Jahrgang 2013 Nummer 18

Glück- und Segenswünsche

Vor 100 Jahren überbrachten herzige Kinder sie auf blumigen Karten

»Doppelt gewünscht hält besser«
Ihr fehlen die Worte – die Blumen ersetzen sie
Mit Blumen kommen Buben zum Geburts- und Namenstag
Kleiner Rosenkavalier unterm Kastanienbaum
Was ist wichtiger – der Glückwunschbrief, die Blumen oder der Guglhupf?
Seltenes Glück – so viele vierblättrige Kleeblätter
Glückwunschkarten können auch mal schwarz sein
Sitzen, fahren, stehen – alles ist herzlich gemeint

Zeitungssterben? Glückwunschkartensterben? Was werden wir früher zu beklagen haben, den Tod der Blätter oder den der Kärtchen? Pessimisten behaupten, die Kartenwünsche seien schon lange nicht mehr üblich, sogar verdächtig reaktionär. Wer heute eine Karte schreibe, der sei vielleicht auf Reisen und wisse, dass er mit einer netten Ansichtskarte von den Pyramiden an den Ufern des Nils oder von der Seufzerbrücke in Venedig dem Onkel daheim eine Riesenfreude mache; denn der Onkel sei nicht nur Ägyptenfan, sondern auch Venedig-Liebhaber und sammle darüber hinaus seit vielen Jahren Bildpostkarten.

Wer heute eine Ansichts- oder Bildkarte schreibt, der kennt (beispielsweise) seine Erbtante nur zu gut, dass er sich mit einer bei ihr höchst willkommenen Scherzkarte, etwa vom Münchner Hofbräuhaus oder einem Ulk-Motiv vom nahe gelegenen »Platzl«, wo es früher mal Auftritte einer Liesl Karlstadt oder eines Weiß Ferdl gab, die heute wieder fotografisch auf Altmünchner Postkarten werbemäßig etwas hermachen, wieder ins Gedächtnis der Adressatin bringt. Kaum ein Mann, der heute noch Glückwunschkarten schreibt. Wenn, dann tun das ältere Damen, die an ihre Jugendjahre denken, wo sie Empfängerin von gereimten Grüßen auf Freundschafts-Billetts oder gar Liebesschwüren auf Visitenkarten waren.

Es gibt sie zwar noch zu kaufen, weniger die Namenstags- als die Geburtstagskarten, diese dann vor allem, wenn es sich um ein rundes Wiegenfest handelt, das zu bedenken ist, ab 40. Geburtstag. Was einem gar nicht unterkommt: Wunschkarten zum 100. Geburtstag. Geht die Kartenindustrie davon aus, dass die Empfänger einer solchen Glückwunschkarte nicht mehr des Lesens fähig sind? So pauschal ist das nicht zu sagen. Eins aber ist ziemlich sicher: Die oder der Hundertjährige hätte, vorausgesetzt seine Gemütsregungen sind noch ebenso funktionstüchtig wie seine Gehirnleistungen, die größte Freude, eine solche gedruckte und hübsch bebilderte Glückwunschkarte zu erhalten; fühlte sich die Empfänger- Person doch in die Zeit zurückversetzt, als es noch üblich war, ein solches schriftliches Zeichen der Wertschätzung auf den Postweg zu bringen. Zeugen dieses schönen alten Brauchs gibt es noch heute. Sie liegen in den Schachteln oder stecken in den Alben von Sammlern. Dieses stets spähende und aufnahmebereite Völkchen ist auf Flohmärkten lüstern auf neue papierene Altertümer (oder soll man sagen: auf alte papierene Neuausgaben?) unterwegs, es steht minutenlang vor randvoll gefüllten Schuhschachteln mit meist unsortiertem, oft wild durchkämmtem Sammelgut der Händlerinnen und Händler. In deren Boxen befinden sich Post- und Ansichtskarten zum »Kruschen«, um womöglich einen lange ersehnten Reibach zu machen und Glückwunschkarten – zu persönlichen oder allgemeinen Festtagen wie Ostern oder Weihnachten –- zu finden, mit denen sich bei den Konkurrenten Staat machen lässt.

Angesichts der vom Verfasser dieser Zeilen gesammelten, alten Glückwunschkarten zum in Bayern bis heute nicht ganz vergessenen Namenstag oder zum (wohl nie aus der Mode kommenden, weil nicht wegzuleugnenden und von keinem religiösen Glauben abhängigen) Geburtstag fällt auf, dass nie Erwachsene, sondern immer Kinder darauf abgebildet sind. Sie sind die Rosenkavaliere oder Blumenmäderl. Sie schwingen Wiesenblumen- Sträuße, sind mit blauen (die Treue bekundenden) Vergissmeinnicht- Blüten bestreut oder stolze Besitzer einer unfasslichen Fülle vierblättriger Kleeblätter: Symbole für das Glück, weniger für den (selbst in einem mehr und mehr säkularisierten Bayern meist noch in einem Atemzug genannten) Segen des Himmels. Den ließ man wohlweislich immer weg auf den Glückwunschkarten, damit diese möglichst neutral, liberal, konfessionslos gewissermaßen, eine breite Kundschaft ansprachen.

Mit den auf den Fotos wiedergegebenen, entweder gemalten oder fotografierten, unschuldigen Kindergesichtchen und den meist schnieke gekleideten, kleinen Mädchen und Buben – sie waren mit die ersten Models im Bereich der damals expandierenden Printmedien – erreichten die Produzenten unmittelbar die Herzen potentieller Glückwunschkartenkäufer/ innen. Was deren Kauflust steigerte und davon abhielt, aus Sparsamkeit eigene Kärtchen zu bemalen und zu beschriften (wie das im Kunst-, Werk- und Gestaltungsunterricht der heutigen Grundschule noch unter der Anleitung einer für die gleichfalls ästhetische wie Sparsamkeits-Erziehung zuständigen Lehrerin geschieht). Der auf der Bild-Seite deutscher Glückwunschkarten vor rund 100 Jahren ausdrücklich vorgetragene Wunsch war beinahe zu hundert Prozent »herzlich«: »Herzlichen Glückwunsch zum …« oder einfach »Herzliche Wünsche« steht auf fast allen diesen bunten Botschaftsträgern.

Entweder kurz und knapp »Alles erdenklich Gute« oder, etwas ausführlicher, »Alles Gute, Gesundheit, langes Leben und den Himmel« wird den Adressaten auf der Rückseite gewünscht. »Die besten Glück- und Segenswünsche« konnten auch »innigst« ausfallen. Eine Frida Schicker sandte – man kann nur ahnen, wann genau das war, bestimmt vor gut 100 Jahren schon – eine Karte mit der Aufschrift »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!« an einen gewissen Fritz Jahn in der »Kaiser Wilhelm Str.«. Die Ortsangabe fehlt ebenso wie die Briefmarke und – was sowieso in den vielen Fällen zutrifft – ein Datum. Als »Frida« fungiert bildlich gesehen ein wie ein Prinz herausgeputzter Bubi-Kopf mit einem vierfach rot versiegelten Briefumschlag neben einem runden, mit einer spitzengesäumten, fast bodenlangen weißen Decke überzogenen Tisch, auf dem ein ansehnlicher Gugelhupf die kleine Vase mit einem bunten Blumen-Bukett beinahe verschwinden lässt.

An einen Friedrich Ludwig Jahn (der den ganzen Namen mit dem des »Turnvaters« gemeinsam hat) in Schwarzmühl bei Meuselbach in Thüringen gingen in den beiden ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts, letztmals 1920 »pr.adr. Herrn Adalbert Voigt«, aus Oelsnitz jeweils »herzliche Glückwünsche zum Geburtstag« per Bildpostkarte ab, der wohl Mitte Januar zu feiern war. Die Großmutter durfte freilich Herrn Fritz Jahn mit »Mein liebes Fritzchen« anreden. Sie wünschte dem Enkel »recht viele solche Tage in Freude« mit seinen Eltern und allen seinen Verwandten erleben zu können. Schon zwei Jahre vorher hatte Fritzchens Oma den Wunsch geäußert, dass ihr Enkel den Eltern »und allen lieben Verwandten recht folgsam und artig« bleiben möge. Auf den Herrn Papa musste Klein-Fritz damals einige Jahre verzichten, kündigt doch die Großmama dessen Heimkehr in die Heimat (vermutlich aus dem I. Weltkrieg) »zu Ostern« an.

Das ist das Reizvolle an solchen Karten, ob sie nun Glückwünsche ausdrücken oder nicht: Sie geben zu allerlei Spekulationen Anlass, erheitern das Gemüt und lassen aus den wenigen Kriterien, die Anhaltspunkte zu Konkretem geben (Anschrift, Stempel, Mitteilungstext, aber auch das ausgewählte Bild der Schauseite), ganze Geschichten erstehen. Manche Glückwünsche, etwa der einer »Fam. Pongratz« aus der »Villa Altschäffl« (?) zu Edling an »Wohlg. Herrn Jos. Neumeier, Schäfflermstr., Kraiburg a. Inn« (im heutigen oberbayerischen Landkreis Mühldorf) gehen im handschriftlichen Text erst gar nicht auf den Anlass ihres Schreibens ein. Vielmehr geben sie eine Neuigkeit preis: »Muss Euch leider mitteilen, dass wir am 2ten Januar nach Edling gegangen sind, es hat uns dort die Wohnung gefallen, aber Gabersee (Anm. d. Verf.: heute Ortsteil von Wasserburg a. Inn) hab ich noch nicht vergessen. Vielleicht besucht uns im Laufe des Sommers (gesagt wird nicht: wer). Für die Neujahrskarte vielen Dank bin nicht zum Schreiben gekommen, bitte um Entschuldigung …«.

Ach: Neujahrskarten. Die wurden zur damaligen Zeit gern geschrieben. Sie waren mit verschiedenen Glückssymbolen versehen: vom Rauchfangkehrer über das Schweinchen bis hin zum Marienkäfer und vierblättrigen Kleeblatt. Darüber ist viel in meinem Buch »Schöne Grüße und viel Glück. Liebesgaben aus Papier«, München 2009, nachzulesen. Dort wird auch auf weitere Anlässe des Glückwünschens eingegangen: Taufe, Hochzeit, Jubiläum, Erstkommunion, erste Liebe und ewige Freundschaft.


Dr. Hans Gärtner

 

18/2013