Jahrgang 2011 Nummer 51

»Holder Knab‘ im lockigten Haar«

Wie uns das Christkind in kunstvollen Bildwerken gegenwärtig wird

Das »Salzburg Museum« birgt, als Leihgabe des Salzburger Museumsvereins, ein aus Privatbesitz erworbenes Autograph des weltweit berühmtesten »Weyhnachts-Liedes«, bis dato nach seinem Textanfang bezeichnet: »Stille Nacht, heilige Nacht«. Die Melodie schrieb Franz Xaver Gruber, den Text Joseph Mohr. Darin ist – so das Original – von einem »holden Knab‘« die Rede, der sich uns »im lockigten Haar« präsentiere. Als gelockten Blondschopf, pausbäckig, mit rosigen Wangen, feingliederig und mit hellwachen Augen – so stellen wir uns Christus als »Knab‘« gerne vor. Ein Ideal-Knäblein, hübsch anzusehen und gut gewachsen. In kaum zählbaren Varianten wird uns seit Alters das »Christkind« in Bildwerken der hohen und Volks-Kunst vorgestellt.

Um Weihnachten sind wir besonders bereit, uns dem göttlichen Kind zuzuwenden. Im Advent wird es herbeigesehnt und herbeigerufen – aber wir haben, wenn wir singen »O Heiland, reiß die Himmel auf …« eigentlich eher einen tatkräftigen jungen Mann als ein »Botscherl« vor Augen, dem noch der Kinderspeck wohlansteht. Wenn wir den »Herrn der Herrlichkeit« ansprechen, ist uns der verklärte, auch der auferstandene Christus ein ebenbürtiges Bild. Erst wenn er geboren ist, der kleine Jesus von Nazareth, und in der Krippe von Bethlehem liegt, armselig und dürftig in einem Stall mit Ochs und Esel, die ihm einzig Wärme spenden, in der Obhut seiner Eltern Maria und Joseph, besucht von Hirten mit Lämmern und Schafen und Hunden, später dann von Weisen aus dem Orient mit kostbaren Gaben und einem Gefolge auf Kamelen, Maultieren und sogar Elefanten, das sich mehr die Phantasie als die Vernunft hat zusammengereimt – dann erst ist der »holde Knab‘ im lockigten Haar« vor uns.

Bilder der Weihnachtskrippe zeigen das Jesuskind inmitten einer von Engeln gekrönten »Schar« der ersten Gläubigen. Damals wie heute sind es die Naiven, die nicht lange fragen, sondern vom »Gloria in excelsis Deo« der himmlischen Heerscharen hingerissen sind, und die Gelehrten (oder die, die sich dafür halten), die einer Erscheinung folgen, die sie nicht mehr loslässt, einem Stern, der erst über der Hütte von Bethlehem Halt macht und vor dem »neuen König« Halt gebietet, vor dem es gilt, das Knie zu beugen. Das Jesuskind ist zwar Hauptdarsteller in solchen Szenarien, aber es geht doch unter in der Menge der sie bunt Füllenden. Es liegt apathisch in der Krippe, lässt sich das ganze Theater vielleicht schmunzelnd gefallen. Nackt und bloß lagert es nur beim Evangelisten »auf Heu und auf Stroh«; die Krippenbauer haben dem hölzernen oder wächsernen Jesuskind stets ein weißes Windelchen umgelegt oder gar ein Hemdchen übergezogen. Krippenarrangements, ob ein-, zwei- oder dreidimensional, betonen die Echtheit des Geschehens, wollen bewusst naturalistisch sein – bis hin zur (nicht selten verkitschten) Annäherung an heimatliche Gefilde, in die man das ganze biblische Christnachtgeschehen folkloristisch holt.

Kostbar ausstaffiert dagegen ist das Christkind als Einzelgestalt. Unter Glasstürzen oder in Glaskästen, mit oder ohne geschnitzten und vergoldeten Rahmen, liegt es – keineswegs auf einem Bett aus Heu oder Stroh, sondern aus daunengefüllten weichen Polstern und spitzenüberzogenen Unterbetten. Reich ist der Zierrat, den diese »Fatschenkindl« zur Schau tragen. Nicht gespart wurde von den sie herstellenden Nonnen an Samt und Seide, an Goldlitzen und Perlen, an schimmerndem Glasfluss und zu Blüten geformten Stoffresten, Drähten und Flitterplättchen. Schöner als das berühmte Münchner »Augustinerkindl«, das den Gläubigen in der Weihnachtszeit gezeigt wird und als Anziehungs-Punkt erster Güte sogar für Nichtgläubige bekannt ist, will jedes Schrein-Kindl in einer Wohnstube oder Dorfkirche sein. Wächsern das Köpfchen, ist es umkränzt von Echthaar oder Haarimitat aus Wolle, Watte oder ähnlich flauschigem Stoff. Von Armen und Beinen ist nichts zu sehen – alles ist sorgsam und viel zu eng eingewickelt. Die Äuglein aus Glas. So echt wirken sie, dass man meint, das leibhaftige Christkind schaut einen an.

Aufrecht stehende Prinzen sind die »Gnadenkindl« von Prag und Filzmoos im Salzburgischen Pongau. Das »Prager Kindl«, in mancher altbayerischen Stadt- oder Stiftskirche im reich verzierten verglasten Schränkchen, auf den von den Prager Karmelitinnen von Hand heute noch hergestellten Applikationen auf Nadelstich-Grund, Spitzenbildern gleich, schaut ebenfalls den Betrachter unmittelbar an. Es segnet ihn mit der einen Hand, in der andern hält es ihm die Weltkugel entgegen: Schau her, du kleiner Mensch, ich, das noch unmündige Gotteskind, bin Thronanwärter. Dafür trage ich ein Krönchen auf dem Kopf und ein nobles Kleid am Leib, das eine Schau für sich ist. Adelige Damen haben mir ganze Garnituren gestiftet, damit ich als das vielbesuchte und verehrte »Prager Kindl« je nach Festtag und Kirchenjahreszeit ein passendes Gewand kriegen kann – von goldbesticktem weinrotem Samt bis zur azurblauen Seidenrobe. Nicht anders ist es beim Filzmooser Kindl. Das hält die Weltkugel und ein Glöckchen, eine Kuhschelle, in Händen. Sein Köpfchen ist aus Holz geschnitzt. Fein ausgeführt die Lockenpracht. Richtige Dauerwellen- Kringeln sind‘s, wie es sie vielleicht als Dessert bei der Starköchin Johanna Maier unweit der Peterskirche im Ort Filzmoos gibt. Aufrecht stehen auch andere Wallfahrtskindln: das vom Salzburger Loreto-Kloster, das von Altenhohenau bei Wasserburg am Inn (mit einer blauen Traube in der Hand), ebenso die Klosterkindl von Reutberg bei Bad Tölz und Holzen nahe Donauwörth.

Bekrönt und bekränzt sind manche gnadenreiche Jesulein – wie etwa das vom Kloster Holzen. Es befand sich – als sogenanntes Trösterlein oder Himmlischer Bräutigam – vor seinem »Auftritt« in der Kirche in einer Zelle der Schwesternschaft, bis es vor fast 300 Jahren eine Äbtissin zur allgemeinen Verehrung durch die Bevölkerung freigegeben hatte. Nicht ein einziges Haupthaar ist vom Holzener Kindl zu sehen. Die Krone drückt sich fest auf das Köpfchen, und mancher Pilger grübelt, ob das nicht etwa der Grund dafür sein könnte, dass das Holzener Kindl so »bedrückt« dreinschaut. Kränzlein setzt man dem Jesuskind, auch einem ganz gewöhnlichen aus einer unscheinbaren Dorfkirche, gelegentlich auf, aus Blumen geflochten. Das ziert den Jesusknaben besonders, macht ihn aber eher mädchenhaft als dass man in ihm den »holden Knaben« erblicken könnte. Das vielleicht mal vorhandene Kränzlein fehlt dem rein weiß gekleideten Jesuskind von Mörmoosen. Es kommt ein bisschen kahl daher. Wie sein Kreuzstab, der aus einem einfachen dicken Draht gebastelt ist.

Wohl fühlt sich das Gotteskind in guter Gesellschaft. Das drücken Bildhauer und Maler da und dort immer wieder augenfällig aus. Das Kind und seine Mutter – ein häufiges Motiv in der Kunst. »Madonna mit Kind« – welcher Maler hat das nicht dargestellt? Ob Caravaggio (Martin Walsers Novelle »Mein Jenseits«, 2010, feiert eine Madonna-Interpretation aus der Chiesa Sant Aguostino in Rom, wo Maria sich, das nackte Kind mit ihrem Mantel zu deckend, mildtätig, als dunkel getönte schöne Römerin einem vor ihr knienden Pilgerpaar vom Land zuwendet) oder Lukas Cranach, ob Tizian oder all die anonymen Ikonenmaler des orthodox-gläubigen Ostens. Allein wie viele wunderschöne Madonna-mit-Kind-Varianten zeichnen bayerische Wallfahrtskirchen aus! Von Maria Hilf in Passau bis hinauf ins Fränkische, wo Tilman Riemenschneider seine »g‘schnecklaten« schlanken Mutterbüblein schuf, von der steifschwarzen Altöttinger Kapellenmutter über Maria Dorfen bis hinein ins Gebirge nach Maria Kirchenthal oder Maria Gern …

Sohn eines kanonisierten Vaters darf das Jesuskind in mehreren Fällen der Heiligengeschichte sein. Am bekanntesten: Nährvater Josef mit dem Kind. Innig schaut es seinen handwerklich festen bärtigen Träger an. Auch der eher ätherisch heilige Antonius von Padua hält oft ein Kindl, eben das Kindl schlechthin, im Arm. Es steht auf seinem Predigtbuch, oder er lässt es sich von der Muttergottes aus dem wolkenreichen Himmel zuführen, die Arme weit nach ihm, dem Himmelsgeschenk, ausgestreckt. Ganz oft schaut das Jesuskind den »Kindltoni« unbeirrt ins Auge. Seltener wendet es den Blick von ihm, dem Lilienträger in franziskanischem braunen Habit, ab – wie etwa auf einer bunten Kachel, die ein Sammler alter Keramik im Showraum einer Sherry-Produktionsstätte in der Nähe von Sevilla dem Besucher präsentiert. Da trägt das Kind mal ausnahmsweise den ihm zustehenden Heiligenschein um das schütter behaarte Köpfchen. Wenn, wie in einer Straßenkapelle bei Ostermiething im oberösterreichischen Innviertel, das Jesuskind als Teil der Heiligen Familie dargestellt ist, hat es in den seltensten Gars am Inn. Fällen der Vater, sondern fast immer die Mutter im Arm – hier übrigens ein Lockenbüberl par exzellence! Papa Josef – nun, er ist schließlich nicht der leibliche Vater des Knaben – schaut etwas betreten zu und hält sich, vom Maler regelrecht in den Schatten gestellt, brav im Hintergrund. Nackt und bloß, wie Gott seinen eingeborenen Sohn erschuf, zeigt dieser sich als Kind oft genug in der Hochoder Spätgotik. Er steht dann häufig auf dem Schoß einer der heiligen Frauen, wenn nicht Mariens, dann Annas. Die heilige Anna ist die Großmutter des Jesusknaben, Maria ihre Tochter. Eindrucksvoll gelang das einem Schnitzer des ausgehenden 15. Jahrhunderts in seiner »Anna Selbdritt«-Version, die im Klosterbereich zu Gars am Inn in Oberbayern dem Besucher auf Augenhöhe begegnet. Das Lockenköpfchen hat offensichtlich Spaß an einer aufgeschlitzten Granatapfelfrucht, die ihm seine Mutter entgegenstreckt, selbst noch ein Spielkind von höchstens acht Jahren, sodass es verständlich ist, ebenso liebevoll von Sankt Anna (mit ihrem strengen Kopfwickel an eine Klosterfrau erinnernd) umfangen zu werden wie ihr Söhnchen. »Gottes Sohn, oh wie lacht Lieb‘ aus deinem göttlichen Mund«, dichtete Joseph Mohr – und singen wir im Weihnachtslied in »Stiller, heiliger Nacht«.


Dr. Hans Gärtner



51/2011