Jahrgang 2003 Nummer 23

Für 3000 Mark ein Schloss mit Park

Der Komponist Gustav Mahler und die Musikstadt München

Gustav Mahler, 1884

Gustav Mahler, 1884
Alma Mahler, um 1910

Alma Mahler, um 1910
Ansichtskarte Gustav Mahlers an seine Frau Alma von einem Ausflug ins Gebirge, Juli 1903: »!!!!! es regnet !!!!! hier! hier! hie

Ansichtskarte Gustav Mahlers an seine Frau Alma von einem Ausflug ins Gebirge, Juli 1903: »!!!!! es regnet !!!!! hier! hier! hier! hier!«
»im besten wolsein eingetroffen / dann munter ins hotel geloffen / gebadet und kaffee gesoffen / poetisch ist mein heutges kabel / wie man in muenchen nur capabel / denn kunst erfuellt hier mann und wabel / man fuehlt sich hier beinahe griechisch / darüber freue ich mich viechisch«

»gustav« steht unter diesem Telegrammtext, datiert vom 6. November 1906, gerichtet an sein »Almschili«. Ein gereimtes Telegramm erhält Gustav Mahlers Frau Alma nach Wien. In München hat der Gatte am 8. November – ein halbes Jahr nach der Uraufführung in Essen – in einem Wohltätigkeitskonzert seine 6. Sinfonie zu dirigieren. »Die Concertdirektion drängt darauf, dass die Kuhglocken nicht hinter der Szene, sondern auf dem Podium mimisch geschlagen werden. Pringsheim (der Dirigent, d. Verf.) bekommt seine große um den Hals gehängt und muss damit auf und ab rennen, wodurch erst der natürliche Ton erzeugt werden wird. – Dies muss den Ausschlag geben, und wird bei dem weiblichen Theil der Gesellschaft einen durchschlagenden – sogar ausschlaggebenden Erfolg sichern…« Mahler gibt in seinem Brief vom 7. November 1906 zum Schluss noch der Hoffnung Ausdruck, dass sein »Almschili« bei seiner Ankunft ebenso lieb sein möge wie bei der Abreise.

Vier Jahre dauert’s, da schreibt der Wiener Hofoperndirektor an seine Frau Alma: »Verbirgst Du mir etwas? Denn ich glaube immer etwas zwischen den Zeilen herauszufühlen.« Richtig gefühlt, Herr Direktor. Ein paar Wochen später soll er durch einen Liebesbrief von Walter Gropius an Alma Mahler die ganze Wahrheit erfahren: Während der Kur in Toblach verlieben sich Alma und der Bauhaus-Gründer und Star-Architekt Walter Gropius schwer ineinander. Die Affäre ist nicht mehr aufzuhalten. Und auch nicht die Folgen: Mahlers Depression, sein verzweifeltes Werben um die Liebe seiner Gattin. In kleinen Zetteln mit Gedichten kommt sie zum Ausdruck, die er ihr – bevor er in sein Toblacher Komponierhäusl geht – aufs Nachtkästerl oder auf den Schreibtisch legt: »Mein Liebling«, heißt es darin zum Beispiel, »komm, banne die finstern Geister, sie umklammern mich, sie schleudern mich zu Boden. Bleib mir, mein Stab, komm bald heute, damit ich mich erheben kann. Ich liege darnieder und warte, und frage stumm, ob ich noch erlöst werden kann, oder ob ich verdammt bin.«

Solche Dokumente – Telegramm, Briefe, Notizzettel – sind es, die – von und an Gustav Mahler (1860 bis 1911), den großen Komponisten, Dirigenten, Musiker und Opernintendanten gerichtet – die Musikgeschichte mit Leben füllen, sie greifbar und nachempfindbar machen, den Menschen ebenso wie den Künstler vor dem geistigen Auge des Lesers auferstehen lassen. Die Bayerische Staatsbibliothek konnte 1998 und 1999 die – so kann gesagt werden – kostbarste und für die Forschung wichtigste Privatsammlung eigenhändiger Briefe und Musikautographen Gustav Mahlers erwerben. Und zwar aus Amerika. Der in die USA emigrierte deutsche Pianist und Musikologe Dr. Hans Moldenhauer sah sich als einzige deutsche Bibliothek die Bayerische Staatsbibliothek in München aus, die er in den internationalen Kreis der von ihm bestimmten künftigen Standorte von Teilen seiner umfassenden musikalischen Quellensammlung einreihte. Dies gewiss nicht zuletzt deshalb, weil das Haus Ludwigstraße 16 bereits über einige Dokumente zu Mahler verfügte und sie seit langem in den Vordergrund ihrer Erwerbspolitik gestellt hatte. 1981 etwa kaufte sie die eigenhändige Partitur der Achten von Gustav Mahler, 1996 251 Mahler-Briefe aus dem Besitz von Henry-Louis de la Grange. Schon ein Jahrzehnt zuvor wollte man Musikautographen und einige Briefe Mahlers aus den sogenannten Moldenhauer-Archiven erwerben, was dann noch nicht auf Anhieb gelang.

Nun aber kamen 22 neu erworbene Musikhandschriften mit Skizzen und Entwürfen zu sieben Mahler-Sinfonien und zu vier Klavier- und Orchesterliedern in den BSB-Besitz. Darunter befinden sich bisher unbekannte Autographen zur 4. und zur 10. Sinfonie – nahezu ausschließlich interne Arbeitsmanuskripte, deren Notentexte oft noch erheblich von der späteren Gestalt abweichen. Diese Erwerbungen geben der Durchschnittsöffentlichkeit weniger Futter als den Forschern, denen es nun gelingt, Näheres über den Entstehungsprozess der genannten Werke Gustav Mahlers zu erfahren.

Die etwa 400 eigenhändigen Briefe und Schriftstücke des Komponisten – davon allein 335 an seine Frau Alma aus dem letzten Lebensjahrzehnt – interessieren da die Allgemeinheit schon mehr. Sie ist an den romanhaften Figuren des großen Mozart- und Wagner-Interpreten, Bruckner-Schülers und Opernchefs von Budapest (1888) und Wien (1897 bis 1907) und seiner Frau Alma Maria Mahler-Werfel stark interessiert, die bekanntlich nach des Gatten Tod und kurzer Beziehung zu Oskar Kokoschka zuerst Walter Gropius und dann, 1929, Franz Werfel heiratete. Immerhin war Alma Mahler die erste Biografin Gustav Mahlers und die Herausgeberin seiner Werke.

Nach München wäre Gustav Mahler so gerne gezogen. Als er Proben zur Erstaufführung seiner Siebten (27. Oktober 1908) leitet, wohnt Gustav Mahler im Hotel »Vier Jahreszeiten«. Sein handschriftlicher Brief nach Hause wird zu Recht als eine Liebeserklärung an München gelesen. Darin heißt es:

»Was ich schon immer bemerkt habe: München (welches 600 Meter hoch liegt) hat ein herrliches Klima und ich befinde mich hier jedes mal riesig wol, wenn nicht außerklimatische Umstände mich herunterbringen… Immer mehr und mehr mache ich mich mit dem Gedanken vertraut, eventuell vielleicht nach München (beide Wörter sind unterstrichen) zu übersiedeln. Was meintest Du dazu? Um 3000 Mark kann man hier ein Schloss mit einem Park bekommen, und das Leben ist hier faktisch um die Hälfte billiger als in Wien. Mit unserem Einkommen lebt man hier wie ein Fürst. Mitten in Europa – nach allein Seiten die wundervollsten Verbindungen.«

Gar nicht teuer sei sein Hotelzimmer, bemerkt der Schreibende noch und betont: »Ich möchte Dir nur wünschen, zu sehen wie mollig ich es habe. Badezimmer ist auch dabei.« Damals war das freilich eine kleine Sensation, heutzutage gehört eine Nasszelle zu jedem Komfort-Hotelzimmer.

Gustav Mahlers Beziehungen zu München gehen – Professor Günther Weiß legt sie in seinem Beitrag zum Begleitbuch der BSB-Ausstellung »Gustav Mahler – Briefe und Musikautographen aus den Moldenhauer-Archiven« anschaulich dar – bis ins Jahr 1897 zurück. Kurz bevor Mahler Hofoperndirektor in Wien wird, dirigiert er am 24. März das 1893 gegründete Kaim-Orchester (von 1908 ab »Konzertverein-Orchester«, ab 1924: »Münchner Philharmoniker«): Beethovens Fünfte und das Vorspiel zu Wagners »Meistersingern« – aber noch kein eigenes Werk. Als möglicher Chefdirigent des Kaim-Orchesters lief leider Ferdinand Löwe dem Komponisten den Rang ab.

Seine 2. Sinfonie dirigierte Mahler in München am 20. Oktober 1900. Es war die Erstaufführung und das erste Dirigat eines Eigenwerkes bei Münchens Musikalischer Akademie im Königlichen Odeon. War dieser Auftritt ein Bombenerfolg, war Mahlers nächstes München-Gastspiel – die Premiere seiner Fünften – ein Desaster: Konzertmeister unzulänglich, Harfenist unter Niveau, Schlagzeug und Bläser »unter aller Kritik«, wie Natalie Bauer-Lechner, eine Freundin Mahlers und Augenzeugin des Konzerts, berichtet. Nur der letzte Satz »Das himmlische Leben« – mit der blutjungen und grazilen Rita Michalek als Solistin – wurde »widerspruchslos applaudiert«.

Noch schlimmer als mit seiner 4. erging es Mahler mit seiner 6. Sinfonie in München. Seinem »Almschili« schreibt er von der Münchner Erstaufführung aus seinem Hofopernbüro, er sei dort »hingerichtet« worden. Rudolf Louis verriss die Aufführung in den »Münchner Neuesten Nachrichten« nach Strich und Faden. Wechselbäder in München: Die 7. Sinfonie wurde für Gustav Mahler zum Triumph. An Alma kann er schreiben, er habe »andauernd das famoseste Befinden. Es muss rein am Münchner Klima liegen.«

Höhepunkt von Gustav Mahlers Wirken in München – so der Musikforscher Kurt Dorfmüller – sei die Uraufführung der 8. Sinfonie unter Leitung des Komponisten selbst gewesen. Dorfmüller sprach von Mahlers größtem Erfolg seines Lebens. Ein Enthusiast. Bedauernd stellte er fest: »Es war zugleich seine letzte eigene Uraufführung. Im November folgte er seinem Engagement nach Amerika, aber schon im Februar 1911 trat sein ihm seit 1907 bekanntes Herzleiden in ein akutes Stadium. Er wurde zurück nach Paris und dann nach Wien gebracht, wo er am 18. Mai 1911 im Alter von 51 Jahren starb.« Nicht dass Mahler fünftig in München nicht mehr gegenwärtig gewesen wäre. Seine Werke wurden – und werden bis heute, erst kürzlich zum Beispiel durch Lorin Maazel in einem fulminenten »Mahler-Zyklus« des Symphonieorchesters des Bayerischen Runfunks – in München aufgeführt, wo sich eine Mahler-Gemeinde bildete, wo aber immer auch Mahler-Kritik laut wurde. Schon am 20. November des Mahler’schen Todesjahres führte Bruno Walter, Mahlers Freund und Vertrauter, »Das Lied von der Erde« in München auf. Tags zuvor begleitete Bruno Walter die schwedische Altistin amerikanischer Herkunft Sara Jane Walker – von Mahler nach Wien geholt – zu Mahler-Liedern am Flügel. Fünf Jahre später erlebte München noch einmal das »Lied von der Erde« unter Bruno Walter mit Luise Willer als Solistin.

Ein spätes Brief-Dokument, das Verhältnis Gustav Mahlers zu München betreffend, ist ein eigenständiger Brief des Meisters aus New York vom März 1910 aus der Sammlung de La Grange. Geschrieben ist er auf Briefpapier von Frau Alma, gerichtet an den Münchner Konzertagenten Emil Gutmann. Der legte sich für die Aufführug von Mahlers Achter ins Zeug, wogegen Mahler sich verwahrt:

»Entweder fühle ich mich bei meiner Ankunft in Europa befriedigt bezüglich der künstlerischen Bedingung, die ich für mein Werk vorfinde, und dann geht es auch ohne Bernum und Bayley-Methode (Anm. d. Verf.: ein bekannter amerikanischer Zirkus). Oder ich bin nicht befriedigt vom Stand der Dinge, und dann sage ich Ihnen augenblicklich und definitiv ab!«

Der letzte Brief, den Gustav Mahler an seine Frau schrieb, kam aus München. Er ging am 5. September 1910 aus dem »Grand Hotel Continental«. Voller Hingabe und dankbar um die ausbleibenden Schmerzen, denkt er, aus Wagners »Tristan« zitierend, an die ferne geliebte Gattin. Er hatte mit Appetit gespeist und verfiel gleich darauf wieder in »Tristan«-Stimmung. Erstmals seit er München besuchte, habe er Ruhe zum Schlafen in der Nacht gefunden, da die Fenster seines Hotelzimmers in einen »Villenhof« gingen. Voll sehnsüchtiger Erwartung freute er sich auf das Wiedersehen mit seiner »Almschili«. Die musst’s ihm unbedingt selbst sagen, dass sie ihn über alles liebe; »denn morgen schon, weiß ich, glaub ich’s nicht mehr!«

HG



23/2003