Himmelsleitern in ein Bergparadies
Die Bergbahnen im Chiemgau

Die Hochfellnseilbahn ist in zwei Teilabschnitte angelegt.

Kampenwandseilbahn
Seit der Lebensraum der Menschen in den Städten immer enger und unverträglicher wird und uns die Sorge umtreibt, wie lange noch frische Luft zum Atmen und reines Wasser uneingeschränkt verfügbar sind, sind die Berge als Rückzugsgebiet hoch angesehen. Gerade die Chiemgauer Alpen, die im Gegensatz zu den westlich angrenzenden Nachbarbergen dem unmittelbaren Einfluss des Münchener Wochenendtourismus nicht so sehr ausgesetzt sind, sind für viele Bergfreunde ein hoch geschätztes Wandergebiet.
Freilich sind auch die Chiemgauer Berge hinreichend erschlossen. Der Mensch hat die Berglandschaft seinen Bedürfnissen angepasst. Straßen sind bis vor die Tür vieler Berg- und Almenhütten ausgebaut. Für Skipisten sind ganze Berghänge vom Wald entblößt worden. Wanderwege sind nicht nur geruhsamen Bergwanderern vorbehalten. Schon längst sind viele davon zu Rennpisten für Mountainbiker geworden. Da bei Mountainbikern Fahrradklingeln offensichtlich verpönt sind, leben sie mit den Bergwanderern in einem recht zwiespältigem Verhältnis.
Vor- und Nachteile der Bergbahnen
Nun gehören zur Erschließung der Berge auch die Bergbahnen. Über sie soll im Folgenden nachgedacht werden. Gedanken über die Chiemgauer Bergbahnen sind durchaus nicht mit Vorurteilen verbunden. Natürlich haben alle von Menschen geschaffenen Einrichtungen zwei Seiten. Vor- und Nachteile liegen auf der Hand. Die Beeinträchtigung der Natur, Störung des Lebensraumes des Bergwildes sind die eine Seite. Die Erschließung der Bergwelt für ältere und behinderte Menschen, das ist die andere, die glänzende Seite der Medaille. Argumente für und gegen Bergbahnen könnten noch vielfältig angefügt werden. Soziologische und wirtschaftliche Gründe gegeneinander abzuwägen, ist aber nicht Gegenstand dieser Betrachtung.
Sehen wir daher die Chiemgauer Bergbahnen, die auch eine beachtliche technische Leistung sind, unter einem durchaus positiven Aspekt. Geht es doch darum, die uns durch die »mechanischen Aufstiegshilfen« angebotenen Möglichkeiten, die Berge und ihre Gipfel zu »erobern«, auch mit einem Gefühl der Dankbarkeit anzunehmen. Ist es nicht wunderbar, in nur 14 Minuten von der Talstation der Kampenwandbahn in die Gipfelregion hinaufzuschweben. Dieses Schwebegefühl sollte man doch auskosten in Gedanken an früher mühselige Aufstiege auf die Kampenwand in dreieinhalb Stunden. Freilich ist dabei auch das Maß des Lebensalters in Betracht zu ziehen. Der Autor, der fast alle Wanderwege auf die Kampenwand auf- und abwärts begangen hat, ist heute im vorgerücktem Alter über die sich mit den Bergbahnen gebotenen Möglichkeiten durchaus dankbar.
Eine Bergfahrt mit der Seilbahn schließt immer auch die Chance einer genüsslichen Bergabwanderung mit ein. Der Bergwanderweg, der aus früheren Zeiten beim Aufstieg als sehr mühevoll in Erinnerung geblieben ist, ist nur mühelos bergab zu bewältigen. Alle kleinen Wunder am Wegrand sind nun genussvoll zu erleben. Eine Bergdistel in der Wiese, vielleicht ein paar Enzianblüten, die hier Schusternagln genannt werden, oder überhaupt das andere Bild der Natur, die am Berghang hinkriechenden Latschen, Steine, die vom Bergbach im Frühjahr geformt worden sind; alles ist hier eingebettet in eine Wunderwelt, die nur darauf wartet, entdeckt zu werden.
Angstgefühle bei der Gondelfahrt
Wenn schon Bergwanderungen im Bereich der Kampenwand angesprochen sind, dann ist auch an die Besonderheit einer Fahrt in der Seilbahngondel zu erinnern. In der zur Kampenwand hinaufgleitenden Gondel lasse ich, als alleiniger Gast, meinen Gedanken und Gefühlen einmal freien Lauf. Rationell gesehen, ist eine Seilbahnfahrt durchaus kein Problem. Die Sicherheit ist behördlich überprüft und unbedenklich. Statistisch gesehen, ist der Absturz einer Seilbahngondel so gut wie ausgeschlossen. Aber meine Gefühle ignorieren diese Überlegungen. In der Seilbahngondel schwingen eben andere Gefühle mit, als bei der, objektiv gesehen, viel gefährlicheren Fahrt mit dem Auto.
Schon nach dem Verlassen der Talstation beginnt die Gondel seitlich zu schwingen. Als einziger Fahrgast in der Gondel kann ich meinen Angstempfindungen freien Lauf lassen und sie offen aussprechen: »Keine technische Einrichtung ist hundertprozentig sicher. Das Seil kann reißen oder aus den Rollen herausspringen. Der Motor in der Talstation kann aussetzen.« Ein Blick nach unten verstärkt noch mein Angstpotential. Gerade über einer felsigen Schlucht bleibt die Gondel stehen, Nein, es war keine Betriebsstörung, sondern nur eine durch das Beladen einer Gondel in der Bergstation notwendige Unterbrechung. Kurz darauf wird die Gondel beim Überfahren der Rollen am Trägermast kräftig durchgerüttelt. Meine Absturzangst erhält neuen Auftrieb.
Ich erinnere mich an Ratschläge, nicht nach unten zu schauen und notfalls den Boden der Gondel oder den nächsten Mast zu fixieren. Aber irgendetwas verleitet mich dazu, ausgerechnet jetzt, nach der Rüttelphase über den Rollen, nach unten zu schauen und den Abgrund der Angst auszukosten. Dann wird aber doch der Abstand zu dem zur Bergstation hin aufsteigenden Rasenhügel immer geringer. Nach der Einfahrt in die Bergstation öffnet sich die Gondeltür.
Es ist geschafft. Der Lohn der Angst ist das Wohlgefühl in der sonnigen Gipfelregion, das Glück, das Bergerlebnis mit denen teilen zu dürfen, die einen mühsamen Aufstieg hinter sich haben. Ergänzend sei angemerkt, dass die mit einer Bergbahnfahrt verbundenen Angstgefühle subjektiv allein dem Autor zuzuschreiben sind. Wenn wohl die Mehrheit der Benutzer einer Bergbahn nicht damit belastet ist, so ist das durchaus zu begrüßen.
Bestandsaufnahme der Bergbahnen im Chiemgau
Wenn von den Chiemgauer Bergbahnen die Rede ist, ist für eine Bestandsaufnahme ein Blick auf die Wanderkarte hilfreich. Die Kampenwandseilbahn bei Hohenaschau befördert in Kabinen je vier Personen in 14 Minuten von der Tal- zur Bergstation in 1470 m Höhe. (Talstation 620 m). Die Seilbahn auf den Hochfelln ist in zwei Teilabschnitten angelegt. Von Bergen (Maxhütte) in 520 m Höhe wird an der Bründlingsalm als Zwischenstation die 70 Personen fassende Kabine gewechselt, ehe eine weitere Kabinenseilbahn die Gäste bis zur Bergstation gleich unterhalb des Gipfels in 1645 m Höhe befördert.
Der Hochplattenlift ist eine Doppelseilbahn, die von Marquartstein – Piesenhausen auf 560 m Höhe die Maiseralm in 1100 m erschließt. Die Rauschbergbahn bei Ruhpolding wurde schon 1952 gebaut und ist damit die älteste Seilbahn im Chiemgau. Von der Talstation auf 712 m erreicht die Gondel mit 20 Personen die Bergstation auf 1643 m Höhe in nur fünf Minuten. Die relativ kurze Fahrzeit der Seilbahn ist damit zu erklären, dass die Seile die fast senkrecht abstürzende Nordwand des Rauschbergs überspannen. Die ebenfalls von Ruhpolding ausgehende Doppelsesselbahn auf den Unternberg (Talstation 900 m – Bergstation 1450 m) lädt ein zum Weiterwandern zum Löden- und Weitsee an der Straße nach Reit im Winkl.
Die Hochries ist durch zwei aufeinander abgestimmte Bergbahnen erschlossen. Die Sesselbahn fährt von der Talstation im Ortsteil Grainbach Samerberg auf 720 m bis zur Zwischenstation an der Ebenwaldalm, von wo aus die Kabinenseilbahn die Gäste bis zum Hochrieshaus in 1569 m in unmittelbarer Nähe des Gipfels befördert. Die Geigelstein-Bahn kann dem Wanderer, der sich den Gipfel des Geigelsteins vorgenommen hat, allenfalls als eine Aufstiegshilfe dienen. Der Sessellift endet an der Wuhrsteinalm in 1150 m Höhe. Der Aufstieg zum Gipfel in 1813 m Höhe ist dann noch ganz schön anstrengend und fordert im oberen Teil schon Trittsicherheit.
Glücksgefühle am Gipfelkreuz
In den Bergen gelten keine allgemein gültigen Maßstäbe. Der gleiche Weg, der für den einen Wanderer keine Probleme mit sich bringt, kann für einen anderen eine echte Herausforderung bedeuten. Auch das ist ein Problem der Bergbahnen. Manche Bergfreunde, die mühelos mit der Seilbahn die Felsregion erreichen, unterschätzen die Gefahren, die mit einer Gipfelkletterei oder einem Wettersturz verbunden sind. An der Kampenwand lassen sich dafür viele Fälle leichtsinnig verursachter Unfälle anführen.
Ein Blick auf die Wanderkarte lässt erkennen, dass gerade im Chiemgau die Seilbahnen noch recht moderat eingesetzt sind. Es bleiben noch genügend Berge, die der Wanderer besteigen kann, ohne am Gipfel überwiegend Halbschuhtouristen zu begegnen. Als Beispiel sei der Hochgern genannt. Auf einer gut ausgebauten Bergstraße ist in dreieinhalb Stunden das Hochgernhaus zu erreichen. Von hier aus führt ein mäßig ansteigender Bergweg auf den Höhenrücken des Hochgern. Und bald ist das Gipfelkreuz als Ziel sichtbar, was bekanntlich den Weg erheblich verkürzt.
Die Rast am Gipfelkreuz ist immer ein besonderes Erlebnis. Höher geht es nicht mehr. Die Anstrengung hat sich gelohnt. Natürlich ist auch die freie Sicht über die Berge der Umgebung ein Lohn für die Mühsal des Aufstiegs. Das Auge durchmisst die Weite bis an den Horizont. Die schneebedeckten Tiroler Berge sind ebenso in das Panorama mit einbezogen wie die grünen Vorberge.
Es ist wohl der besondere Reiz der Chiemgauer Berge, dass sie unmittelbar aus der vom Chiemsee geprägten Ebene aufragen. Vom Berggipfel aus ist das Land unten im Tal überschaubarer, als von der Ebene aus. Die Häuser in den Ortschaften scheinen wie aus einer Spielzeugschachtel entnommen. Die Kirchtürme ragen in den Himmel. Felder und Wälder sind in ihren Grenzen absehbar. Auf der Autobahn hat der Verkehr scheinbar seine Hektik eingebüßt. Die Übersicht über die sich vor den Bergen ausbreitenden Landschaft macht diese anheimelnder und der weiten Einsicht wegen zu einem besonderen Erlebnis.
Wenn der Vergleich mit einer Spielzeuglandschaft, etwa einer Modelleisenbahn erlaubt ist, dann ist in beiden Fällen das Gefühl dominant, dass der Betrachter in die ihm anvertraute Welt eingreifen und sie nach Belieben verändern kann; das Gefühl, über der Landschaft zu stehen und sie in ihrer Weite zu überschauen. Der Gipfel eines Berges, der nicht umsonst mit einem Kreuz bezeichnet ist, spricht den Menschen immer in besonderer Weise an. Das gilt natürlich auch für den von der Bergstation einer Seilbahn aus »erklommenen« Gipfel.
Wanderwege von der Bergstation aus
Die Bergbahnen des Chiemgaus erschließen Wandergebiete, die ausführlich in einschlägigen Wanderführern beschrieben sind. Der Autor möchte diese weder wiederholen, noch ergänzen. Ein Blick auf die von den Bergstationen der Seilbahnen selbst erwanderten Wege soll noch angeführt werden. Von der Bergstation der Kampenwandbahn führt ein fast ebener Weg am Felsaufbau der Kampenwand entlang zur Steinlingalm. An dem mit einem Gipfelkreuz bezeichneten Westgipfel, der vom Wanderweg fast eben zu erreichen ist, kann sich auch der Seilbahntourist über einen Gipfelsieg freuen und die Gedanken nachvollziehen, die gerade für eine Rast am Gipfel allgemein angeführt wurden.
Nach einer Rast bei einer Brotzeit in der Steinlingalm ist eine Entscheidung zu treffen, ob man gleich ins Tal absteigt oder sich noch zu einem Gipfelaufstieg entschließt. Der Weg zum Gipfel in 1669 m Höhe ist nicht ohne Reiz und für manchen Bergfreund aber auch nicht ohne Schwierigkeiten. Das steinige Schrofengelände fordert oft auch den Einsatz der Hände und lässt die mitgeführten Stöcke zum Hindernis werden.
Der Hexentanzplatz auf diesem Bergpfad erinnert daran, dass die Berge noch Ende des 19. Jahrhunderts als unheimliche, von bösen Geistern besetzte Orte galten. Vor dem Erreichen des Gipfels wird dem Bergsteiger noch eine kleine Mutprobe an der mit einem Seil gesicherten, etwas ausgesetzten Stelle abverlangt. In meinem Buch »Geschichte und Geschichten aus dem Chiemgau« habe ich auf Seite 143 f eine Angstszene beschrieben, die ich an dieser Stelle erlebt habe.
Vom Hochriesgipfel aus sollte man für den Abstieg an Stelle des, der Seilbahn folgenden, Weges den bezeichneten Wanderweg über die Vorberge Karkopf und Feichteck wählen. An föhnigen Tagen ist die Aussicht auf die schneebedeckten Zillertaler Alpen einfach grandios. - Der an der Nordseite steil aus dem Talgrund aufragenden Rauschberg bietet auf seinem Höhenrücken ein Panorama, das vor allem den Blick auf den Chiemsee und die vorgelagerten Chiemseemoore freigibt. - Der Geigelstein ist mit dem Grenzberg zu Österreich, dem Breitenstein, über einem Grad verbunden. Die Tour von der Wuhrsteinalm zum Gipfel kann auf dem Rückweg mit einem Abstecher zum Breitenstein ergänzt werden.
Die Bergbahnen im Chiemgau – eine Bilanz
Die eingangs gestellte Frage nach dem Vor- und Nachteil der Bergbahnen scheint müßig und ist allenfalls aus der Sicht unserer Zeit erklärbar, die alle Dinge dieses Lebens nach dem materiellen Nutzen kalkuliert. Der Mensch hat den Auftrag, die ihm anvertraute Schöpfung sinnvoll zu gestalten. So hat er den irdischen Himmel durch Flugzeuge und Raumschiffe erobert. Autos und Eisenbahnen überbrücken weite Entfernungen auf dem Land. Mit Schiffen auf dem Chiemsee hat der Mensch auch den See seiner Herrschaft unterworfen. Warum sollte bei der Erschließung der Berge durch Seilbahnen etwas Anderes gelten.
Den Ehrgeiz der Ingenieure, Stützmasten in den Fels zu rammen und an Drahtseilen Gondeln auf den Berg schweben zu lassen, hat sich gelohnt. So sind die Bergbahnen in diese Landschaft hineingewachsen und sollte daher mit einem gebührenden Maß an Anerkennung gesehen werden. In 14 Minuten wie auf einer Himmelsleiter von den Niederungen dieser Welt in die elysischen Höhen der Gipfelregion zu gelangen, ist schon als eine positive Betrachtung, vielleicht auch als eine Art Glücksgefühl zu sehen.
Dieter Dörfler
20/2007
Freilich sind auch die Chiemgauer Berge hinreichend erschlossen. Der Mensch hat die Berglandschaft seinen Bedürfnissen angepasst. Straßen sind bis vor die Tür vieler Berg- und Almenhütten ausgebaut. Für Skipisten sind ganze Berghänge vom Wald entblößt worden. Wanderwege sind nicht nur geruhsamen Bergwanderern vorbehalten. Schon längst sind viele davon zu Rennpisten für Mountainbiker geworden. Da bei Mountainbikern Fahrradklingeln offensichtlich verpönt sind, leben sie mit den Bergwanderern in einem recht zwiespältigem Verhältnis.
Vor- und Nachteile der Bergbahnen
Nun gehören zur Erschließung der Berge auch die Bergbahnen. Über sie soll im Folgenden nachgedacht werden. Gedanken über die Chiemgauer Bergbahnen sind durchaus nicht mit Vorurteilen verbunden. Natürlich haben alle von Menschen geschaffenen Einrichtungen zwei Seiten. Vor- und Nachteile liegen auf der Hand. Die Beeinträchtigung der Natur, Störung des Lebensraumes des Bergwildes sind die eine Seite. Die Erschließung der Bergwelt für ältere und behinderte Menschen, das ist die andere, die glänzende Seite der Medaille. Argumente für und gegen Bergbahnen könnten noch vielfältig angefügt werden. Soziologische und wirtschaftliche Gründe gegeneinander abzuwägen, ist aber nicht Gegenstand dieser Betrachtung.
Sehen wir daher die Chiemgauer Bergbahnen, die auch eine beachtliche technische Leistung sind, unter einem durchaus positiven Aspekt. Geht es doch darum, die uns durch die »mechanischen Aufstiegshilfen« angebotenen Möglichkeiten, die Berge und ihre Gipfel zu »erobern«, auch mit einem Gefühl der Dankbarkeit anzunehmen. Ist es nicht wunderbar, in nur 14 Minuten von der Talstation der Kampenwandbahn in die Gipfelregion hinaufzuschweben. Dieses Schwebegefühl sollte man doch auskosten in Gedanken an früher mühselige Aufstiege auf die Kampenwand in dreieinhalb Stunden. Freilich ist dabei auch das Maß des Lebensalters in Betracht zu ziehen. Der Autor, der fast alle Wanderwege auf die Kampenwand auf- und abwärts begangen hat, ist heute im vorgerücktem Alter über die sich mit den Bergbahnen gebotenen Möglichkeiten durchaus dankbar.
Eine Bergfahrt mit der Seilbahn schließt immer auch die Chance einer genüsslichen Bergabwanderung mit ein. Der Bergwanderweg, der aus früheren Zeiten beim Aufstieg als sehr mühevoll in Erinnerung geblieben ist, ist nur mühelos bergab zu bewältigen. Alle kleinen Wunder am Wegrand sind nun genussvoll zu erleben. Eine Bergdistel in der Wiese, vielleicht ein paar Enzianblüten, die hier Schusternagln genannt werden, oder überhaupt das andere Bild der Natur, die am Berghang hinkriechenden Latschen, Steine, die vom Bergbach im Frühjahr geformt worden sind; alles ist hier eingebettet in eine Wunderwelt, die nur darauf wartet, entdeckt zu werden.
Angstgefühle bei der Gondelfahrt
Wenn schon Bergwanderungen im Bereich der Kampenwand angesprochen sind, dann ist auch an die Besonderheit einer Fahrt in der Seilbahngondel zu erinnern. In der zur Kampenwand hinaufgleitenden Gondel lasse ich, als alleiniger Gast, meinen Gedanken und Gefühlen einmal freien Lauf. Rationell gesehen, ist eine Seilbahnfahrt durchaus kein Problem. Die Sicherheit ist behördlich überprüft und unbedenklich. Statistisch gesehen, ist der Absturz einer Seilbahngondel so gut wie ausgeschlossen. Aber meine Gefühle ignorieren diese Überlegungen. In der Seilbahngondel schwingen eben andere Gefühle mit, als bei der, objektiv gesehen, viel gefährlicheren Fahrt mit dem Auto.
Schon nach dem Verlassen der Talstation beginnt die Gondel seitlich zu schwingen. Als einziger Fahrgast in der Gondel kann ich meinen Angstempfindungen freien Lauf lassen und sie offen aussprechen: »Keine technische Einrichtung ist hundertprozentig sicher. Das Seil kann reißen oder aus den Rollen herausspringen. Der Motor in der Talstation kann aussetzen.« Ein Blick nach unten verstärkt noch mein Angstpotential. Gerade über einer felsigen Schlucht bleibt die Gondel stehen, Nein, es war keine Betriebsstörung, sondern nur eine durch das Beladen einer Gondel in der Bergstation notwendige Unterbrechung. Kurz darauf wird die Gondel beim Überfahren der Rollen am Trägermast kräftig durchgerüttelt. Meine Absturzangst erhält neuen Auftrieb.
Ich erinnere mich an Ratschläge, nicht nach unten zu schauen und notfalls den Boden der Gondel oder den nächsten Mast zu fixieren. Aber irgendetwas verleitet mich dazu, ausgerechnet jetzt, nach der Rüttelphase über den Rollen, nach unten zu schauen und den Abgrund der Angst auszukosten. Dann wird aber doch der Abstand zu dem zur Bergstation hin aufsteigenden Rasenhügel immer geringer. Nach der Einfahrt in die Bergstation öffnet sich die Gondeltür.
Es ist geschafft. Der Lohn der Angst ist das Wohlgefühl in der sonnigen Gipfelregion, das Glück, das Bergerlebnis mit denen teilen zu dürfen, die einen mühsamen Aufstieg hinter sich haben. Ergänzend sei angemerkt, dass die mit einer Bergbahnfahrt verbundenen Angstgefühle subjektiv allein dem Autor zuzuschreiben sind. Wenn wohl die Mehrheit der Benutzer einer Bergbahn nicht damit belastet ist, so ist das durchaus zu begrüßen.
Bestandsaufnahme der Bergbahnen im Chiemgau
Wenn von den Chiemgauer Bergbahnen die Rede ist, ist für eine Bestandsaufnahme ein Blick auf die Wanderkarte hilfreich. Die Kampenwandseilbahn bei Hohenaschau befördert in Kabinen je vier Personen in 14 Minuten von der Tal- zur Bergstation in 1470 m Höhe. (Talstation 620 m). Die Seilbahn auf den Hochfelln ist in zwei Teilabschnitten angelegt. Von Bergen (Maxhütte) in 520 m Höhe wird an der Bründlingsalm als Zwischenstation die 70 Personen fassende Kabine gewechselt, ehe eine weitere Kabinenseilbahn die Gäste bis zur Bergstation gleich unterhalb des Gipfels in 1645 m Höhe befördert.
Der Hochplattenlift ist eine Doppelseilbahn, die von Marquartstein – Piesenhausen auf 560 m Höhe die Maiseralm in 1100 m erschließt. Die Rauschbergbahn bei Ruhpolding wurde schon 1952 gebaut und ist damit die älteste Seilbahn im Chiemgau. Von der Talstation auf 712 m erreicht die Gondel mit 20 Personen die Bergstation auf 1643 m Höhe in nur fünf Minuten. Die relativ kurze Fahrzeit der Seilbahn ist damit zu erklären, dass die Seile die fast senkrecht abstürzende Nordwand des Rauschbergs überspannen. Die ebenfalls von Ruhpolding ausgehende Doppelsesselbahn auf den Unternberg (Talstation 900 m – Bergstation 1450 m) lädt ein zum Weiterwandern zum Löden- und Weitsee an der Straße nach Reit im Winkl.
Die Hochries ist durch zwei aufeinander abgestimmte Bergbahnen erschlossen. Die Sesselbahn fährt von der Talstation im Ortsteil Grainbach Samerberg auf 720 m bis zur Zwischenstation an der Ebenwaldalm, von wo aus die Kabinenseilbahn die Gäste bis zum Hochrieshaus in 1569 m in unmittelbarer Nähe des Gipfels befördert. Die Geigelstein-Bahn kann dem Wanderer, der sich den Gipfel des Geigelsteins vorgenommen hat, allenfalls als eine Aufstiegshilfe dienen. Der Sessellift endet an der Wuhrsteinalm in 1150 m Höhe. Der Aufstieg zum Gipfel in 1813 m Höhe ist dann noch ganz schön anstrengend und fordert im oberen Teil schon Trittsicherheit.
Glücksgefühle am Gipfelkreuz
In den Bergen gelten keine allgemein gültigen Maßstäbe. Der gleiche Weg, der für den einen Wanderer keine Probleme mit sich bringt, kann für einen anderen eine echte Herausforderung bedeuten. Auch das ist ein Problem der Bergbahnen. Manche Bergfreunde, die mühelos mit der Seilbahn die Felsregion erreichen, unterschätzen die Gefahren, die mit einer Gipfelkletterei oder einem Wettersturz verbunden sind. An der Kampenwand lassen sich dafür viele Fälle leichtsinnig verursachter Unfälle anführen.
Ein Blick auf die Wanderkarte lässt erkennen, dass gerade im Chiemgau die Seilbahnen noch recht moderat eingesetzt sind. Es bleiben noch genügend Berge, die der Wanderer besteigen kann, ohne am Gipfel überwiegend Halbschuhtouristen zu begegnen. Als Beispiel sei der Hochgern genannt. Auf einer gut ausgebauten Bergstraße ist in dreieinhalb Stunden das Hochgernhaus zu erreichen. Von hier aus führt ein mäßig ansteigender Bergweg auf den Höhenrücken des Hochgern. Und bald ist das Gipfelkreuz als Ziel sichtbar, was bekanntlich den Weg erheblich verkürzt.
Die Rast am Gipfelkreuz ist immer ein besonderes Erlebnis. Höher geht es nicht mehr. Die Anstrengung hat sich gelohnt. Natürlich ist auch die freie Sicht über die Berge der Umgebung ein Lohn für die Mühsal des Aufstiegs. Das Auge durchmisst die Weite bis an den Horizont. Die schneebedeckten Tiroler Berge sind ebenso in das Panorama mit einbezogen wie die grünen Vorberge.
Es ist wohl der besondere Reiz der Chiemgauer Berge, dass sie unmittelbar aus der vom Chiemsee geprägten Ebene aufragen. Vom Berggipfel aus ist das Land unten im Tal überschaubarer, als von der Ebene aus. Die Häuser in den Ortschaften scheinen wie aus einer Spielzeugschachtel entnommen. Die Kirchtürme ragen in den Himmel. Felder und Wälder sind in ihren Grenzen absehbar. Auf der Autobahn hat der Verkehr scheinbar seine Hektik eingebüßt. Die Übersicht über die sich vor den Bergen ausbreitenden Landschaft macht diese anheimelnder und der weiten Einsicht wegen zu einem besonderen Erlebnis.
Wenn der Vergleich mit einer Spielzeuglandschaft, etwa einer Modelleisenbahn erlaubt ist, dann ist in beiden Fällen das Gefühl dominant, dass der Betrachter in die ihm anvertraute Welt eingreifen und sie nach Belieben verändern kann; das Gefühl, über der Landschaft zu stehen und sie in ihrer Weite zu überschauen. Der Gipfel eines Berges, der nicht umsonst mit einem Kreuz bezeichnet ist, spricht den Menschen immer in besonderer Weise an. Das gilt natürlich auch für den von der Bergstation einer Seilbahn aus »erklommenen« Gipfel.
Wanderwege von der Bergstation aus
Die Bergbahnen des Chiemgaus erschließen Wandergebiete, die ausführlich in einschlägigen Wanderführern beschrieben sind. Der Autor möchte diese weder wiederholen, noch ergänzen. Ein Blick auf die von den Bergstationen der Seilbahnen selbst erwanderten Wege soll noch angeführt werden. Von der Bergstation der Kampenwandbahn führt ein fast ebener Weg am Felsaufbau der Kampenwand entlang zur Steinlingalm. An dem mit einem Gipfelkreuz bezeichneten Westgipfel, der vom Wanderweg fast eben zu erreichen ist, kann sich auch der Seilbahntourist über einen Gipfelsieg freuen und die Gedanken nachvollziehen, die gerade für eine Rast am Gipfel allgemein angeführt wurden.
Nach einer Rast bei einer Brotzeit in der Steinlingalm ist eine Entscheidung zu treffen, ob man gleich ins Tal absteigt oder sich noch zu einem Gipfelaufstieg entschließt. Der Weg zum Gipfel in 1669 m Höhe ist nicht ohne Reiz und für manchen Bergfreund aber auch nicht ohne Schwierigkeiten. Das steinige Schrofengelände fordert oft auch den Einsatz der Hände und lässt die mitgeführten Stöcke zum Hindernis werden.
Der Hexentanzplatz auf diesem Bergpfad erinnert daran, dass die Berge noch Ende des 19. Jahrhunderts als unheimliche, von bösen Geistern besetzte Orte galten. Vor dem Erreichen des Gipfels wird dem Bergsteiger noch eine kleine Mutprobe an der mit einem Seil gesicherten, etwas ausgesetzten Stelle abverlangt. In meinem Buch »Geschichte und Geschichten aus dem Chiemgau« habe ich auf Seite 143 f eine Angstszene beschrieben, die ich an dieser Stelle erlebt habe.
Vom Hochriesgipfel aus sollte man für den Abstieg an Stelle des, der Seilbahn folgenden, Weges den bezeichneten Wanderweg über die Vorberge Karkopf und Feichteck wählen. An föhnigen Tagen ist die Aussicht auf die schneebedeckten Zillertaler Alpen einfach grandios. - Der an der Nordseite steil aus dem Talgrund aufragenden Rauschberg bietet auf seinem Höhenrücken ein Panorama, das vor allem den Blick auf den Chiemsee und die vorgelagerten Chiemseemoore freigibt. - Der Geigelstein ist mit dem Grenzberg zu Österreich, dem Breitenstein, über einem Grad verbunden. Die Tour von der Wuhrsteinalm zum Gipfel kann auf dem Rückweg mit einem Abstecher zum Breitenstein ergänzt werden.
Die Bergbahnen im Chiemgau – eine Bilanz
Die eingangs gestellte Frage nach dem Vor- und Nachteil der Bergbahnen scheint müßig und ist allenfalls aus der Sicht unserer Zeit erklärbar, die alle Dinge dieses Lebens nach dem materiellen Nutzen kalkuliert. Der Mensch hat den Auftrag, die ihm anvertraute Schöpfung sinnvoll zu gestalten. So hat er den irdischen Himmel durch Flugzeuge und Raumschiffe erobert. Autos und Eisenbahnen überbrücken weite Entfernungen auf dem Land. Mit Schiffen auf dem Chiemsee hat der Mensch auch den See seiner Herrschaft unterworfen. Warum sollte bei der Erschließung der Berge durch Seilbahnen etwas Anderes gelten.
Den Ehrgeiz der Ingenieure, Stützmasten in den Fels zu rammen und an Drahtseilen Gondeln auf den Berg schweben zu lassen, hat sich gelohnt. So sind die Bergbahnen in diese Landschaft hineingewachsen und sollte daher mit einem gebührenden Maß an Anerkennung gesehen werden. In 14 Minuten wie auf einer Himmelsleiter von den Niederungen dieser Welt in die elysischen Höhen der Gipfelregion zu gelangen, ist schon als eine positive Betrachtung, vielleicht auch als eine Art Glücksgefühl zu sehen.
Dieter Dörfler
20/2007