Jahrgang 2007 Nummer 47

Gedanken an einem Novemberabend

Viel Zeit um in alten Bücherkisten zu schmöckern

Der November, dieser oft ungeliebte Monat, kaum dass es endlich Tag zu werden beginnt, sind es nicht viele Stunden, bis schon wieder die Dämmerung hereinbricht und bald darauf ist es wieder finster und grau draußen.

In früheren Jahren habe ich ihn auch nicht gemocht, den düsteren, dunklen Monat, doch lange schon gehört er mit seinen Gedenktagen wie Allerseelen- Buß und Bettag, Totensonntag, Volkstrauertag, für mich zum Jahresablauf dazu. Ja ich meine, dass es schon so sein muss, dass die Natur sich zur Ruhe begeben muss, um neue Kräfte zu sammeln für ein neues, umso üppigeres Wachsen und Gedeien. So kann gerade dieser scheinbar so trostlose, finstere Monat mit seinen langen, dunklen Abenden, auch uns Menschen, ein bisschen mehr Ruhe und Zeit zum Nachdenken geben. An so einem Novemberabend, wenn ein scharfer, pfeifender Wind um das Haus bläst, der Nebel grau über den Bäumen und Dächern hängt und erste Schneeflocken die öden Wiesen mit einer weißen Decke überziehen, drinnen aber in der gmütlichen Stube, schon die Scheite im Ofen knistern und die Kerze auf dem Tisch flackert, da fange ich manchmal an, in alten Sachen zu kramen. Als ich dabei, wie es mir vor etlichen Tagen ergangen ist, wie ich die unterste Schublade einer alten, geräumigen Komode aufgemacht habe und zwischen etlichen alten Schulheften, auf einmal mein Poesiealbum in den Händen gehalten habe, da ist dieser Abend wieder einmal, wie schon manch anderer, voll von vielen Erinnerungen geworden. Lange schon ist es her, dass ich dieses durchblättert habe, einen roten Umschlag hat es, mit kleinen, blauen Herzchen darauf und schon arg mitgenommen schaut es aus. Da wandern sie nun wieder einmal, meine Gedanken und während ich es mir nun auf meinem Plätzchen neben dem Kachelofen gemütlich mache, schlage ich schon die erste Seite des kleinen Albums auf: »Dieses Album ist mir lieb, wer ihn stiehlt, der ist ein Dieb. -Drum laß ihn liegen hübsch in Ruh, denn er gehört der Lisbeth Wieser zu«. Schmunzelnd lese ich diese, meine eigenen Zeilen, ich blättere um, da hat mir auf der zweiten Seite, meine Mutter einen Vers hineingeschrieben, doch die dritte Seite ist noch immer leer. Das hatte zwei Gründe, zum Einen wollte ich meinen Stiefvater nicht in mein Album schreiben lassen, dieser wiederum hat dies auch gar nicht gewollt und meinen richtigen Vater konnte ich nicht hineinschreiben lassen, so ist eben diese Seite als einzige leergeblieben. – Ich blättere schnell weiter und das auf der fünften Seite verweilt mein Blick lange und ich kann die aufsteigenden Tränen nur schwer zurückhalten, wie ich nun immer wieder langsam Zeile für Zeile lese, was mein Großvater damals mit ruhiger Hand, in seiner schönen, Deutschen Schrift niedergeschrieben hat: »Geh ohne Stab nicht durch den Schnee – Geh ohne Steuer nicht zur See – Geh ohne Gotteswort niemals aus dem Hause fort. – Zur Erinnerung von deinem Großvater Georg Wieser. – Pittersdorf, 13. April, 1950. – »Gleich auf der nächsten Seite lese ich den frommen Vers, mit der ein bisschen zittrigen Schrift meiner Großmutter, Nun folgen Seite auf Seite: »Aus Liebe!« – und zum Schluss: »Ein Vergissmeinnicht im Kranze der Erinnerung von Deiner Tante Sofie-. Pittersdorf den 3.04.50«. Ausgelacht haben damals meine Tante Marie, alle mitsammen, die wir um den großen Tisch in der Stube gesessen sind, denn diese hat unter einen schönen Vers geschrieben: »Zur Erinnerung von deiner Tante Marie«, ein Strichlein hat sie beim »T« der Tante durchgemacht und auch jetzt muss ich noch lächeln, denn ich weiß dies noch so genau. – Dann noch unter einem langen Vers: »Sei gut und edel – mit einem Wort – Ein deutsches Mädel« — »Deine Tante Thea – Pittersdorf, den 3.04.1950.«

Ja, nun weiß ich es auch wieder genau, es waren Osterferien dortmals und ich habe meine Mutter so gebettelt, dass ich das Poesiealbum noch zuvor bekomme, damit mir in den Ferien, in denen ich endlich wieder »Heimfahren« durfte, auch gleich alle in Pittersdorf als erstes in dieses schreiben konnten und so ist es auch gekommen! Auch meine beiden ersten, guten Freundinnen, die Merkl Muschi von Untermeising und das Bubenbauern Mathei von Grilling, finde ich jetzt beim Weiterblättern und was lese ich da schmunzelnd?: »Aus Liebe« – »Rosen und Vergißssmeinnicht sind die schönsten Gaben – Mathilde hat sie abgepflückt und Lisbeth soll sie haben« Grilling, 22.07.1951.

Das muss ein Jahr darauf in den Sommerferien gewesen sein, denke ich bei mir, da bin ich natürlich wiederum bei meinen Großeltern gewesen und die lieben Menschen, die ich so vermisst habe, sind mir allesamt wieder nah gewesen.

Beim Weiterblättern im Büchlein finde ich dann Seite für Seite, alle meine liebsten Schulfreundinnen von Grassau, meinem neuen Zuhause, wieder und bei jeder Einzelnen, sehe ich ihr Gesicht noch vor meinen Augen. Wie ich nun schon fast am Ende meines Albums lese, was mir die um eine Jahr ältere Löscher Inge, mit der ich in den letzten Schulklassen, am Sonntag in der Schulmesse immer »Vorbeten« durfte schrieb, da werden meine Augen wiederum verschwommen: »Zur Erinnerung – Rein wie der Glanz der Sterne, sei immerhin dein Glück – Leb wohl einst in der Ferne – denk oft an mich zurück.« Z f.E. Grassau 1951. – Plötzlich schrecke ich auf, da ist doch unser Kater wieder einmal, ohne dass ich ihn zuvor bemerkt habe, auf meinen Schoß gesprungen und schaut mich groß an, so hat dieser mich schnell aus meiner langen und weiten »Gedankenreise« geweckt.

Nur in der Vergangenheit leben, ist für Jung und Alt nicht gut, aber diese aus seinen Gedanken verbannen, ist für uns Menschen ein großer Verlust und ich meine, nur Hand in Hand mit Vergangenheit und Zukunft, ist so manches Schwere in der Gegenwart durchzustehen. – Da hat doch ein bekannter und geachteter Mann einmal gesagt: »Wer die Vergangenheit nicht kennt, tut sich schwer, die Gegenwart zu bewältigen«. Und er hat recht, ich lese noch schnell: »Freundlich räumst du mir ein Plätzchen hier in deinem Album ein,- möcht ich auch in deinem Herzen, niemals ganz vergessen sein und langsam mache ich mein Poesiealbum zu.

Elisabeth Mader



47/2007