Meister Mathis, der große Unbekannte
Die Bayerische Landesausstellung über Grünewald in Aschaffenburg

Das Nachlassinventar des Malers, Inszenierung bei der Ausstellung in Aschaffenburg.

Der heilige Laurentius, Tempera auf Tannenholz.

Der heilige Cyriakus, Ölgemälde
Das Rätsel Grünewald beginnt schon mit dem Namen dieses nach Albrecht Dürer größten deutschen Malgenies, der um 1480 in Würzburg geboren wurde und 1528 in Halle an der Saale starb. Bei seinen Zeitgenossen hieß er Meister Mathis von Aschaffenburg und Mathis Gothart-Nithart, erst fünfzig Jahre nach seinem Tod taucht zum ersten Male der Name Grünewald auf, den der Künstler mit Sicherheit nie getragen, unter dem er aber in die Kunstgeschichte Eingang gefunden hat.
Die wenigen erhaltenen Bilder Grünewalds gehören zu den ausdrucksstärksten Werken der europäischen Kunst. Sie stellen die traditionellen Themen der christlichen Heilslehre auf so aufrüttelnde, moderne Art dar, dass der Maler nicht von ungefähr im 20. Jahrhundert wieder entdeckt und in seinem Wert erkannt wurde. Die Liste seiner Bewunderer reicht von Lobis Corinth und Max Beckmann über Pablo Picasso und Otto Dix bis zu Willi Sitte und Werner Tübke.
Unter dem Titel »Das Rätsel Grünewald« zeigt das Haus der Bayerischen Geschichte im Schloss Johannisburg in Aschaffenburg bis Ende Februar alles, was sich heute über den Maler Grünewald und seine Welt in Erfahrung bringen lässt: die Überlieferung seiner Biografie, eine kleine Anzahl herausragender Zeichnungen und Gemälde, Dokumente über seine Auftraggeber und Freunde, Belege seiner verschiedenen Tätigkeiten und Lebensstationen als Baumeister, »Wasserkunstmacher«, Farbenhersteller, Seifensieder, Alchimist und Maler am Hofe der Kurfürsten und Erzbischöfe von Mainz. Mit Originalstücken der Zeit und Rekonstruktionen werden Alltagsleben und Arbeitswelt Grünewalds rekunstruiert. Gold- und Silberschmiedearbeiten, seltene Drucke und kostbare Handschriften, Prunkgewänder und Bildnisse beleuchten die Welt des kurmainzischen Hofs, an dem Grünewald tätig war.
Aus konservatorischen Gründen war es leider nicht möglich, sein bekanntestes Werk, den großartigen Isenheimer Altar, nach Aschaffenburg zu bringen. Er ist, wie weitere wichtige Werke des Künstlers, die ebenfalls nicht ausgeliehen werden konnten, als Projektion zu bewundern.
Der Lebenslauf Grünewalds liegt weitgehend im Dunkel. Bekannt ist, dass er viele Jahre in Aschaffenburg am Main verbrachte, das zu Beginn des 16. Jahrhunderts als Nebenresidenz der Kurfürsten von Mainz eine Blütezeit erlebte. Sein wichtigster Auftraggeber war hier Heinrich Reitzmann, ein Geistlicher am Stift St. Peter und St. Alexander. Für den von ihm in Aschaffenburg eingeführten Maria-Schnee-Kult schuf Grünewald die »Stuppacher Madonna« als Altarbild. Eine weitere Spur führt von Aschaffenburg nach Frankfurt zu dem Patrizier und Großkaufmann Jacob Heller, der ein großes Altarwerk für die dortige Dominikanerkirche stiftete. An diesem Altar, dessen Mittelbild und Seitenflügel von Albrecht Dürer stammen, war Grünewald mit zwei Standflügeln beteiligt, auf denen St. Laurentius und St. Cyriakus dargestellt sind.
Eine entscheidende Rolle im Leben des Künstlers spielte sein Landesherr, der Kurfürst und Erzbischof von Mainz, Kardinal Albrecht von Brandenburg (1490-1545). Der skandalöse Ablasshandel, den der Kardinal zur Sanierung seiner angespannten Finanzlage betrieb, war ein wesentlicher Anlass zur Reformation. Der mächtige Kirchenfürst bedachte führende Künstler mit zahlreichen Aufträgen, stiftete Altäre und legte in seiner bevorzugten Residenz Halle mit dem »Halle´schen Heiltum« eine der kostbarsten Reliquiensammlungen seiner Zeit an. Mit der prachtvollen Ausgestaltung der dortigen Stiftskirche war außer Lucas Cranach und Hans Baldung Grien auch Grünewald befasst. Daneben geht auch die »Beweinung Christi« von Grünewald auf einen Auftrag Albrechts von Brandenburg zurück. Die einmalige Predella wird gemeinsam mit einer Röntgenaufnahme, die die unterschiedlichen Malschichten erkennen lässt, bei der Ausstellung gezeigt. Der Kurfürst ließ Grünewald auch drei Altäre für den Mainzer Dom malen, die später von den Schweden geraubt wurden. Leider ging das Schiff mit der unersetzlichen Beute in der Ostsee unter.
Den wertvollsten Hinweis auf Mathis Gothart-Nithart, wie Grünewalds Namen ursprünglich gelautet hat, gibt sein Nachlass, der 1528 in Frankfurt von einem Gerichtsschreiber protokolliert wurde. In dem Verzeichnis werden folgende Gegenstände aufgeführt: Goldwaage und Bisamapfel (Duftkapsel), Hofkleidung, Pinsel, Farben, Ringe, Hausrat, Schriften Martin Luthers, Gasröhren, Tierhäute, Seifensiederkessel, eine Klappsonnenuhr. Der Nachlasserlaubt nicht nur Mutmaßungen über die verschiedenen Tätigkeitsfelder des Malers, sondern gibt auch Aufschluss über seine technischen Kenntnisse, seine religiöse Überzeugung und seine soziale Stellung.
Die Nachricht vom Tod Grünewalds an den Rat der Stadt Halle weist auf einen weiteren Vertrauten des Künstlers hin, den Seidensticker Hans Plock, der ebenfalls am Hof des Kardinals beschäftigt war. Mit dem »Perlenaltar« schuf Plock ein ungewöhnliches Werk für den Reliquienschatz von Halle. In der zweibändigen Lutherbibel aus dem Besitz von Hans Plock entdeckte man erst mitte des 20. Jahrhunderts vier Zeichnungen Grünewalds, die der Seidensticker dort eingeklebt hatte. Um sie einzupassen, hatte er sie allerdings zuvor beschnitten, koloriert und teilweise sogar entstellt, indem er zum Beispiel aus einer laufenden Gestalt eine knieende machte.
Meister Mathis lebte in einer politisch und religiös unruhigen Zeit, die gekennzeichnet ist durch Schlagworte wie Humanismus, soziale Unruhen, konfessionelle Konflikte und Türkengefahr. Alte Ordnungen lösten sich auf, ein neues Menschenbild formte sich, das nicht mehr allein von der biblischen und kirchlichen Überlieferung bestimmt war, sondern sich auch an der griechischen und römischen Antike orientierte; daneben gab es aber auch stark apokalyptisch gefärbte Strömungen, die in den geistig-religiösen Umbrüchen Anzeichen des nahen Weltendes erblickten. Etwas von dieser spannungsgeladenen Atmosphäre kennzeichnet auch die Kunst Grünewalds, seine Bildsprache unterscheidet sich radikal von der Ausdrucksform der mittelalterlichen Künstler, und man kann sich gut vorstellen, dass viele seiner Zeitgenossen Schwierigkeiten hatten, seine Kunst zu verstehen.
Im Gegensatz zu dem überaus reichen malerischen Werk Albrecht Dürers nehmen sich die erhaltenen Werke Grünewalds mit 25 Gemälden, von denen allein 12 zum Isenheimer Altar gehören, und 35 Zeichnungen recht bescheiden aus. Dass Meister Mathis mit der Zeit in Vergessenheit geriet, liegt auch daran, dass er, anders als Dürer, keine Holzschnitte und Kupferstiche geschaffen hat, die vor der Erfindung der modernen Reproduktionsverfahren die einzige Möglichkeit bildeten, einen Künstler der großen Öffentlichkeit bekannt zu machen. Nur der Isenheimer Altar blieb als Meisterwerk der Malerei über die Jahrhunderte hinweg im Bewusstsein zumindest der Kunstkenner; der Wirkung dieses monumentalen Werks kann sich auch heute niemand entziehen, der es im Museum von Unterlinden in Kolmar auf sich wirken lässt.
JB
7/2003
Die wenigen erhaltenen Bilder Grünewalds gehören zu den ausdrucksstärksten Werken der europäischen Kunst. Sie stellen die traditionellen Themen der christlichen Heilslehre auf so aufrüttelnde, moderne Art dar, dass der Maler nicht von ungefähr im 20. Jahrhundert wieder entdeckt und in seinem Wert erkannt wurde. Die Liste seiner Bewunderer reicht von Lobis Corinth und Max Beckmann über Pablo Picasso und Otto Dix bis zu Willi Sitte und Werner Tübke.
Unter dem Titel »Das Rätsel Grünewald« zeigt das Haus der Bayerischen Geschichte im Schloss Johannisburg in Aschaffenburg bis Ende Februar alles, was sich heute über den Maler Grünewald und seine Welt in Erfahrung bringen lässt: die Überlieferung seiner Biografie, eine kleine Anzahl herausragender Zeichnungen und Gemälde, Dokumente über seine Auftraggeber und Freunde, Belege seiner verschiedenen Tätigkeiten und Lebensstationen als Baumeister, »Wasserkunstmacher«, Farbenhersteller, Seifensieder, Alchimist und Maler am Hofe der Kurfürsten und Erzbischöfe von Mainz. Mit Originalstücken der Zeit und Rekonstruktionen werden Alltagsleben und Arbeitswelt Grünewalds rekunstruiert. Gold- und Silberschmiedearbeiten, seltene Drucke und kostbare Handschriften, Prunkgewänder und Bildnisse beleuchten die Welt des kurmainzischen Hofs, an dem Grünewald tätig war.
Aus konservatorischen Gründen war es leider nicht möglich, sein bekanntestes Werk, den großartigen Isenheimer Altar, nach Aschaffenburg zu bringen. Er ist, wie weitere wichtige Werke des Künstlers, die ebenfalls nicht ausgeliehen werden konnten, als Projektion zu bewundern.
Der Lebenslauf Grünewalds liegt weitgehend im Dunkel. Bekannt ist, dass er viele Jahre in Aschaffenburg am Main verbrachte, das zu Beginn des 16. Jahrhunderts als Nebenresidenz der Kurfürsten von Mainz eine Blütezeit erlebte. Sein wichtigster Auftraggeber war hier Heinrich Reitzmann, ein Geistlicher am Stift St. Peter und St. Alexander. Für den von ihm in Aschaffenburg eingeführten Maria-Schnee-Kult schuf Grünewald die »Stuppacher Madonna« als Altarbild. Eine weitere Spur führt von Aschaffenburg nach Frankfurt zu dem Patrizier und Großkaufmann Jacob Heller, der ein großes Altarwerk für die dortige Dominikanerkirche stiftete. An diesem Altar, dessen Mittelbild und Seitenflügel von Albrecht Dürer stammen, war Grünewald mit zwei Standflügeln beteiligt, auf denen St. Laurentius und St. Cyriakus dargestellt sind.
Eine entscheidende Rolle im Leben des Künstlers spielte sein Landesherr, der Kurfürst und Erzbischof von Mainz, Kardinal Albrecht von Brandenburg (1490-1545). Der skandalöse Ablasshandel, den der Kardinal zur Sanierung seiner angespannten Finanzlage betrieb, war ein wesentlicher Anlass zur Reformation. Der mächtige Kirchenfürst bedachte führende Künstler mit zahlreichen Aufträgen, stiftete Altäre und legte in seiner bevorzugten Residenz Halle mit dem »Halle´schen Heiltum« eine der kostbarsten Reliquiensammlungen seiner Zeit an. Mit der prachtvollen Ausgestaltung der dortigen Stiftskirche war außer Lucas Cranach und Hans Baldung Grien auch Grünewald befasst. Daneben geht auch die »Beweinung Christi« von Grünewald auf einen Auftrag Albrechts von Brandenburg zurück. Die einmalige Predella wird gemeinsam mit einer Röntgenaufnahme, die die unterschiedlichen Malschichten erkennen lässt, bei der Ausstellung gezeigt. Der Kurfürst ließ Grünewald auch drei Altäre für den Mainzer Dom malen, die später von den Schweden geraubt wurden. Leider ging das Schiff mit der unersetzlichen Beute in der Ostsee unter.
Den wertvollsten Hinweis auf Mathis Gothart-Nithart, wie Grünewalds Namen ursprünglich gelautet hat, gibt sein Nachlass, der 1528 in Frankfurt von einem Gerichtsschreiber protokolliert wurde. In dem Verzeichnis werden folgende Gegenstände aufgeführt: Goldwaage und Bisamapfel (Duftkapsel), Hofkleidung, Pinsel, Farben, Ringe, Hausrat, Schriften Martin Luthers, Gasröhren, Tierhäute, Seifensiederkessel, eine Klappsonnenuhr. Der Nachlasserlaubt nicht nur Mutmaßungen über die verschiedenen Tätigkeitsfelder des Malers, sondern gibt auch Aufschluss über seine technischen Kenntnisse, seine religiöse Überzeugung und seine soziale Stellung.
Die Nachricht vom Tod Grünewalds an den Rat der Stadt Halle weist auf einen weiteren Vertrauten des Künstlers hin, den Seidensticker Hans Plock, der ebenfalls am Hof des Kardinals beschäftigt war. Mit dem »Perlenaltar« schuf Plock ein ungewöhnliches Werk für den Reliquienschatz von Halle. In der zweibändigen Lutherbibel aus dem Besitz von Hans Plock entdeckte man erst mitte des 20. Jahrhunderts vier Zeichnungen Grünewalds, die der Seidensticker dort eingeklebt hatte. Um sie einzupassen, hatte er sie allerdings zuvor beschnitten, koloriert und teilweise sogar entstellt, indem er zum Beispiel aus einer laufenden Gestalt eine knieende machte.
Meister Mathis lebte in einer politisch und religiös unruhigen Zeit, die gekennzeichnet ist durch Schlagworte wie Humanismus, soziale Unruhen, konfessionelle Konflikte und Türkengefahr. Alte Ordnungen lösten sich auf, ein neues Menschenbild formte sich, das nicht mehr allein von der biblischen und kirchlichen Überlieferung bestimmt war, sondern sich auch an der griechischen und römischen Antike orientierte; daneben gab es aber auch stark apokalyptisch gefärbte Strömungen, die in den geistig-religiösen Umbrüchen Anzeichen des nahen Weltendes erblickten. Etwas von dieser spannungsgeladenen Atmosphäre kennzeichnet auch die Kunst Grünewalds, seine Bildsprache unterscheidet sich radikal von der Ausdrucksform der mittelalterlichen Künstler, und man kann sich gut vorstellen, dass viele seiner Zeitgenossen Schwierigkeiten hatten, seine Kunst zu verstehen.
Im Gegensatz zu dem überaus reichen malerischen Werk Albrecht Dürers nehmen sich die erhaltenen Werke Grünewalds mit 25 Gemälden, von denen allein 12 zum Isenheimer Altar gehören, und 35 Zeichnungen recht bescheiden aus. Dass Meister Mathis mit der Zeit in Vergessenheit geriet, liegt auch daran, dass er, anders als Dürer, keine Holzschnitte und Kupferstiche geschaffen hat, die vor der Erfindung der modernen Reproduktionsverfahren die einzige Möglichkeit bildeten, einen Künstler der großen Öffentlichkeit bekannt zu machen. Nur der Isenheimer Altar blieb als Meisterwerk der Malerei über die Jahrhunderte hinweg im Bewusstsein zumindest der Kunstkenner; der Wirkung dieses monumentalen Werks kann sich auch heute niemand entziehen, der es im Museum von Unterlinden in Kolmar auf sich wirken lässt.
JB
7/2003