Georg von Reichenbach - das Salz-Genie
Vor 200 Jahren konstruierte er die erste Berchtesgadener Soleleitung – Über 2000 Arbeiter am Bau beteiligt




Am 21. Dezember jährt es sich zum 200. Mal, dass die erste Berchtesgadener Soleleitung zur Saline nach Reichenhall feierlich in Betrieb genommen wurde. Mit ihr hat der Königliche Oberberg- und Salinenrat Georg von Reichenbach Geschichte geschrieben. Doch bis es so weit war, musste er eine Mammutaufgabe bewältigen.
Schon acht Jahre zuvor hatte sich Reichenbach mit einer Salzwasserleitung von Reichenhall über Traunstein nach Rosenheim Lorbeeren verdient. Der immense Holzverbrauch der Sudpfannen machte es immer wieder erforderlich, die Sole dorthin zu leiten, wo genügend Brennstoffreserven in Form von Holz oder Torf vorhanden waren. Auch an den Salinen in Schellenberg und Berchtesgaden war das Brennstoffproblem prekär. Doch zur Weiterleitung der Berchtesgadener Sole nach Reichenhall waren die topografischen Verhältnisse weit schwieriger als im Voralpenland. Reichenbach erhielt zwar von der bayerischen Salinenadministration schon vorher den Geheimauftrag, eine Soleleitungstraße – wie sie heutzutage verläuft – über Bischofswiesen und den Hallthurmpass zu untersuchen. Sie wäre gut zehn Kilometer kürzer gewesen und es hätten sich die Höhenunterschiede wesentlich leichter meistern lassen. Doch der österreichisch-bayerische Grenzverlauf jenseits des Hallthurmpasses machte diese Trasse unmöglich.
Wie der Ausschnitt einer Karte aus jenen Jahren zeigt, verlief das österreichische Territorium seinerzeit bis hinauf zum Dreisesselberg. Man sprach demzufolge vom Hallthurmer Spitz, der für den Warentransit auf dem Landweg von und nach Berchtesgaden Mautgebühren an die Nachbarn abverlangte. So blieb nur die 29 Kilometer lange Trasse über Ramsau, den Pass Schwarzbachwacht, weiter über Unterjettenberg und das Saalachtal hinaus zur Reichenhaller Saline realisierbar.
Doch die zu bewältigenden Höhenunterschiede stellten Reichenbach vor schier unlösbare Probleme. Schon im Sommer 1816 hatte er in Erwartung eines königlichen Befehls zum Bau mit der Trassierung und dem Nivellieren der Leitung begonnen, um zumindest schon den Verlauf bestimmt zu haben. Sein Ingenieurgeist und sein großes Selbstvertrauen ließen ihn nicht ruhen, Tag und Nacht über die Realisierbarkeit des Projektes nachzudenken. Immerhin stellte diese geplante Leitungsführung alles Bisherige in den Schatten.
Der Auftrag zum Bau
Nachdem am 14. September 1816 der Befehl zum Bau der Leitung ergangen war, ging für Reichenbach das rastlose Planen, Berechnen, Organisieren erst so richtig los. Neben den bisher bekannten Radmaschinen zum Heben der Sole über vergleichsweise niedrige Höhen entwickelte er seine berühmt gewordene »Wassersäulen-Hebemaschine«, die den Wasserdruck ergiebiger, hoch gelegener Frischwasserquellen – sogenannter Aufschlagwasser – ausnutzt. 90 Höhenmeter von der Pumpstation an der Pfisterleite hinauf zur Locksteinreserve, einem Hochbehälter, stellten für Reichenbach noch ein geringes technisches Problem dar. Dagegen erschienen die 356 Höhenmeter vom Brunnhaus Ilsank hinauf zur Reserve am Söldenköpfl zunächst als unlösbar. Allenfalls in drei bis vier Etappen hätte er sich eine Realisierung leichter vorstellen können.
Unermüdlich war Reichenbach rechnend und konstruierend tätig, um schließlich mit seiner »Supermaschine« die 356 Höhenmeter auf einen Schlag mit einer Maschine bewältigen zu können. Obwohl Reichenbach sich seiner Sache von Anfang an ziemlich sicher war und ihm auch von höchster Stelle großes Vertrauen entgegengebracht wurde, gab es im eigenen Hause mit Franz von Baader, von 1804 bis 1806 Vorstand der General-Bergwerks- und Salinen-Administration, einen großen Bedenkenträger. Solche Zweifel seines Chefs dürften Reichenbach keinesfalls beflügelt haben. Oder doch? Denn sein Selbstvertrauen war schließlich stärker.
Dabei war Reichenbach als Alleinverantwortlicher für das Mammutprojekt an allen Ecken und Enden gefordert. Ein gutes Dutzend Baustellen waren gleichzeitig zu betreuen. Mit dem königlichen Forstinspektor Gruber und dem Salinen-Oberinspektor Friedrich von Schenk standen ihm zwar zwei höchst zuverlässige Mitarbeiter zur Seite, doch Reichenbach musste sich auch in den Eisenhütten in Bergen und Bodenwöhr um den Guss der druckfesten Eisenröhren für die Steigleitungen kümmern. Gerade in Bergen gab es anfangs große Schwierigkeiten, bis es dort endlich gelang, druckdichte Gussröhren herzustellen. Noch im März 1817 sah er sich mit Misserfolgen beim Gießen der Eisenröhren konfrontiert und notierte enttäuscht: »Es war an kein Fertigwerden zu denken!« Doch auch dafür hatte er schließlich Erfolg versprechende Lösungsvorschläge parat.
Den Zusammenbau seiner Wassersäulen-Hebemaschinen draußen in den Reichenhaller Salinenwerkstätten übertrug er seinem ebenfalls sehr versierten Bruder Karl. Interessanterweise wurden die Komponenten in Salzburg gegossen.
Forstinspektor Gruber kümmerte sich derweil um die Herstellung von weit über 7000 Deicheln aus Fichten- oder Tannenholz. Eine große Zahl Forstarbeiter war nötig, um die Bäume zu fällen und zu entrinden, auf 4,2 Meter lange Stücke abzulängen und schließlich der Länge nach zu Holzröhren zu durchbohren. Die Forstarbeiter wurden von einer großen Zahl von Salinenholzarbeitern unterstützt. Am Mitterweinfeld kann man sich an einem Unterstand ein Bild davon machen, wie ein bis zwei Mann mit großem Kraftaufwand diesen großen Bohrer per Muskelkraft durch den Stamm vorantreiben mussten. Danach mussten die Deicheln zur »Beize«, einer Art Imprägnierung, gefahren und wieder zur Einlagerung abgeholt werden. Und schließlich hatten zahlreiche Schmiede eine ebenso hohe Zahl an eisernen Verbindungsmuffen herzustellen.
Zeitdruck
Für den Bau der Soleleitung hatte man Reichenbach eine Bauzeit von eineinhalb Jahren zugestanden. Demzufolge war es unausweichlich, dass ab Herbst 1816 und den ganzen Winter hindurch an vielen Stellen gleichzeitig gearbeitet werden musste (siehe Anhang).
Während Reichenbach so nebenbei noch die gesamten Kostenkalkulationen erstellen und aktualisieren musste, hatte sich Oberinspektor Friedrich von Schenk um das jeweils geeignete Personal zu kümmern. In Spitzenzeiten waren über 2000 Arbeiter beschäftigt. Die Berchtesgadener reklamierten verständlicherweise ein Vorrecht, für die Soleleitung arbeiten zu dürfen. Auswärtige Arbeiter und Tagelöhner sollten tunlichst ferngehalten werden. Doch es gab Tätigkeiten, für die in Berchtesgaden partout keine qualifizierten Arbeiter gefunden werden konnten, sodass es unvermeidlich war, auswärtiges und geeigneteres Personal einzustellen. Ansonsten hätte die Bauzeit ein Mehrfaches in Anspruch genommen und das konnte sich Reichenbach keinesfalls leisten.
So musste während des gesamten Winters 1816/17 – und die Witterung scheint in jenem Jahr dem Vorhaben etwas entgegengekommen zu sein – ununterbrochen an allen Stellen der Soleleitung gearbeitet werden, wenn nicht gerade Frost die Maurer- oder Grabarbeiten zwangsläufig unterbrach. Viele Berchtesgadener und auch Gastarbeiter hatten in dieser Zeit durch den Bau der Soleleitung Lohn und Brot für sich und ihre Familien.
Schließlich stellte auch die Anlieferung von 510 Gussröhren mit einem Gesamtgewicht von fast 1200 Zentnern aus dem Eisenwerk Bodenwöhr in der Oberpfalz für Schiffs- und zuletzt Fuhrleute eine gewaltige Herausforderung dar. Es war für Reichenbach eine schier unmögliche Aufgabe, seinen Auftrag in der vorgegebenen Zeit erfolgreich zu Ende zu bringen.
Manfred Angerer
Anhang:
Die wichtigsten Baustellen
• Kleine Wassersäulen-Hebemaschine am Stollenmund des Bergwerkes.
• 1,1 Kilometer Deichelleitung zur Pfisterleite.
• Bau der Pumpstation Pfisterleite mit Maurer- und Zimmererarbeiten.
• Gusssteigleitung mit 280 Metern Länge zur Locksteinreserve, Höhenunterschied 90 Meter.
• Sprengarbeiten und Mauern der Locksteinreserve.
• 2,25 Kilometer Deichelleitung über den eigens zu bauenden Soleleitungssteg an den Felsen des Kälbersteins entlang mit einem notwendigen kurzen Stollen hinter dem Kalvarienberg.
• Ableitung zur Gmundbrücke und Wiederanstieg auf Struber Seite nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren.
• 3,62 Kilometer Deichelleitung durch die Engedey bis zum Brunnhaus Ilsank.
• Bau des Brunnhauses Ilsank mit Maurer- und Zimmererarbeiten.
• Fassung und Ableitung aller verfügbaren Aufschlagwasser im Bachmanngraben zum Antrieb der großen Wassersäulen-Hebemaschine in Ilsank.
• 1,05 Kilometer lange, gusseiserne Steigleitung Ilsank - Söldenköpfl, Höhenunterschied 356 Meter.
• Bau der Söldenköpflreserve mit Brunnwärter- und Leitungsrevisorengebäude.
• 10,28 Kilometer Deichelleitung von der Söldenköpflreserve bis zum Brunnhaus Schwarzbachwacht.
• Bau einer Reserve und des Brunnwärterhauses in Schwarzbachwacht.
• 10,70 km Deichelleitung vom Brunnhaus Schwarzbachwacht über Brunnhaus Jettenberg bis zur Saline nach Reichenhall einschließlich Bau der jeweiligen Wärterwohnhäuser.
Manfred Angerer
Die historischen Hintergründe dieses Artikels hat der ehemalige Berchtesgadener Gymnasiallehrer und Heimatforscher Dr. Manfred Feulner 1969 in seinem Büchlein »Die berühmte Berchtesgadener Soleleitung« veröffentlicht. Recherchen in der Bayerischen Staatsbibliothek zu München und sein Quellenstudium an vielen anderen Stellen ergaben eine anschaulich und spannend zu lesende Veröffentlichung, die als Band 6 der »Berchtesgadener Schriftenreihe« immer noch beim »Berchtesgadener Anzeiger« und im Buchhandel erhältlich ist.
11/2017