kinder geschenkt. 14 von ihnen hatten ein mehr oder minder glückliches Leben. Die Lokalforschung des Friaul hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit längst herausgefunden, ob wenigstens – und wenn ja, welches – von ihnen je der »Mutter der Gnade« auf dem »Monte Santo« von Gorizia einen Besuch abstattete.
Hans Gärtner
46/2017