In der Heimat des Meier Helmbrecht
Ein Besuch im Helmbrechthof in Oberösterreich

Helmbrecht in einer Illustration des Ambraser Heldenbuches

Der Helmbrechthof in Gilgenberg in Oberösterreich

Schautafeln schildern auf dem Helmbrechtpfad das Leben der Ritter und Bauern.
Etwa 15 Kilometer östlich von Burghausen liegt in der oberösterreichischen Gemeinde Gilgenberg der Helmbrechtshof. Einer alten Überlieferung zufolge ist es der Hof, von dem die im 13. Jahrhundert entstandene Dichtung »Meier Helmbrecht« erzählt. Hier verbrachte der junge Helmbrecht seine Kindheit und seine Jugend, und hierher kehrte er nach seinem Leben als Strauchdieb und Raubritter wieder zurück, wurde aber vom Vater abgewiesen und schließlich von den Bauern, die er mit seinen Raubgesellen jahrelang schikaniert und ausgeraubt hatte, ergriffen und am Galgen gehenkt.
Von Burghausen aus führt der sogenannte Helmbrechtpfad abseits der Landstraße durch den Weilhart-Forst nach Gilgenberg. Er ist ein Gemeinschaftswerk von bayerischen und österreichischen Tourismusverbänden. Historische Schautafeln vermitteln unterwegs dem Wanderer oder Radlfahrer Einblicke in die Lebenswelt der Bauern und Ritter im ausgehenden Mittelalter. Der Helmbrechthof selbst ist ein typischer Innviertler Vierseithof. Trotz verschiedener Umbauten dürfte sein Grundriss der ursprünglichen Anlage entsprechen. Er zählt jedenfalls zu den ältesten historischen Bauernhöfen Österreichs. Wer die Dichtung kennt, dem wird es nicht schwerfallen, sich vor Ort mit etwas Fantasie in die Atmosphäre und die Umwelt Helmbrechts und seiner Familie einzufühlen.
Der »Meier Helmbrecht« ist in zwei Handschriften überliefert, im sogenannten Ambraser Heldenbuch und in der »Berliner Handschrift«. Beide Fassungen wurden erst zweihundert Jahre nach der Entstehung des Werks niedergeschrieben. Bis dahin hat man den Text mündlich tradiert, im Mittelalter keine Seltenheit. Wohl aber ein Zeichen für die vorzügliche Kunst des Memorierens auch langer Texte! Abgesehen von Kleinigkeiten sind die zwei Fassungen gleich. Mit Ausnahme der Überschrift. Im Ambraser Heldenbuch lautet sie »Meier Helmbrecht« und meint damit den Vater des Helden, in der Berliner Fassung heißt sie einfach »Helmbrecht«, wie der Sohn gerufen wird. Diese Überschrift entspricht der Intention der Dichtung besser, weil der junge Helmbrecht die Hauptperson darstellt, und wird deshalb heute von der Forschung bevorzugt.
Es wäre zu kurz gegriffen, in der Dichtung nur eine tragische Familiengeschichte zu sehen. Hinter der Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn ahnt der Leser die gewaltigen sozialen und kulturellen Umbrüche in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, das erschreckend niedrige Niveau des Rittertums und das Streben des Bauernstandes nach Gleichstellung mit dem Adel. Der junge Bauer Helmbrecht will ein Ritter werden – und scheitert kläglich. Aus der Sicht des Dichters ganz zu Recht, denn er verletzt durch seinen Hochmut die gottgewollte Ständeordnung, nach der jeder Mensch an dem Ort bleiben soll, auf den Tradition und Geburt ihn gestellt haben. Eindringlich warnt der Vater seinen Sohn:
»Folge doch meinem Rat, davon wirst du Nutzen haben und Ansehen gewinnen, denn niemals hat der Glück, der sich gegen seinen Stand auflehnt. Du bist nun einmal für den Pflug bestimmt.«
Helmbrecht schlägt die väterliche Mahnung in den Wind. Vier schreckliche Träume des Vaters, die auf eine Katastrophe für Helmbrecht hindeuten, legt er zu seinen Gunsten aus, ohne sich ihren vorausdeutenden Sinn einzugestehen. Im Gegensatz zum Vater begleiten seine Mutter und die Schwester Gotelind Helmbrechts Auszug mit Sympathie. Zur kostbaren Kleidung, mit der sie ihn ausstatten, gehört eine reichbestickte Kappe, wie sie nur Ritter zu tragen pflegen.
Statt an einem vornehmen Hof bei einem edlen Ritter in Dienst zu treten, schließt sich Helmbrecht einer Rotte Raubritter an, die mit ihren Plünderungen die Gegend terrorisieren. Nach einem Jahr kehrt er kurzfristig nach Hause zurück, aber nur, um mit seinen Schandtaten zu prahlen und seine Familie herablassend zu behandeln. Er zieht auch seine Schwester Gotelind mit in den Sumpf, die seinem Kumpan Lämmerschlund angetraut wird.
Doch beim Hochzeitsfest schlägt das Schicksal zu. Die Bande wird von einem Richter gestellt. Neun Räuber werden auf der Stelle aufgehängt. Helmbrecht wird als Zehnter - nach alter Sitte - begnadigt, ihm wird die rechte Hand und der linke Fuß abgeschlagen und er wird geblendet. Reumütig kehrt er nach Hause zurück. Doch anders als im biblischen Gleichnis vom verlorenen Sohn weist ihn der Vater hart von der Tür, obgleich ihm dabei fast das Herz bricht. Aber so will es der Lauf der Gerechtigkeit.
»Knecht sperr die Tür ab und schieb den Riegel vor...« befahl der Vater. Alles, was er verbrochen hatte, das hielt er ihm vor. »Pack dich, verräterischer Bauernlümmel, schnell hinaus mit dir vor die Tür, was kümmert mich schon dein Elend!«
Nur die Mutter steckt Helmbrecht ein Stück Brot zu, er ist und bleibt ja ihr Sohn. Bald darauf erwischen ihn Bauern, die er früher um ihr Hab und Gut gebracht hat. Sie zerfetzen seine kostbare Haube und knüpfen ihn am nächsten Baum auf.
Der Dichter des Helmbrecht outet sich am Ende seines fast zweitausend Verse umfassenden Werkes selbst als Werner, der Gärtner (Wernher der Gartenaere). Doch leider ist uns außer seinem Namen nichts über ihn bekannt. Die Forschung hat verschiedene Varianten durchgespielt mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit. Weil er über die topografischen Einzelheiten der geschilderten Region gut Bescheid weiß, liegt die Vermutung nahe, dass er aus dem heutigen Innviertel oder dem Traungau stammt. War er von adeliger Herkunft, weil er mit so bedauernden Worten den Verfall des Ritterstandes beklagt? Oder ein Mönch, vielleicht aus dem nahen Kloster Ranshofen, weil er so meisterhaft die rhetorischen Mittel der Sprache beherrscht, wie das bei einer geistlichen Ausbildung verlangt wurde. Heute ist die Mehrzahl der Wissenschaftler der Meinung, Werner sei ein fahrender Sänger und Berufsdichter gewesen. Der Beiname »Gartenaere « müsse nicht die Bedeutung »Gärtner« haben, sondern könne auch »garten« im Sinne von »betteln, herumziehen« bedeuten. Eine andere Erklärung deutete »Gartenaere« als sinnbildliche Gleichsetzung der Dichtkunst mit einem Garten, wofür es in der zeitgenössischen Literatur Parallelen gibt. Man könnte dann Gartenaere übersetzen mit »Fahrender im Garten der Dichtkunst«. Wie man sieht, wurden zahlreiche Versuche unternommen, um dem Geheimnis des Dichters und seiner Herkunft auf die Spur zu kommen - aber letztlich sind es Spekulationen mit mehr oder minder großer Wahrscheinlichkeit geblieben. Mit absoluter Sicherheit kann auch der Helmbrechthof in Gilgenberg nicht als Helmbrechts Vaterhaus identifiziert werden, wenn auch manche Hinweise und die alte Überlieferung dafür zu sprechen scheinen.
Julius Bittmann
18/2011
Von Burghausen aus führt der sogenannte Helmbrechtpfad abseits der Landstraße durch den Weilhart-Forst nach Gilgenberg. Er ist ein Gemeinschaftswerk von bayerischen und österreichischen Tourismusverbänden. Historische Schautafeln vermitteln unterwegs dem Wanderer oder Radlfahrer Einblicke in die Lebenswelt der Bauern und Ritter im ausgehenden Mittelalter. Der Helmbrechthof selbst ist ein typischer Innviertler Vierseithof. Trotz verschiedener Umbauten dürfte sein Grundriss der ursprünglichen Anlage entsprechen. Er zählt jedenfalls zu den ältesten historischen Bauernhöfen Österreichs. Wer die Dichtung kennt, dem wird es nicht schwerfallen, sich vor Ort mit etwas Fantasie in die Atmosphäre und die Umwelt Helmbrechts und seiner Familie einzufühlen.
Der »Meier Helmbrecht« ist in zwei Handschriften überliefert, im sogenannten Ambraser Heldenbuch und in der »Berliner Handschrift«. Beide Fassungen wurden erst zweihundert Jahre nach der Entstehung des Werks niedergeschrieben. Bis dahin hat man den Text mündlich tradiert, im Mittelalter keine Seltenheit. Wohl aber ein Zeichen für die vorzügliche Kunst des Memorierens auch langer Texte! Abgesehen von Kleinigkeiten sind die zwei Fassungen gleich. Mit Ausnahme der Überschrift. Im Ambraser Heldenbuch lautet sie »Meier Helmbrecht« und meint damit den Vater des Helden, in der Berliner Fassung heißt sie einfach »Helmbrecht«, wie der Sohn gerufen wird. Diese Überschrift entspricht der Intention der Dichtung besser, weil der junge Helmbrecht die Hauptperson darstellt, und wird deshalb heute von der Forschung bevorzugt.
Es wäre zu kurz gegriffen, in der Dichtung nur eine tragische Familiengeschichte zu sehen. Hinter der Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn ahnt der Leser die gewaltigen sozialen und kulturellen Umbrüche in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, das erschreckend niedrige Niveau des Rittertums und das Streben des Bauernstandes nach Gleichstellung mit dem Adel. Der junge Bauer Helmbrecht will ein Ritter werden – und scheitert kläglich. Aus der Sicht des Dichters ganz zu Recht, denn er verletzt durch seinen Hochmut die gottgewollte Ständeordnung, nach der jeder Mensch an dem Ort bleiben soll, auf den Tradition und Geburt ihn gestellt haben. Eindringlich warnt der Vater seinen Sohn:
»Folge doch meinem Rat, davon wirst du Nutzen haben und Ansehen gewinnen, denn niemals hat der Glück, der sich gegen seinen Stand auflehnt. Du bist nun einmal für den Pflug bestimmt.«
Helmbrecht schlägt die väterliche Mahnung in den Wind. Vier schreckliche Träume des Vaters, die auf eine Katastrophe für Helmbrecht hindeuten, legt er zu seinen Gunsten aus, ohne sich ihren vorausdeutenden Sinn einzugestehen. Im Gegensatz zum Vater begleiten seine Mutter und die Schwester Gotelind Helmbrechts Auszug mit Sympathie. Zur kostbaren Kleidung, mit der sie ihn ausstatten, gehört eine reichbestickte Kappe, wie sie nur Ritter zu tragen pflegen.
Statt an einem vornehmen Hof bei einem edlen Ritter in Dienst zu treten, schließt sich Helmbrecht einer Rotte Raubritter an, die mit ihren Plünderungen die Gegend terrorisieren. Nach einem Jahr kehrt er kurzfristig nach Hause zurück, aber nur, um mit seinen Schandtaten zu prahlen und seine Familie herablassend zu behandeln. Er zieht auch seine Schwester Gotelind mit in den Sumpf, die seinem Kumpan Lämmerschlund angetraut wird.
Doch beim Hochzeitsfest schlägt das Schicksal zu. Die Bande wird von einem Richter gestellt. Neun Räuber werden auf der Stelle aufgehängt. Helmbrecht wird als Zehnter - nach alter Sitte - begnadigt, ihm wird die rechte Hand und der linke Fuß abgeschlagen und er wird geblendet. Reumütig kehrt er nach Hause zurück. Doch anders als im biblischen Gleichnis vom verlorenen Sohn weist ihn der Vater hart von der Tür, obgleich ihm dabei fast das Herz bricht. Aber so will es der Lauf der Gerechtigkeit.
»Knecht sperr die Tür ab und schieb den Riegel vor...« befahl der Vater. Alles, was er verbrochen hatte, das hielt er ihm vor. »Pack dich, verräterischer Bauernlümmel, schnell hinaus mit dir vor die Tür, was kümmert mich schon dein Elend!«
Nur die Mutter steckt Helmbrecht ein Stück Brot zu, er ist und bleibt ja ihr Sohn. Bald darauf erwischen ihn Bauern, die er früher um ihr Hab und Gut gebracht hat. Sie zerfetzen seine kostbare Haube und knüpfen ihn am nächsten Baum auf.
Der Dichter des Helmbrecht outet sich am Ende seines fast zweitausend Verse umfassenden Werkes selbst als Werner, der Gärtner (Wernher der Gartenaere). Doch leider ist uns außer seinem Namen nichts über ihn bekannt. Die Forschung hat verschiedene Varianten durchgespielt mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit. Weil er über die topografischen Einzelheiten der geschilderten Region gut Bescheid weiß, liegt die Vermutung nahe, dass er aus dem heutigen Innviertel oder dem Traungau stammt. War er von adeliger Herkunft, weil er mit so bedauernden Worten den Verfall des Ritterstandes beklagt? Oder ein Mönch, vielleicht aus dem nahen Kloster Ranshofen, weil er so meisterhaft die rhetorischen Mittel der Sprache beherrscht, wie das bei einer geistlichen Ausbildung verlangt wurde. Heute ist die Mehrzahl der Wissenschaftler der Meinung, Werner sei ein fahrender Sänger und Berufsdichter gewesen. Der Beiname »Gartenaere « müsse nicht die Bedeutung »Gärtner« haben, sondern könne auch »garten« im Sinne von »betteln, herumziehen« bedeuten. Eine andere Erklärung deutete »Gartenaere« als sinnbildliche Gleichsetzung der Dichtkunst mit einem Garten, wofür es in der zeitgenössischen Literatur Parallelen gibt. Man könnte dann Gartenaere übersetzen mit »Fahrender im Garten der Dichtkunst«. Wie man sieht, wurden zahlreiche Versuche unternommen, um dem Geheimnis des Dichters und seiner Herkunft auf die Spur zu kommen - aber letztlich sind es Spekulationen mit mehr oder minder großer Wahrscheinlichkeit geblieben. Mit absoluter Sicherheit kann auch der Helmbrechthof in Gilgenberg nicht als Helmbrechts Vaterhaus identifiziert werden, wenn auch manche Hinweise und die alte Überlieferung dafür zu sprechen scheinen.
Julius Bittmann
18/2011