Jahrgang 2017 Nummer 6

Graf Hroutpald gilt als Namensgeber für Ruhpolding

Heimatforscher Helmut Müller entdeckte die Namensurkunde von 837

Straß in den Misenbach.
Hobby-Historiker Helmut Müller erklärt alte Schreibweisen von Ruhpolding.
Kooperator Bergmaier.
Tauschurkunde von 924.
Namensurkunde von 837.
Chunradus-Urkunde von 1280.

Ruhpolding dürfte die einzige Gemeinde im Chiemgau und der weiteren Umgebung sein, die seit den frühen zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts über ein Heimatbuch verfügt, das immer wieder kontinuierlich und in gewissen Zeitabständen durch Überarbeitungen und Neuauflagen auf den neuesten Stand gebracht wurde. So zuletzt im vergangenen Dezember, als die von Helmut Müller sen. und Alois Auer verfasste, aktuelle Ortschronik unter großem Bürgerinteresse im Hotel zur Post zur Vorstellung kam.

Wie Bürgermeister Claus Pichler während dieser Präsentation feststellte, ist das gelungene Nachschlagewerk, bei dessen Erstellung auch ein Mitarbeiterkreis beteiligt war, in zweierlei Hinsicht als Schwergewicht zu bezeichnen: erstens bringt es mit seinen knapp 800 Seiten Umfang ein Kilogramm mehr auf die Waage als die vorherige Ausgabe von 1998, zum anderen hat man jetzt ein Kompendium in der Hand, das den neuesten, geschichtlichen Erkenntnissen gegenüber ebenso Rechnung trägt, wie den kommunalen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Neuzeit.

Dadurch kann die Gemeinde auf eine lückenlose Geschichtsschreibung verweisen, die mit der ersten Edition aus dem Jahr 1924 durch den damaligen Kooperator (Kaplan) Peter Bergmaier begann und zwischenzeitlich mehrmals ihre Fortsetzung fand. Diese Urfassung, sozusagen Ruhpoldings Stammbuch, diente allen bisherigen Ausgaben als geschichtliches Fundament.

Mit dem noblen, blauen Umschlag aus Feinleinen und der goldenen Schrift- und Wappenprägung fällt es auch optisch gleich ins Auge und ist allein schon aus diesem Grund als Standardwerk unverzichtbar für jedes heimische Bücherregal. Gedruckt wurde es in der Druckerei Miller in Traunstein.

Stellte sich die vorübergehende Installierung von Kooperator Bergmaier vor knapp hundert Jahren aufgrund seines ausgeprägten Geschichtsinteresses für die Rauschberg- Gemeinde als besonders segensreich heraus, so erweist sich der historische Spürsinn, der den langjährigen Ruhpoldinger Schützenmeister Helmut Müller schon seit jungen Jahren antreibt, jetzt ebenfalls als außerordentlicher Glücksfall. Müller, Jahrgang 1940, stammt vom Kaindler-Hof (= Koaler) in der Schwaig, der erstmals 1140 als »Sueiga« genannt wird und somit als ältester Ansitz gilt. Schon als Jugendlicher beschäftigte er sich eingehend mit Ahnen- und Geschichtsforschung im Ort. Von seinem Faible für längst vergangene Zeiten profitierte auch die Königlich privilegierte Feuerschützengesellschaft von 1411, für die er in seiner Funktion als langjähriger Schützenmeister eine bemerkenswerte Chronik zusammenstellte und die Jubiläen zum 575- und 600-jährigen Bestehen organisierte.

Besiedelung früher als bisher nachgewiesen

Seinem ausdauernden Spürsinn ist es zu verdanken, dass die Besiedelung im Miesenbacher Tal nun weit früher nachgewiesen werden kann, als bisher angenommen. Helmut Müller stieß während seiner umfangreichen und zeitintensiven Nachforschungen auf eine Urkunde aus der Karolingerzeit vom Jahr 837, in der der Personenname »Hroutpald« auftaucht. Es ist das drittälteste Schriftstück des Domkapitels zu Salzburg und befindet sich heute im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien. Dass ausgerechnet diese Urkunde mit seinem Heimatort zusammenhängt, ist eine kleine Sensation, wie Müller findet. Denn nach Einschätzung von Dr. Wolfgang Janka von der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ist dieser Beleg eindeutig für den Ortsnamen Ruhpolding zu bestimmen. Demnach ist der Eigenname in die Kategorie der germanischen Namensstämme »Hri«, vgl. gotisch: hroeigs »ruhmreich«, und Bala-, vgl. althochdeutsch: bald »kühn« einzuordnen. Dies würde so viel bedeuten wie: bei den Leuten des »ruhmreichen Kühnen«, also eine ähnliche Auslegung, wie sie Kooperator Bergmaier schon 1924 als dem »berühmt Starken« favorisiert hatte.

Wie Dr. Irmtraut Heitmaier dazu erklärt, geht aus dem Urkundentext hervor, dass es sich bei genanntem Hroutpald um einen Grafen handelt, der mit königlichem Einverständnis mit Erzbischof Liupramm Güter an der Alz tauscht. Frau Heitmaier ist Mitglied und Lehrbeauftragte des Instituts für Bayerische Geschichte, historische Landeskunde und Siedlungsgeschichte. Sie hat sich ausgiebig mit der Siedlungsgeschichte im südöstlichen Chiemgau befasst. Weiters kommt die versierte Historikerin an Hand der Textdefinition zu dem Schluss, dass man, auch wenn der genannte Graf Hroutpald nicht näher in Erscheinung tritt und seine Grafschaft unbekannt ist, ihn aufgrund seiner Funktion und des keineswegs häufigen Namens wegen in Erwägung für die frühe Ortsbezeichnung ziehen muss. Somit können sich die Ruhpoldinger mit einem gräflichen Namensgeber schmücken. »Nimmt man also eine Benennung Ruhpoldings Anfang des 9. Jahrhunderts an, was frühere Besiedelung nicht ausschließt, so passt dazu, dass der Personenname »Maricho« in Maiergschwendt nur im 8. und 9. Jahrhundert belegt ist. Aufgrund der ähnlichen Namensformen sowie Flurgröße wurde auch für Bärngschwendt ein ähnliches Alter angenommen«, so Dr. Heitmaier.

In diesen Zeitrahmen rückt man auch die romanischen Namen »Urschlau«, »Gruttau« und »Guglberg«, die alle in räumlicher Nähe an der Urschlauer Ache liegen. Die Romanen waren die nach dem Untergang des Römischen Reiches (480) im Land verbliebenen Siedler. Der Name Urschlau enthält lateinisch »ursus« = Bär als Gattungsbezeichnung oder Personenname. Gruttau ist zusammengesetzt aus »crutta« = Höhle und dem Bestimmungswort. Gugl in Guglberg (1392 chuckelperg) geht auf Lateinisch »cuculla« = Kapuze zurück.

Pouchskeho (Buchschachen) wird 924 getauscht

Bisher galt eine vorliegende Tauschurkunde, die auf den November anno 924 datiert ist, als ältester Beleg für die Namensnennung im Miesenbacher Tal. Sie beschreibt einen Tausch, den der Edle Graman mit dem Erzbischof Odalbert über sein Eigentum »an dem Ort Pouchskeho« sowie dem Ort »zum Walde« abschließt und dafür den Ort Perch (Berg = Bergen) erhält. Graman, einer der beiden siegreichen Heerführer gegen die Avaren am Ybbsfeld, war Graf im Traungau. Von verschiedenen Forschern wird angenommen, dass es sich bei dem erwähnten Pouchskeho (Salzburger Urkundenbuch I, S. 85) um Buchschachen bei Ruhpolding handelt und die beiden anderen Plätze bei Bergen zu suchen sind. Nach Ansicht von Dr. Janka handelt es sich dabei um ein Kompositum aus altbairisch puohha »Buche« – puoh »Buchenwald«« und skahho »Landzunge, Bergvorsprung, Vorgebirge« (vgl. auch mittelhochdeutsch schache »einzeln stehendes Waldstück«).

Dies ist zum einen interessant, da »Schachen« die Bezeichnung für einen einzeln stehenden Restwald ist, also wiederum auf das fortgeschrittene Stadium einer Rodung hinweist (wie etwa auch im Bayerischen Wald), zum anderen weil Graman ausdrücklich auch alle »bewohnten und unbewohnten Gehöfte« übergibt, (die ja nicht von einem Tag auf den anderen entstanden sein dürften), ausgenommen einen Hofplatz und neun Joch (9 Tagwerk). Diese Urkunde wird von 13 Männern bezeugt. Dabei wird ein Zeuge mit dem Namen »Rihpold« aufgeführt. Dieser Name als geschriebene Abkürzung von »Richpold« könnte auch auf den Ursprungsnamen »Hruotpald« hinweisen. In der Dialektsprache ist eine starke Ähnlichkeit festzustellen. Interessant ist die bis heute erhalten gebliebene Aussprache der ersten Silbe in »Ruhpolding« und »Buchschachen«. Bei »Hruo« und »Puo« gibt es die »uo«-Betonung. Dieser Zwielaut hat sich somit fast 1200 Jahre in unserem Dialekt bewahrt. Das Idiom »uo« ist in vielen alten Urkunden gebräuchlich. Bei späteren Urkunden des 13. und 14. Jahrhunderts wurde hierfür direkt über dem »u« ein kleines »o« angebracht. Diese Kennzeichnung findet man heute noch recht häufig in der Dialektschreibung des Pinzgaus.

Als weiterer Zeuge bei dieser, für Ruhpolding so wichtigen, Urkunde ist ein »Zwentipolch« aufgeführt. Dieser Edle Zwentipolch war der Sohn Diotmars, ein Enkel des Erzbischofs Adalbert und seit 923 immer in Begleitung des Erzbischofs. Er erscheint 42-mal als Zeuge auf Salzburger Urkunden. Von Bedeutung ist, dass in den vielen, alten Schriftstücken mit der Nennung einer großen Anzahl von Zeugen kein weiterer Name mit »-pold« oder »-pald«-Endung erscheint.

Ein weiteres Indiz also für das Alleinstellungsmerkmal des »Hroutpald« und die daraus abgeleitete Schreibweise Ruhpold = Ruhpolding.

Miesenbach erstmals 1107 urkundlich erwähnt

Während das Wort Ruhpolding zunächst das engere Dorf bezeichnet, bezieht sich das vielgebrauchte Wort »Miesenbach« auf das ganze Tal. Die Bezeichnung Miesenbach taucht (im Gegensatz zu Ruhpolding, das erst um 1167 erwähnt wird) zum ersten Mal um 1107/25 im Zusammenhang mit einer Schenkung der Geschwister Liutold und Diemout de Siedesdorf (Siegsdorf) auf. Diese schenkten dem Kloster Baumburg den Hof »ramasowe in Missenbach«. Das Wort Miesenbach kann aus dem mittelhochdeutschen »mies« =Sumpf, Moor abgeleitet werden. Das würde dem von vielen Gewässern durchströmten und sicherlich auch damalig sumpfigen Gelände entsprechen.

Durch die natürlich aufgefächerten Wasserläufe zerfiel das Miesenbacher Tal im Lauf der Zeit in drei Teile. Links der Urschlauer Achen und der Traun war das spätere Hauptzentrum Ruhpolding, zwischen der Achen und der Weißen Traun lag Vachenau und rechts der Weißen Traun gab es mit Zell eine Art Nebenzentrum. Es besaß eine eigene Kirche (St. Valentin), bildete später eine eigene Hauptmannschaft und schließlich eine eigene Gemeinde. Über dieses Zell ist sehr wenig bekannt. Ein Mitte des 12. Jahrhunderts genannter Zeuge (Otto de Celle, 1151 und 1167) ist aufgrund des Quellenzusammenhangs mit Sicherheit hierher zu stellen.

Streitbarer Chunradus bietet Domkapitel die Stirn

Umso wertvoller ist die Entdeckung einer bestens erhaltenen und mit kunstvollem Siegel versehenen Urkunde vom 25. August 1280, die Helmut Müller im Archiv des Domkapitels Salzburg entdeckte. Der hochinteressante Sachverhalt gibt Aufschluss über die Beendigung eines »…langen und mit stets zunehmender Heftigkeit geführten und an Schäden reichen Streits zwischen dem Domkapitel Salzburg und Chunradus, genannt Celler, wegen Güter in Misenpach, nämlich drei kleine Güter in Neureit, Mühle und Gut in der Au (Awe)«.

Helmut Müller geht davon aus, dass sich der Stammsitz des Chunradus bei der späteren Taverne (Wirt in Zell) befunden hat. Dieses Anwesen wird später als »Aigen« bezeichnet, also ohne Grundherrschaft.

Bei den Streitobjekten, den drei kleinen Gütern (Neureit) kann es sich um neu angelegte, kleinere Höfe in Zell handeln. Hier wäre an das »Saghäusl«, den »Weinseis« und den »Koller« zu denken. Die Mühle und das Gut in der Au könnten zum »Bäck« im Grashof zugeordnet werden. Dieses Anwesen stand wie die aufgeführten drei kleinen Güter unter der Grundherrschaft des Salzburger Domkapitels, während die übrigen benachbarten Anwesen zum Kastenamt in Traunstein gehörten. Das Gebiet im Grashof hatte früher die Bezeichnung »Au«, auch gab es einen Auweg.

Chunradus’ unbeugsame Haltung gegenüber dem Klerus hatte letztlich Erfolg: er erhielt auf Geheiß von Erzbischof Friedrich die besagten Güter zum »Lehen«.

Das neue Heimatbuch ist im Eigenverlag der Gemeinde Ruhpolding erschienen. Es ist erhältlich im Rathaus, der Tourist-Info sowie im örtlichen Zeitschriftenhandel.


Ludwig Schick

 

6/2017