Jahrgang 2011 Nummer 50

»In derselben Gegend waren Hirten auf dem Feld...«

Die Bad Reichenhaller Stallweihnacht wurde zum 50. Mal aufgeführt

Am vergangenen Wochenende inszenierte das Einsatz- und das Ausbildungszentrum für Gebirgstragtierwesen 230, zusammen mit Volksmusikanten und Sängern aus der Region, im Reitstall der Kaserne Bad Reichenhall die »Reichenhaller Stallweihnacht « zum 50. Mal. Wie so oft, entstehen große Dinge aus einer ganz anderen Zielsetzung heraus, fangen bescheiden und klein an und entwickeln mit den Jahren eine Eigendynamik, die nicht mehr aufzuhalten ist. Auch hier war es so. Aus einer soldatischen Weihnachtsfeier des damals abgesetzten Tragtierzuges der Tragtierkompanie in Mittenwald entwickelte sich ein volksmusikalisches Juwel und eines der bedeutendsten Krippenspiele dieser Art im Alpenraum. Wenn auch nicht alle Details bis zur letzten Gewissheit recherchiert werden konnten und es unmöglich ist, alle Mitwirkenden und Akteure seit 1962 zu nennen, lohnt der Versuch doch, die markantesten Veränderungen wertungsfrei zu beschreiben.

Weihnachts-, Krippen- und Christi-Geburtsspiele, aber auch die alten Nikolausspiele gehören volkskundlich in die Gruppe der geistlichen Volksschauspiele, die in der christlichen Liturgie wurzeln. Die Anfänge reichen bis in das 13. Jahrhundert zurück. Der Legende nach ließ der Kirchenheilige Franz von Assisi in einem Wald bei Greccio in Italien im Jahr 1223 das erste Mal das Weihnachtsevangelium in Form einer lebenden Krippe darstellen. Aus dem Bemühen einer möglichst anschaulichen Versinnbildlichung des Heilsgeschehens in der Krippe entstanden während des Mittelalters, szenische Darstellungen mit Maria, Josef und dem Christkind. Im Advent 1962 war es noch ein mit einem Weihnachtsbaum geschmückter Haferkarren in der Stallgasse, der aus einer Idee des Stabsunteroffiziers a.D. Erwin Bögner heraus, im Mittelpunkt der bescheidenen Weihnachtsfeier des damaligen Tragtierzuges stand. Angesteckt von dieser besonderen Art und Weise, die Tragtiere mit in diese weihnachtliche Feier einzubinden und sie mit Brot zu »beschenken«, wollten immer mehr Soldaten anderer Kompanien und Familienangehörige an der Feier teilnehmen. Dies war der Grund, zu Weihnachten 1966 von der Stallgasse in die geräumigere Reithalle in der Artilleriekaserne umzuziehen. Dort war nun eine einfache Krippe, eine Art Rindenkobel aufgebaut, links und rechts flankiert von den Tragtieren und ihren Führern. Über der Krippe schwebten Girlanden und große Sterne, vor dem Standbild der Krippe mit Hirten, Schafe und einer männlichen Maria, trat der Nikolaus auf und die Kinder der Kompanieangehörigen wurden beschenkt. In diesen Anfangsjahren sangen die Soldaten selber Weihnachtslieder.

Ab 1968 untermalten u.a. der Männerchor aus Strub und die Gebrüder Resch aus Anger die Feier. Kinder des Reichenhaller Trachtenvereins »D‘Saalachthaler« agierten noch bis 1976 als Hirten. Unter dem damaligen Leiter der im selben Jahr aufgestellten Tragtierkompanie, Oberstabsveterinär Dr. von Braunmühl, entwickelte sich die Stallweihnacht ab 1972 entscheidend weiter.

Bereits seit 1967 verbrachten die Tragtierführer je ein Sommer- und Winterbiwak mit ihren Tieren in Unterwössen. Zu diesem Aufenthalt gehörte auch eine Feldmesse, die Pfarrer Franz Niegel hielt. Feldwebel Werner Zeininger, selbst Volksliedsänger und sehr stark mit der bayerischen und alpenländischen Tradition verbunden, hatte schon lange die Idee, mehr Volksmusik und alpenländische Lieder in das Standbild einzubringen, konnte sich jedoch mit diesem Gedanken alleine nicht durchsetzen. Pfarrer Franz Niegel aus Unterwössen war ebenfalls ein Volkskulturbegeisterter. Er organisierte schon seit Langem hochkarätige Advents-, Passions- oder Erntedanksingen in seiner Kirche und pflegte gute Kontakte mit namhaften Volksmusikanten. Im Jahre 1970 fand Zeininger schließlich in Pfarrer Niegel einen tatkräftigen, engagierten Mitstreiter. Er nahm den Grundgedanken des Feldwebels auf und schlug vor, aus dem Standbild ein regelrechtes Krippenspiel auf der Grundlage des Textes des Lukas-Evangeliums zu machen und in diese Handlung die passenden Gesangs- und Musikstücke einzubauen. In diese Überlegungen flossen auch Gedanken von Anette Thoma ein. Sie hatte nämlich die Idee, von Hinterwössen bis Oberwössen vier Szenen des Lukasevangeliums mit lebendigen Standbildern darzustellen, konnte diese aber nie umsetzen.

Bereits 1972 war es dann soweit. Vor der Krippe sangen damals die Roaner Sängerinnen, die Walchschmied- Buam, der Kirchenchor aus Unterwössen mit deren Leiter Jochen Langer, ergänzt durch die Weber Hausmusi aus Inzell und einer Bläsergruppe aus Unterwössen. Regie führte ab diesem Jahr, bis 2000, Werner Zeininger. Die Texte des Lukasevangeliums sprach Pfarrer Franz Niegel. Als Maria fungierte immer noch ein Soldat. Neben den Schafen bei den Hirten standen jetzt bereits auch ein Ochse und ein Tragtier im Stall. Im Jahr 1972 öffnete die Stallweihnacht ihre Pforten auch für die Öffentlichkeit.

Mit viel Enthusiasmus war Zeininger in den folgenden Jahren bestrebt das Bühnenbild, die musikalische Ausgestaltung und den Ablauf des Krippenspieles selber ständig zu verbessern und zu verfeinern. Dabei tauschte er sich intensiv mit Pfarrer Niegel und den Mitwirkenden aus, prüfte die Ideen auf ihre Umsetzbarkeit und verwirklichte diese, wenn sie einen Fortschritt für das Krippenspiel brachten. Störendes, wie die ständig gackernden Hühner, die Lautsprecherkabel fressende »Goaß« oder das beißenden Rauch produzierende Lagerfeuer schaffte er auch wieder ab.

Nach dem Rindenkobel und einer Spitzhütte erfuhr das Bühnenbild 1981 eine wunderbare Ergänzung. Die Besitzer des Datzmannlehens in der Ramsau schenkten der Kompanie einen alten Kaser. Dieser wurde auf der Lattenberg-Alm abgebaut und im Reitstall der Kaserne wieder aufgestellt. Seither kommt das Christkind dort jedes Jahr neu auf die Welt. Einige Jahre später wurde für die Hirtenszene ein kleiner Kaser in der Nähe dieses großen Kasers aufgestellt.

Während Zeininger sich vorrangig um diese Dinge kümmerte, war der neue Kompaniechef, Oberstabsveterinär Dr. Wolfram Noreisch, ab seiner Amtsübernahme 1976, nicht nur Feuer und Flamme für die Stallweihnacht sondern darum bemüht, die Stallweihnacht innerhalb der Bundeswehr, in der Region und darüber hinaus bekannt zu machen. Seine Bemühungen fielen schon bald auf fruchtbaren Boden. Bereits 1976 sendete RIAS Berlin ein Tonbild. ARD und ZDF folgten und der Österreichische sowie der Bayerische Rundfunk brachten eine jeweils einstündige Übertragung in ihren Programmen. Ein weiterer Ausfluss der Bemühungen waren sicher die Besuche ranghoher Militärs und Politiker. So wohnten u.a. zwischen 1992 und 2004 alle jeweiligen Generalinspekteure, 1996 Verteidigungsminister Volker Rühe mit dem amerikanischen Verteidigungsminister Lee Perry oder 2009 und 2011 Verkehrsminister Dr. Peter Ramsauer bei. In diesem Jahr besuchte mit Thomas de Maizière erneut ein Verteidigungsminister die Aufführung.

Thematisch wurde das Krippenspiel schon bald auf zwei Ebenen aufgeteilt. Rechts neben und vor dem großen Stall sitzen der Großteil der Gesangsund Musikgruppen mit dem Chor und den Bläsern. Etwas abseits auf der linken Seite spielt die Hirtenszene mit Erscheinung des Engels. Hier suchte Zeininger zum Thema passende Gruppen mit eher hirtentypischen Instrumenten wie Okarina, Flöten oder Alphörner. In die Szene wurde von 1973 bis etwa 1977 und wieder ab 1995 das Herbergssuchlied »Maria, ach verzeih es mir«, gesungen von je einem Sänger und einer Sängerin, meist aus den Gesangsgruppen heraus, eingebaut. Hans Holzner schrieb, eigens für die Stallweihnacht, die »Jochberger Hirta kemmand«. Die Hirtengruppe des Weißbacher Trachtenvereins ist bereits seit Ende der 1970er Jahre dabei. Unvergessen auch das Gesangssolo »Wos is denn do drunt auf‘n Land für a Röt‘« während des Hirtenspiels gesungen von Schorsch Kötzinger und später von Hans Holzner. Wegen der großen Nachfrage gab es ab 1987, neben der Kinder-Stallweihnacht, eine weitere und ab 1991 sogar zwei weitere Aufführung für Erwachsene. Ab circa 1980 wurde bereits eine zusätzliche Aufführung für Kinder angeboten. Eine weitere Verfeinerung erfuhr der musikalische Rahmen ab 1988 als Hansl Auer mit dem Inzeller Volksliedchor dazukam und diesen mit der Elzstätzinger Geigenmusi einspielte. Nahtlose Übergänge und hörenswerte Überleitungen zwischen dem Chor, den Gesangsgruppen und den Musikgruppen auf der rechten Seite des Kasers bringen bis heute ein einzigartiges musikalisches Gebilde zum Klingen. Seit 2002 gestaltet Thomas Büchele mit seiner Brodhauser Stubnmusi in ähnlicher Weise die zwei Veranstaltungen am Samstag. Im Jahr 1979 verkörperte mit Eva Seifert erstmal eine Frau die Maria, gefolgt von Eva Geretshauser, Rosi Loider und Anita Pfeilschifter, bis auf Eva Seifert allesamt Sekretärinnen in der Kompanie. Seit es Soldatinnen gibt, übernimmt diesen Part, seit einigen Jahren, eine Frau aus den Reihen der Soldaten. Als Sprecher fungierten bis 1989 Pfarrer Niegel, bis 1992 Hans Stangassinger, bis 2000 Werner Zeininger, bis 2003 Martin Ellenberger, bis 2009 Axel Djan und seit letztem Jahr Mathias Havel. Die letzten drei übernahmen ab 2000 zusätzlich die Regie. Mit Monsignore Franz Niegel 1996 und Jochen Langer mit dem Unterwössener Chor 1998 verabschiedeten sich 1996 zwei treue Wegbegleiter von der Reichenhaller Stallweihnacht. Dr. Wolfram Noreisch übergab sein Amt und sein »geliebtes Kind« – die Stallweihnacht – 2005 an seinen Nachfolger Oberstabsveterinär Dr. Franz Edler von Rennenkampff, dem jetzigen Leiter des Einsatz- und Ausbildungszentrums für Gebirgstragtierwesen 230. Die Organisation des musikalischen Teils wird seither komplett durch Hansl Auer und Thomas Büchele durchgeführt. Als Nebeneffekt konnten in den zurückliegenden Jahrzehnten mit den gesammelten Spendengeldern viele soziale Einrichtungen im Landkreis und durch Härtefälle betroffene Menschen unterstützt werden.

Bemerkenswert ist sicher auch, dass eine solche Veranstaltung auf einem Kasernengelände möglich ist, zumal die Tragtierkompanie einen ganz anderen, militärischen Auftrag hat. Schließlich kommen zu jeder Vorstellung etwa 700 Leute, früher waren es mehr. Kaum einer merkt, welch große logistische Herausforderungen zu meistern sind und welche Sicherheitsvorkehrungen im Hintergrund ablaufen, insbesondere, wenn sich hoher Besuch angekündigt hat. Seit 2010 wird die Stallweihnacht nun als Gemeinschaftsaufgabe der gesamten Gebirgsjägerbrigade 23 gesehen, die, trotz personeller Herausforderungen die sich durch den Wegfall der Wehrpflicht ergeben, auch weiterhin Bestand haben soll, wie Brigadegeneral Johann Langenegger und Dr. Rennenkampff betonten.

Viele Menschen haben sich Gedanken darüber gemacht, was den großen, ungebrochenen Erfolg der Reichenhaller Stallweihnacht ausmacht, warum nach so vielen Jahrzehnten immer noch alle Vorstellungen ausverkauft sind, trotz Eiseskälte, anfänglicher Stehtribüne, trotz Militärgelände und der einfachen Kulisse des Reitstalles.

Es ist zum einen sicher diese Schlichtheit des Krippenspiels, welches nach wie vor mit dem ursprünglichem Text des Lukasevangeliums auskommt, ohne jede schauspielerische Theatralik und Starallüren. In dieser Atmosphäre schaffen es sogar gestresste Menschen, aber auch alle Mitwirkenden, zur Ruhe zu kommen, auszuschnaufen und die Botschaft des Advents zu spüren. Zum Anderen war und ist es sicher die Liebe und Verbundenheit aller Sänger, Musikanten, Unterstützer und letztendlich der Soldaten zur Reichenhaller Stallweihnacht, aus der sich eine enge, beständige Freundschaft entwickelte. Für alle war und ist es etwas Besonderes, dabei zu sein, zu dieser »Familie« zu gehören, egal ob als Sprecher, Sänger, Musikant, Hirte, Engel, Maria, einer der drei Könige, als Lieferant der Bäume für das Bühnenbild, Koch, Beleuchter, Tontechniker, Schminker oder weil die eigenen Schafe mitwirkten. Wie Außenstehende und Mitwirkende die Reichenhaller Stallweihnacht sahen, sei an drei Zitaten dargestellt. So schrieb Wastl Fanderl 1987: »...meinen Dank und meine Hochachtung für sehr gutes Gespür, für wahren Volksmusikbrauch bei der wunderschönen Stallweihnacht.« Der Saalfeldener Dreigesang schreibt 1988: »Wir freuen uns auf ein Wiedersehen. Von so einer Veranstaltung, wie es die Eurige ist, zehrt man lange.« Und schließlich schrieb Monsignore Franz Niegel 1996: »... denn was Du da auf die Füaß gestellt hast, das war doch Verkündigung der Frohen Botschaft.«


Werner Bauregger



50/2011