Jahrgang 2022 Nummer 52

Josef – Der jugendliche Zimmermann

Ein Bild von Georg Andreas Sollinger (1809-1847) – »Geschichten aus dem Heimathaus« / Teil XII

Georg A. Sollinger, Heiliger Josef in der Werkstatt, 1832. (Foto: Veronika Leopold)

Was für ein Arbeitseifer, der sich in diesem Gemälde äußert! Ein auf den ersten Blick gewöhnlicher junger Mann, strotzend vor Tatendrang, kniet mit dem linken Bein auf einer Holzplatte, während er sich mit dem rechten am Boden abstützt. Aus praktischen Gründen hat er sein Beinkleid bis über die Knie gestülpt. So ist es doch viel einfacher zu arbeiten. Auffallend konzentriert beugt er sich über das Holz und beginnt es mit gebündelter Kraft durchzusägen. Wir sehen einen Mann dabei, wie er ernsthaft seinen Beruf ausübt. Niemals würden wir ihn als Josef von Nazareth identifizieren. Nur sein nebulöser Heiligenschein und die zwei Engel in Verbindung mit dem Handwerkszeug des Zimmermanns weisen ihn als den Ziehvater von Jesus aus.

Das im Heimathaus ausgestellte Ölgemälde, 1832 entstanden, wirkt quadratisch, hat aber Leinwandmaße von 103 cm Höhe und 80 cmBreite. Der Traunsteiner Künstler Georg Andreas Sollinger wählte also ein Hochformat; Hauptfigur und darüber schwebende Engelsköpfe betonen optisch die Vertikale des Bildes. Die Szene ist nicht gänzlich im Innenraum verortet. Der Künstler ermöglicht einen Blick in den blauen Himmel, vor dem Baumkronen emporwachsen.

Es gibt mehrere Gründe, weshalb ich zu Weihnachten dieses Ölbild gewählt habe. In erster Linie ist es der heilige Josef, der als weltlicher Vater Jesu' und Mann der Gottesmutter stets ein Leben im Hintergrund führt. Und doch ist er eine so wichtige Person. Weihnachten ist die »wildeste« Zeit des Josef von Nazareth. Mit seiner hochschwangeren Verlobten reist er nach Betlehem zur Volkszählung. Nach der Geburt des Sohnes flüchtet die Familie nach Ägypten, um dem herandrohenden Kindermord zu entkommen. Noch vor der Geburt hadert Josef sehr mit seiner Zukunft und will sich still und heimlich aus dem Staub machen. Und ist zu glauben, dass die Verlobte tatsächlich jungfräulich schwanger geworden ist? Den Drang wegzulaufen, kann man also nachvollziehen. In einem Traum durch einen Engel aufgeklärt, bleibt Josef schließlich bei Maria und übernimmt Verantwortung. Des Weiteren übt die Konzentriertheit des jungen Mannes eine besondere Strahlkraft aus, und die künstlerische Umsetzung fasziniert mich zudem. Farbgebung und Pinselduktus sind bei der Abbildung nicht sichtbar; im Original jedoch ist die Verwandtschaft zum Klassizismus jener Zeit auszumachen. Dass Sollinger eine derart eigentümliche Bildidee umgesetzt hat, ist ebenso ein Aspekt, sich diesem Gemälde zu widmen. Er rückt den heiligen Protagonisten eher »leicht« bekleidet in den Fokus – und dann auch noch kniefrei. Ich weiß von keiner ähnlichen Darstellung des heiligen Josef.

Hinlänglich kennt man jene Szene, in der Vater Josef seinem Kind Jesus das Handwerk des Zimmermanns lehrt. Hier steht nicht der Heilige imVordergrund, sondern der Mensch Josef, der mit großer Aufmerksamkeit seine Arbeit verrichtet. Emotionen überzeugt darzustellen, war ein Talent von Georg Sollinger – sein Gemälde der »Beweinung Christi«, datiert 1830 (zu sehen im dritten Obergeschoß des Heimathauses) ist ein Beispiel dafür. Letztlich kann das Bild des jungen Josef als Vorzeichen für das Weihnachtsereignis und das nachfolgende Leben Josefs gesehen werden. Josef gilt als Nachfahre König Davids; jener David ist gemeint, der einst anhand einer Steinschleuder den riesigen Goliath besiegte. Hat Josef zu diesem Zeitpunkt womöglich schon gewusst, welch große Aufgabe ihn als Ziehvater des Gottessohnes erwartet? Denn körperliche Anstrengung dient allgemein als Ventil, die innere Anspannung abzubauen. Einen symbolträchtigen Hinweis könnten die Holzbalken im Bild rechts unten liefern: Wirken diese nicht wie der obere Teil eines Kreuzes? Oder, der junge Mann hat von der »Vorsehung« noch überhaupt keine Ahnung, geht einfach nur akribisch seiner Arbeit nach. Die geflügelten Engelsköpfe dürften es jedoch wissen; deren zum Himmel gerichtete Augen glänzen jedenfalls nicht vor Freude. Das Bild gibt keine klare Antwort auf die Frage nach dem Zeitpunkt im Leben Josefs, den der Künstler gewählt hat. Und gerade ungeklärte Faktoren verleihen einem Kunstwerk oftmals Lebendigkeit.

Die Familie Sollinger, Nachkommen des Künstlers übergaben das Gemälde vor über 70 Jahren dem Heimathaus als Schenkung, was die Sammlung um ein Kleinod bereichert. Denn Georg Sollinger schuf eine Bildlösung, die übliche Darstellungen des Heiligen Josef um eine außergewöhnliche ergänzt. Besten Dank dem Stadtarchivar Franz Haselbeck für die Künstlerdaten.

 

Veronika Leopold

Stiftung Heimathaus Traunstein Stadt- und Spielzeugmuseum

 

52/2022