Früh übt sich, was ein Meister werden will
Auf alten Heiligenbildchen muss das Jesuskind schon fleißig arbeiten





Ein braver Bub, der kleine Jesus. Auf den Bildchen, die Großmutter im Gebetbuch aufbewahrte und dem Enkel im Kindergartenalter jeden Sonntag nach dem Besuch der heiligen Messe gerne zeigte, ist Marias und Josefs Sohn ein glänzendes Vorbild an Hausfleiß und Umsicht, an Hilfsbereitschaft und Eigeninitiative, an Wertmehrung und zielführender Beschäftigung.
Schauplatz: Haus und Hof
Schauplatz ist zumeist der Hausgarten oder ein kleiner Hof rund um ein Einfamilienhaus im Grünen auf dem Land. Nur gelegentlich wird ein etwas längerer Weg gezeigt, der vom Haus weg führt, etwa zu einer gefassten Wasserstelle oder ans Ufer eines grundstücksnahen Teiches oder Baches.
Das Umfeld des Jesusknaben wird auf den Bildchen zwischen 1850 und 1920, den damals gültigen pädagogischen Grundsätzen folgend, als überschaubar und gefahrlos, das heißt aber auch ziemlich eng (im doppelten Wortsinn) dargestellt. Manchmal ist dieses Umfeld sogar von einem Zaun begrenzt. Was so viel aussagt wie: Beschränke dich möglichst auf deine dir durch Geburt geschenkte allernächste Umgebung, Junge! Sie sei die Region zur Gewinnung deiner ersten Anschauungen und selbst gemachten Erfahrungen! Auch wenn du schon nicht mehr als Kleinkind angesehen werden kannst: Bleib ruhig noch da, wo du dich behütet und sicher fühlst, wo dir so schnell nichts passieren kann! Daheim – im und ums Haus herum gibt es ja für dich von früh bis spät viel zu tun, auch wenn du in einer Kleinfamilie aufwächst. Als Lohn für deine Treue zum eigenen Haus winken dir Lob und Anerkennung deiner Eltern, denen du ein williger, gehorsamer Nachkomme bist, den es nicht gleich in die Welt hinaus zieht, der vielmehr sich begnügt mit dem, was er seit Kindesbeinen abschreitet und lieb gewonnen hat.
Nützlich und entlastend
Es gibt durchaus Tätigkeiten, die dem Knaben im zarten Alter bereits zugemutet werden können, ohne dass er dabei Schaden nähme oder er einer Aufsicht von Seiten Erwachsener bedarf, die also ungefährlich, aber für die Familie doch nützlich sind und zugleich Mutter und Vater entlasten.
An erster Stelle steht dabei das Blumengießen. Es ist eine der ersten kleinen häuslichen Pflichten, die das Ziel haben, Regelmäßigkeit und Gewohnheit zu üben. Wasserkrug und Gießkanne können vom Buben ohne viel Kraftaufwand gefüllt und an die Blumenbeete herangetragen werden. Der Kleine kann ruhig schon das Wasser selbst aus dem Brunnen schöpfen. Stellt er sich geschickt an, schultert er das henkellose Tongefäß voll Wasser und trägt es, ohne dabei etwas davon zu verschütten, wenn nötig einen längeren Weg bis nach Hause.
Wachsen geschieht nicht von selbst. Wachsen verlangt Zuwendung, Pflege, Stetigkeit der Bedienung. Ohne Liebe zur Natur keine Ernte. Noch steht nicht der Nutzen (den zum Beispiel Obst und Beeren in Aussicht stellen), sondern erst einmal nur die Freude und Schönheit (der blühenden Blumen) im Vordergrund. Ein elementarer Zusammenhang wird vom Kind erfasst: Pflanzen gedeihen durch das kulturelle Eingreifen des Menschen. Sie zieren die Umgebung, geben ihr ein würdiges Ambiente, bringen Freude, wirken förderlich auf das Gemüt. Wasser ist Leben. Wasser ist Klarheit.
Mit Rosen und Lilien
»Jesus, die Reinheit selbst. / Ist gerne unter den Lilien.« So steht auf einem nicht kolorierten sogenannten französischen Stanzspitzenbildchen, das den barfüßigen Jesusknaben im langen Gewand inmitten einiger hoher weißer Lilien zeigt. Sie stehen, schlank und makellos, in voller Blüte und reichen dem Kleinen bis zur Schulter. Ihnen versucht er mit einer Sichel beizukommen. Bevor er sie schneidet, zieht er sie verträumten Blickes an sein Herz.
Auf der Rückseite des Gebetbuchbildchens notiert dessen spendende Person (»L. Eckart«) handschriftlich: »Vergiss nie die Vorsätze, die Du bei Deiner I. hlg. Communion gefasst.« Hinzugesetzt sind in Stenografie der (unlesbare) Ortsname und das Datum: »25. IV. 03«. Es handelt sich also um ein Andenken an einen wichtigen Tag im Leben des katholischen Kindes. Das maschinell gestanzte Gitterwerk, das das graue, fein in Stahl gestochene Bildmotiv einfasst, weist Weintrauben und Weinblätter auf, die eine künstlich-symmetrische Laube bilden. Zum Wasser kommt also schon früh auch der Wein – beides erreicht ja seine heilsgeschichtliche Bedeutung am Gründonnerstagabend bei der Einsetzung des Altarssakraments. Mit Wasser wird der seinen Lebensweg beendende Jesus den Jüngern die Füße waschen. Der Wein, den er ihnen zum Brot reicht, steht für sein Blut, mit dem er die Erlösten von ihrer Schuld befreit.
Der göttliche Gärtner
Gebetbuchbildchen sind Träger von Sinnbildern. Nichts wird dargestellt, was nicht als Zeichen gelten kann. Da muss in die Ikonografie nichts »hineingeheimnist« werden. Gerade in ihrer oft an die Grenze des Süßlichen gehenden Naivität der Jesuskind-Bildchen steckt einerseits deren pädagogische, andererseits aber auch deren theologische Wirkkraft. Sie wird nicht theoretisch, sondern volkstümlich-anschaulich vermittelt.
Die meisten Blumen, die der Jesusknabe gießt – Sinnbild für das Spenden und Erhalten aufkeimenden Lebens – blühen weiß oder rot (Farben der Unschuld und der Liebe). Bevorzugt werden Lilien, Margeriten und Rosen, auch Malven (Stockrosen genannt). »Der göttliche Gärtner« (so die Überschrift eines drei Strophen langen Gedichtes der im ausgehenden 19. Jahrhundert beliebten religiösen Autorin Cordula Peregrina (alias C. Wöhler) – »Peregrina«: die Wallfahrende) wird als Züchter eines ihn an Länge überragenden Rosenstockes gezeigt. Er bindet mit Bast das zarte Gewächs, das in voller Blüte steht, an ein gleichlanges und gleichdickes Rundholz. Zeichenhaft wird der junge Jesus bereits in seiner Rolle als Herr über die Natur, die unter seinen Händen wohl gedeiht, vor Augen geführt. Vorleistungen des Messias
Bei genauem Hinsehen entdeckt
man, dass der das Bäumchen stützende Stab oben einen Querbalken trägt: Das Kreuz wird schon dem Kind Jesus zum Begleiter seines Lebens (und auch dessen der Natur). Zwei »Beistellfiguren« treten als Assistenten auf, auch sie mit Heiligenschein, mit Gießkanne der eine, mit einer Schale der andere. Schwer zu sagen, welcher von beiden Johannes (der spätere Täufer Christi) ist, Jesu Cousin. Die letzte Strophe des Gedichtes, das auf der Rückseite steht, lautet:
Dürr warst du einst und schwach und klein,
Dankst Wuchs und Kraft nur ihm allein;
So lass in deiner Krone Grün
Den Flor der reinen Liebe blüh‘n,
Und bring‘ ihm edle Frucht zugleich,
Die Wert hat für das Himmelreich.
Dann pflanzt er - wenn die Zeit entschwand -
Dich einst ins ew‘ge Gartenland!
Das farbig lithographierte Bildchen ist per Handschrift rückseitig »Meinem Tuddichen zur Erinnerung an Carstens I. hl. Communion« gewidmet, und zwar »Bonn, den 6. Juli 1919«. Bei »B. Kühler, Mönchengladbach« gedruckt, entspricht sein rückseitiger Text ganz dem auf dem Farbbild mit dem Titel: »Der göttliche Seelengärtner«, das bei Carl Poellath, Schrobenhausen erschienen ist. Beide Male ist die Bibelstelle Ezech. 17, 24 dem Gedicht vorangesetzt: »Alle Bäume des Landes sollen erfahren, dass ich, der Herr, den niedrigen Baum erhöht und den dürren Baum grünend gemacht habe.«
Funktionen wie diese, die hier dem erwachsenen Messias zugeschrieben werden, leistet dieser quasi schon »vor«: als Knabe, der, besieht man‘s recht, eigentlich selbst noch »im Wachsen« ist und hierfür noch geraume Zeit braucht. Spiel wäre dem kleinen Jesus noch gemäß, freies, nicht an einen Zweck gebundenes und kein festgelegtes Ziel verfolgendes Spiel – aber nein, ihm obliegen bereits in jungen Jahren Aufgaben, die er zu übernehmen hat: Pflege, Veredelung, Wachstumsförderung.
Treu der Arbeit leben
Ein weiteres Gebetbuchbildchen, mit Regensburger Imprimatur auf den 18. Juli 1900 datiert und bei Max Hirmer, München, erschienen, mahnt unter dem Thema »junger Gärtner«: Schon am Morgen möge der Betrachter des Bildes »in Sorgen seinen Trost und Frieden suchen«. Wie der junge Jesus sei, so die Dichterin C. Peregrina, jeder Mensch dazu »geboren und erkoren«… »im Schweiße / Sich zu nähren, und zu ehren / Gott mit frommem Fleiße! / Selbst der E i n e, den die reine / Jungfrau uns gegeben, / Ruhte nimmer, wollte immer / Treu der A r b e i t leben. / Und man kannte ihn und nannte / ‘S o h n d e s Z i m m e rm a n n e s‘ . / Kreuzumgeben blieb sein Leben. / Arbeitsvoll verrann es! ...«
Das Lob des schon im Kindesalter auf sich genommenen Kreuzes »Arbeit«, verbunden mit Plage, Schweißvergießen, Anstrengung, Eifer und Pflichterfüllung, singen alle diese kleinen Einlegebilder, die noch vor 100 Jahren als Erinnerungszeichen zu besonderen Anlässen verschenkt wurden. Der Jesusknabe taucht darauf nicht nur als Gärtner, sondern gerne auch als Sämann, Fischer, Schreiner oder Tierpfleger auf. Und, als Sohn seines Nährvaters Josef: als Zimmermann.
Als Fleißbildchen verschenkte die Lehrerin Delfine Naißl eines der zahlreichen Serienbildchen von J. Kastner, das das arbeitsame Jesuskind im knöchellangen einfachen Kittel barfuß zeigt, allein, ganz in seine Tätigkeit vertieft: Hämmern, den Hof fegen, ein Blumenbeet versorgen, Wasser herantragen, Fische fangen. Darauf wird - bedeutungsvoll - ein auf einen Bock gelegtes Kreuzesholz mit dem Vorschlaghammer bearbeitet, das vorher, wie die Späne auf dem Boden verraten, glatt gehobelt wurde.
Frühe Übung macht den Meister
»Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade vor Gott und den Menschen «, wird auf einem Schrobenhausener Bildchen aus Lukas 9, 52 zitiert. In einem von zwei Säulen gesäumten Häuschen mit Spitzdach müht sich das Jesuskind, diesmal im roten Kleid, aber wieder barfuß, damit ab, von einem aufgebockten Balken ein Stück herunter zu sägen. Allerhand Werkzeug des Zimmermanns beziehungsweise des Schreiners steht an der Hobelbank bereit. Auf der Rückseite wird als Einleitung zu einem Gebet (Schlusszeile: »Was ihr immer thun möget, thut Alles im Namen unseres Herrn Jesu Christi«) auf einen von Papst Pius IX. im Jahre 1854 reskribierten Ablass von 50 Tagen Bezug genommen.
Friedrich Schiller lässt seinen Wilhelm Tell, den Schweizer Nationalhelden, tröstend und mahnend sagen: »Früh übt sich, was ein Meister werden will«. Die Meisterschaft, zu der es Jesus wie kein anderer unter den Menschen gebracht hat, wird nur dadurch erreicht, dass die hierfür nötigen Fertigkeiten und Techniken schon früh eingeübt werden. »Meister« wird Jesus von seinen Jüngern gerufen. Als »Heiland, Herr und Meister« spricht die Gemeinde beim Gesang der Messe von Franz Schubert (Text: Johann Philipp Neumann, Wien) Jesus an und bittet um Frieden. Dass dieser nicht aus Händen erwächst, die der Mensch in den Schoß legt, sondern aus tätigen Händen, die den Frieden regelrecht »erarbeiten«, ist schon vor dem Auftauchen so genannter Friedensforscher klar gewesen.
Dr. Hans Gärtner
15/2014