Jahrgang 2007 Nummer 2

Mit Wolkenfahnen und Wasserstrudeln

»um leinberger« – Landshut feiert seinen großen Sohn, der aus dem Nichts kam

Hans Leinbergers berühmte »Rosenkranzmadonna« (1516-1518) aus dem Martins-Münster.

Hans Leinbergers berühmte »Rosenkranzmadonna« (1516-1518) aus dem Martins-Münster.
HL. Das Monogramm ist unverkennbar. Es steht, das L dicht an dem H, neben einem Frauenkopf auf dem Epitaph der Familie Rorer. Dieser schmückt die Landshuter Stiftsbasilika und Stadtpfarrkirche St. Martin und Kastulus, Wahrzeichen der Isarstadt mit der weltweit bekannten historischen Hochzeit, die, an das Jahr 1475 erinnernd, dort mit Riesenspektakel alle drei Jahre gefeiert wird. HL, das bedeutet, darin zweifelt heute niemand mehr, »Hans Leinberger«. Ihm und seinem Umkreis ist eine Ausstellung gewidmet – wohlweislich »um leinberger« benannt –, die in der Heiliggeistkirche der niederbayerischen Hauptstadt noch bis 11. März 2007 (Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr) gezeigt wird.
Zweifel bestehen bis heute an der Herkunft und dem Verbleib des großen Landshuter Künstlers zwischen Spätgotik und Renaissance. Die Aussteller lassen Hans Leinberger »aus dem Nichts« kommen. Lebenseckdaten? Fehlanzeige. Er könnte um 1485 (in Landshut) auf die Welt gekommen und um 1530 gestorben sein. Was man weiß: Der Künstler wirkte zwischen 1510 und 1530 in Landshut als »piltschnitzer« neben Malern, Harnischmachern, Goldschmieden. Unter Ludwig X., dem niederbayerischen Mitregenten im Wittelsbacher Herzogtum, erlebte Landshut noch einmal einen ungeahnten Aufschwung als Nährboden für bildende Kunst, den es mit dem jähen Ende des Erbfolgekriegs 1504 bis 1506 als Residenz der »Reichen Herzöge« (1393 bis 1503) schon verloren zu haben schien. Hans Leinberger wurde also in eine für sein Talent günstige Zeit geboren. Sein Wirkungskreis kann relativ weit gezogen werden. Er arbeitete unter anderem für Moosburg, Regensburg, Innsbruck, Neumarkt St. Veit, Polling bei Weilheim.

Zu Hans Leinbergers Bildideen, die durch Schüler und Nachahmer willkommene Aufnahme und rasche Verbreitung fanden, zählt der so genannte Bewegungsstil. Eingefangen ist er etwa in der berühmten »Rosenkranzmadonna« in Landshut-St. Martin und Kastulus, geschaffen 1516/1518. Bauschige, faltenreiche Gewandung, verwegen aufgeworfene Mantelwirbel sind an der frontseitig angebrachten Marienfigur auffällig. Einer aus H.Ls Umkreis war der »Meister von Dingolfing«, der bei Meister H.L. zur Schule gegangen war. Des Dingolfingers Johannes-Figuren frappieren nicht nur ob ihrer Lebensgröße, sondern vor allem wegen ihrer Haarverwehungen und der dynamisch wuchernden Gewandung. »Wolkenfahnen und Wasserstrudel« galten seither als Sprachbilder für den Bewegungsstil um 1520.

Aus den als »Meister von Rabenden« oder »Meister der Altöttinger Stiftskirchentür« nur behelfsmäßig bezeichneten Leinberger-Epigonen ragt, neben Stephan Rottaler und Thomas Hering, der Würzburger Peter Dell heraus, dessen Name mit Sicherheit verbürgt ist. Er lernte bei Tilman Riemenschneider und ließ sich von Leinberger beeinflussen, so sehr, dass er dessen Bildmotive später noch im sächsischen Freiberg, am Hofe Heinrichs des Frommen, verbreitete. Von Peter Dell (1492 bis 1552), dem »Kunstkammerschnitzer«, stammen die vielleicht beeindruckendsten Stücke der rund 80 Exponate umfassenden Schau in Heiliggeist: die Regensburger »Schöne Madonna« und die Holztafel »Allegorie auf Gesetz und Gnade« (1536/1540).

Letztgenanntes Stück entlieh das Gothaer Schlossmuseum. Zu ihm gesellen sich viele weitere Leihgeber – vom Freisinger Diözesanmuseum bis zum Kloster Michaelbeuern, von der Gemeinde Aldersbach bis zum Historischen Museum der Stadt Regensburg. Monumentales (wie etwa die Moosburger Martyriums-Tafeln oder die Muttergottes mit Kind aus St. Lambertus-Seeon) wechselt sich mit Kleinformatigem ab: eine H.L. zugeschriebene Marienbüste von 1525, ein Tonkrug mit einer Judith-Darstellung um1520/30, eine Gruppe »Heilige Dreikönige« um 1520 aus dem Bayerischen Nationalmuseum, die wegen ihrer starken Beschädigungen – fehlende Hände bei allen Figuren – auffallen mag. Dazu ist – der riesige, sehr hohe, auf etwa 10 Grad Celsius erwärmte Raum der profanisierten Heiliggeistkirche birgt mehr an Hans Leinberger Orientiertes denn Originales von ihm – manche Kuriosität zu bestaunen, etwa das nackte, lockige Christkind (1520/25), dem nicht nur ein Zeigefinger und das Weltkugel-Kreuz, sondern auch das Geschlechtsteil abgeht oder der Kruzifixus von Pinkofen aus H.L.s Umkreis (1525/30) mit selten gesehenen beweglichen Armen, die es ermöglichten, den Christuskörper sowohl am Kreuz hängend als auch im Grab liegend zu verwenden.

Ergänzt wird die Leinberger-Schau, die übrigens Meisterwerke des Landshuters Hans Wertinger, dem »Schwabmaler« (1465 bis 1533), einschließt, durch Ausstellungsstücke, die in Landshut ortsgebunden verbleiben müssen. Dazu zählen eine Reihe von Skulpturen in der Residenz Ludwigs X., in der Georgskapelle der Burg Trausnitz, den beiden Landshuter Pfarrkirchen St. Jodok und St. Nikola sowie zwei Grabmale aus der Abteikirche von Kloster Seligenthal und selbstverständlich auch die hoch bedeutende »Rosenkranzmadonna« von 1516/18 und der Rorer-Epitaph von 1524 mit dem HL-Monogramm, beides ständige Leinberger-Highlights in Landshuts Päpstlicher Basilika. Ohne einen Abstecher in dieses Juwel eines süddeutschen Münsters hat ohnehin niemand Landshut gesehen.

Hans Gärtner



2/2007