Jahrgang 2003 Nummer 33

In Österreich leben wieder Braunbären

Die wilden Tiere wurden in den Alpen wieder heimisch

Ein Braunbär streift durch den österreichischen Wald. Mit Unterstützung der Umweltschutzorganisation WWF werden seit 1989 in Öst

Ein Braunbär streift durch den österreichischen Wald. Mit Unterstützung der Umweltschutzorganisation WWF werden seit 1989 in Österreich wieder Braunbären im Rahmen eines Auswilderungsprojektes angesiedelt. Dieses Projekt für Meister Petz ist einzigartig in Europa und inzwischen auch international anerkannt.
Als im Jahr 1842 ein Holzknecht in der Region Zellerrain – rund 150 Kilometer südwestlich von Wien – den letzten frei lebenden Bären Österreichs erlegte, feierte sein Dorf tagelang den erfolgreichen Schützen: Er hatte das Land von dem »Plagegeist« erlöst. Niemand weinte Meister Petz auch nur eine Träne nach. Um so erstaunlicher war die öffentliche Begeisterung über einen Braunbären, der 1972 – 130 Jahre später – aus Slowenien schnurstracks nach Österreich einwanderte und sich just wieder am Zellerrain dauerhaft niederließ.
Er wurde »Ötscherbär« genannt, nach dem nahe gelegenen Gebirgsmassiv. Schnell wollten Tourismusmanager den Ötscherbären einfangen und in einem Park zur Schau stellen. Doch der war schlauer und konnte sich allen Fangversuchen entziehen. Österreich hatte wieder einen Bären, allerdings eben nur einen.

Dann geschah das bis dahin Undenkbare: Die Umweltschutzorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) erhielt im Jahre 1989 von den Behörden die Genehmigung, eine in Slowenien gefangene Bärin namens Mira im Ötschergebiet auszusetzen, um Nachwuchs zu ermöglichen. »Wir haben für Mira umgerechnet 5000 Euro zahlen müssen. Etwa so viel wie die Abschussprämie«, erinnert sich Norbert Gerstl.

Gerstl ist der »Bärenexperte« des WWF und betreut das Auswilderungsprojekt von Anfang an. Und tatsächlich, es klappte: 1991 tauchte Mira mit drei Jungen auf. 1992 folgte die Aussetzung der Bärin Cilka, die ebenfalls zwei Junge zur Welt brachte.

Der alte Ötscherbär starb im Frühjahr 1994 eines natürlichen Todes. Der inzwischen ziemlich berühmte Petz war zum Stammvater einer neuen Bärenpopulation in Österreich geworden. Ihn ersetzte 1993 der Artgenosse Djuro, der vom WWF ebenfalls von Slowenien ins Zentrum Österreichs verfrachtet wurde. Bis heute sind mindestens 26 Junge geboren worden, haben die Statistiker festgehalten.

Doch die WWF-Experten stehen dennoch vor einem Rätsel: In den letzten drei Jahren konnten in der Region nur 12 Bären nachgewiesen werden. »Wohin verschwinden die jungen Tiere?«, fragen die Fachleute inzwischen in ihren Informationsblättern.

Die Bärenforscher haben die DNA ihrer Schützlinge aus Haaren oder Kot analysiert und kamen so auf zwölf Tiere. »Wenn Sie Bärenhaare oder Losung (Jägersprache für Kot) finden, melden Sie das bitte«, werden Wanderer seit diesem Sommer zur Mitarbeit gebeten. Denn es gibt keinerlei Hinweise, dass Bären aus ihrer ursprünglichen Region abgewandert sind. Auch zu eventuellen Todesfällen durch Steinschlag oder Lawinen führen keine Spuren. Bleiben als Erklärung die illegalen Abschüsse.

»Den einen oder anderen Fall wird es geben. Gerüchte hört man immer«, sagt Bernhard Gutleb. Er trägt den offiziellen Titel Bärenanwalt und soll dafür sorgen, dass die tief sitzende Angst in der Bevölkerung vor den Braunbären abgebaut wird. »Das reicht von Vorträgen in Kindergärten und Bürgerversammlungen bis zu Diskussionen mit Bauern und Jägern«, beschreibt Gutleb seine Aufgaben. Daneben spürt er auch den Bären in freier Wildbahn nach und kümmert sich um die Entschädigung von Bauern, denen ein Bär wieder mal Schafe gerissen oder Bienenstöcke geplündert hat. Auch Kanister mit Rapsöl werden von den Pelztieren mit Vorliebe aufgebissen.

Gutleb arbeitet nicht am Ötscher, sondern im südlich gelegenen Bundesland Kärnten. Er betreut schätzungsweise zehn Bären, die ausnahmslos aus Slowenien und Kroatien selbstständig zugewandert sind. »Leider alles nur Männchen, nur ein Männergesangsverein!«, bedauert der Bärenanwalt. Daher gebe es »wenig Dynamik in der Population«. Die verendeten alten Bären würden regelmäßig von anderen Männchen ersetzt. Die Weibchen »sind häuslicher und noch 50 Kilometer Luftlinie in Slowenien entfernt«. »Wenn wir nicht nachhelfen und Weibchen auswildern, wird man noch 40 Jahre auf eine natürliche Vermehrung warten müssen«, klagt der Fachmann.

Doch eine ähnliche Bärenaussetzung wie im Ötschergebiet ist in Kärnten schlicht unmöglich. Die Leute haben eine Urangst, dass von Menschen künstlich angesiedelte Tiere hier nicht hinpassten, berichtet der WWF. Dagegen werden zugewanderte Bären als natürlich hingenommen. Die Ängste seien irrational, meint Gutleb. In den letzten zwölf Jahren habe es »nicht eine einzige Gefährdung eines Menschen« gegeben. »Es ist wahrscheinlicher, von einem herunterfallenden Blumentopf getroffen als von einem Bären attackiert zu werden«, ist er sich sicher.
Dass sich die von ihm betreute »Bären-Männergruppe« doch noch zu »normalen« Familien entwickelt, ist Gutlebs größter Wunsch. Hoffnung setzt er dabei auf eine einzigartige Bärenbrücke, deren Bau in diesen Tagen begonnen wurde. Bis zum Herbst soll östlich der Raststätte Arnoldstein eine so genannte Grünbrücke über die Südautobahn (A 2) führen. Auf 100 Metern Länge verschwindet die Autobahn dann in einem Tunnel, auf dass die Bären ohne Scheu die viel befahrene Straße überwinden können. »Der Weg von Slowenien nach Österreich wird für die Bären dann einladender. Und vielleicht ist ja doch einmal ein Weibchen dabei.«

Inzwischen ist das WWF-Projekt der Bärenansiedlung in Österreich international anerkannt und gewürdigt. Die Europäische Union hat für die nächsten drei Jahre die Hälfte der Kosten aus ihrem LIFE-Programm übernommen. Doch die Skepsis der heimischen Bevölkerung ist geblieben. Erst im letzten Sommer schlugen die Emotionen wieder hohe Wogen: Ein junger Bär stattete dem Nationalpark Hohe Tauern im Bundesland Salzburg einen Besuch ab und riss innerhalb weniger Tage in der Gemeinde Fusch 13 Schafe. »Der Bauer hängt an seinen Tieren«, erklärt Nationalparkdirektor Harald Kremser die Aufregung. Der Landwirt sei »emotional getroffen« und könne auch durch den finanziellen Ausgleich nicht zufrieden gestellt werden.

»1994 war unser Horrorjahr«, berichtet WWF-Experte Gerstl. Ein zugewanderter 180-Kilo-Bär hatte die Angst vor den Menschen vollständig abgelegt und suchte die Ställe der Bauern ohne jede Vorsicht heim. Auch tauchte er in Randgebieten von zahlreichen Gemeinden auf. Unter bis heute nicht ganz geklärten Umständen wurde der Übeltäter schließlich von einem Jäger erlegt.

In abgemilderter Form gibt es solche »Problembären« immer wieder. »Wir versuchen, sie zu vergrämen«, erklärt Gerstl. Mit Gummigeschossen und Platzpatronen. »Der Problembär soll lernen, sich von Menschen fern zu halten.« Besonders junge Bären lernten ihre Lektion schnell. »Mit diesen unfreundlichen Methoden retten wir den Bären ihr Leben.«

Dabei kommt es normalerweise kaum zu unverhofften Begegnungen zwischen Mensch und Bär. Das Tier ist von Natur aus scheu und hält einen gebührlichen hunderte Meter großen Abstand von seinem »einzigen Feind«. Von den im Jahr gezählten durchschnittlichen 150 Sichtkontakten entfallen nur drei Prozent auf Wanderer oder Pilzsucher, rechnen die Statistiker vor.

Doch immer wieder schimpfen die Jäger, dass sich Bären an den Fütterungsstellen für Rehe bedienen. Dokumentiert ist auch ein Bär, der 1992 schnell lernte, was ein Schuss aus der Jagdflinte für ihn bedeuteten kann: ein Festschmaus! Noch vor den Jägern war er immer wieder bei der erlegten Beute und schleppte sie fort.

Das österreichische Bärenprojekt ist in Westeuropa einzigartig. Eine so große neu angesiedelte Bärengruppe gibt es sonst nirgendwo. In den Pyrenäen ist ein ähnliches Projekt im französisch-spanischen Grenzgebiet am Widerstand der Schafzüchter gescheitert. Im italienischen Trentino hat man 1999 zehn Bären freigelassen, von denen einer nach Nordtirol ausgewandert ist.

In Österreich wird die Zahl der Bären insgesamt auf 25 bis 30 geschätzt. Eine stabile Population, die nicht vom Aussterben bedroht ist, sollte nach Ansicht der Experten wenigstens 50 Tiere umfassen. Die österreichischen Alpen bieten nach diesen Informationen sogar Platz für 100 Bären. Doch für weitere Auswilderungen müsste sich erst die Stimmung in der Bevölkerung wenden.

TB



33/2003