Jahrgang 2003 Nummer 16

Hundert Jahre Panorama in Altötting

Es ist eines der letzten Beispiele einer fast vergessenen Kunstform

Mittelteil des Panoramas mit der Kreuzigungsgruppe.

Mittelteil des Panoramas mit der Kreuzigungsgruppe.
Das Felsengrab des Josef von Arimathäa mit Jüngern und Petrus im Vordergrund.

Das Felsengrab des Josef von Arimathäa mit Jüngern und Petrus im Vordergrund.
Gebhard Fugel, Selbstporträt, um 1912.

Gebhard Fugel, Selbstporträt, um 1912.
Das Panorama »Kreuzigung Christi« im Wallfahrtsort Altötting wird heuer einhundert Jahre alt. Europaweit ist es das einzige im Original erhaltene Beispiel dieser früher weit verbreiteten Kunstform mit religiöser Thematik. Der Besucher erlebt wie ein Augenzeuge das Geschehen auf Golgatha vor der historischen Kulisse der Stadt Jerusalem.

Die Idee zum Altöttinger Panorama stammt von dem Maler Gebhard fugel (1863-1939), der auch die künstlerische Leitung innehatte. Fugel hatte sich früh durch seine realistisch gemalten religiösen Bilder einen Namen gemacht. Seine vielfach im Religionsunterricht als Anschuungsmittel verwendeten Bibelillustrationen haben die Glaubensvorstellungen unzähliger Menschen geprägt.

Zusammen mit seinem Kollegen Josef Krieger und dem Architekten Georg Völkl (beide aus München) gründete Fugel eine Gesellschaft für die Ausführung und Finanzierung des Projekts. Völkl sollte das Rundgebäude errichten, Krieger war für die Landwirtschaftsmalerei und Fugel für die Personendarstellung zuständig. Für die komplizierte Rekonstruktion der antiken Stadtansicht von Jerusalem gewann man zwei auf historische Architekturmalerei spezialisierte Fachleute.

Die Initiatoren verfolgten mit dem Panorama eine klar definierte religiöse Zielsetzung. Das entsprach ganz der Überzeugung Fugels, den die zeitgenössische Kritik als Erneuerer der christlichen Kunst und Überwinder der steril gewordenen Nazarenermalerei bezeichnete.

In einem Prospekt wurde das Werk mit folgenden Sätzen vorgestellt: »Das Panorama zeigt unter engster Anlehnung an die Heilige Schrift in historischer und topographischer Treue das erhabenste Ereignis der Weltgeschichte, den Kreuzetod unseres Herrn und Heilandes auf Golgatha. Unmittelbar vor den Augen des Beschauers im Angesichte der ragenden Mauern, Türme und Paläste Jerusalems spielt sich das erschütternde Drama der Menschheitserlösung ab. Die Form des Rundbildes mit plastischem Vordergrund steigert die Illusion bis zur Empfindung unmittelbaren Erlebens.«

Als Vater der Panoramaidee gilt Robert Barker, der Ende des 18. Jahrhunderts in London die erten Panoramen malte, vor allem zu Themen der englischen Geschichte. An den die eigene Nation verherrlichenden Darstellungen konnten sich die patriotischen Überlegenheitsphantsien berauschen. Andere Länder folgten bald diesem Beispiel. Napoleon war von den französichen Panoramen so begeistert, dass er einen ganzen Panoramenzyklus über seine siegreichen Schlachten plante. Der Lauf der Geschichte hat es nicht dazu kommen lassen.

Panoramen mit religiösem Inhalt blieben allerdings eine Ausnahme. Unmittelbarer Vorläufer des Altöttinger Panoramas war das 1886 in München eröffnete Kreuzigungspanorama von Bruno Piglhein in der Goethestraße. Als nach drei Jahren die Besucher ausblieben, wurde das Rundgemälde auf Reisen geschickt; es fiel wenige Jahre später in Wien einem Brand zum Opfer.

Auch Fugel hatte ursprünglich daran gedacht, sein Panorama in anderen Orten zu zeigen. Doch daraus wurde nichts, denn das Interesse an den Wanderpanoramen ließ nach, mehrere Panoramabauten wurden abgerissen. Fugel erkannte, dass man am ehesten noch in Altötting mit seinen Tausenden von Wallfahrern mit einem festen Besucherkries für ein Kreuzigungspanorama rechnen konnte und hier von den wechselnden Interessen eines Massenpublikums unabhängig war.

Fern jeder Affekthascherei hat Fugel ins Zentrum des Panoramas die von einer niedrigen Ringmauer umgebene Kreuzigungsgruppe mit Jesus und den zwei Schächern gestellt. Maria betet mit ausgestreckten Armen, gestützt von Johannes, Maria Magdalena kauert am Boden. Außerhalb der Ringmauer sieht man diskutierende Schriftgelehrte, verängstigte Anhänger Jesu und Soldaten, die um sein Gewand würfeln. Vor dem Anwesen des Joseph von Arimathäa stehen versprengte Jünger, etwas abseits kniet der seinen dreifachen Verrat beweinende Petrus. Dazu kommen Gruppen mitleidiger Frauen, heim marschierende Legionäre und ein Zug Passahpilger.

Ganz im Stil der klassischen Panoramakunst haben die Gestalter größten Wert auf die detailgenaue Wiedergabe der Stadt Jerusalem und ihrer Umgebung gelegt. Der gewaltige Tempelbezirk, die Sionsburg, der Hasmonäerpalast und die Burg Antonia sind zum Greifen nahe. Nahtlos gehen die gemalten Kulissen in das bühnenartige Vorgelände über, das den Zwischenraum zu der Besucherplattform überbrückt.

In den Jahren 1986-1989 wurde das Altöttinger Panorama in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege renoviert. Es steht heute unter Denkmalschutz als eines der letzten Beispiele einer fast vergessenen Kunstform und als lebendig gebliebene Stätte religiöser Besinnung..

JB



16/2003