Jahrgang 2013 Nummer 50

Mißglückte Flugzeuglandung in Kraimoos

Auch 45 Jahre danach nicht vergessen

Frantisek Kvapil, der tödlich verunglückte Pilot der MIG 21
Bei der Einweihungsfeier der Gedenkstätte im Jahre 2007
Staffelzeichen auf der MIG im Jahre 1968

Am Nachmittag des 25. November 1968 konnten aufmerksame Beobachter am Himmel über dem Chiemgau ein ausländisches Kampfflugzeug mit auffälligem Verhalten beobachten.

In der Traunsteiner Prinz-Eugen-Kaserne identifizierten es Soldaten der Flugabwehreinheiten als »Fishbed«, ein in den Warschauer Pakt-Staaten eingesetztes, damals sehr modernes, Kampf-Flugzeug russischer Herkunft mit der Bezeichnung MIG 21. Augenzeugen aus dem Traunsteiner Ortsteil Einham erinnern sich, diesen »Düsenjäger« in niedriger Höhe und ohne den gewohnten Fluglärm mit einem erfreuten »die können auch langsam und leise fliegen« kommentiert zu haben.

Was sie allerdings tatsächlich beobachteten war der Beginn einer Katastrophe. Das Flugzeug befand sich auf der Suche nach einem Notlandeplatz, der Treibstoff war ausgegangen. Nördlich der Straße Erlstätt - Chieming, nahe der Ortschaft Kraimoos, schien dem Piloten eine langgestreckte Wiese dafür geeignet. Gegen 15 Uhr setzte er dort zur Landung an. Der Boden war leicht angetaut, ein tieferliegender Wiesenweg kreuzte die Landebahn. Vielleicht war diese leichte Bodenwelle der Grund, warum das Flugzeug in einem Bogen 20 Meter tief in ein Gehölz raste. 26 Bäume wurden abgeknickt, das Flugzeug wurde komplett zerstört und der Pilot kam – von einem Baum getroffen – ums Leben. Glücklicher Weise entstand kein Feuer und die 50 Schuss Munition der Bordkanone kamen so nicht zur Detonation.

Landwirt Sepp Kecht war als Erster am Unfallort, um Hilfe zu leisten, konnte jedoch nur noch den Tod des Flugzeugführers feststellen. Nach und nach trafen die Traunsteiner Feuerwehr, die Landespolizei, Nachbarn und in der Nähe spielende Kinder am Ort des Geschehens ein. Der Gerätewart der Feuerwehr Traunstein, Sepp Eichschmid, damals nach einem Verkehrsunfall noch auf Krücken angewiesen, eilte mit seinem Sohn im Privat- Pkw zum Unfallort. In kurzer Zeit war der ganze Bereich großräumig abgesperrt. Zwei Hubschrauber der Bundeswehr und mehrere Hubschrauber einer in Bad Tölz stationierten amerikanischen Einheit waren gelandet, die Flugplatzfeuerwehr aus Neubiberg und Mitarbeiter der Luftwaffengruppe Süd aus Karlsruhe eingetroffen. Gegen 20 Uhr wurde der Pilot geborgen, das Flugzeugwrack kam dann am nächsten Morgen zur weiteren Untersuchung nach Erding.

Seit 1935 existierte in der tschechischen Stadt Ceske Budejovice, dem früheren Budweis, der Flugplatz Planá. Dort ist seit 1952 das 1. Jagdfliegerregiment stationiert. Am 12. Mai 1966 erhielt die erste Staffel dieses Regiments eine MIG 21 - F 13 mit der Herstellernummer 660413 und der Triebwerknummer G 53937037. Es war exakt die 194te in Tschechien gebaute MIG 21 - F 13, die 13. Maschine aus der 4. Serie.

Als Folge des sogenannten Prager Frühlings mit seinen erfolgversprechenden Demokratisierungsbemühungen unter Alexander Dubcek wurde die Tschechoslowakei am 21. August 1968 durch Streitkräfte der verbündeten Sowjetunion besetzt und gewaltsam im Warschauer Pakt gehalten. Während dieser Invasion trug die erste Staffel in Budweis am Bug ihrer MIG einen aufgemalten schwarzen Teufel mit roter Nase und rotem Dreizack in blauem Kreis; Schöpfer dieses Staffelabzeichens war Oberst Slawek Martenek, ein Pilot, der später als Zeichner und Karikaturist mit eigenen Veröffentlichungen bekannt wurde.

Dieses Flugzeug mit der groß aufgemalten Nummer 0413 und dem schwarzen Teufelchen bestieg am verhängnisvollen 25. November 1968 Oberleutnant Frantisek Kvapil auf dem Flugplatz Planá.

Über die Person Frantisek Kvapil ist leider nur wenig bekannt: Er ist zu dem Zeitpunkt 29 Jahre alt, wurde in Pribram geboren, verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Über das benachbarte Österreich flog er unbehelligt in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am Flugplatz Fürstenfeldbruck wurde das Flugobjekt erkannt und erhielt mit einem grünen Lichtsignal Landeerlaubnis – doch Kvapil flog weiter. Kurz vor der Landung in Kraimoos hatten Hubschrauberpiloten des Luftwaffentransportgeschwaders 64 in Landsberg die MIG geortet und versucht, den offensichtlich in Not befindlichen Piloten zu einem Flugplatz zu geleiten. Zu diesem Zeitpunkt war der Treibstoff allerdings bereits aufgebraucht und eine Notlandung unvermeidbar.

Als zentrale Frage bei diesem tragischen Unfall bleibt, warum keinerlei Abwehrmaßnahmen von Seiten der deutschen Luftverteidigung eingeleitet wurden und der Pilot auf einem Flugplatz zu einer sicheren Landung gezwungen wurde. Für derartige Fälle standen rund um die Uhr Starfighter F 104 G in Alarmbereitschaft. Eventuell ist es Kvapil tatsächlich gelungen, der Radarerfassung zu entgehen. Fest steht jedenfalls, dass gegen diesen »Eindringling« in den deutschen Luftraum nicht in der zu erwartenden Form reagiert wurde. Zu diesem Zeitpunkt standen sich der Warschauer Pakt und die NATO wegen der Besetzung der CSSR besonders angespannt gegenüber. Mit der MIG 21 war ein sehr modernes Flugzeug aus dem Warschauer Pakt in westliche Hände geraten. Entsprechend groß war das militärische Interesse, das vor allem die amerikanischen Streitkräfte zeigten. Diese waren für derartige Luftzwischenfälle in der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich zuständig.

Kvapils Flug in den freien Westen gab in den späten sechziger Jahren reichlich Anlass zu Spekulationen. Es gab eine Überläufertheorie, ein anonymer Anrufer berichtete der Deutschen Presse Agentur: Wichtiges Material über sowjetische Truppenstationierungen in der CSSR seien an Bord der MIG. Tschechische Behörden erklärten dagegen, der Pilot habe die Orientierung verloren und sei deshalb nach Bayern geraten; eine Flucht sei auszuschließen. Im Parteiorgan der KPC »Rude Pravo« wurde vermutet, dass die MIG entweder abgeschossen oder zur Landung gezwungen worden sei.

Zum heutigen Zeitpunkt kann man davon ausgehen, dass sich der unglückliche Pilot schlichtweg verflogen hatte. Für die von den Medien verbreitete Überläufertheorie sollen keine bestätigenden Erkenntnisse vorgelegen haben. Dagegen gibt es für ein unbeabsichtigtes Überfliegen der Grenze mehrere vorstellbare Begründungen: Es können Unwägbarkeiten und technische Probleme während eines Fluges auftreten, das Kartenmaterial der Piloten war außerhalb ihrer Ostblockstaaten nur unzureichend und auch Sabotageakte waren zu diesem Zeitpunkt nicht unbedingt außergewöhnlich. Nachdem Kvapil den Flugplatz Fürstenfeldbruck überflogen hatte und trotz Landefreigabe weiterflog, wird vermutet, dass er die Orientierung verloren hatte und den Versuch unternahm, in sein Heimatland zurückzufliegen. Dazu reichte der Treibstoff nicht mehr aus.

Mitglieder der »Gemeinschaft deutscher Streitkräfte« errichteten im Jahr 2007 an der Unglückstelle eine kleine Gedenkstätte. Alfons Wieshuber, früher selbst Starfighter-Pilot, fertigte ein Holzkreuz mit schlichter Inschriftentafel aus Messing, die ehemaligen Fliegerkollegen aus Budweis stifteten einen Gedenkstein.

Zur feierlichen Einweihung der liebevoll geschmückten Gedenkstelle fanden sich am 26. Mai 2007 damalige Helfer, Vertreter des öffentlichen Lebens, Fahnenabordnungen mit Musik und einige deutsche Starfighterpiloten ein. Als Ehrengäste wurden tschechische Fliegerkollegen aus Budweis begrüßt, die teilweise noch mit Frantisek Kvapil gemeinsam geflogen waren. Ihr Sprecher, Brigadegeneral Jiri Zabransky bezeichnete die Gedenkstätte als Symbol der Freundschaft und Zusammenarbeit und als ein »Denkmal des Friedens«.

Auch im November 2013 – 45 Jahre nach dem tragischen Unfall – trafen sich wieder Anhörige beider Staaten zum Jahrtag an der Gedenkstätte. Aus den ehemaligen Gegnern sind Freunde geworden, die sich wechselseitig besuchen; 1968 unvorstellbar.


Walter Staller

 

50/2013