Jahrgang 2013 Nummer 51

Krampus, Glasgurken und ein Christbaum für die Queen

Weihnachtsbräuche aus Bayern in den USA und Großbritannien beliebt

Echt amerikanische Krampusse feiern Partys in Hollywood und veranstalten Wettrennen.
Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Queen Victoria feierten deutsche Weihnachten.
Weihnachtliche Idylle mit royalem Christbaum in den »Illustrated London News« 1848: Szenen mit der königlichen Familie zählten auch damals schon zu den meist gedruckten Bildern.

Santa Claus statt Nikolaus, Häuser und Gärten mit Discobeleuchtung und Christbaumanhänger in Muffinsform sind nur einige der Erscheinungen, die sich zunehmend unter unsere herkömmlichen Weihnachtsbräuche mischen. Meist stammen sie aus den USA und sind, quasi im Kielwasser der Kommerzialisierung, über den Atlantik nach Europa übergeschwappt, um sich hier über Geschäfte und Christkindlmärkte zu ergießen. So einseitig diese Überflutung mit Kitsch aus Übersee vielfach erscheint, ist sie in Wirklichkeit aber gar nicht. Denn auch deutsche bzw. bayerische Adventsbräuche haben den Sprung über den Teich geschafft und in den englischsprachigen Ländern Fuß gefasst. So hat zum Beispiel unser traditioneller Nikolausbegleiter in den USA eine seit Jahren wachsende Fangemeinde, auch wenn ein Großteil der Amerikaner sich noch, sprachlich wenig vornehm, aber irgendwie passend die Frage stellt: »Who in hell is Krampus«? – »Wer zur Hölle ist Krampus?« Eine in Los Angeles beheimatete Internetseite mit der Adresse www.krampus.com klärt alle unwissenden Landsleute auf: »Krampus ist der finstere Begleiter des Heiligen Nikolauses, dem traditionellen europäischen Geschenkebringer im Winter. Normalerweise sieht er aus wie ein klassischer Teufel mit Hörnern, gespaltenen Hufen und einer riesigen Zunge«, erfährt der englischsprachige Leser dort über den mysteriösen Gesellen aus Europa, dessen Wurzeln in der alten Welt schon »Zehntausende von Jahren« zurückzuverfolgen seien. Damit wird auf den Brauch angespielt, dass sich die Menschen in vorchristlicher Zeit als Gruselgestalten verkleideten, um damit die bösen Geister des Winters zu vertreiben. Dass der Krampus sein Aufgabengebiet nun auch nach Übersee erweitert habe, hätten die Kinder in den USA der laxen Arbeitshaltung ihres eigenen Santa Claus zu verdanken. Während dessen europäischer Counterpart Nikolaus die »Drecksarbeit« einem Knecht überlasse, der sich wahlweise Rupprecht, Pelznickel, Schmutzli oder eben Krampus nennt, habe der amerikanische Santa Claus, wie so viele Geschäftsleute, die ein Unternehmen gründen, den Fehler begangen, alles selbst erledigen zu wollen. Sein Neue-Welt-Temperament war offensichtlich ungeeignet für die Übernahme dieser Aufgabe, stellt der Autor der Internetseite dem amerikanischen Weihnachtsmann ein nicht gerade überragendes Arbeitszeugnis aus. Santa Claus habe die Bestrafung vollkommen vernachlässigt, mit dem Resultat, dass amerikanische Kinder alle Furcht vor ihm verloren hätten. »Gott sei Dank ist nun, im 21. Jahrhundert, der Krampus im Land der verwöhnten und unzufriedenen Kinder angekommen, um die Zügel in die Hand zu nehmen.« Um zu unterstreichen, was verzogenen Sprösslingen nun droht, wird dieser an sich schon erhellende Text von flackernden Flammen flankiert.

Wirklich überzeugend klingt diese – aus heutiger Sicht ja auch sehr zweifelhafte – erzieherische Komponente allerdings nicht als Grund für den »Import« des Krampus, zumal die Schilderung, die anfangs kulturhistorisch einigermaßen korrekt daherkommt, mit einem Statement endet, das aus einem Werbeprospekt für Freizeitparks stammen könnte:

»Für alle, die gern im temperamentvollen Spaß von Halloween schwelgen, ist das Krampusfest die perfekte Ergänzung zu den traditionellen Festlichkeiten an Weihnachten«, heißt es da. Wer sich nicht nur einem, sondern einer ganzen Heerschar an Krampussen gewachsen fühlt, kann zum Beispiel einen »Krampusball« besuchen, der, wie kann’s in der Hollywoodmetropole auch anders sein, in den Kulissen eines Filmstudios stattfindet. Damit nicht genug, bekommt der finstere Geselle auch noch Unterstützung von Mitgliedern des »GTEV Oberlandler«. Wer sich jetzt wundert, welcher Trachtenverein aus Bayern sich für ein derartiges Spektakel hergibt: Es handelt sich um Diaspora-Trachtler aus Los Angeles, die »echt bayerische« Schuhplattlerkunst unter Beweis stellen und Alphorn blasen. Los Angeles ist aber nicht die einzige Stadt mit Krampusveranstaltungen. Heuer zum dritten Mal findet in Philadelphia ebenfalls ein Krampusrennen statt und auch in einem Ort mit dem überaus passenden Namen Athen im Bundesstaat Georgia rennen die finsteren Gesellen seit Neuestem um die Wette.

Eine ziemlich kuriose Geschichte verbirgt sich hinter dem amerikanischen Brauch, Anhänger in Gurkenform an den Weihnachtsbaum zu hängen. In den USA wird dazu nämlich die Legende kolportiert, wonach die Essiggurke, auf Englisch »Pickle«, an der Tanne eine typisch deutsche Tradition sei. »Eine alte Weihnachtstradition in Deutschland war es, am Heilig Abend einen Anhänger in Gurkenform zwischen den Zweigen des Christbaums zu verstecken. Wer am nächsten Morgen den Anhänger fand, bekam entweder ein zusätzliches Geschenk vom Nikolaus oder durfte sich über besonders viel Glück im neuen Jahr freuen.«

Diese Version eins der Essiggurkenstory hat allerdings so große Schwachstellen, dass schon den Amerikanern selbst Zweifel kommen. Weder bringe in Deutschland der Nikolaus die Geschenke, noch werden sie erst am 25. Dezember verteilt, wissen dortige Kenner deutscher Bräuche. »Das größte Problem mit der sauren Gurke ist aber«, wie auf einer Internetseite dann schonungslos festgestellt wird, »dass niemand in Deutschland jemals von dieser Tradition gehört hat.«

Vielleicht ist ja Version Nummer zwei die einzig »wahre« unter den Gurkengeschichten? Sie soll sich im amerikanischen Bürgerkrieg abgespielt haben. Ein 1842 in Bayern geborener Soldat namens John C. Lower diente im 103. Infanterieregiment von Pennsylvania und geriet im April 1864 in die Hände der Südstaatenarme. Als Kriegsgefangener wurde er in ein Lager gebracht, wo man offenbar nicht allzu fürsorglich mit den Soldaten aus dem Norden umging. Ein Dreivierteljahr nach seiner Internierung, an Weihnachten 1864, war John Lower dem Hungertod nahe und er bat einen Wärter inständig um eine saure Gurke. Dieser hatte a) Erbarmen und zauberte b) auf wundersame Weise eine Essiggurke aus dem Ärmel, die dem armen John das Leben rettete. Er sollte die Gefangenschaft überleben und kehrte irgendwann zu seiner Familie zurück. Zur Erinnerung soll Lower von da an jedes Jahr eine Gurke an seinen Christbaum gehängt haben. Bemüht man die Militärlisten des amerikanischen Bürgerkriegs, findet sich tatsächlich ein John Lower, der als Infanterist im 103. Regiment des Staates Pennsylvania gedient hat. Ob er jener Glückliche ist, der von einer Essiggurke gerettet wurde, bleibt allerdings offen.

Eine weitere Version der Gurkenlegende hat ihren Ursprung in einem Ort namens Berrien Springs im Bundesstaat Michigan, dessen einzige Attraktion ansonsten darin besteht, dass der Boxer Muhammad Ali irgendwo in der Nähe ein Grundstück besitzt. Das 1800-Seelen-Kaff beansprucht nicht nur, den Titel »Welthauptstadt der Essiggurke«, sondern auch, die Wahrheit über die Entstehung der Weihnachtsbaumgurke zu kennen, die allerdings keinen Bezug zu Deutschland hat. Demnach hätten sich zwei Schuljungen auf dem Weg nach Hause in die Ferien befunden, als sie in einer Herberge abstiegen. Deren Wirt war ein furchtbar böser Mensch, der die beiden in ein Gurkenfass steckte. Zum Glück machte auch der heilige Nikolaus höchstpersönlich Rast in der Schreckensherberge. Der bemerkte die armen Tröpfe und befreite sie aus dem Gurkenfass. Diese glückliche Rettung feiert man in Berrien Springs nun mit einem alljährlichen »Christmas Pickle Festival«. Und dann ist da auch noch folgende Gurkentheorie im Umlauf, die im Vergleich zu den herzerweichenden Legenden ziemlich prosaisch daherkommt. Demnach ist die hängende Gurke schlicht das Ergebnis findiger Marketingstrategen in den 1890er Jahren. Zu der Zeit kam in den USA gerade die gläserne Weihnachtsdekoration aus Orten wie Lauschau in Thüringen in Mode. Mit der Kreation neuer Motive erhofften sich die Händler ganz einfach einen noch größeren wirtschaftlichen Erfolg, und so entstand die »Christmas Pickle« aus »Good Old Germany«. Allerdings hinkt auch diese Geschichte, denn in Lauschau wurden allem Anschein nach früher nie Glasgurken produziert, genauso wenig wie in anderen Orten mit Glasindustrie. Zwar gibt es inzwischen auch in Bayern wie in Thüringen - und wahrscheinlich auch in Fernost Firmen, die aktuell Essiggurkenanhänger herstellen; der Impuls dazu kam aber aus den USA und nicht umkehrt.

Auch die Briten entdeckten Mitte des 19. Jahrhunderts unseren traditionellen Christbaumschmuck. Je mehr glitzerndes Glas aus Germany am Tannenbaum im trauten Heim hing, umso reicher musste der Hausherr sein, lautete das damalige Credo. Dass die zerbrechlichen Kugeln, Vögelchen und Zapfen tatsächlich an einem Nadelbaum glänzen durften, hat auch mit einem Deutschen, genauer gesagt mit einem Bayern zu tun, zumindest gehört seine Heimat heute zu Bayern: Prinz Albert von Sachsen-Coburg hatte 1837 seine Cousine, die britische Königin Victoria geheiratet. Mitregieren durfte der schneidige junge Mann zu seiner Enttäuschung zwar nicht, dafür aber das Szepter im königlichen Haushalt übernehmen. Um die Erinnerung an zu Hause zu bewahren, ließ Albert an Weihnachten einen Christbaum aufstellen.

Mit dem Baum änderte sich im Königshaus auch der Ablauf der Feierlichkeiten. Wie bei uns üblich, gab es die Geschenke in Schloss Windsor nun schon am Abend des 24. Dezember. Normalerweise bringt der Weihnachtsmann in Großbritannien die Geschenke heimlich in der Nacht zum 25. Dezember und die Bescherung findet dann am Morgen des 1. Weihnachtsfeiertages statt. Die Kinder hängen dazu am Abend des 24. leere Strümpfe auf, die der Nikolaus dann füllt. So mancher Brite mag es im 19. Jahrhundert bedauert haben, dass die eigenen Weihnachtsbräuche, wie zum Beispiel der traditionelle Mistelzweig, ins Hintertreffen gerieten zugunsten ausländischer Sitten. »Man muss aber schon eine ganz zynische Natur haben, wenn man keine Freude empfindet beim Anblick der jungen und glücklichen Gesichter, die sich um den Christbaum scharen«, gibt ein englischer Autor dann doch zu.

Die britische Königsfamilie ist übrigens bis heute bei den Bräuchen ihrer deutschen Vorfahren geblieben. Queen Elizabeth II. feiert zwar nicht mehr in Windsor, sondern in Schloss Sandringham, aber auch dort dürfen sich große, kleine und ganz kleine Royals wie der heuer geborene Dritte in der Thronfolge, Prinz George, schon am 24. um den Christbaum scharen und sich über die Geschenke freuen.


Susanne Mittermaier

 

51/2013