Jahrgang 2011 Nummer 52

»Jedes G‘sichterl ein Gemälde«

Aschauer Privatsammler öffnet seine Schatzkammer

Was ist bayerische Erziehung? Wenn der Opa dem grad mal ein Jahr alten Enkelbuben aus dem voll eingeschenkten Bierkrug »bloß amoi probier‘n« lässt. »A Schlückerl werd eahm net schad‘n…!« Ludwig von Herterich hat eine solche Szene süffisant in Öl auf Leinwand festgehalten. Eine Genre-Szene. Will heißen: eine liebenswert- familiäre Alltagsbegebenheit, die nicht weiter von Bedeutung ist, aber den Anspruch erheben darf, allgemeingültig zu sein. Jedenfalls für Bayern. Kein bestimmter Opa ist dargestellt, schon gar kein bestimmter Enkel. Der am venezianischen Barock orientierte, aus Ansbach gebürtige Maler hat, vor etwa hundert Jahren, eine Beobachtung mit dem versiert geführten Malpinsel festgehalten, die sich in jedem Bauern-«Sacherl«, in jedem Haushalt der »kleinen Leut‘« auf dem Lande hat zutragen können. Wir Heutigen haben unsere helle Freud‘ an solchen »Genrebildern«, die typische Vorkommnisse des menschlichen Lebens festhielten. Wer besondere Freud‘ daran hat, ist der in Aschau am Inn lebende Peter Schmidt. Allein: die Freud‘ machte ihn noch nicht zum Besitzer zahlreicher Originale aus der Hand sogenannter Genremaler vor allem des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts; Sammlereifer und Sammlerglück mussten dazukommen - und taten es auch. Seit Ende der 1950er Jahre hält Schmidt, von 1960 bis 1966 Sportreferent im Stadtrat von Waldkraiburg, Liebhaber bayerischer Lebensart, Literatur und Volksmusik, mit Erfolg Ausschau nach Gemälden, die amüsant, humorvoll und bisweilen durchaus hintergründig das Landund Kleinleuteleben seiner Heimat künstlerisch relevant einfangen.

»Jedes G‘sichterl ein Gemälde«, sagt Peter Schmidt und deutet auf eine gut postkartengroße, gerahmte Wirtshausszene des von ihm geschätzten und in seiner Sammlung mehrfach vertretenen Hamburger Malers Hugo Kauffmann, der 1915 in Prien starb. Andere Bildschöpfer gibt es, die durchaus in der Qualität Kauffmann keineswegs nachstehen, es aber zu weniger Ruhm gebracht haben. Alexander Burr etwa, der über einen soeben eingenickten Großvater schmunzeln lässt, den adrette Knaben durchs offene Fenster an der Nase kitzeln. Oder Hermann Bever, der in eine Bauernkuchl führt, wo die blutjunge Hausherrin, ins Feiertagsdirndl gekleidet, ihr Mäderl anleitet, dem auf dem Herd sitzenden Suppenenlöffler ein Stückerl Brot abzugeben. Friedlich und beschaulich, keineswegs realgetreu, sondern »gehöht« sind die Szenen, auf die der Betrachter voll Wonne blickt. Bisweilen auch verschmitzt und schlitzohrig, spitzbübisch, stets im besten Sinne naiv und voller Biedersinn. Verliebten Madln steht die zarte Röte im Gesicht, erfolgreichen Liebeswerbern die Siegesgewissheit. Feiste Klosterbrüder haben ihre Lust am Hätscheln eines Wickelkindes, das ihnen ein Landwirtspaar in Sonntagstracht in ihrer Küche kurz überlässt, Bauernkinder ihr Gefallen an einem Affen auf dem Arm eines Italienerkindes. »O‘zapft is‘s« bei Albert Heine, der einen sauberen, lächelnden Anfang-Vierziger mit Vollbart antrinken lässt, was ihn die resche »O‘zapferin« in aller Ruhe gewähren lässt. Kleine Formate (wie Julius Koeckerts 1875 gemaltes Oval mit einem Chiemsee-Hochzeitsschiff) wechseln mit erklecklich großen - etwa dem bewegten, figurenreichen Kammerwagen- Szenario des Louis Braun. Ihm gegenüber: ein vergrößertes Schwarzweißfoto mit einem Hochzeitspaar aus Niederndorf bei Kraiburg (um 1900), das die ganze Stellwand einnimmt.

63 Exponate zieren, allesamt gerahmt, die Wände des Waldkraiburger Stadtmuseums. Sie sind vorbildlich gehängt und mit wandgemalten Texten kurz kommentiert. Jedes Bild erzählt eine kleine Geschichte. In keinem Fall ist sie überliefert oder gar verbürgt, eher jeweils dazu zu denken. Ergänzt werden die von Peter Schmidt in einzigartiger Weise mit Liebe und Leidenschaft zusammengetragenen Bilder durch Schwarzweißfotos der Allgäuerin Auguste Städele, die um die 19. Jahrhundertwende bäuerliches Leben ihrer Heimat mit der Kamera einfing. In Vitrinen liegen Schriftstücke und Realobjekte aus jener Zeit, die Schmidts Gemälde trefflich ergänzen: Wanduhr und Tabakspfeife, bemaltes Bierglas und erbauliche Lektüre. Stadtarchivar Konrad Kern lieferte der glücklichen Museumsleiterin Elke Keiper, die das volle Vertrauen des privaten Leihgebers genoss, die zum Verständnis der gezeigten Werke nützliche Zeitleiste. Edwin Hamberger vom Stadtarchiv Mühldorf stellte die Zitate aus dem vom Bayernkönig 1862 auch im Landkreis Mühldorf a. Inn angeordneten Untersuchungsbericht eines Mediziners zusammen. Da ist zu lesen: »Bei den Hochzeiten wird fabelhaft gegessen. Der Mund wird hierbei als Fresswerkzeug dergestalt in Anspruch genommen, dass er beinahe ganz aufhört, als Sprachwerkzeug zu dienen.« Ein »Genre-Bild« in Worten.

Die Ausstellung »Bilder erzählen. Vom Zyklus des Lebens« im Stadtmuseum Waldkraiburg läuft bis 12. Februar, jeweils Dienstag - Freitag von 12 - 18 Uhr, Samstag und Sonntag von 14 - 17 Uhr.


Dr. Hans Gärtner



52/2011