Jahrgang 2007 Nummer 18

Liebe, List und Leidenschaft

Die Antikensammlungen in München dokumentieren den Mythos Troja

Das »Trojanische Pferd« am Königsplatz in München

Das »Trojanische Pferd« am Königsplatz in München
Achilles lauert einem Feind auf. Innenbild einer Schale, 570 v. Chr.

Achilles lauert einem Feind auf. Innenbild einer Schale, 570 v. Chr.
Odysseus und der grollende Achilles, Vasenbild, 480 v. Chr.

Odysseus und der grollende Achilles, Vasenbild, 480 v. Chr.
Ein siebeneinhalb Meter großes hölzernes Pferd steht seit kurzem am Königsplatz in München und macht auf die Ausstellung »Mythos Troja« aufmerksam, die bis Ende des Jahres von der Staatlichen Antikensammlung und der Glyptothek veranstaltet wird. Die Erzählung vom zehn Jahre dauernden Trojanischen Krieg, der durch Helena, die schönste Frau der Welt, ausgelöst wurde, ist das motivreichste Epos der Antike und bildet den Inhalt von Homers »Ilias«. Sie enthält zwar nur einen kleinen Ausschnitt aus diesem Sagenkreis, hat aber doch vielen Generationen humanistisch gebildeter junger Menschen das dramatische Geschehen um Liebe, Kampf und Leidenschaft der antiken Helden zum unvergesslichen Erlebnis werden lassen.

Bei der Ausstellung »Mythos Troja« sieht man Vasenbilder, Plastiken, Münzen und Schmuck in der Hauptsache aus dem Besitz der Münchner Antikenmuseen, ergänzt durch Leihgaben der Archäologischen Staatssammlung, der Galerie am Lenbachplatz, der Staatlichen Münzsammlung, der Universität Erlangen und dem Martin-von-Wagner Museum in Würzburg. Das monumentale Holzpferd vor dem Museum haben Schüler der Meisterschule für Holzbildhauer in Zusammenarbeit mit einer Zimmerei in Jesenwang geschaffen.

Wenn man die Motive der ausgestellten Objekte verstehen will, ist es gut, die Geschichte des trojanischen Mythos wenigstens in den Grundzügen zu kennen. Zunächst gilt es, die wichtigsten Personen der zwei Kriegsparteien auseinanderzuhalten. Auf der Seite der Griechen sind das die Brüder Agamemnon und Menelaos, dann Achilles, Odysseus, Nestor, Ajas und Patroklus, auf trojanischer Seite Hektor, Priamos, Paris, Äneas und Memnon. Den Anfang des Konflikts zwischen Griechen und Trojanern bildet die Entführung Helenas, der Gattin des Agamemnon, durch Paris, den Sohn des trojanischen Königs Priamos. Daraufhin beschließen die griechischen Fürsten einen Rachefeldzug gegen Troja. Neun Jahre bleibt die Belagerung der Stadt erfolglos, die Griechen unternehmen in dieser Zeit zahlreiche Plünderungszüge in Kleinasien. In zehnten Jahr entsteht ein Zwist zwischen Agamemnon und Achilles. Es geht um die schöne Sklavin Briseis, die Agamemnon dem Achilles abspenstig gemacht hat. Achilles bleibt deshalb grollend dem Kampfe fern. Erst als der trojanische Anführer Hektor seinen Freund Patrokulus tötet, greift Achilles wieder in den Kampf ein, um Rache zu nehmen. Von seiner Mutter Thetis erhält er dafür eine kunstvoll geschmiedete Rüstung und besiegt Hektor im Zweikampf.

Zu nächtlicher Stunde dringt der listenreiche Odysseus mit einem Freund in die Stadt Troja ein und entführt das Kultbild der Stadtgöttin Athena. Damit sind die Trojaner des himmlischen Schutzes beraubt. Schließlich können die Griechen durch die von Odysseus ausgedachte List mit dem hölzernen Pferd Troja erobern. Aeneas gelingt es, zusammen mit eingen Gefährten nach Italien zu fliehen. Viele der heimkehrenden Griechen kommen unterwegs um, Odysseus erreicht nach vielen Irrfahrten die Heimat, wo er die seine treue Gattin Penelope bedrängenden Freier tötet.

Nach dem römischen Dichter Vergil war das hölzerne Pferd in Wirklichkeit eine mit Metallblech beschlagene, reich verzierte Pferdestatue nach Art eines Weihegeschenks, wie sie aus griechischen Tempeln bekannt sind – nur eben von überdimensionaler Größe; im Inneren bot es zehn bewaffneten Männern Platz. Das Pferd erschien den Trojanern zunächst äußerst suspekt, zumal der priesterliche Seher Laokoon vor der Annahme des Geschenks mit den Worten warnte: »Ich fürchte die Griechen, selbst wenn sie uns etwas schenken.« Der Umschwung kam erst, als Laokoon mit seinen Söhnen von zwei riesigen Schlangen anttackiert und getötet wurde und man darin ein Gottesurteil erblickte. Den letzten Zweifel zerstreute ein von Hirten aufgegriffener Grieche, der sich als Fahnenflüchtiger ausgab. Nach seinen Worten war das Pferd als Sühnegabe für den Raub der Stadtgöttin angefertigt worden; sein Besitz würde den Trojanern Glück und Sieg verheißen. Nun waren die Trojaner beruhigt und sogar bereit, einen Teil der Stadtmauer einzureissen, um das Pferd in die Stadt zu bekommen. Selbst als beim Transport aus dem Pferdebauch ein verdächtiges Geräusch wie Waffengeklirr zu hören war, schöpfte niemand Verdacht. In der Nacht verließen die Griechen ihr Versteck, öffneten die Stadttore, um das inzwischen wieder herangerückte Heer einzulassen, richteten unter den Bewohnern ein Blutbad an und brannten Troja nieder. Mit gutem Grund stehen am Anfang der Ausstellung Porträtbüsten von Homer, dessen großartige Epen »Ilias« und »Odyssee« den trojanischen Mythos in die klassische Form gegossen haben. Traditionell ist der Dichter blind dargestellt. Nach einem in den alten Kulturen des Orients verbreiteten Glauben besitzt der blinde Sänger eine besondere Gabe der Erinnerung und einer von allen Äußerlichkeiten nicht ablenkbaren inneren Schau, wie sie dem Sehenden verwehrt ist.

Homer wurde in der Antike für eine historische Persönlichkeit und für den Autor sowohl der »Ilias« wie der Odyssee« gehalten, so wie man überzeugt war, dass der Trojanische Krieg tatsächlich stattgefunden und die von Homer geschilderten griechischen Helden wirklich gelebt haben. Heute weiß man, dass die beiden Epen auf alte Heldenlieder zurückgehen, die zunächst von Sängern mündlich vorgetragen und erst später in eine schriftliche Form gebracht wurden. Selbst ob Homer wirklich gelebt hat, ist verschiedentlich bezweifelt worden, wird aber heute für wahrscheinlich gehalten. Seine Lebenszeit datiert man in das 8. Jahrhundert vor Christus. Einzelheiten über sein Leben sind uns aber nicht überliefert.

Es gibt kaum eine wichtige Szene des trojanischen Mythos, die in der griechischen Kunst, vor allem in der Vasenmalerei, nicht ihren Niederschlag findet. Häufig dargestellt sind die Taten von Herakles, dem beliebtesten griechischen Helden, von Peleus, bei dessen Hochzeit die Göttin der Zwietracht den verhängnisvollen Zankapfel unter die Gäste warf und von Theseus, dem Bezwinger des Minotaurus. Auch die Zweikämpfe zwischen außergewöhnlichen Helden haben die Künstler immer wieder inspiriert, etwa der Kampf zwischen Ajas und Hektor, Menelaos und Paris oder Achill und Memnon. Daneben finden sich menschlich sehr anrührende Motive, so Hektors Abschied von seiner Gattin Andromache: Beide ahnen dass der geliebte Gatte und Vater nicht mehr zu Frau und Kind heimkehren wird, und seine Frau ihr ferneres Leben als Witwe verbringen muss.

Dennoch glaubt Hektor, sich der Pflicht nicht entziehen zu können, die Heimat und seine Lieben zu verteidigen. Der Maler hat es verstanden, den seelischen Zustand und die tragische Situation des abschiednehmenden Paares, ihr ambivalentes Empfinden und ihren Schmerz hervorragend Ausdruck zu verleihen. Während sonst die Darstellungen Handlungsabschnitte des trojanischen Mythos zeigen, wird in den Abschiedszenen ein seelischer Ausdruck ins Bild gesetzt – nach dem Urteil von Kunsthistorikern zum ersten Mal in der Kunstgeschichte des Abendlandes.

Julius Bittmann



18/2007