Legendärer Musikant verbindet Salzburg und Bayern
Der »Scholi« prägt heuer den Salzburger Hirtenadvent – wer war das eigentlich?


Einen Vogelfänger oder Nachtwächter, einen Kugelmüllner oder Bandlkramer bauten Tobi und Tobias Reiser gerne in ihre Adventsingen ein: Naturverbundene MenschenamRande der Gesellschaft, die vielleicht hellhöriger für die weihnachtliche Botschaft waren, als etablierte Bürger oder Großbauern. In dieser Tradition sieht Josef Radauer, Leiter des »Salzburger Hirten- Advent«, die von ihm heuer ins heilige Spiel einbezogene Figur des armen Straßenmusikanten »Scholi«.
Das Stück »Es begab sich...« zum 100. Geburtstag von Wilhelm Keller feiert am 2. Dezember um 19 Uhr in der Aula der Universität Salzburg Premiere. Musikalisch gibt es ein »Wiederhören« mit den schönsten Liedern und Weisen aus 75 Jahren Adventsingen in Salzburg – eine Tradition, die Radauer seit 50 Jahren mitgestaltet. Der Salzburger Hirtenadvent, ein kleineres, an die Ursprünge anknüpfendes Adventsingen neben dem großen im Festspielhaus, findet heuer zum 16. Mal statt.
Diesmal treffen die Hirtenkinder auf den bekannten Minnesänger, Dudelsack- und Drehleiherspieler Thomas Schallaböck, der in die legendäre Gestalt des Scholi schlüpft. In der Rahmenhandlung erlebt man zunächst Kinder am Salzburger Christkindlmarkt, die gebannt dem Scholi lauschen. Zum Leidwesen der Kinder wird dieser vom Markt vertrieben, später aber von den Hirtensängern wieder aufgenommen. Er hilft ihnen, für das Kind im Stall das richtige Lied auszusuchen und einzustudieren.
Symbolfigur der freien Musiker, die Salzburg und Bayern verbindet
Der Scholi ist eine Figur, die in besonderer Weise Salzburg und Bayern verbindet. Geboren wurde Ferdinand Joly 1765 als siebtes Kind des Hofzuckerbäckers Joseph Alexius Joly, Nachfahre von Hugenotten, die vom französischen Hof vertrieben worden waren. Bis zu seinem Tod durch einen Schlag 1823 bei Kay nahe Tittmoning zog Joly als fahrender Sänger, Musikant und Dichter umher.
Für Radauer ist er auch eine Symbolgestalt für die Lage der freien Musiker in der Coronazeit. »Die Kinder stellen fest, dass jemand, der Musik macht, auch eine Bedeutung hat.« Ferdinand Joly habe versucht, in einer Zeit, in der dies eigentlich noch nicht möglich gewesen sei, frei von der Musik zu leben, ohne Bindung an einen Hof oder an ein Kloster. »Wir Sänger und Musikanten freuen uns, 'Scholis Erben' sein zu dürfen«, schreibt Josef Radauer im Programmheft. Zwei Jahre hintereinander hatte die Hirtenadventsfamilie vergebens gehofft, das Stück aufführen zu können.
Wer war dieser Ferdinand Joly eigentlich, der im Volksmund einfach der »Scholi« genannt wird?
Seine Familie war in Salzburg durchaus angesehen und es gab auch freundschaftliche Verbindungen zur Familie Mozart, etwa zwischen Ferdinands Tante Rosalie »Sallerl« Joly und Anna Maria Mozart, der älteren Schwester von Wolfgang Amadeus Mozart. Sohn Ferdinand begann seine Laufbahn im Salzburger Kapellhaus und war danach an der Lodronschen Universität eingeschrieben.
Sohn eines Zuckerbäckers wurde Opfer übler Nachrede
1783 wurde er von der Universität verwiesen, inklusive lebenslangem Verbot, die Studien fortzusetzen. Anlass ist einer Biografie von Cesar Bresgen zufolge wohl ein aus der Bahn geratener Streich, bei dem er zusammen mit einem Adeligen eine Mistgabel von einem Dach herunter geworfen hatte. Joly wurde Opfer übler Nachrede, nachdem ein Kaufmann behauptet hatte, er habe eine Hexe auf einer Mistgabel durch die Luft fliegen sehen – erst 1750 war in Salzburg die 16-jährige Maria Pauser aus Mühldorf als Hexe verbrannt worden. Der Plan einer klerikalen Laufbahn war gescheitert, Joly wurde seither der »ausgjagte Student von Salzburg« genannt.
Mehr schlecht als recht verdiente er sich als fahrender Musikant seinen Lebensunterhalt. Inspiriert wurde er dabei durch Mysterienspiele und Passionsspiele wie die von Erl, aber auch wortgewaltige Prediger wie Abraham von Santa Clara oder sein Onkel Raymund Joly, der Prior im Benediktinerstift Kremsmünster und Theologieprofessor war.
Er kam in Bauernhöfen und Pfarrhäusern unter, vor allem in der Chiemseegegend und im Rupertiwinkel, und dichtete, komponierte und sang gegen Kost und Logis. In einer Zeit, in dem kaum jemand auf dem Land lesen und schreiben konnte, schrieb er auch so manches Schriftstück, fungierte als lebendige Zeitung und unterhielt seine Zuhörer auch bestens. So war er bei der ländlichen Bevölkerung sehr beliebt. Dienstleistungen, wie er sie bieten konnte, darunter auch die Lüftlmalerei, waren damals geschätzt. Stets blieb er den wenigen Überlieferungen zufolge, die wir von ihm haben, ein unangepasster Freigeist. Die Radikalität und Nüchternheit der Aufklärer, die die einst blühende Volkskultur auf dem Altar von Technik, Macht und Fortschrittswahn opfern wollten, waren ihm genau so zuwider wie geheuchelte Frömmelei. So eckte er an und stieß als echter Aussteiger viele Zeitgenossen vor dem Kopf. So manches Mal musste er in seinen Stücken seine schonungslos offenen Worte tarnen, etwa als Predigt oderRede eines Hanswursten.
20 Volksschauspiele vom Scholi blieben erhalten
Laut dem Österreichischen Biographischen Lexikon verfasste er unter anderem Spottlieder, Bauernkomödien und Hirtenspiele, aber auch Toten- und Kirchenlieder. Etwa 20 Stücke von Joly blieben erhalten. August Hartmann, Mitarbeiter der Hof- und Nationalbibliothek München (heute Staatsbibliothek) und Volksliedsammler, war in den 1870er Jahren im Rupertiwinkel auf Jolys Spuren unterwegs und gab 1880 in Leipzig seine Volksschauspiele heraus.
Die Spuren des Scholi führten auch in die Salzachstadt Laufen. Deshalb steht er heute als Figur in der Laufener Kirchenkrippe. Wie es dazu kam, kann das Ehepaar Irmgard und Sepp Heringer erzählen. »Der Scholi kam über Cesar Bresgen in unser Bewußtsein«, erinnert sich Irmgard Heringer. Der 1913 in Florenz geborene und 1988 in Salzburg verstorbene Komponist habe viele volksmusikalische Forschungen betrieben, unter anderem auch über der Volkssänger, Vaganten und Theaterautor Ferdinand Joly. Der Scholi sei sicherlich auch nach Laufen gekommen und es sei bekannt, dass er auch für das Laufener Schiffertheater Stücke schrieb. »Einige Volkslieder sollen von ihm stammen. Cesar Bresgen befasste sich mit seinem Leben und Wirken und suchte nach Spuren, so kam er auch zu uns.«
Mysterienspiel »Der Scholi in Laufen« von Cesar Bresgen
Das Ehepaar Heringer gab ihm einige von den Geschwister Schiefer gesammelte Theaterstücke mit zur Durchsicht. »Ein Jahr später kam Bresgen wieder zu uns zu Besuch und hatte als 'Mitbringsel' ein Singspiel, in dessen Mittelpunkt der Vagant Scholi mit seiner Drehleier stand. Um ihn rankten sich Szenen und Lieder aus den Spielen, die wahrscheinlich aus Scholis Feder stammten«, erzählt Irmgard Heringer. Ergänzt durch neue Einleitungsmusiken für Bläserquintett von Cesar Bresgen selber sei eine Art Mysterienspiel à la »Jedermann« mit dem Titel »Der Scholi in Laufen« entstanden. »Wir waren natürlich sehr begeistert und konnten 1984 die Kreativszene in Laufen überzeugen und das Werk unter der musikalischen Leitung von Wolfgang Hein und Beratung von Cesar Bresgen zur Aufführung bringen.« Eberhard Kummer, ein Bresgen-Freund aus Wien, spielte den Scholi und begleitete sich selbst auf der Drehleier. Viele damalige Mitwirkende sind bekannte Laufener Namen. Alois Surrer spielte den Teufel, Hans Surrer das »Untersberg-Mandl«, Matthias Schauer Kaiser Friedrich Barbarossa und Ludwig Herzog einen Altbauern.
Das Blechbläserensemble der Stadtkapelle Laufen, der Chor der Musikfreunde Laufen unter Rolf Kraus und der Kinderchor der Grundschule Laufen unter Helga Raueiser wirkten mit; die Laufener Feuerwehr kümmerte sich mit Oliver Freudenthaler um Beleuchtung und technische Effekte.
Scholi wird Teil der Barockkrippe in Stiftskirche
So spielte sich ganz Laufen damals in eine regelrechte »Scholi-Begeisterung« hinein. »Und da zeitgleich unsere Barockkrippe im Wiederentstehen war, haben wir eine alte verfallene Figur restaurieren lassen und als Joly mit Drehleier eingekleidet, denn die gesamte Bekleidung der Krippe war verloren gegangen«, setzt Irmgard Heringer ihre Erzählungen fort. »So kam der Joly in unsere Krippe, wie auch Johann Michael Rottmayr und die Schiffsleute von Laufen in den alten Ständetrachten, die wir auch im Salzburger Museum und in der Kuenburg-Sammlung entdeckten.« Auch einen Ferdinand-Joly- Weg gibt es heute in der Salzachstadt.
In dem von ihm herausgegebenen Scholi-Liederbuch schreibt Cesar Bresgen in der Einleitung über seine Joly-Forschung. Ein Teil der von Joly überlieferten Volksspiele enthalte auch Lieder, so Bresgen, doch diese seien erstaunlicherweise meist ohne Melodien. Hartmann zufolge habe Joly selbst jeweils die Melodien erfunden und selber mitgesungen. Viele Lieder der Volkssänger seien von Mund zu Mund gewandert, seltener von Handschrift zu Handschrift, wobei so manches Mal der eigentliche Urheber in Vergessenheit geraten sei. So schrieben Kenner auch das bekannte Lied vom »Fensterstock-Hias« Joly zu, ebenso wie das Lied vom »Fürstnlebm« aus dem Liedschatz der Geschwister Schiefer in Laufen.
»Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass Hartmann nur einen Bruchteil des wirklichen Repertoires Jolys zu Gesicht bekommen hat«, schreibt Bresgen. So befinde sich im Besitz des Historischen Vereins Rupertiwinkel in Laufen ein »sehr geschlossenes, schönes Hirtenspiel, das 1821 durch den Leobendorfer Schullehrer Lorenz Haim abgeschrieben wurde«. Auch die Hirtenspiele aus Ruhpolding, Eisenärzt, Palling, Seebruck und Halsbach gehen offenbar auf Joly zurück. Übrigens hat sich auch Wilhelm Keller eingehend mit dieser historischen Figur befasst.
Volksaufklärer, neue Volksfrömmigkeit und Inspirationsquelle
Was macht den »Scholi« so einzigartig? »Joly, einerseits 'Volksaufklärer', andererseits zugehörig zu einer neuen, von aller Frömmelei weit entfernten 'Volksfrömmigkeit', hat sich wie kaum ein anderer in jener Zeit in die Volkssprache eingelebt und in ihrem Geiste gedichtet. Die Bildkräftigkeit einiger seiner sprachlichen Schöpfungen ist außerordentlich«, bringt es Bresgen auf den Punkt. Der fahrende Musiker hat ihn auch bei der Schaffung seiner bekannten »Loferer Passion« inspiriert, und schließlich setzte ihm Bresgen mit einer romanartig verfassten Biografie ein literarisches Denkmal. Das Buch »Der Scholi« trägt den Untertitel »Ein Salzburger Student, Vagant und Musikus um 1800.« Darin erfährt man zum Beispiel, dass der Scholi in Elsenloh unweit von Tittmoning, in einem Hof am Hochufer der Salzach, einen Platz gefunden hatte, wo er länger willkommen war und in Ruhe mit dem Einsammeln seiner überall verstreuten Texte beginnen konnte.
Einige Seiten später erzählt das Kapitel »Joly in Laufen«, wie der Scholi dem Gugitzer Muckei, einem alten Schiffer begegnet und mit dem Dichten des Stücks »Der Brennsuppen- Hiasl« für das Schiffertheater beginnt, bis er plötzlich von einem Boten nach Tittmoning gerufen wird: Er soll für einen überraschenden, hohen geistlichen Besuch ein neues Marienlied zur Begrüßung kreieren. Bresgen erzählt, dass er dem Boten, als er nach ein paar Tagen wiedergekommen sei, die Melodie so lange vorgesungen habe, bis sie dieser behielt. »Dann schreiben sie die Töne gemeinsam recht und schlecht auf ein mitgebrachtes Notenblatt. Weil Joly viele Fehler machte, korrigierte ihn der Bote, der selber Orgelspieler ist.« Prägte der »Scholi« sogar eine Redensart? Die Redensart »Mein lieber Scholi«, die eine gewisse Überraschung ausdrückt und sowohl bewundernd und anerkennend, als auch warnend verwendet wird, könnte einer von mehreren Theorien zufolge auch auf den Scholi zurückgehen. Was wieder für seine Popularität spricht. Die weiteren Aufführungstermine des »Salzburger Hirtenadvents« finden sich im Internet unter www.hirten-advent.at, wo auch Karten erhältlich sind. Ein eigenes verkürztes Adventsingen für Kinder, natürlich auch mit dem Scholi, gibt es am Freitag, 9. Dezember, um 16 Uhr.
Veronika Mergenthal
45/2022