Jahrgang 2007 Nummer 42

Flurdenkmale als Zeichen der Volksfrömmigkeit

Sie sind nicht nur eine Orientierungshilfe, sondern sollen auch zum Nachdenken anregen

Sie passen nicht mehr so recht in unsere hektische Zeit, jene Zeichen, die unsere Vorfahren in Dörfern, Flur und Wald, an Wegen und auf Anhöhen errichteten. Mit ihnen wollten sie alle, die des Weges kamen, nicht nur eine Orientierungshilfe geben, sondern auch zum Nachdenken anregen. Einige von diesen Flurdenkmalen, die bis heute zum Bild vieler unserer Landschaften gehören, haben das Auf und Ab der Zeiten überstanden, werden heute da und dort wieder errichtet und, was besonders erfreulich ist, in denkmalpflegerischer Sorge für kommende Generationen vor dem Verfall bewahrt. Die schlichten Zeichen sind Ausdruck der religiösen Tradition und einer tiefen Gläubigkeit, die unsere Heimat in der Vergangenheit prägte.

Wegkreuze

Wegkreuze treffen wir in großer Zahl vor allem im ländlichen Raum, inmitten eines Dorfes, an Hauswänden, auf freier Flur, am Wegrand, auf Anhöhen, inmitten von Wäldern. Sie stehen oft dort, wo sich Wege gabeln und kreuzen, wo viele Menschen vorbei kommen. Sie wollen nachdenklich machen und an das Leiden und Sterben Christi erinnern und den Be-trachter ermuntern, den Blick nach oben zu richten. Früher waren sie für Wanderer, vor allem für Pilger, wichtige Orientierungszeichen auf ihrem Weg.

Die Motive, ein Kreuz zu errichten, sind vielfältig. Gar oft war eine persönliche Erfahrung, die zu einem Versprechen führte. Das konnte ein Schicksalsschlag sein, der einen Einzelnen oder auch eine Gemeinde heimgesucht hat, oder der Dank für die glückliche Errettung aus größter Not und Verzweiflung oder für die Rückkehr aus Krieg und Gefangenschaft. Ein Wegkreuz war nur in seltenen Fällen ein großes Kunstwerk. Meist handelte es sich um die handwerkliche Arbeit eines ortsansässigen Schreiners, ohne kostbaren Schmuck und vielleicht auch ohne Corpus. Wo man es sich leisten konnte, hat man natürlich von einem Herrgottsschnitzer aus Oberammergau oder Südtirol eine künstlerisch wertvolle Christusfigur erworben.

Neben hölzernen Christusfiguren findet man vereinzelt an Wegkreuzen auch Kreuzigungsdarstellungen auf bemalten Blechbildern. In oft recht grellen Farben und naiver Weise erinnern sie an das Leiden und Sterben des Herrn. Auf ein besonders eindrucksvolles Kreuz dieser Art trifft der Wanderer, der von dem schönen oberbayerischen Ort Nußdorf im Inntal durch den Wald zur Wallfahrtskirche Kirchwald hinauf steigt.

Wegkreuze sind seit Jahrhunderten ein Ausdruck der Volksfrömmigkeit. Im Zuge der allgemeinen Säkularisierung sind diese frommen Zeugnisse der Vorfahren in jüngster Vergangenheit in Vergessenheit geraten. Man hat sie nicht mehr beachtet und sie dem Verfall durch die Witterung preisgegeben. Erfreulicher Weise entdeckt man aber heute wieder neu ihren Wert und bemüht sich, sie als Denkmale zu erhalten und ihnen wieder eine neue Funktion zu geben, zum Beispiel bei Flurprozessionen und Gottesdiensten im Freien.

Flur- und Wegkreuze sind aber keineswegs ein Relikt aus vergangenen Tagen, sondern können auch Menschen von heute etwas bedeuten. Auch in der Gegenwart gibt es Menschen, die das Bedürfnis haben, ein Kreuz zu errichten. So erzählte mir kürzlich ein junger Schreinergeselle, dass er im Garten seiner Eltern ein selbst gefertigtes Kreuz aufstellen wird zum Dank für die Gesundung nach einem schweren Mopedunfall, den er vor acht Jahren glücklich überstanden hatte.

Bildstöcke

Besonders eindrucksvolle Zeugnisse der tiefen Gläubigkeit unserer Vorfahren sind die Bildstöcke, die wir an vielen Feldwegen und am Rand von Pilgerwegen finden. Änlässe für die Errichtung von diesen bildhaften Darstellungen aus Holz oder in Stein gehauen sind oftmals Erfahrungen von Einzelpersonen oder eines Ortes gewesen. Zu denken ist dabei an Gefahren durch Krankheiten, Kriege, Feu-er- und Flutkatastrophen. Nach überstandener Not wollte man mit einem Bildstock dem Gekreuzigten, der Muttergottes, einem Heiligen für erlangte Hilfe Dank sagen. Auch im letzten Weltkrieg gelobten Soldaten oder ihre Angehörige nach glücklicher Rückkehr einen Bildstock.

Einfache Bildstöcke, an Baumstämmen errichtet, treffen wir oft in Wäldern. Trotz eines schmalen Daches sind sie voll der Witterung ausgesetzt. In Tirol und in Kärnten haben die Bildstöcke die Form einer kleinen Kapelle, die auf einem festen Sockel steht. Paul und Richilde Werner (»Vom Marterl bis zum Gipfelkreuz. Flurdenkmale in Oberbayern«) weisen darauf hin, dass es in Österreich etwa 6000 Bildstöcke gibt, davon ein Viertel in Kärnten.

Zahlenmäßig steht unseren österreichischen Nachbarn der süddeutsche Raum, speziell das Alpengebiet, nicht nach. Hier hat der Bildstock eine besonders markante, auch künstlerische Form gefunden. Ein Musterland ist dabei Franken, hier besonders der Schweinfurter Gau und die Vorrhön. Dort gehören die steinernen Bildstöcke seit Jahrhunderten zum Bild der Landschaft. Wir finden sie in Ortschaften, an Straßen und Gemarkungen. Aufgestellt wurden sie meist von unbekannten Stiftern an viel begangenen Wegen, besonders an Wallfahrtswegen, zum Beispiel nach Vierzehnheiligen, Gößweinstein und Volkach. Bei Bittgängen waren sie Stationen, um für den Erntesegen zu beten. Bei Wallfahrten wurde bei ihnen eine Rast gehalten.

Die oft verwitterten Bildstöcke, bestehend aus einem Sockel, einem Schaft und einem Aufsatz, sind ausdrucksstarke religiöse Flurdenkmale mit unterschiedlichen Bildmotiven. So zeigen sie zum Beispiel Leidens- und Kreuzigungsszenen, die Muttergottes und besonders verehrte Heilige. Damit wurden sie zu gerne aufgesuchten Orten des Gebetes, des Trostes und der Ruhe.

Da in den meisten Fällen Angaben über die Motive zur Errichtung von Bildstöcken fehlen, konnten sich um die Bildstöcke viele Sagen und Legenden bilden, die man sich weiter erzählt hat. So haben die aus einer tiefen Frömmigkeit entstandenen Denkmale zu allen Zeiten die Fantasie der Menschen angeregt.

Marterl

Zum Landschaftsbild in Gebirgsgegenden und Regionen, die vom Verkehr abseits liegen, gehören noch heute kleine Denkmale aus Holz oder Stein, die an Tote erinnern, die unvorhersehbar und plötzlich aus dem Leben geschieden sind. Es sind Marterl, die meist dort aufgestellt wurden, wo den Familienangehörigen oder Freund der Tod ereilte. Der Errichtung eines Marterls liegt bis heute meist ein religiöses Motiv zu Grunde. Früher stand im Vordergrund vor allem die Sorge um das Seelenheil des Verstorbenen: Mit Gebeten, die an einem Marterl verrichtet wurden, glaubte man, seinen Aufenthalt im Fegefeuer abkürzen und erleichtern zu können. So wurden Marterl als stille Aufforderung verstanden, für den jäh Dahingeschiedenen zu beten. Gleichzeitig sollten sie die Lebenden ermahnen, an ihr eigenes Ende zu denken. Zudem war man davon überzeugt, dass die Gebete vor einem Marterl verrichtet wurden, nicht nur den Toten, sondern auch dem eigenen Seelenheil nützen.

Zu einem Marterl gehörte meist auch eine Bildtafel, auf der anschaulich die Art des Todes bei einem Unglück oder bei einem Überfall dargestellt wurde. Die unbekannten Maler haben die Situation, die zum Tode führte, gerne recht drastisch und detailliert ins Bild gesetzt. Das konnte ein Unglück bei der Arbeit in der Landwirtschaft, beim Hausbau, bei der Waldarbeit, bei Jagd und Fischerei, bei der Holztrift und Flößerei, aber auch bei Unwettern und Wasserflut sein.

Nicht fehlen durften auch eine Inschrift mit dem Namen, dem Geburts- und Todestag des Verunglückten sowie ein Spruch, der zum Nachdenken, aber auch zum Schmunzeln anregen sollte. Der Text für den Spruch stammte von sprachgewandten Angehörigen oder von bekannten Schreibern, die es darauf anlegten, dem Wanderer auf wenigen Zeilen eine Lehre für die richtige Lebensführung zu erteilen. Dabei kam es gar oft zu unfreiwillig komischen Texten, über die man sich lustig machte und die dem Tod etwas seinen Schrecken nehmen sollten:

Durch einen Ochsenstoß
kam ich in den Himmelsschoß.
Musst’ ich auch gleich erblassen
und Weib und Kind verlassen.
So ging ich doch zur ewigen Ruh’,
durch dich, du Rindvieh du!
Hier verunglückte der ehrengeachtete Jüngling Tobias Mayer, 71 Jahre alt, durch einen Pixenschuss.
Es lebte fromm und recht,
der hier derdruckte Knecht.
Gott sei seiner Seele gnädig,
zum Glück war er ledig.

Dr. Albert Bichler



42/2007