»Jahr ohne Sommer« 1816 in Europa
Vulkanausbruch in Indonesien vernichtet große Teile der Ernte – Teil I



Die beiden Grußbotschaften passen dabei so gar nicht zu den damals so beliebten Druckwerken, auf denen sich kitschig bunt kolorierte Liebespärchen, gut genährte Putti oder zuckersüße Kinder tummeln und sentimentale Sprüche verbreiten. Tatsächlich bestand für Uhland und Bergler zum Jahreswechsel 1816/17 aber Anlass genug, pessimistisch in die Zukunft zu schauen, denn die Krise, die der Dichter wörtlich und der Maler bildlich prophezeien, ist kein Ergebnis besonders schwarzmalerischer Gemüter, sondern bittere Realität einer Katastrophe, mit denen nicht nur die beiden Künstler, sondern die gesamte bayerische Bevölkerung damals konfrontiert war. Dabei hätten die Menschen zwischen Bodensee und Donau 1815 noch allen Grund gehabt, positiv ins neue Jahr zu blicken: Nach mehr als 20 Jahrzenten Krieg, der sich 1789 mit der Französischen Revolution entzündet und 1796 auf bayerischen Boden übergeschwappt war, herrschte nun endlich Frieden, woran auch der vor kurzem noch so kampfeslustige Napoleon Bonaparte nichts mehr ändern sollte, denn der saß seit Oktober 1815, gut bewacht von britischen Militärs, auf einer tristen Insel im Atlantik fest. Die Monate zuvor hatte er mit seiner Flucht von Elba und der Mobilisierung einer Armee, mit der er in Waterloo aber endgültig unterging, noch einmal gehörig für Aufregung gesorgt.
Während der machthungrige Franzose in Paris seinen letzten Coup plante, hatte sich von der westlichen Welt weitgehend unbemerkt, auf der anderen Seite der Erdkugel eine Katastrophe ereignet, gegen die kein noch so gut aufgestelltes Heer gefeit gewesen wäre und deren Folgen das Leben nicht nur der Menschen in der unmittelbaren Umgebung, sondern auf der ganzen Welt massiv beeinflussen würde.
Im Frühjahr 1815 war es auf der indonesischen Insel Sumbawa zum bis heute stärksten Vulkanausbruch der Geschichte gekommen. Erste Vorzeichen, dass der Tambora nach gut 1000 Jahren Ruhephase wieder aktiv war, hatte es bereits 1812 in Form von leichten Erdstößen und einer Rauchwolke über dem Krater gegeben. Am 5. April 1815 war es aber nicht mehr mit ein wenig Grollen getan: Mit Stärke sieben auf dem Vulkanexplosionsindex war bereits die erste Explosion so heftig, dass sie noch im knapp 1300 Kilometer entfernten Batavia, heute Jakarta, zu hören war. Am 10. April folgte dann die zweite Explosion, bei der dann zu der Asche, die der Tambora beim ersten Knall ausgestoßen hatte, riesige Mengen von Bimssteinen kamen. Augenzeugen berichteten dazu von drei Flammensäulen, die den Krater emporstiegen und sich dort vereinigten. Die dabei entstehende Asche-Gas-Mischung mündete schließlich in einen gewaltigen pyroklastischen Strom, der als »flüssiges Feuer« mit bis zu 700 Kilometern Geschwindigkeit den Berg hinabdonnerte und alles Leben in der Umgebung unter sich begrub. Nachdem die Magmakammer leer war, brach der Gipfel des Vulkans ein, wobei so starke Kräfte freigesetzt wurden, dass es zu einer riesigen Flutwelle kam, die unzählige umliegende Inseln verwüsteten. Die bei der Eruption entstandene Energie war nach Berechnungen der modernen Wissenschaft 170000 Mal stärker als die Explosion der Atombombe über Hiroshima und die Menge an Asche, Gestein und Staub, die in die Atmosphäre geschleudert wurden, sollen sich auf 140 Milliarden Tonnen belaufen haben. Schätzungen zufolge forderte die Explosion unmittelbar 10000 Todesopfer und noch einmal rund 100000 Bewohner in den umliegenden Regionen, die entweder durch die Flutwellen oder während der anschließenden Hungersnot ums Leben kamen. Nicht eingerechnet sind dabei jene Millionen von Menschen, die weit entfernt vom eigentlichen Unglücksort und noch Jahre nach der Explosion Opfer der dadurch verursachten Klimaveränderung wurden.
Der Historiker Wolfgang Behringer hat in seinem 2015 erschienen Buch »Tambora und das Jahr ohne Sommer« den Ausbruch und die daraus für Europa entstandenen Folgen analysiert, wobei er zu dem Schluss kommt, dass schon die Sommer zuvor in Österreich und Bayern besonders nass und kalt gewesen seien, was aber ebenfalls auf Vulkan-Explosionen in Asien, die zwischen 1812 und 1814 stattfanden, zurückzuführen sei. Dass das Wetter damals tatsächlich aus der Norm fiel, hat schon der Meteorologe Wilhelm Christian Müller (1752 bis 1831) erkannt, demzufolge die unerwartete Kälte 1812, die zu einem ungewöhnlich früh einsetzenden Winter führte, mit ein Grund war, warum der Feldzug Napoleons nach Russland so desaströs verlaufen war.
Auch der folgende Winter 1813/14 war ungewöhnlich hart und hatte bis in den Mai gedauert, wodurch die Obsternte stark gemindert war. Im Juli und August hatte es dann im Inntal sogar geschneit, ebenso Anfang September in Bozen und Innsbruck, gefolgt vom dritten strengen Winter in Folge, was schon damals zu einer erheblichen Teuerung des Getreides geführt hatte. Das Frühjahr 1815 präsentierte sich, sehr zur Freude der Landwirte, ausnehmend mild. Doch die gute Laune sollte nicht lange anhalten: »Der unaufhörliche Regen fängt an, dem Korn Schaden zu tun, so dass es hin und wieder fault, das bisherige Frühobst ist wässerig, unschmackhaft und der Gesundheit nachteilig, vorzüglich soll es die Ruhr befördern«, schreibt die »Allgemeine Zeitung München« am 27. Juni 1816 nach wochenlangem Dauerregen, über den auch die Meldung, dass es witterungsmäßig selbst »in Europas schönstem Land«, Italien, nicht besser aussehe nicht wirklich getröstet haben dürfte.
Anfang Juli folgt dann aus Würzburg die Meldung, »dass dort der Main aus seinen Ufern getreten sey, und die benachbarten Straßen der Stadt überschwemmt hat. Der anhaltende Regen hat die Bäche in den oberfränkischen Gegenden dergestalt angeschwellt, dass an vielen Orten die Heuernte weggeführt wurde.« Mitte August gesellen sich zu den Sturzfluten dann auch noch fürchterliche Hagelschauer und im September fielen wie im Nördlinger Ries an zehn Tagen die Temperaturen schon mehrfach unter den Gefrierpunkt. Die anhaltenden Wetterkapriolen gaben inzwischen auch damaligen Experten Anlass genug, über die vermeintlichen Ursachen zu spekulieren.
In der »Großherzoglich Badischen Staatszeitung« stellt ein namentlich nicht benannter Experte fest, dass seit dem ungewöhnlich warmen Sommer von 1812 die folgenden mehr oder weniger auffallend kühl gewesen seien, wobei sich der gegenwärtige diesbezüglich besonders auszeichne. Den Zusammenhang zu den Vulkanausbrüchen in Asien ahnt er allerdings nicht. Der erste Wissenschaftler, der diese Verbindung herstellt, sollte 1913 der amerikanische Physiker William Jackson Humphreys sein. Der zitierte Fachmann in der badischen Staatszeitung gibt dann auch zu, dass die Ursachen dieser seltenen Witterung »bei dem noch immer sehr unvollkommenen Zustand der Witterungskunde« nicht festzumachen sei, er vermute jedoch, dass »der große merkwürdige Komet von 1811 einen besonderen Einfluss auf unser Sonnensystem gehabt, und dadurch in der Erdatmosphäre uns bis jetzt unbekannte physische Prozesse veranlasst« habe.
Andere Experten waren der Ansicht, dass sich in kalten Jahren in der Sonne weniger und in warmen mehr Licht entwickle, was sich dann entsprechend bei den Temperaturen bemerkbar mache. Die Befürworter dieser Erklärung kamen der Wahrheit tatsächlich weit näher als die Anhänger der Kometentheorie, denn die Sonneneinstrahlung spielte tatsächlich eine gewichtige Rolle, allerdings nicht ursächlich. Die Milliarden Tonnen Staub, Rauch und Asche, die während der Explosion des Tambora wie auch der vorangegangenen Ausbrüche in Asien in die Atmosphäre geschleudert worden waren, hatten sich anschließend wie ein Schirm in luftiger Höhe ausgewirkt, durch den die Sonnenstrahlen nicht richtig durchdringen konnten, was dann unter anderem zum Rückgang der Temperaturen geführt hatte.
Der Bevölkerung damals hätte allerdings auch wenig geholfen, wenn sie über die Ursachen Bescheid gewusst hätten, denn die Ackererträge waren damit auch nicht besser geworden. Wie angespannt die Situation vor allem der Bauern war, schildert Joseph von Hazzi 1818 in seinen Betrachtungen über Theuerung und Noth der Vergangenheit und Gegenwart: »In der Mitte des Sommers fühlte man oft solchen Frost, dass man zum Ofenfeuer Zuflucht nehmen musste. Im Julius und August harrte der Landwirt von einem Tag zum andern, aber stets vergebens, auf günstiges Erntewetter. Aller Glocken Getue und der Priester Psalme konnten den Sonnenblick nicht erstehen. So verspätete die Ernte sich zwei Monate und auch dann kamen die Früchte teils ausgewachsen, teils nass in die Scheunen.«
Der hochrangige Beamte und Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Vereins in Bayern stand 1816/17 mit seinen Kollegen im Staatsapparat vor der drängenden Frage, wie man von staatlicher Seite auf die sich abzeichnende Versorgungskrise reagieren sollte. Anzeichen für erste Unruhen in der Bevölkerung hatte es schon Anfang Juni gegeben, wobei zunächst die Menschen in den ländlichen Gebieten, ab Juli auch in der Stadt ihren Unmut über befürchtete Preissteigerungen für Getreide und Brot kundtaten, was dann auch beim König und seinen Ministern besorgte Mienen hervorrief: »Kaum etwas fürchtete man mehr als Hungerunruhen, speziell in München, wo immer auch der Bierpreis eine Rolle spielte, der wegen des Rohstoffs – Gerste oder Weizen – mit dem Brotpreis eng verknüpft war«, schildert Wolfgang Behringer.
Der Zorn zahlreicher Menschen hatte sich zunächst noch auf die Bäcker und Brauer konzentriert, war dann aber auf Kaufleute und Banken übergeschwappt, als das Gerücht umging, dass ein Bankier, dem Verbindungen zum Herrscherhaus nachgesagt wurden und der noch dazu Jude war, was auch damals schon manche Gemüter zusätzlich erhitzte, angeblich in Getreide- und Kartoffelspekulationen verwickelt sei. Die Sorge und daraus wieder die entstehenden Animositäten schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt ist nur verständlich, wenn man die damaligen sozialen Verhältnisse kennt: Bayern war trotz der im Zuge der Napoleonischen Kriege angestoßenen Modernisierung in Staat und Verwaltung nach wie vor ein Land mit starkem sozialen Gefälle, in dem die große Masse der knapp vier Millionen Untertanen keinen bis wenig finanziellen Spielraum hatten. Tagelöhner, Handwerker und Dienstboten, die nicht von ihrer Herrschaft verpflegt wurden, mussten dabei buchstäblich jeden Kreuzer zweimal umdrehen, um einigermaßen über die Runden zu kommen, ganz zu schweigen von den Menschen, die wegen Krankheit oder Alter nicht mehr arbeiten konnten oder Eltern, die neben dem eigenen Mund auch noch den etlicher Sprösslinge zu stopfen hatten.
Susanne Mittermaier
Teil 2 in den Chiemgau-Blättern Nr. 45 vom 11. 11. 2017
44/2017