Jahrgang 2014 Nummer 17

Im Wald und auf der Heide

Franz Graf Pocci und seine bald kecken, bald braven Hoppelmänner

Franz Graf von Pocci, Hofoberzeremonienmeister, kehrt abends müde von der Arbeit heim (Abb.1). Aquarellierte Federzeichnung Poccis, 1862.
Die Hasen bitten Professor Maßmann um Turnunterricht ihrer Jungen auf der Berliner Hasenheide (Abb. 2). Pocci-Karikatur, 1843.
»Der Osterhas«, Titelillustration von Pocci zu einem Buch mit Reimen von Georg Scherer, 1850 (Abb. 3).
»Die Vögerl die singen …«, Illustration Nr. 23 (Federzeichnung) zu einem von Pocci ausgewählten volkstümlichen Kinderlied, 1852 (Abb. 4).
Initiale »H« mit Jäger und davonspringendem Hasen, Pocci-Liederbuch-Illustration, 1856 (Abb. 5).
Initiale »D« zum Gedicht, das Kasperl geht auf die Jagd, 1852 (Abb. 6).
»Jagd« – einer der Schattenrisse, die Pocci oft auch für die »Münchner Bilderbogen« verwendete, die er illustrierte (Abb. 7 ).

Ein Franz Graf Pocci (1807 bis 1876) war sich für »Kindereyen« nie zu schade. Den goldgestickten Galafrack und den Schiffhut, den er als Hofzeremonienmeister, der bekanntlich drei bayrischen Königen diente, tragen musste, hätte er, wenn's nur möglich gewesen wäre, gern mit der Narrenkappe vertauscht (Abb. 1). Überdies war Pocci, der einer in Bayern sesshaft gewordenen italienischen Familie entstammte, Obermusiktheater-Intendant und Oberstkämmerer gewesen. Er hatte also als Staatsdiener etwas zu sagen in der Münchner Residenz. Dennoch war ihm, dem studierten Juristen, das Steife und Protokollarische, dem er qua Amtes verpflichtet war, stets zuwider. Am liebsten hätte er den ganzen lieben langen Tag nichts als gedichtet, Almanache herausgegeben, Märchen erfunden, komponiert, Stücke geschrieben – für Laien- und Puppen- Bühnen – und, natürlich, gezeichnet. Nichts Erhabenes. Oder doch? Denn Burgen lagen Meister Pocci sehr, zu ihnen blickte er ehrfürchtig auf – und machte eine Verbeugung vor dem Mittelalter. Und er kritzelte und skizzierte sofort drauflos, wenn er auf einer seiner Nah- oder Fernreisen eines Ritterschlosses ansichtig wurde.

Meistens aber begnügte sich der Zeichner Franz von Pocci mit dem, was um ihn herum wuselte. Oder in seiner Phantasie. Denn Wirklichkeit und Einbildungskraft verstand niemand so fein zu verbinden und so hintergründig zu Papier zu bringen wie er. Zum einen hatte er einen unleugbaren Hang zum Romantischen (schließlich lebte er ja auch in der Romantik!), zum andern aber gleichzeitig einen ausgesprochen peniblen Sinn fürs Spötteln und, wie damals vielleicht noch nicht so genannt, aber gemeint: Derblecken. Das tat der hagere gräfliche Nasenmensch, indem er durchaus auf sich selber schoss, freilich mit gesteigerter Lust dann gezielt auf Personen, die ihm ein Dorn im Auge waren, sich aufplusterten ohne Grund, die Macht zeigten, aber eigentlich ohnmächtig waren.

Dem Karikaturisten Pocci begegnen wir in einer Bildergeschichte, die das bloß »Humorige« weit übersteigt. In dieser kleinen Story treten Tiere auf, die zu den liebsten des Zeichners und Spötters, aber auch harmlosen Bild-Erzählers Franz Graf Pocci gehörten: die Feldhasen.

Vor knapp 150 Jahren berief der deutsche König Friedrich Wilhelm IV. den Universitäts-Germanisten Hans Ferdinand Maßmann nach Berlin. Weil er ein Fan des »zackigen« Turnvaters Jahn und Leiter der Königlichen Öffentlichen Turnanstalt in München war, sollte Maßmann die bayrische Haupt- und Residenzstadt verlassen und in Berlin den Turnunterricht fürs ganze preußische Schulwesen einführen. Es fügte sich für den so gerne gegen Obrigkeit und »Zackigkeit« aufbegehrenden Hasenfreund Franz von Pocci, dass jenem Gelehrten Maßmann die Berliner »Hasenheide« als Sportplatz zugewiesen worden war.

Pocci warf mit unbekümmert raschem Tuschfederstrich eine Folge von sechs Zeichnungen aufs Papier, die sich zu einem »Bilderbogen« fügten, der »Das Turnwesen in Berlin« vorstellte. Wie es da den Hasen ergeht, die ihre Heide seit Tiere-Gedenken bewohnen? Als sie den aufgeblasenen Ober-Turn-Lehrer mit einer Verbotstafel (»Alle dämagogischen Sprünge sind verboten bei drei Thaler Strafe«) daherkommen sehen, geraten sie in Unruhe und ergreifen die Flucht. Als sie kapieren, worum es geht, bitten sie bei Maßmann um Turnstunden für ihre Jungen (Abb. 2). Maßmann reiht sich auf dem vorletzten Pocci-Bild in die Hasen-Turnerriege ein. Zum Lohn wird er zum »Obersthofturnmeister« ernannt.

In dieser Super-Karikatur ergreift Pocci eindeutig Partei für die vom Preußenkönig (und seinem ihm treu ergebenen Maßmann) zu zähmen versuchten »höchst staatsgefährlichen Hasen«. Das Häslein liebte Pocci so wie er die Kinder liebte. Deshalb bringt er, wo es nur geht, Kinder und Hasen zusammen. Da bleibt er dann ganz und gar Kinderfreund und lässt den Karikaturisten so gut wie außen vor. Muss ja nicht immer gefrotzelt werden. Kinder eigneten sich da für Pocci sowieso weniger dazu als Erwachsene, denen er mit seiner scharfen, unnachsichtigen Häme nur allzu gern eins auswischte.

Zu den schönsten Pocci-Hasen-Bildern zählt zweifellos »Der Osterhas« (Abb. 3). Geschaffen wurde die Lithographie 1850 für ein gleichnamiges Buch mit Reimen von Georg Scherer. Es ging in Nördlingen beim Verlag C. H. Beck in Druck. Übergroß gerät dem Zeichner der Osterhase. Ernst schaut er drein. Er lässt sich von den Kindern, die um ihn herum den sprießenden, zwitschernden, aufkeimenden Frühling begrüßen, bewundern. Ein Bub in mittelalterlichem Gewand zieht den Federhut und macht eine Verbeugung vor ihm, die rechte Hand aufs Herz gelegt. Vor dem riesenhaften Nest, aus dem der Osterhase lugt, haben zwei Mädchen, das eine bekränzt mit Blumen, ihre Freude an gefundenen Ostereiern.

Häslein
Unter'm Tannenbaum im Gras
Gravitätisch sitzt der Has,
Wichst den Bart und spitzt das Ohr,
Duckt sich nieder, guckt hervor,
Zupft
Und leckt sich,
Rupft
Und reckt sich,
Endlich macht er einen Sprung;
Häslein, nimm dich doch in Acht,
Hund und Jäger schleichen sacht!

Wie schon im Hasenheide-Pamphlet sind auch in diesem Gedicht Friedrich Gülls, zu dem Pocci – wie zu vielen anderen auch, in dem Buch »Kinderheimath in Bildern und Liedern« (1846) – die Illustrationen beisteuerte, die Hasen mit Menschen gleichzusetzen. Es habe keinen Sinn, sich toll zu fühlen, ohne stets die lauernden Gefahren zu bedenken. Für das Häslein kommen sie von Hund und Jäger. Beide zeigt Pocci in seiner selbst-karikaturistischen Darstellung zu einem seiner vielen – entweder selbst getexteten oder übernommenen – »Alten und Neuen Kinderlieder« (1852). Als Jäger tritt er hier allem Anschein nach selber auf (Abb. 4). Erst lässt er die Vögel singen, die Hirschlein springen, das Füchslein blasen und – tanzen den Hasen. Dann fordert er den Jäger auf, mitzutanzen, nicht so steif und würdig einherzuschreiten mit seiner »neuen Büchs«, für die er eh nicht taugt. Die wie zum Schwarzweiß-Ball gekleideten Hasen im Frack lassen sich's jedenfalls nicht verdrießen. Sie wissen, dass ihnen so ein Jäger nichts anhaben kann. – Erst recht keiner, der sich, wie im »Jägerlied«, schon als Sieger über sein Schusswild dünkt: »He, he, he! Hirsch und Reh! Seh ich schon von ferne steh'n, eins davon weiß ich schon, wird mir bald zum Lohn. Ja ich sag, es bleibt dabei, lustig ist die Jägerei, so im Wald sich aufhalt, bis das Herz erkalt'«. Pocci lässt vor so viel Angeberei den Hasen fortspringen. Der dumme Jäger sitzt auf der »H«-Initiale (Abb. 5) und schaut in die falsche Richtung.

Ein kleines Hasen-Idyll gelingt Pocci in einer »D«-Initiale. Sie gehört zu dem Gedicht »Kasperl auf der Jagd« aus Poccis »Lustigem Bilderbuch« von 1852. Nun kommt endlich auch noch der Kasperl dran. Wo Franz von Pocci doch weitum als »Kasperlgraf« bekannt geworden ist, vor allem bei den Kindern, die ihn heiß liebten. Die Geschichte geht so: Der Kasperl wollte jagen gehen, mit der »Flinte ohne Hahn« und einer Flasche »Branntewein«, ohne Pulver und Blei (Abb. 6).

Gleich auf die Wies‘ ein Hase hocket,
Da ist der Kasperl sehr erschrocket,
Ein Has der ist ein grimmig Thier;
Der Kasperl setzt sich nieder hier,
Er muss vor Schrecken etwas schnaufen,
Denn der Has ist gleich davon gelaufen.

Gottlob werden die Kinder gedacht haben, denn sie standen immer, wie ihr Dichter, auf der Seite des Schwachen. Daran dürfte sich bis heute nichts geändert haben.

Bis aber, es muss noch gesagt werden, am Schluss doch noch, in einer anderen Pocci-Posse, zwei fröhlich hüpfende Hoppler der unbarmherzigen Flinte eines dreisten Jägerburschen zum Opfer fielen, der halt nicht der Kasperl war, sondern ein echter Verfolger der Vierbeiner im Wald und auf der Heide. Pocci zeigt die Hasen zuerst nichts ahnend, wie sie die Vogelscheuche auslachen, dann aber, wie es ihnen an den Kragen geht (Abb. 7) und sie zum Koch gebracht werden, der schon bereit steht, um ihnen die Haut über die Löffel zu ziehen, fürs Festmahl.

Hasenbraten als Sonntagsessen. Wir sehen im Geiste den dann doch immer wieder der Wirklichkeit ins Auge sehenden guten Grafen Pocci, wie es ihm, der in seinem »Büchlein für Kinder« von 1854 mal zur Abwechslung im Schwarzschnitt-Stil arbeitete, herzlich leid ist um die Hoppelmänner.


Dr. Hans Gärtner



17/2014